Archiv für die Kategorie „Dahme-Kurier“

Bye-bye, Dahme-Spreewald!

Samstag, 9. Juni 2007

Alles ein großer Irrtum – ein Resümee nach 42 Tagen und 850 Kilometern

Mithin die charmanteste Eigenschaft von Vorurteilen ist deren Beständigkeit. Für einen Lokalschreiber aus dem Norden Brandenburgs, der für zwei Monate in den Süden verschickt wurde, schien die Sache klar: LDS ist im Grunde wie OHV, nur, dass es unterhalb Berlins liegt und landschaftlich nicht so viel zu bieten hat. 42 Arbeitstage, 850 gefahrene Kilometer zwischen Schönefeld und Lübben, Klein Wasserburg und Groß Köris und verbürgte 6,25 Liter koffeinhaltiger Getränke später bleibt nur ein Resümee: Irrtum! Zunächst einmal ist der prosperierende Süden trotz explodierter Orte im Speckgürtel landschaftlich viel schöner, als wir Nordbrandenburger überheblicherweise glauben. Gut, der strahlende Frühling machte alles noch schöner, aber dennoch: LDS ist schön, auch nördlich vom Spreewald. Zweiter Punkt: Sie haben vermutlich keine Ahnung, wie gut Sie es mit dem Dahme-Kurier haben! Glauben Sie mir, eine Lokalredaktion, die mit so viel Kreativität und – doch, ja: – Freude ihre Arbeit tut, ist selten. Allein die Zahl der Rubriken und Serien – diese hier eingeschlossen – übersteigt den Einfallsreichtum der meisten anderen Lokalzeitungen um ein Vielfaches. Und dann die Kontinuität: Seit vielen Jahren ist der Redaktionsstab nahezu unverändert – von der daraus resultierenden Vertrautheit mit der Region und dem Vertrauen der Akteure profitieren Leser wie Zeitung gleichermaßen. (Ich darf das ohne Verdacht der Lobhudelei sagen, ich habe mein Zeugnis bereits…)

Drittens, und das ist vielleicht das Wichtigste: LDS verströmt einen Optimismus, den man im strukturschwachen Norden vergeblich sucht. Sicher, der Südkreis könnte besser aufgestellt sein, aber Teltow-Vermögen, Flughafen und Speckgürtel machten nicht nur Straßen und Sanierungen möglich, sondern verhinderten eine Resignation, die vielleicht die schwerste Bürde des Nordens ist. Warum Sie sich jetzt anhören müssen, wie jemand Ihnen Ihren Kreis erklärt, der erst vor zwei Monaten kam und nun – der Volontärsrotation ist’s geschuldet – schon wieder weg ist? Weil manchmal erst die Außenperspektive hilft, zu sehen, was man längst für selbstverständlich hält. Ich jedenfalls werde LDS vermissen, das Herumirren zwischen Friedersdorf und Heidesee (wo liegt das?), die Verwirrung um Kiekebusch (gehört zu Waltersdorf, das Teil von Schönefeld ist), die Suche nach Rosa Luxemburg (ein Gag für regelmäßige Plauderei-Leser) und die Seen zwischen Wolzig und Märkisch Buchholz. Bye- bye, LDS, vielen Dank! Und verpetzt mich nicht im Norden!

Erschienen am 09.06.2007

Nachwuchs im Simulator-Park

Freitag, 8. Juni 2007

Lufthansa Training mit neuer Boeing 737 / Nachfrage in der Pilotenausbildung ungebrochen

SCHÖNEFELD War ja klar, dass es so kommen musste. Wenn ein Schreiber sich als Flieger versucht, ist die Bruchlandung programmiert. Wir setzen hart auf in Hong Kong. Zu hart. Die Boeing 737 bockt und springt wieder von der Landebahn hoch, bekommt eine bedrohliche Schieflage und schlägt dann schräg und mit der Nase voran auf den Asphalt. Das Bild friert ein. „Game Over“ sagt der Flugtrainer trocken, und die Häme ist unüberhörbar. „Maybe you shouldn’t consider becoming a pilot“ setzt er hinterher, in dem für Franko-Kanadier typisch französisch klingendem Englisch. Die Eleganz dieser Aussage ist unübersetzbar. De facto heißt es: Trottel!

Es ist der achte Flugsimulator in den Hallen der Lufthansa Flight Training (LFT) in Schönefeld, der an diesem Tag in Betrieb genommen wird. Und der erste der Firma Mechtronix aus dem kanadischen Quebec. „Wir haben uns für das Gerät entschieden, weil uns die Qualität, Zuverlässigkeit und der attraktive Preis überzeugt haben“, sagt LFT-Chef Florian Hamm zur Einweihung. Die geringeren Kosten könnten direkt an die Kunden, die ihre Ausbildungsstunden auf dem Gerät buchen, weitergegeben werden, fügt er an. Angesichts ungebrochen großer Nachfrage an Piloten und Pilotenausbildung ein Argument, das die Kundschaft gern hört. Der Trend zum Billigflieger mag den Bedarf erhöht haben, doch Easyjet, Germanwings & Co. haben auch die Kosten schärfer im Blick. Hauptkunde auf dem Mechtronix-Gerät wird die Tui Fly sein, die Fluggesellschaft des großen Touristik-Konzerns. „Wir benutzen das Gerät schon jeden Tag und sind sehr zufrieden“, verrät Joachim Kramer, Leiter der Piloten-Ausbildung bei der Tui Fly. Man habe lange mit sich gerungen, selbst einen Simulator anzuschaffen und schließlich entschieden, das lieber in den bewährten Händen der LFT zu belassen. „Unsere Kompetenz besteht darin, von A nach B zu fliegen. Das Training überlassen wir lieber den Profis“, so Kramer.

Da der Verkauf eines Simulators selbst für ein Unternehmen wie Mechtronix ein großes Ereignis ist, ist fast der gesamte Führungsstab nach Schönefeld gekommen. Geschäftsführer Xavier Herve übergibt ein zusätzliches Ausstattungsmerkmal des Simulators an Hamm und Kramer: Das integrierte Pain-Relief-System (Schmerz-Minderungs-System) in Form von zwei Flaschen Champagner.

„Es wäre ein Traum, mal für Euch zu arbeiten“, bekennt Florian Hamm im Gegenzug, der vor dem Kauf die Firma in der kanadischen Provinz Quebec besucht hatte. Betriebsklima und Führungsstil hätten ihn nachhaltig beeindruckt. Angesichts des Durchschnittsalters von 18 bis 23 Jahren unter den jungen Ingenieuren werde es aber wohl ein Traum bleiben.

Nach so vielen freundlichen Worten dürfen die Besucher der Einweihung selbst im Cockpit Platz nehmen und für 15 Minuten durch die Welt jetten – auf Wunsch auch selbst am Steuerknüppel. Nun scheiden sich die Luftfahrtprofis von den Presseleuten, die sehr schmerzhaft erfahren müssen, dass das Wort Schmierfink auf der ersten Silbe betont wird und mit Fliegen wenig zu tun hat. Selbst der Kollege, der in seiner Freizeit mit dem Segelflugzeug nach Höherem strebt, ist vom originalgetreuen Cockpit der 737 hoffnungslos überfordert. So sehr, dass er vor Aufregung auf der Startbahn mit dem Steuer zu lenken versucht, statt mit den Ruderpedalen. Los geht’s in Tegel, die Nase zeigt nach Osten, das Wetter ist im Wortsinn blendend. Der Start ist noch relativ einfach: Bremsen lösen, Gas geben, die Spur halten und im richtigen Moment hochziehen. Der Kollege ist dennoch in Schweiß gebadet. „Warm hier!“ sagt er. Ja, klar. Einmal in der Luft, entspannt er sich, ein Zustand, der dem kanadischen Trainer gar nicht behagt. Er lässt es nun richtig krachen: Dunkelheit, Nebel, Schneetreiben, drei entgegenkommende Maschinen – der arme Hobbyflieger ist voll beschäftigt. Erst der Anblick des Hongkonger Flughafens, traumhaft beleuchtet, entspannt ihn wieder. Es wird nicht lange anhalten. Die sechs Hydrauliksäulen, die das Cockpit in jede erdenkliche Richtung neigen können, bewegen sich nicht immer so butterweich. Sie können auch anders: Etwa, wenn die Nase des Riesenvogels mit einem gewaltigen Rumms auf die Landebahn kracht.

Erschienen am 08.06.2007

Ungehobelte Essensgäste

Dienstag, 5. Juni 2007

Wildschweine verwüsten Grundstücke / Rund zehn Vorgärten auf der Speiseliste

PRIEROS Es sieht nicht gut aus in Margot Ziebolds Garten, man muss das so direkt sagen. Er ist eher ein Sauhaufen. Der Steingarten ist über das Grundstück verteilt, die Kartoffeln aus dem Acker sind es auch, die Tulpenzwiebeln – was davon übrig ist – liegen über der Erde, und selbst der Kompost ist überall – nur nicht auf dem Haufen. Eine echte Schweinerei.

„Das Schlimmste ist aber, dass ich mich abends kaum noch raustraue“, sagt Margot Ziebold. Den Garten könne sie ja wieder richten, doch die Angst, die störe sie schon gewaltig. Schließlich haben die Verursacher des Schlamassels, eine Rotte Wildschweine, die nun schon zum dritten Mal im Zieboldschen Vorgarten ein unfeines Picknick feierte, gerade Frischlinge. Und mit Bachen ist dann nicht zu spaßen.

Das Ehepaar ist nicht das einzige, das unter dem ungebetenen Wühlkommando leidet. Etwa zehn Gärten in Ziebolds Viertel sind auf dem Speiseplan der Wildschweine verzeichnet, und auch im Neubaugebiet am Ahornweg wurden welche gesichtet. Ziebolds aber trifft es besonders hart: Sie wohnen direkt am Waldrand, so dass der Hunger noch am größten ist, wenn die Rotte ihren Garten stürmt. Bei den Nachbarn sind die ungehobelten Essensgäste schon wählerischer, das Ausmaß der Zerstörung daher geringer.

Es gibt wenig, was getan werden kann. Jagdpächter Horst Sauer habe darauf verwiesen, dass er im Wohngebiet nicht schießen darf, sagt Margot Ziebold. Er riet zu einem übelriechenden Mittel, das an den Zaun gehängt wird und die Schweine vertreiben soll. Seither müssen Ziebolds allerdings bei geschlossenem Fenster schlafen. Und die Nachbarn grüßen nicht mehr so freundlich wie früher.

Erschienen am 05.06.2007

Kienberg entsteht neu

Samstag, 2. Juni 2007

Kleiner Ort weicht dem Flughafen / Baustart für die Umsiedlung

ROTBERG Der siebenjährige Timm steht mitten im Roggenfeld und grübelt angestrengt. „Wenn wir hier wohnen, wohnt die Celina dann dahinten?“ fragt er und streckt seine Hand über den frisch gemähten Weg.

Es ist eben alles noch etwas schwer vorstellbar an diesem Freitagmorgen im Getreide. Doch schon in vier Wochen, wenn der Roggen geerntet ist, rollen hier die Bagger an und erschließen das künftige Wohngebiet Rotberg-Süd. Bereits im Herbst können die ersten zu bauen beginnen, und mit dem Frühling ziehen die schnellsten Kienberger in ihre neuen Häuser ein.

Es ist kein gewöhnlicher erster Spatenstich, den Schönefelds Bürgermeister Udo Haase da absolviert, sondern ein europaweit einmaliges Projekt. Weil die kleine Gemeinde Waltersdorf-Kienberg mit dem Ausbau des Flughafens im kombinierten Lärm von Flugzeugen, Bahn und Autobahn zu versinken drohte, tauschten die meisten Einwohner ihre Grundstücke gegen eine exakt gleich große Parzelle in Rotberg-Süd. Dort entsteht Kienberg nahezu identisch neu: Die sechs Ortsstraßen heißen genau wie in Kienberg, sie sind gleich lang und im gleichen Winkel angeordnet. Und jeder bekommt sein „altes“ Grundstück zurück. Damit die rund 30 Familien, die zum Spatenstich gekommen sind, schon eine erste Vorstellung davon haben, wurden die Straßen kurzerhand aus dem Roggen herausgemäht. Da auch provisorische Schilder angebracht sind, findet Timm sein neues, altes Grundstück schnell.

Weil jedoch ein Grundstück noch kein Haus ist, mussten die Kienberger zusätzlich entschädigt werden. Dank des Engagements der Interessengemeinschaft (IG) um Andrea Jacker und Veronika Protz gelang es, die Lärmverursacher Bahn AG, Flughafen und Autobahnamt dazu zu bewegen, alle Entschädigungsgelder in einen Topf zu tun, aus dem sich die Umsiedler nun bedienen können.

Udo Haase sagte, er sei froh und stolz über das einzigartige Projekt, und lobte die IG sowie Ortsbürgermeisterin Renate Pillat und Stellvertreter Olaf Damm für ihr unermüdliches Engagement. Und Peter Kolb, Geschäftsführer der für die Erschließung zuständigen Projekta EG, lobt die „wunderschöne Lage“ des neuen Wohngebiets. Er versprach eine schnelle Erschließung. Auf dass Timm ab Frühjahr nicht lange knobeln muss, wenn er zu Celina möchte.

Erschienen am 02.06.2007

Wo Umziehen noch lohnt

Dienstag, 15. Mai 2007

Ein Traum von einer Party: Eine Stadt feiert ihren 33 333. Einwohner

KÖNIGS WUSTERHAUSEN Es war die größte Party seines jungen Lebens: Zum 6. Geburtstag zählte Arne Jach nicht weniger als 21 Gäste. Mit ihnen lieferte er sich zunächst wilde Verfolgungsjagden in schneidigen Sportwagen, wechselte danach aufs Grün zu einer gepflegten Partie Golf und bat hernach zum Italiener, um ausgiebig zu Schlemmen. Es versteht sich, dass der Transfer zur Party und zurück in die Kita sowie Getränke nach Herzenslust inbegriffen waren. Und das Schönste daran: Arne ließ sich die kostspielige Party, die die Mädels nachhaltig beeindruckte, von der Stadt bezahlen. Damit nicht genug, musste auch Bürgermeister Stefan Ludwig nebst Pressesprecher antreten, ihm seine Aufwartung zu machen. Huldvoll nahm der Jubilar das Geschenk aus den Händen des Stadtvaters entgegen, dem er daraufhin großzügig gestattete, im Flitzer Platz zu nehmen, um sich fürs Erinnerungsfoto ablichten zu lassen.

Ganz schön unverschämt, könnte man meinen, doch der Fall liegt anders: Als Arne am 2. Februar mit seinen Eltern aus Zeuthen nach Königs Wusterhausen zog, vermerkte der Computer im Einwohnermeldeamt, er sei der 33 333. Einwohner der Stadt, und diese Schnapszahl wollte der Bürgermeister nicht ungefeiert verstreichen lassen. Angesichts des zarten Alters des zu Ehrenden schied Schnaps allerdings aus, und daher entschied Stefan Ludwig auf „Party im Kiebitzpark“, die wegen des Wetters auf den Arnes gestrigen 6. Geburtstag verschoben wurde.

Er habe vor Aufregung kaum geschlafen, erzählte Mutter Diana, die dem Trubel aus 22 Kindern und zwei Erzieherinnen am Rande beiwohnte. Selten habe sie ihren ruhigen Sohn so aufgekratzt erlebt. Den Rest des Tages ließ Familie Jach daher etwas ruhiger angehen: Zum Geburtstagsbowling am Nachmittag kam nur noch ein Freund mit. Wie Arne die Tränen der vielen Mädchen getrocknet hat, deren Star er seit gestern ist, wurde nicht überliefert.

Erschienen am 15.05.2007

Zerrüttete Verhältnisse

Samstag, 28. April 2007

Bis gestern war mir Rosa ziemlich egal. Bis gestern!

Bislang war mein Verhältnis zu Rosa Luxemburg von Indifferenz geprägt. Wir gingen uns aus dem Weg. Ich trug ihr nach, dass ich in der Grundschule zu ihrem Todestag jedes Jahr eine Wandzeitung gestalten musste, die zwar stets den gleichen Inhalt hatte, aber dennoch nicht jährlich wiederverwertet werden durfte – trotz des Sero-Gedankens. Als Wandzeitungsredakteur war ich dem Pionierrat assoziiert, da verbot sich solches Recycling. Rosa wiederum schien sich nicht um meine Nöte zu kümmern. Vielleicht haben ihr meine Wandzeitungen auch missfallen. Kurzum: Wir nahmen keine große Notiz voneinander. Seit gestern ist das anders. Unser Verhältnis ist zerrüttet. Rosa entzog sich mir, und das nehme ich ihr wirklich übel. Die Gemeinde Schönefeld hat den nach ihr benannten Weg verbessert und wollte das mit einem Banddurchschnitt feiern. Doch wo genau? Für jemanden, der neu in der Region ist, ist der südliche Speckgürtel mit seinen explodierten Dörfer ziemlich unübersichtlich. Also führte der erste Weg ins Internet. „Rosa-Luxemburg-Weg? Kenne ich nicht!“ sagt das Internet und fragt, ob ich statt dessen die Burgunderstraße meine. Oder ein anderes Großziethen. Nein, meine ich nicht. Also auf gut Glück hingefahren, um mich durchzufragen. „Rosa-Luxemburg-Weg? Kenne ich nicht“, sagt der alteingesessene Großziethener, den ich in der Ernst-Thälmann-Straße frage (thematisch liegt Ernst ja nahe – geografisch offenbar nicht). Ob ich vielleicht ein anderes Großziethen meine? Nein, meine ich nicht. Nach 40 Minuten Fragens und Suchens werfe ich verzweifelt das Handtuch und fahre zurück. Ein Blick auf die neueste, internet-freie Karte dort zeigt: Rosa hat sich auf die grüne Wiese verkrümelt, weit hinter die Ortsgrenzen. Bisschen viel Aufwand, um sich am Wandzeitungsredakteur zu rächen!

Erschienen am 28.04.2007

Ein halbes Leben unter Rentnern

Donnerstag, 19. April 2007

Erich Pfeil ist der dienstälteste Bewohner im Wildauer Seniorenheim

WILDAU Wer ins Seniorenheim geht, hat oft nur noch eine sehr überschaubare Lebenszeit vor sich. Nicht unbedingt eine schlechte, aber eine überschaubare. Als Erich Pfeil am 18. April 1972 ins „Feierabendheim Dr. Georg Benjamin“ geht, ist der gleichaltrige Erich Honnecker gerade Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED geworden. In München finden im selben Jahr Olympische Spiele statt, Willy Brandt übersteht in Bonn ein Misstrauensvotum, und in den USA erschüttert der Watergate-Skandal das Weiße Haus. Heute, 35 Jahre später, ist das alles längst Geschichte. Erich Pfeil aber wohnt immer noch in jenem Haus, das mittlerweile Seniorenheim Wildau heißt. Genau genommen ist es seit dem Umbau 1997 auch nicht mehr das gleiche Haus. Erich Pfeil bekam ein neues, größeres, schöneres Zimmer. Er ist mittlerweile 85 Jahre alt, die Gesundheit machte es nötig, dass er schon mit knapp 50 Jahren ins Feierabendheim ging, auch, weil Verwandte fehlten, die sich um ihn kümmern konnten.

Viele Schwestern, die ihn heute betreuen, haben noch gar nicht gelebt, als Pfeil ins Heim kam. Unzählige Mitarbeiter hat er kommen und gehen sehen, nur zwei oder drei waren schon dort tätig, als Erich Pfeil mit seinem abgewetzten Koffer einzog. Von den damaligen Bewohnern lebt kein einziger mehr. Mit großem Bahnhof wurde das Jubiläum gestern begangen. Für Erich Pfeil gab es ein Glas Sekt, viele gute Wünsche und freie Wahl beim Mittagessen. „Er hat sich Gänsekeule gewünscht“, sagt Heimleiterassistentin Petra Furmanek. Die Mitbewohner werden es ihm gönnen. Pfeil sei sehr beliebt, habe früher, soweit er konnte, viel mit angepackt und sei gern mit anderen an der frischen Luft, ist zu erfahren.

Große Wünsche habe er nicht mehr, verrät Erich Pfeil, der manchmal etwas Mühe hat, dem Gespräch zu folgen. Aber ans Schwarze Meer, da würde er gern mal hin. Sein Urlaubsschein liege in der Direktion schon lange vor, erklärt er mit einem Lächeln. Schwer zu sagen, ob das als Scherz gedacht ist.

Erschienen am 19.04.2007

Abtauen will durchdacht sein

Samstag, 14. April 2007

Warum der Osterspaziergang nur bedingt als Empfehlung taugt

Die ersten wirklichen warmen Tage sind eine gute Gelegenheit, es der Natur gleichzutun und irgendetwas abzutauen. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“, weiß Goethe, und man muss das durchaus als Empfehlung lesen – für den heimischen Kühlschrank etwa. Prinzipiell eine gute Idee, doch undurchdachtes Abtauen birgt Gefahren. Nicht nur, wenn man die Auffangschale vergisst und erst durch den frostig guckenden Nachbarn, aus dessen Decke es tropft, an den selbst verschuldeten Frühling in der Küche erinnert wird. Sondern auch dann, wenn der Frost als Eisbombe vom Himmel regnet, wie am Sonnabend in Schulzendorf geschehen. Mag sein, dass sich die als Verursacher im Verdacht stehende Flugzeugtoilette ebenfalls beim alten Goethe inspirieren ließ: „Von dorther sendet er, fliehend, nur ohnmächtige Schauer körnigen Eises in Streifen über die grünende Flur.“ Dem be- und um ein Haar auch ge-troffenen Ehepaar war angesichts des stinkenden Klumpens jedenfalls alles andere als poetisch zumute, und selbst die Lust auf den naheliegenden Osterspaziergang verging ihnen, deren Auto infolge der handballgroßen unbestellten Eisbombe eine veritable Beule verunzierte. Landrat Martin Wille (SPD) und Flughafen-Geschäftsführer Thomas Weyer werden wissen, warum sie sich am Montag für die Übergabe der Baugenehmigung des BBI ins entferntere und außerhalb der Flugrouten liegende Lübben zurückziehen.
Schließlich enthält der grobkörnige Eisregen vom Osterwochenende auch noch eine Weisheit zur Gründung des NPD-Ortsvereins Königs Wusterhausen: Nicht alles, was zunächst schneeweiß aussieht und quasi von oben auf Dahme-Spreewald herabsinkt, ist auch rein. Meist verwandelt es sich rasch in eine übel riechende braune Masse.

Erschienen am 14.04.2007

Anderthalb Millionen Eier pro Tag

Samstag, 7. April 2007

Hennen unter Dampf: Ostern bedeutet für Ostdeutschlands größten Eierproduzenten Arbeit rund um die Uhr

BESTENSEE Die Osterzeit ist purer Stress in der Eierproduktion. Für den Menschen. Die klassische Legehenne bleibt in der Karwoche hingegen ganz entspannt – aus gutem Grund. Sie kann sich mit biologischen Gegebenheiten herausreden. Mehr als ein Ei in 24 Stunden ist bauartbedingt nicht drin. Nachdem sie ihr Tagwerk vertragsgemäß ins Nest gelegt hat, gibt sich die Henne entspannt den kleinen Freuden des Alltags hin: Scharren, picken, gackern – und vielleicht mal einen sehnsüchtig-verstohlenen Blick auf einen der wenigen Hähne, die es hier gibt, werfen. Der Rest ist ländliche Idylle in der Frühlingssonne.

Von diesem geruhsamen Leben können die Landkost-Mitarbeiter dieser Tage nur träumen. Sie schuften im Drei-Schichten-System, um dem Eierbedarf der Verbraucher gerecht zu werden. In der Packabteilung stehen die Förderbänder bis zum Osterfest nicht mehr still. Etwa 30 bis 40 Prozent mehr Eier liefert Landkost in der kurzen Zeitspanne aus. Ginge es nach den Märkten, könnten es noch mehr sein. „Es tut fast körperlich weh, wenn man jahrelangen Kunden sagen muss: Tut uns leid, mehr haben wir nicht“, sagt Marketing-Chefin Marianne Wieland. Doch irgendwann sind selbst bei Landkost, dem größten Eierproduzenten in den neuen Bundesländern, die Kapazitäten erschöpft, alle Förderbänder ausgelastet, alle 145 Mitarbeiter nebst etwa 50 Saisonkräften im Einsatz. Und selbst die Zulieferer haben auch das letzte Ei noch abgeliefert. Die Hennen, wie gesagt, weigern sich, mehr zu legen.

An den Bedingungen in Bestensee kann es nicht liegen. Der Betrieb hat eine der höchsten Quoten an Freiland- und Bodenhaltungstieren. Nur die Hälfte der etwa eine Million Hennen muss mit einem immerhin relativ großzügigen Käfig vorlieb nehmen, die anderen scharren emsig auf dem Boden, ein Teil von ihnen sogar unter märkischer Sonne. Auch die Bodenhaltungs-Hennen haben dank großer Fensterfront keinen Mangel an natürlichem Licht zu beklagen. Von Produktionsstress ganz zu schweigen.

„Wir können ja nicht drängelnd hinter jeder Henne stehen“, sagt Geschäftsführer Heinz Pilz. Es würde auch nichts nützen: Ein Huhn, ein Tag, ein Ei, das ist das unumstößliche Gesetz der Eierproduktion. Also kauft Landkost zu, wo es nur geht. Die Verträge dafür werden bereits im Januar ausgehandelt, denn kurz vor Ostern kommen alle Eierhändler mit ihren Wünschen.

Wider Erwarten ist das Ostergeschäft nicht die wichtigste Zeit für Eierproduzenten. Aber die stressigste. „Das Ostergeschäft geht nur etwa sieben Tage lang. Längeren Vorlauf mögen die Kunden nicht. Und danach ist sofort wieder alles beim Alten“, sagt Heinz Pilz. Wesentlich mehr Umsatz macht Landkost vor Weihnachten, wenn alle fürs Plätzchen- und Stollenbacken Eier kaufen. Das zieht sich über vier Wochen hin, so dass auch die Mehrbelastung besser verteilt wird.

Nur vor Ostern hingegen verlangen die Kunden die knallbunten Eier. Jahr für Jahr steigen die Verkaufszahlen. Die in allen Regenbogenfarben leuchtenden Eier sind ein Verkaufsschlager. Die Zahl der Familien, die noch selbst färben, geht hingegen zurück. „Das Gemansche und die schmutzigen Töpfe tun sich immer weniger Familien an“, so Pilz, der es zu Hause ebenso hält. Bei Landkost lässt man Färben, in einem auf die Eierverarbeitung spezialisierten Betrieb. Für das Selbstkochen und -färben ist der Produzent in Bestensee nicht ausgestattet, eine Investition in diesen Bereich lohnt aus Sicht der Firma wegen der Saisonabhängigkeit im Moment auch nicht. Die ehemals weiße Ware kommt zum Vertrieb wieder zu Landkost zurück. 30 bis 40 Prozent der verkauften Eier in den Wochen vor Ostern sind mittlerweile gefärbt. Dass das Selbstfärben dennoch nicht völlig aus der Mode gekommen ist, zeigt die vorösterliche Nachfrage nach weißen Eiern: Nur in dieser Zeit bekommt Landkost von den Märkten 0,4 bis 0,6 Cent mehr pro Stück für die Hellen, auf denen die Farben besonders leuchten.

Wenn Heinz Pilz trotz des brummenden Geschäfts nur zufrieden, aber nicht restlos glücklich ist, so liegt das daran, dass die Deutschen zunehmend Ei-muffliger werden. Innerhalb weniger Jahre ist der Pro-Kopf-Verbrauch von 225 auf 205 Eier gefallen und liegt damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 224. Daran dürfte der Trend zum Fertiggericht nicht unschuldig sein. Zwar ist das Kochen wieder in Mode gekommen, aber es wird hauptsächlich an den Wochenenden zelebriert. Unter der Woche dominieren Fertiggerichte, Fastfood und Kantine den Speiseplan. Auch die Nachrichten über Salmonellen und den vermeintlich hohen Cholesterinwert des Naturprodukts Ei hat Pilz im Verdacht, nicht eben umsatzfördernd zu wirken. Schließlich steht auch die Käfighaltung in keinem guten Ruf. Das Ei hat ein Imageproblem.

Meist zu unrecht, glaubt der Landkost-Geschäftsführer. Zumal sich die Argumente gegenseitig ausschließen: Käfighaltung mag aus Tierschutzgründen problematisch sein, der hygienische Zustand und die Salmonellen-Gefahr sind bei den Eiern aus dem Käfig hingegen wesentlich unbedenklicher. Doch es kommt noch dicker: Aus den neuen EU-Mitgliedsländern im Osten droht Gefahr für den Eiermarkt, weil dort günstiger produziert werden kann. Schließlich müssen die strengen EU-Richtlinien zur Hühnerhaltung in Polen und Tschechien vielerorts erst in einigen Jahren eingehalten werden. Der Ausweg für Landkost heißt Alternativhaltung: Freiland- und Bioeier werden verstärkt nachgefragt. Weil Landkost gleich nach der Wende große Freilaufareale und Ställe für Bodenhaltung eingeführt hat, ist das Unternehmen gut aufgestellt. Den boomenden Biomarkt bedienen die Bestenseer durch Zukäufe. Für einen großen Betrieb wie Landkost, der täglich mehr als eine Million Eier produziert, kommt eine eigene, aufwändige Biohaltung derzeit nicht in Frage. Doch Heinz Pilz ist beständig auf der Suche nach Höfen, die Mitglied in Bio-Verbänden sind und zwischen 15000 und 25000 Hühner halten. Sogar per Anzeige hat er schon nach Partnern gesucht, denn dank der großen Nachfrage kann Landkost im Biobereich derzeit gutes Geld verdienen. Zum Vergleich: Ein Bodenhaltungs-Ei muss fast zum Produktionspreis verkauft werden.

Die Quote an Bio-Eiern beträgt in Deutschland derzeit fünf Prozent, bei Landkost sind es sogar acht. Vor Ostern schwoll die Nachfrage derart an, dass die Firma nicht mehr alle bedienen konnte. Die Nachfrage steigt täglich, ein Zeichen dafür, dass auch im Osten Deutschlands ein Sinneswandel stattgefunden hat. Kurz nach der Wende, als sich Landkost auf den neuen Markt einstellte, ging die gesamte Alternativproduktion in den Westen, bis hinunter in die Schweiz. Dem Märker war die Herkunft seines Eis damals vollkommen schnurz.

Erschienen am 07.04.2007


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