Politik: Der OB-Wahlkampf wird hart geführt, doch im Netz überwiegt die Langeweile
Twitter, Facebook, Youtube – die Möglichkeiten zur Eigenwerbung im Internet sind groß. Potsdams OB-Kandidaten machen davon aber wenig Gebrauch. Es dominiert die klassische Website.
Mit der Kandidatur war er der erste, und seine Plakate sind die kreativsten. Im Internet hingegen ist ausgerechnet der jüngste Kandidat, der für Die Andere antretende Benjamin Bauer, am schlechtesten vertreten: Keine eigene Internetseite und keine Nachrichten auf dem Kurzinformationsdienst „Twitter“ künden von seinem Wahlkampf. Beim Internet-Einwohnermeldeamt „Facebook“ hat Bauer zwar eine eigene Seite, doch ist die angesichts von 340 Treffern beim Namen „Benjamin Bauer“ nur mit außerordentlich viel Geduld zu finden.
Erwartungsgemäß besser läuft es bei Marek Thutewohl, dem Vertreter der Piratenpartei, die sich immerhin als Partei der Informationsgesellschaft versteht und das Internet zu ihren Gründungsmotiven zählt. Auf Twitter lässt Thutewohl die Welt in 81 Nachrichten an seinem Wahlkampf teilhaben – das ist Rekord im Teilnehmerfeld, ebenso die Zahl von 67 Abonnenten. Thutewohl, unter „Piraten_Potsdam“ zu finden, twittert durchaus unterhaltsam und verzichtet auf die „Sitze mit Mutti bei Pizza im Garten“-Tweeds, die nur der eigenen Existenzvergewisserung dienen. Trüber sieht es auf seiner Homepage unter www.marek-web.de aus: Pflanzen- und Urlaubsfotos sind zwar sehr hübsch, sagen über den Kandidaten Thutewohl aber rein gar nichts aus. Dass er Fahrlehrer von Beruf ist, erfährt der Surfer unter fahrlehrer.marek-web.de; außer Tipps zur Straßenverkehrsordnung ist aber auch hier nichts von politischem Interesse zu finden.
Die Pseudo-Vielseitigkeitskrone erntet Marcel Yon (FDP). Der verlinkt gleich zu seinen Twitter-, Facebook-, Flickr- (Fotos) und Youtube-Konten. Der Ertrag dort ist aber gering: Auf Youtube findet sich ein mageres Video, in dem sich der Kandidat vor überbelichtetem Hintergrund und bei grauenvollem Ton nach einer Podiumsdiskussion über die Oberflächlichkeit von Politikerstatements beklagt – in 2:17 Minuten! Auf Twitter (marcel_yon) finden sich ganze sechs Kommentare, die nur elf Leute abonniert haben. Yon hat ganz offensichtlich erst Ende August zum Wahlkampfauftakt mit dem Twittern begonnen, und macht genau, was man nicht tun sollte: „Genieße den Spätsommer im Garten“, lässt er die begeisterte Welt wissen, und auch, was für ein Frühaufsteher er ist: „Ein schöner Tag beginnt, Aufräumen, Sport machen, um 6 Uhr Team-Meeting“. Auf Facebook immerhin kann er auf 1742 Freunde zählen – Rekord im Teilnehmerfeld. Seine Internetseite (marcel-yon.de) listet Lebenslauf, Wahlkampftermine, das Presseecho und Yons „Visionen“. Auf der Bilderplattform Flickr finden sich Portraits des Kandidaten, darunter seine zwei Plakate, auf denen er „neue Wege“ und „frischen Wind“ fordert. Letzteres hätte offenbar auch dem Foto gut getan, das an einem heißen Julitag entstand und daher deutliche Schweißflecken im Gesicht des Kandidaten nachweist.
Marie Luise von Halem (Grüne) ist bei Facebook dank des exklusiven Namens leicht zu finden, beeindruckt aber mit einer fast leeren Seite, auf der man sich erst um ihre Freundschaft bewerben muss, um mehr Informationen zu erhalten. Immerhin hat sie 131 Freunde, bei Twitter findet man sie hingegen nicht. Etwas spartanisch wirkt auch ihre Internetseite unter „mlhalem.de“, die offenbar aus einem Standardbaukasten der Grünen zusammengeklickt wurde. Ein bisschen Lebenslauf, ein paar Termine und der zwar einfache, aber immerhin recht originelle Kurzwerbespot (31 Sekunden) – das war’s dann auch schon.
CDU-Kandidatin Barbara Richstein zeigt ihre Strebsamkeit auch im Internet: Als einzige hat sie auf Facebook eine Fanseite geschaltet, die immerhin 422 namentlich genannte Bewunderer auflistet, inklusive der „Stadt Potsdam“. Zum Twittern hat die Allgegenwärtige aber offenbar keine Zeit. Dafür birst die Internetseite barbara-richstein.de vor stündlich aktualisierten Informationen: Neben Obgligatorischem wie Lebenslauf, Presseecho und Terminen findet sich dort auch ein Spendenaufruf für den teuren Wahlkampf und ein Mitgliedsantrag für die CDU.
Auf seine Internetseite konzentriert sich auch der linke Herausforderer Hans-Jürgen Scharfenberg – Experimente auf Facebook und Twitter scheinen für die Partei mit der wohl ältesten Wählerschaft nicht lohnend. Stattdessen gibt es viele Informationen für politikinteressierte Leser, vom Rathausreport bis zu Standpunkten in (nahezu) allen aktuellen stadtpolitischen Fragen. Der Unterhaltungswert von scharfenberg-fuer-potsdam.de ist im Gegenzug nahezu null.
Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD) scheint ebenfalls nicht viel von der „Generation Netz“ als Wähler zu halten: Facebook und Twitter bedient er nicht, auf Youtube finden sich immerhin einige Fremdvideos von seinen öffentlichen Auftritten. Dafür gewinnt Jakobs den Preis für die beste Website (jann-jakobs.de), die durchweg mit professionellen Fotos bestückt ist und eine ausgewogene Mischung aus Politik und Unterhaltung bietet. Vor allem die Präsentation „Jakobs persönlich“ ist aufwändig und liebevoll erstellt. Von privaten Fotos flankiert, zieht Jakobs dort den eigenen Lebensweg nach und spart nicht mit Worten, die Bodenständigkeit, Gemeinwohlorientierung und Kampfeswillen dokumentieren sollen: „Ich wollte mich durchbeißen“, heißt es da, „Beim Fußball kam keiner an mir vorbei“ oder auch „Natürlich musste ich als Ältester schon früh Verantwortung tragen“. Das „offizielle Wahlkampfvideo“ auf der Seite zeigt Jakobs bei der Morgentoilette. Der Wähler erfährt, dass sich sein Oberbürgermeister in Hemd und Krawatte rasiert und beim Parfümieren begeistert in die Hände klatscht.
Erschienen am 17.09.2010
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