Archiv für die Kategorie „Der Havelländer“

Nur seine Frau ist resistent

Freitag, 11. April 2008

Ehrung: Michel Oldenburg aus Friesack gilt als „Deutschlands bester Verkäufer“

Wie ein Boulevardblatt mit viel Phantasie und sehr viel Verspätung einen Helden der Beratung erschuf.

DALLGOW–DÖBERITZ Wie es aussieht, kann Michel Oldenburg jedem einen Fernseher verkaufen. Nur seiner Frau nicht. Der ist mit technischen Argumenten nicht beizukommen. Ihr Gegenargument ist haushalterischer Natur: „Wir haben uns vor drei Jahren einen supertollen, teuren Fernseher gekauft. Wir brauchen keinen neuen.“ Vor drei Jahren. Bevor die flachen Fernseher den Markt eroberten, wie Oldenburg mit Leidensmiene betont. Manchmal hat es auch ein Fernsehrverkäufer nicht leicht.

Auf seiner Arbeit in einem Elektromarkt im Havelpark Dallgow läuft es hingegen blendend: Ein Berliner Boulevardblatt hat den Friesacker Michel Oldenburg diese Woche zu Deutschlands bestem Verkäufer erklärt. Wie es dazu kam, ist etwas verworren: Ende 2006 waren Testkäufer einer Computerzeitschrift in je einer Filiale der großen Elektromärkte in Deutschland unterwegs. Bei MediMax, Oldenburgs Arbeitgeber, suchten die Testkäufer die Dallgower Filiale auf, und fühlten sich dort so gut beraten, dass sie die Kette zum Sieger erklärten. Das Team war stolz, und schnell war auch klar, wer den Testkäufer beraten hatte: Michel Oldenburg. Als besten Verkäufer sah er sich deshalb aber nicht. „Jeder meiner fünf Kollegen hätte das genau so gemacht“, sagt er. So war er nicht wenig erstaunt, als das Boulevardblatt bei ihm klingelte. Seitdem ist Oldenburg eine kleine Berühmtheit. Er wird beim Mittagessen angesprochen, von Kunden, und auch die übrige Presse ist auf ihn aufmerksam geworden: ein Fernsehteam hat sich angemeldet, auch die hauseigene Mitarbeiterzeitschrift will ein Interview. Soviel Trubel hat Michel Oldenburg noch nicht erlebt, und dass, obwohl er schon seit 13 Jahren im Havelpark arbeitet. Momentan jedenfalls genießt er seine etwas unfreiwillige Berühmtheit, die ihn ja auch nicht grundlos ereilte: Der Verkäufer berät mit Leidenschaft, er entzaubert auch mal Marketingfloskeln, und wenn ein Kunde mit dem neuen Gerät nicht klarkommt, lotst er ihn am Telefon durch die Bedienung. Schließlich kommen zufriedene Kunden wieder, und Verkäufer bei MediMax erhalten bei jedem Kauf eine Provision. Sollten seine Einnahmen durch die neue Berühmtheit demnächst steigen, wer weiß, vielleicht reicht es dann auch bei ihm zu einem Flachbildfernseher. Haushalterische Argumente hin oder her.

Erschienen am 11.04.2008

Wiederauferstehung und so

Samstag, 22. März 2008

Ostern: Dieter Langner geht mit Kaninchen und anderen Haustieren in Seniorenheime

Die Berührung eines Tieres erweckt in pflegebedürftigen Menschen nicht nur Erinnerungen – manche holt sie gar für Momente ins Leben zurück .

NAUEN „Huch, das ist ja schrecklich“, sagt die alte Dame und quiekt vor Vergnügen, als sie das Kaninchen in den Schoß gesetzt bekommt. „Der beißt bestimmt“, fügt sie hinzu, während sie das friedlich mümmelnde Kaninchen liebevoll streichelt, völlig in ihr Tun versunken. Dieter Langner, der ihr das Tier reichte, will wissen, wie es ihr damit geht. „Ich habe Angst, aber es ist schön“, sagt die Dame, und als das Kaninchen einschläft, ist sie glücklich. Ein beschauliches Bild: Die gepflegte alte Frau im Rollstuhl, auf ihren Knien ein selig schlummerndes Langohr, davor ein stolzer Kaninchenbesitzer. Als die Dame kurz darauf verwirrt aufschaut und fragt, wem denn die Katze auf ihrem Schoß gehöre, bekommt das Bild einen Riss.

Doch für Dieter Langner (68) sind solche Risse unwesentlich. Nicht die Demenz der Patienten zählt, sondern die Freude, die seine Tiere den alten Frauen und Männern schenken. Also zieht Langner, pensionierter Tischler und seit 54 Jahren Kleintierzüchter, dreimal im Monat mit seinen Frettchen, Hühnern, Tauben, Enten und Kaninchen in die beiden Pflegeheime des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Nauen. Um als stolzer Züchter seine Tiere zu zeigen, und weil es den Senioren merklich gut tut. Wenn er es besonders krachen lassen möchte, bringt er einen Esel oder eine Ziege mit. Heute sind es Kaninchen. „Weil doch Ostern ist und so“, sagt Langner. Die Frauen vom ASB haben alles österlich dekoriert. Zunächst scheu, dann mit wachsender Begeisterung knabbern die Mümmelmänner daraufhin kurzerhand die Deko weg.

Einzige Konstante in Langners kleinem Reisezoo ist Terrier Hapsi, der nicht von Herrchens Seite weicht – es sei denn, der setzt ihn jemandem auf den Schoß. Dann übermannt Hapsi der Diensteifer, er schaut besonders nett und lässt alles, aber auch wirklich alles, mit sich machen. „Davon kann sich jeder Sozialarbeiter ’ne Scheibe abschneiden, was Hapsi so mitmacht“, kommentiert das Herrchen.

In Lucia Herrmann steigen Erinnerungen auf, als sie ihr Kaninchen in Empfang nimmt. „Wir hatten drei Pferde, Kühe, Schweine, Hühner, Kaninchen und sehr viel Land“, erzählt die 82-Jährige und verrät auf Nachfrage, dass sie von ihrer Jugend in Ostpreußen spricht. 1945 musste sie von dort fliehen: 20-jährig und „ungeküsst“, wie sie betont. Die Erinnerung an all die Tiere und das Land, das sie zurückzuließen, an den Krieg, das Feuer auf dem Hof, an die Vertreibung, das tut ihr gerade wieder weh. Dass die Tiere Erinnerungen wecken, ist durchaus gewollt. Dass es immer angenehme sind, kann niemand garantieren.

„Die allermeisten Effekte sind aber sehr positiv“, berichtet Dorothea Münzer, Leiterin der Tagespflege: „Der Körperkontakt regt den Tastsinn an. Etwas Warmes, Lebendiges, Bewegliches am oder auf dem Körper zu haben, wirkt belebend und aktivierend auf die Leute.“ Noch schöner ist es, wenn Langners Langohren längst verstummte Menschen zum Reden bringen. So wie Lilly Hoffmann. Die 83-Jährige sagt meistens nichts, und wenn doch, dann versteht sie niemand.

Als Dieter Langner bei ihr steht und das Kaninchen auf ihren Schoß setzt, greift sie so fest zu, dass die Pflegerinnen schon um die Gesundheit des Nagers fürchten. „Lasst sie mal, die will nur das Leben spüren“, stoppt Langner gutgemeinte Rettungsversuche. Der Griff lockert sich, Lilly Hoffmann hebt den Kopf und sagt: „Das hatte ich zu Hause auch.“ Klar und deutlich sagt sie es, und die Umstehenden sind so erstaunt, dass sie für einen Moment verstummen. Pflegeleiterin Dorothea Münzer lächelt nur. „So was passiert öfter.“

Dieter Langner gibt sich angesichts solch kleiner Wunder eher gelassen. Dass er hier gebraucht und gemocht wird, freut ihn aber sichtlich. „Als ich das erste Mal kam, gab es ein Gekreische, keiner wollte ein Tier anfassen. Mittlerweile rufen sie schon an, wenn ich mich nur fünf Minuten verspäte“, berichtet er stolz. Tagelang würden die alten Menschen über die Tiere sprechen und sich die Fotos anschauen, die bei Langners Besuchen gemacht werden.

So fangen sie nicht nur an zu reden, sondern kommen auch miteinander ins Gespräch. Auch Lilly Hoffmann, die, einmal im Schwung, nun zu ihrer Sitznachbarin sagt, sie halte ihr Kaninchen falsch und ihr prompt den richtigen Griff zeigt. „Ist halt Ostern“, kommentiert Dieter Langner, „da geht’s doch um Wiederauferstehung und so.“

Erschienen am 22.03.2008


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