Eine gespaltene Stadt
Samstag, 21. Juni 2014Potsdam vor der Wahl: Alles wächst und gedeiht, aber die Menschen finden nicht so recht zueinander
Potsdam — Ein schöner Maitag in der Landeshauptstadt. Die Sonne scheint, der Bauminister ist da, Hunderte Kinder jubeln, kreischen, spielen, toben. Der Konrad-Wolf-Park im Stadtteil Drewitz wird eingeweiht. Einst eine vierspurige Durchfahrtsstraße zwischen DDR-Platten, in einem Stadtteil, dem drohte, abgehängt zu werden, während in der Mitte alles schön und barock wiederersteht. Doch die Stadt hat gegengesteuert, einen Bundeswettbewerb gewonnen — und damit EU-Fördermittel —, um Drewitz vor der Ghettobildung zu retten, und nach zähen Debatten um Parkplätze und Verkehrsverlagerung mit den Anwohnern einen Kompromiss erzielt. Der Park ist schon vor der Eröffnung bevölkert. Kinder klettern auf Felsen, Paare knutschen auf der Liegewiese, ältere Leute drehen ihre Runde nebst Dackel direkt vor der Haustür. Idylle pur. Eigentlich.
Doch das Einweihungskomitee aus Politikern, Baudezernent und Landesminister schafft keine Runde durch den Park, ohne kritisch angesprochen zu werden. „Na, ist das nicht schön geworden?” fragt der Minister leutselig, und jedesmal bekommt er ein „Jaja, aber . . .” zu hören. Aber da hinten fehlt noch ein Stein, aber da vorne ist es gefährlich, aber die Mutter muss vorübergehend umziehen, weil alle Platten energetisch saniert werden, ohne dass die Miete steigt. „Das ist so typisch Potsdam”, sagt Dana Stachura, Referentin im Rathaus. Sie ist neu in der Landeshauptstadt. Vorher war sie in Dresden. „In Dresden”, sagt Stachura, „wird vorher auch gemeckert, aber hinterher ist man stolz.”
Von diesem Status ist man in Potsdam weit entfernt. Obgleich sich nach der letzten Kommunalwahl sämtliche bürgerlichen Parteien — SPD, CDU, Grüne und FDP — zu einer Rathauskooperation zusammenschlossen um der Linken als stärkster Fraktion Paroli bieten zu können. Obwohl sie den Stadtschlosswiederaufbau und die berühmten Palazzi an der Alten Fahrt durchsetzen konnten, sodass am Ende einer der schönsten Plätze Europas wiedererstehen wird. Obwohl die Stadt Mäzene hat wie den SAP-Gründer Hasso Plattner (spendete mehr als 20 Millionen für Schlossfassade und Kupferdach) und den TV-Moderator Günther Jauch (spendete Millionen für das Fortunaportal und für das Kinderhilfswerk „Die Arche”), bleibt sie tief gespalten.
Die Kampflinien laufen entlang der Stadtteile. Die Innenstadt und alles rund ums Weltkulturerbe oder mit Blick aufs Wasser ist von reichen Zuzüglern in Besitz genommen worden, die Ur-Potsdamer sind in die Plattenbaugebiete verdrängt oder gleich nach Berlin gezogen. Potsdam hat Zuzug ohne Ende, um 2000 Menschen wächst die Stadt jährlich, während der Rest Brandenburgs immer dünner wird. Potsdam ist die kinderfreundlichste Stadt Deutschlands, hat die besten Taxis, das beste Parkhaus und demnächst wohl auch die besten Radwege, aber das Klagen hört nicht auf. Statt sich des Zuzugs zu erfreuen, stöhnt der Potsdamer Politiker gern über die immensen Kosten für Kitas, Schulen, Straßen, neue Wohnungen, die nun entstehen müssen. Er stöhnt über immer verstopftere Straßen und zu wenig öffentlichen Nahverkehr in den Norden.
Norden ist die einzige Richtung, in die sich die Insel Potsdam noch ausdehnen kann. Die Alternative, die sogenannte Nachverdichtung, also das Füllen von Lücken in der Kernstadt, wo schon alles erschlossen ist, kommt in absehbarer Zeit an ihre Grenzen. Der Elmshorner Immobilienkonzern Semmelhaack hat rund um den Hauptbahnhof unglaublich viele kleine Wohnungen auf unglaublich engstem Raum gestapelt, doch sie werden ihm aus den Händen gerissen. Und er baut jeden weiteren Fleck auf dem Areal zu, sodass die Potsdamer schon scherzen, es gebe neben der Nauener, Brandenburger, Templiner, Teltower und Jägervorstadt wohl bald auch eine Semmelhaack-Vorstadt. Gleichzeitig stampft das Unternehmen auch in den Nordgemeinden in den nächsten Jahren 11 00 Wohnungen aus dem Boden.
Mietwohnungen von unter zehn Euro je Quadratmeter sind kaum zu bekommen. Potsdam ist das München des Ostens geworden, und für Eigentumswohnungen sind Preise von 4000 Euro je Quadratmeter inzwischen normal — und das ohne gute Verkehrsanbindung oder Weltkulturerbenähe. Kommt die oder gar ein Wasserblick hinzu, dürfen es auch schon mal 5500 Euro für den Quadratmeter sein. Man gönnt sich ja sonst nichts — und in Potsdam ist in der Regel jede Wohnung verkauft, bevor der erste Spatenstich erfolgt ist.
Die Stadtentwicklung ist es dann auch, an der sich die Konflikte am stärksten manifestieren: Zwischen jenen, die das alte Potsdam wiedererstehen lassen wollen und jenen, die mit jedem Abriss ihre DDR-Indentität verschwinden sehen. Und so wird auch gewählt in Potsdam. Jedenfalls bisher, eine Trendumkehr zeichnet sich nicht ab. Eigentlich hätte Potsdam mit den vielen zugezogenen jungen, gutverdienenden Familien ein enormes Potenzial an Grünen-Wählern, doch die Grünen bleiben klein, weil sie fürs Pflaster und historische Bauten streiten und sich sonst für Ökologie und andere grüne Kernthemen nur am Rande interessieren. Eigentlich müsste Potsdam mit den ganzen wohlbetuchten Villenbesitzern an den Seen eine starke CDU-Fraktion zusammenbekommen, doch deren Kreisverband ist, schlimmer noch als im Land, so zerstritten, dass sie den meisten als unwählbar gilt. Also wird regelmäßig die Linke stärkste Kraft, dicht gefolgt von der SPD. Doch was auf Landesebene geht, ist in Potsdam unwahrscheinlich: Für Rot-Rot sind die Wunden, die sich beide Fraktionen in den Jahren geschlagen haben, zu tief. Da müsste schon viel geschehen, sollte sich das nach der Wahl ändern.
Wahrscheinlicher ist, dass freie Wählergruppen wie das Bürgerbündnis mit gut gefüllter Kriegskasse — dank eines Immobilienunternehmers an der Spitze — deutlich zweistellige Wahlergebnisse erzielen werden. Spannend wird dann, wie das alles zusammenpasst im Sitzungssaal des sanierungsbedürftigen Rathauses, auf den Fluren und in den Fraktionsräumen .
Eines aber ist sicher: Potsdam wird kein Dresden. Es wird nicht nur vorher gemeckert und nachher stolz gezeigt. Es wird immer gemeckert.