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Eine gespaltene Stadt

Samstag, 21. Juni 2014

Potsdam vor der Wahl: Alles wächst und gedeiht, aber die Menschen finden nicht so recht zueinander

Potsdam — Ein schöner Maitag in der Landeshauptstadt. Die Sonne scheint, der Bauminister ist da, Hunderte Kinder jubeln, kreischen, spielen, toben. Der Konrad-Wolf-Park im Stadtteil Drewitz wird eingeweiht. Einst eine vierspurige Durchfahrtsstraße zwischen DDR-Platten, in einem Stadtteil, dem drohte, abgehängt zu werden, während in der Mitte alles schön und barock wiederersteht. Doch die Stadt hat gegengesteuert, einen Bundeswettbewerb gewonnen — und damit EU-Fördermittel —, um Drewitz vor der Ghettobildung zu retten, und nach zähen Debatten um Parkplätze und Verkehrsverlagerung mit den Anwohnern einen Kompromiss erzielt. Der Park ist schon vor der Eröffnung bevölkert. Kinder klettern auf Felsen, Paare knutschen auf der Liegewiese, ältere Leute drehen ihre Runde nebst Dackel direkt vor der Haustür. Idylle pur. Eigentlich.

Doch das Einweihungskomitee aus Politikern, Baudezernent und Landesminister schafft keine Runde durch den Park, ohne kritisch angesprochen zu werden. „Na, ist das nicht schön geworden?” fragt der Minister leutselig, und jedesmal bekommt er ein „Jaja, aber . . .” zu hören. Aber da hinten fehlt noch ein Stein, aber da vorne ist es gefährlich, aber die Mutter muss vorübergehend umziehen, weil alle Platten energetisch saniert werden, ohne dass die Miete steigt. „Das ist so typisch Potsdam”, sagt Dana Stachura, Referentin im Rathaus. Sie ist neu in der Landeshauptstadt. Vorher war sie in Dresden. „In Dresden”, sagt Stachura, „wird vorher auch gemeckert, aber hinterher ist man stolz.”

Von diesem Status ist man in Potsdam weit entfernt. Obgleich sich nach der letzten Kommunalwahl sämtliche bürgerlichen Parteien — SPD, CDU, Grüne und FDP — zu einer Rathauskooperation zusammenschlossen um der Linken als stärkster Fraktion Paroli bieten zu können. Obwohl sie den Stadtschlosswiederaufbau und die berühmten Palazzi an der Alten Fahrt durchsetzen konnten, sodass am Ende einer der schönsten Plätze Europas wiedererstehen wird. Obwohl die Stadt Mäzene hat wie den SAP-Gründer Hasso Plattner (spendete mehr als 20 Millionen für Schlossfassade und Kupferdach) und den TV-Moderator Günther Jauch (spendete Millionen für das Fortunaportal und für das Kinderhilfswerk „Die Arche”), bleibt sie tief gespalten.

Die Kampflinien laufen entlang der Stadtteile. Die Innenstadt und alles rund ums Weltkulturerbe oder mit Blick aufs Wasser ist von reichen Zuzüglern in Besitz genommen worden, die Ur-Potsdamer sind in die Plattenbaugebiete verdrängt oder gleich nach Berlin gezogen. Potsdam hat Zuzug ohne Ende, um 2000 Menschen wächst die Stadt jährlich, während der Rest Brandenburgs immer dünner wird. Potsdam ist die kinderfreundlichste Stadt Deutschlands, hat die besten Taxis, das beste Parkhaus und demnächst wohl auch die besten Radwege, aber das Klagen hört nicht auf. Statt sich des Zuzugs zu erfreuen, stöhnt der Potsdamer Politiker gern über die immensen Kosten für Kitas, Schulen, Straßen, neue Wohnungen, die nun entstehen müssen. Er stöhnt über immer verstopftere Straßen und zu wenig öffentlichen Nahverkehr in den Norden.

Norden ist die einzige Richtung, in die sich die Insel Potsdam noch ausdehnen kann. Die Alternative, die sogenannte Nachverdichtung, also das Füllen von Lücken in der Kernstadt, wo schon alles erschlossen ist, kommt in absehbarer Zeit an ihre Grenzen. Der Elmshorner Immobilienkonzern Semmelhaack hat rund um den Hauptbahnhof unglaublich viele kleine Wohnungen auf unglaublich engstem Raum gestapelt, doch sie werden ihm aus den Händen gerissen. Und er baut jeden weiteren Fleck auf dem Areal zu, sodass die Potsdamer schon scherzen, es gebe neben der Nauener, Brandenburger, Templiner, Teltower und Jägervorstadt wohl bald auch eine Semmelhaack-Vorstadt. Gleichzeitig stampft das Unternehmen auch in den Nordgemeinden in den nächsten Jahren 11 00 Wohnungen aus dem Boden.

Mietwohnungen von unter zehn Euro je Quadratmeter sind kaum zu bekommen. Potsdam ist das München des Ostens geworden, und für Eigentumswohnungen sind Preise von 4000 Euro je Quadratmeter inzwischen normal — und das ohne gute Verkehrsanbindung oder Weltkulturerbenähe. Kommt die oder gar ein Wasserblick hinzu, dürfen es auch schon mal 5500 Euro für den Quadratmeter sein. Man gönnt sich ja sonst nichts — und in Potsdam ist in der Regel jede Wohnung verkauft, bevor der erste Spatenstich erfolgt ist.

Die Stadtentwicklung ist es dann auch, an der sich die Konflikte am stärksten manifestieren: Zwischen jenen, die das alte Potsdam wiedererstehen lassen wollen und jenen, die mit jedem Abriss ihre DDR-Indentität verschwinden sehen. Und so wird auch gewählt in Potsdam. Jedenfalls bisher, eine Trendumkehr zeichnet sich nicht ab. Eigentlich hätte Potsdam mit den vielen zugezogenen jungen, gutverdienenden Familien ein enormes Potenzial an Grünen-Wählern, doch die Grünen bleiben klein, weil sie fürs Pflaster und historische Bauten streiten und sich sonst für Ökologie und andere grüne Kernthemen nur am Rande interessieren. Eigentlich müsste Potsdam mit den ganzen wohlbetuchten Villenbesitzern an den Seen eine starke CDU-Fraktion zusammenbekommen, doch deren Kreisverband ist, schlimmer noch als im Land, so zerstritten, dass sie den meisten als unwählbar gilt. Also wird regelmäßig die Linke stärkste Kraft, dicht gefolgt von der SPD. Doch was auf Landesebene geht, ist in Potsdam unwahrscheinlich: Für Rot-Rot sind die Wunden, die sich beide Fraktionen in den Jahren geschlagen haben, zu tief. Da müsste schon viel geschehen, sollte sich das nach der Wahl ändern.

Wahrscheinlicher ist, dass freie Wählergruppen wie das Bürgerbündnis mit gut gefüllter Kriegskasse — dank eines Immobilienunternehmers an der Spitze — deutlich zweistellige Wahlergebnisse erzielen werden. Spannend wird dann, wie das alles zusammenpasst im Sitzungssaal des sanierungsbedürftigen Rathauses, auf den Fluren und in den Fraktionsräumen .

Eines aber ist sicher: Potsdam wird kein Dresden. Es wird nicht nur vorher gemeckert und nachher stolz gezeigt. Es wird immer gemeckert.

Kochen auf Rädern

Samstag, 22. Dezember 2012

Finanzminister übergibt Spende für Kochstationen im Jugendclub „Offline“

Eine Suppe. Eine richtig heiße Bohnen- oder Linsensuppe ist alles, was Helmuth Markov möchte. Es dürfte die teuerste Suppe seines Lebens werden, denn Markov musste 7500 Euro überreichen um sie zu bekommen – sein einziger Trost: Er zahlte das Geld nicht aus eigener Tasche, sondern aus Lottomitteln, die in seinem Hause, dem Finanzministerium verwaltet werden.
Wie es der Zufall so wollte, fiel der Besuch des Finanzministers samt Scheckübergabe genau auf den Tag, an dem im Jugendclub „Offline“ des SC Potsdam an der Miami-von-Mirbach-Straße die Weihnachtsfeier auf dem Programm stand – weshalb das Geschenk einen ungewollt adventlichen Rahmen erhielt. „Es wäre aber auch schwer gewesen, an einem Tag ohne Weihnachtsfeier zu kommen“, kommentierte Club-Leiter Peter Schäperkötter trocken. Seit einigen Tagen feiern die verschiedenen Sektionen und Sportgruppen des SC im Multifunktionsgebäude eine nach dem anderen ihr Weihnachtsfest.
Das Geld, das der Finanzminister (Linke) überbrachte, soll helfen, drei mobile Kochstationen zu kaufen. Diese Stationen, je mit Herdplatte, Backofen, Töpfen und Küchenutensilien ausgestattet, sind bereits bestellt und werden dieser Tage im „Offline“ erwartet. Auf Rollen gelagert, können sie bei Bedarf die großzügige Küche des Clubs erweitern oder im Sommer auf der Terrasse benutzt werden. Die Idee dazu hatte die Ehefrau des Sportmoderators Dirk Thiele bei einem Besuch im Club. Die moderne Küche bewundernd, sagte sie, nun bräuchte man nur noch mehrere Platten, um regelrechte Kochduelle veranstalten und die Jugendlichen das Zubereiten gesunder Ernährung lehren zu können.
Bei Schäperkötter fiel die Idee sofort auf fruchtbaren Boden, nur die Finanzierung gestaltete sich noch als schwierig. Doch Helmuth Markov kam kurz darauf anlässlich einer Rundreise im Club vorbei und fragte, ob angesichts der tollen Ausstattung überhaupt noch Wünsche offen seien – da erinnerte sich Schäperkötter der Kochstationen und Markov der Lottomittel, und so nahm die Spende ihren Lauf.
Eine Kooperation zwischen dem „Offline“ und Köchen der IHK-Prüfstelle Teltow gibt es bereits. Sie hat das Ziel, den Jugendlichen eine ausgewogene Ernährung und gesunde Lebensweise näher zu bringen und sie den Spaß am Kochen zu lehren. Nur war bislang das Problem, dass es eng wurde, wenn sich mehr als fünf Teilnehmer um den einen Herd und Backofen drängten. Damit soll es künftig vorbei sein. Wenn es dennoch eng an den Herden wird, lernen die anderen Jugendlichen, eine festliche Tafel zu decken. Das Projekt ist für die offene Jugendclubarbeit am Nachmittag gedacht, es werde keine Schulspeisung oder den Mittagstisch für die Clubbesucher ersetzten können, sagte Peter Schäperkötter.
Rund 30 Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren kommen an einem gewöhnlichen Tag in den Club. Die Nutzer der offenen Clubarbeit kommen vor allem aus Drewitz und dem Kirchsteigfeld, die Vereinsmitglieder des SC nehmen auch weitere Anreisen in Kauf, um zum Beispiel das Fitnessstudio im Gebäude nutzen zu könenn. Mit etwas Glück bekommen sie künftig nach dem Krafttraining auch noch ein saftiges Steak geboten. Und Helmuth Markov eine Suppe.

Erschienen am 22.12.2012

No, Champs-Élysées!

Samstag, 1. Dezember 2012

Platzeck klagt über bunten Pariser Advent

Jetzt werden ihm seine Potsdamer vermutlich mit dem Spruch von dem Glashaus und den Steinen kommen, ihrem Matthias Platzeck. Der war nämlich dieser Tage – dienstlich, versteht sich! – in Paris und wurde von einer Nachrichtenagentur am Rande gefragt, wie ihm die weihnachtlich geschmückte Avenue des Champs-Élysées gefalle, die Prachtmeile der Hauptstadt. „Mir ist das ein Tick zu bunt“ ist als Antwort überliefert, und das wirft nicht nur Fragen nach der ministerpräsidialen Grammatik auf – Sprachpuristen hätten „einen Tick zu bunt“ bevorzugt – es spricht auch für eine unzureichende Vorbereitung des Landesvaters, wie er sie etwa durch regelmäßigen Besuch der Internetseite seiner Lieblings-Heimatzeitung hätte leisten können. Dort hätte er nämlich erfahren, dass 60 Prozent der Potsdamer die Beleuchtung auf ihrem Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße – die berühmte Blaue Tanne, die angeblich bundesweit einzigartig ist – „grauenvoll“ finden. Immerhin 600 Menschen haben ihrem Abscheu per Mausklick Ausdruck verliehen. Doch statt nun kleinlaut und gebückt die Seine entlangzuschleichen, kritisiert Platzeck öffentlich den Geschmack der Franzosen. Die „Stadt des Lichts“ hat sich diesmal für pinke und weiße Girlanden in den Baumkronen entschieden. In Potsdam könnte sich Platzeck so etwas nicht vorstellen, „da hätten wir sicher eine riesige Debatte“, sagte er einem Korrespondenten. Ach Matthias, würdest Du doch nur häufiger auf eine von Ostdeutschlands meistgeklickten Webseiten schauen . . .

Erschienen am 01.12.2012

Kleine Paläste vom Doppel-Ö

Freitag, 26. Oktober 2012

„Modeschööpfer“ Harald Glööckler designt jetzt auch Häuser / Seine Firma sitzt am Heiligen See

Das Doppel-ÖÖ wird in Potsdam heimisch: Der Modeschöpfer Harald Glööckler (dessen bürgerlicher Name allerdings nur ein „ö“ aufweist), bekannt durch seine strassbesetzten Glitzerkollektionen mit allgegenwärtigen Kröönchen – Verzeihung: Krönchen hat in der Seestraße 14 am Heiligen See ein Unternehmen gegründet – die „Glööckler House & Home“. Von dort aus bietet der Designer Fertighäuser an, die er unter dem Titel „Petit Palais“ unters Volk bringt. Neben Mode, Süßwaren und Hundeausstattung soll das Glööcklers viertes wirtschaftliches Standbein werden.
Die am Glamour orientierte Handschrift des Modeschööpfers ist – wenig überraschend – auch in seinen kleinen Palästen erkennbar: Das Haus hat vier Türmchen und eine pompööse, 3,5 Meter hohe Eingangstür („Grand Entree“), die – selbstverständlich – von einem „Eingangsdiadem“ gekröönt wird, einem „Dorodem“, wie es Glööckler nennt, der sich den Begriff gleich schützen ließ.
„Es war mir ein Herzenswunsch, ein Wohnhaus zu designen, für dessen Bewohner täglich der rote Teppich ausgerollt ist“, beschreibt Glööckler das Konzept hinter den „Fertigbauten für anspruchsvolle Individualisten“, wie es in einem Werbeprospekt heißt. Angeregt zu seinen Kreationen habe ihn dabei der Lebensstil an der Côte d´Azur und in Südfrankreich allgemein, so der Designer. Den letzten Anstoß gaben Kundenwünsche: „Inspiriert durch die steigende Nachfrage von Damen nach einem von Harald Glööckler designten Haus, verspürte ich den Wunsch, mich dieser neuen Herausforderung zu stellen“, ließ der Designer die Presse wissen. Auch in den Innenräumen dominiert das Barocke, Pompööse, an Ludwig XIV. Erinnernde: schwere goldene oder goldbesetzte Vorhänge, weiße Mööbel mit Goldborte, weiße Fliesen in Marmoroptik am Boden, strassbesetzte und/oder goldumrandete Spiegel.
Es sei gar nicht so einfach gewesen, auf rund 220 Quadratmetern in dem Zweigeschosser alles unterzubringen, was ein „glamourööses Lebensgefühl“ erfordere, lässt Glööckler wissen. Seine Firma bietet auf Wunsch auch von Glööckler designte Tapeten, Mööbel, Geländer und Vorhänge an, der Bauherr könne aber gern auch alles nach eigenem Willen gestalten und nur das reine Haus bestellen. Musterflächen für den Bau bietet die Firma im in Enstehen begriffenen Villenpark Groß Glienicke an. Auch eine Finanzierung ist mööglich, damit der pompööse Neubau nicht am Ende in arge Finanznööte führt. Das wäre schließlich nicht sehr glamouröös.

Erschienen am 26.10.2012

Zwischen alten und neuen Mauern

Freitag, 12. Oktober 2012

„Mercure“-Statiker und Fotograf Herbert Posmyk hat einen Bilderschatz im Keller und einen Erinnerungsschatz im Kopf

Er war DDR-Stadtplaner und kämpfte gegen die Sprengung des Stadt- Schlosses. Die Statik des Hotel Mercure ist sein Hauptwerk, dennoch plädiert er für den Abriss. Posmyk passt in keine Schublade außer einer: unerschütterlicher Potsdam-Freund.

Als die Männer von der Kampfgruppe einmarschierten, wusste Herbert Posmyk, dass dies keine Fachdebatte werden würde. Immer abwechselnd einer mit Fahne, einer mit Kalaschnikow zogen die Uniformierten in den Saal im Rat des Bezirkes ein, wo eine Aussprache angesetzt war, die – so dachte Posmyk – nur eine baufachliche Frage klären sollte. „Ich war halt jung und naiv, noch keine 30 Jahre alt“, sagt der heute 83-Jährige und lächelt altersweise. Mit 14 weiteren Kollegen vom VEB Hochbauprojektierung Brandenburg hatte Posmyk sich 1959 dafür in die Bresche geworfen, das kriegszerstörte Stadtschloss nicht abzureißen. „Für uns war das keine ideologische Frage, sondern eine städtebauliche“, sagt er.
Zwei Gutachten zum Erhalt hatten er und die Kollegen unaufgefordert erstellt und dem Rat der Stadt vorgelegt, doch blieb das ohne Reaktion. Nun sollte der Abriss beginnen, und Posmyk und seine Mitstreiter hatten einen letzten Rettungsversuch gewagt: Sie schickten sechs Telegramme und baten um Hilfe: drei aus Potsdam an DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck, den Rat des Bezirks und die Bau-Akademie, drei über Posmyks Bruder aus Westberlin an die Akademie der Wissenschaften Moskau, die Akademie der Künste in Paris und den ehemaligen französischen Außenminister Georges Bidault, weil der beim Potsdamer Abkommen 1945 die Schlossruine besichtigt hatte und schwer beeindruckt war.
Kurz darauf fanden sie sich zur Aussprache verdonnert, von Kampfgruppen flankiert. Drei Stunden saß man so zusammen, ein Gespräch war es eher nicht. „Ich untersage jegliche Diskussion über das Stadtschloss“, sagte der Vorsitzende, „sonst finde ich Mittel und Wege, Sie zum Schweigen zu bringen“. Dieser Satz, sagt Posmyk, habe sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Verstehen konnte er es immer noch nicht. „Wir waren gar keine Rebellen, nur eine fachliche Opposition“. Als Strafmaßnahme sollten die 15 abtrünnigen Baufachleute bei den Absperrungen zur Sprengung des Schlosses helfen und das Publikum fernhalten. „Von uns ist aber niemand hingegangen“, sagt Posmyk, „obwohl das ein Affront ersten Ranges war.“
In die Stadtschlossruine verliebte sich der junge Bauingenieur, als er 1953 nach Maurerlehre, Arbeiter- und Bauernfakultät in Halle und Ingenieursstudium in Cottbus nach Potsdam kam. Vor allem der Schlosshof erschien dem 24-Jährigen wie eine andere Welt: Die Säulen und Fragmente, Teile des Figurenschmucks, diese riesige Ruine, teils mit Brennnesseln überwuchert, „dort konnte ich gut abschalten, fühlte mich manchentags wie auf einer Agora in Griechenland, es war traurig, es war romantisch, und erst hinter den Resten des Fortunaportals tobte wieder das Leben“.
Zugleich beunruhigten ihn Gerüchte, die Partei wolle die Ruine sprengen, weil sie einen Aufmarschplatz brauche. Im 300 Mann starken Hochbau-VEB blieben solche Pläne nicht lang geheim. Also sann Herbert Posmyk darauf, wenigstens die Stimmungen zu erhalten.
Als begeisterter Hobbyfotograf griff er zu seiner „Exakta Varex IIa“, auf die er ein halbes Jahr gespart hatte – 1200 Ostmark waren ein kleines Vermögen – und seinem geliebten Zeiss-Objektiv und machte mehr als 500 Bilder von der Schlossruine. 300 in Schwarzweiß, die er im Betrieb selbst entwickelte und abzog; 200 auf Farbdias, die er zum Entwickeln direkt zu Orwo nach Wolfen schicken musste – auch das ein teurer Spaß: Zehn Mark kostete ein Film, fünf Mark die Entwicklung, auf die man zwei Wochen wartete. Die Ergebnisse zeigen nicht nur Posmyks Talent für Fotografie, seinen Motivblick, die akribische Belichtungsmessung und seine unermüdliche Suche nach der richtigen Perspektive, sondern auch, dass das Schloss bei weitem nicht so kaputt war, die viele heute annehmen: Zwar waren das Dach komplett eingestürzt und die Innenräume komplett ausgebrannt, doch von den Außenmauern standen mehr als 80 Prozent.
Besser noch als Posmyks Worte beschreiben seine Bilder den morbiden Charme der Ruine. Das haben auch der Stadtschlossverein und die Initiative „Mitteschön“ erkannt, die aus Posmyks Fotoschatz einen Kalender schöpften, aus dessen Erlös sie die Reparatur des originalen Stadtschloss-Figurenschmucks finanzieren wollen. Das Interesse an seinen Bildern und die professionelle Aufarbeitung für den großformatigen Kalender machen Herbert Posmyk, der dem Fotohobby zeitlebens treu blieb und auch den Umstieg aufs Digitale sofort mitmachte, glücklich. Dennoch ist er kein Wiederaufbau-Fetischist, wie er betont. Wie schon bei der Frage um den Stadtschloss-Abriss bemüht sich Posmyk um den Blick aufs Gesamte. Das Hotel Mercure etwa habe nach dem Schlossaufbau keinen Platz mehr in der Innenstadt, sagt er.
Ein Satz, der ihn zugleich schmerzt, denn als Chefstatiker für den Bau hat er sechs Monate lang mit dem Rechenschieber die Stabilität des Hauses kalkulierte. „Es war das statische Hauptwerk meines Lebens“, sagt Posmyk, „ein komplexer Bau, auch wenn es nicht so aussieht.“ Obwohl er keinen Platz mehr für den Betonriesen sieht, verletzte es Posmyk doch, dass in der Debatte im Frühjahr TV-Moderator Günther Jauch es „Notdurftarchitektur“ und Schauspielerin Nadja Uhl „verpupst“ nannte.
Als das Leitbautenkonzept für die Innenstadt 2011 diskutiert wurde, wollte Herbert Posmyk sich auch äußern. Als Statiker des Mercure und Projektierer der Staudenhofplatte galt er aber von vornherein als Ewiggestriger, kam kaum zu Wort. Auch das tat ihm, dem Stadtschlossfreund, weh. „Da war wieder keine fachliche Debatte möglich“, sagt er. „Immerhin kamen keine Kampfgruppen.“

(Erschienen am 13.10.2012)

Schaulust und Seitenhiebe

Samstag, 15. September 2012

Fasziniert von Fußballfotos, angeraunzt von Ortsvorstehern: Die Stadt lud zur 65. Stadtwanderung

Es ging um „Wohnen und Arbeiten“ in Potsdam, aber auch um alten Ärger, neue Entdeckungen und das ganz normale Leben.

Es scheint ihn wirklich zu interessieren. Wer schon einmal Bürgermeister, Minister oder Abgeordnete auf Vor-Ort-Terminen erlebt hat, weiß, wie aufgesetzt das wirken kann – das gedehnte „Lecker!“ beim zwölften Gürkchen auf dem Messerundgang und das fünfte gepresste „Schön haben Sie’s hier“ im Wähler-Wohnzimmer beim Stadtteilrundgang lässt selbst Berufspolitiker mit allumfassendem Bürger-Umarmungs-Drang nicht mehr sonderlich überzeugend wirken. Jann Jakobs dagegen ist entweder sehr breit interessiert oder ein unglaublich begabter Schauspieler. Der Oberbürgermeister steht beim Tischler Gänserich in Fahrland und interessiert sich für Schleifbänke und Spanabsauganlagen, als hinge seine Leben davon ab. Er entdeckt den alten Ofen zum Veredeln von Spanplatten in der Ecke der Werkhalle, den selbst der Chef schon halb vergessen hatte.
Dass selbst das noch steigerbar ist, lernen selbst seine zur Mitreise verpflichteten Beigeordneten im Dachgeschoss von Ralf Grengel. Grengel gehört die „Powerplay Medienholding“, er hat vor zehn Jahren sein Zehn-Mann-Unternehmen und den Familienwohnsitz in eine Villa mit Seeblick verlegt und steuert von dort ein Unternehmen, das die Herzen von Sportfans höher schlagen lässt: Er schreibt Bücher mit, für und über Athleten wie Katarina Witt, Claudia Pechstein und Graciano Rocchigiani, erstellt das Stadionmagazin für Hertha BSC und hält das größte historische Sportfotoarchiv unter seiner Ägide. Jakobs betritt das Büro und ist sofort verzaubert, als er an den Wänden ein großes Foto von der einzigen Saison Franz Beckenbauers beim Hamburger Sportverein entdeckt und eines, auf dem Fritz Walter das Bundesverdienstkreuz von einem seltsam jugendlichen Helmut Kohl bekommt. Auf einem extra Ständer steht die 50 mal 75 Zentimeter große, in Holz und Leder gebundene Edelchronik des FC Bayern, 25 Kilo schwer, 3000 Euro teuer und für 1444 Euro Aufpreis mit einem Bild der „Jahrhundertelf des Vereins“ versehen: einer Fotomontage der besten Spieler der Vereinsgeschichte in einer Mannschaft. Jakobs erkennt sie alle, auf Anhieb, Ralf Grengel ist begeistert, die Kultur- und Sportdezernentin Iris Jana Magdowski applaudiert, der Rest des Trosses schweigt andächtig. Als Jakobs dann noch erfährt, dass der Macher und Sportgeschichtsfanatiker Grengel alle Jahrgänge der Fachzeitschrift „Kicker“ seit 1936 im Keller hat, ist es fast um seine Selbstbeherrschung geschehen. Mitarbeiter müssen Jakobs zaghaft aber bestimmt daran erinnern, dass weitere Termine warten.
Es geht um „Wohnen und Arbeiten in Potsdam“ bei der vierten Stadtwanderung in diesem Jahr. Insgesamt ist es bereits die 65., und Jakobs ist der einzige, der bei allen dabei war. Alles beginnt in Groß Glienicke, wo Ortsvorsteher Franz Blaser Jakobs und den Beigeordneten die Pläne für ein Nahversorgungszentrum und Wohnungen am Kreisverkehr vorstellt. Ein Rewe-Markt, eine Drogeriefiliale, ein Bekleidungsgeschäft und ein Tierfutteranbieter sollen dort den existierenden Discounter auf der anderen Straßenseite ergänzen und die Versorgung sichern, falls der kleine Laden im Seecenter 2014 die Pforten schließt. Außerdem entstehen – hauptsächlich nördlich der Potsdamer Chaussee – 70 bis 100 Wohnungen in Einzelhäusern und im Geschosswohnungsbau, die Stadt kümmert sich um die Erschließung. Der nötige Bebauungsplan ist noch im Werden, Erik Wolfram vom Bauamt zeigte sich aber optimistisch, dass schon im nächsten Jahr die ersten Spaten in die Erde gestochen werden. Für Franz Blaser ist das eine „dringend nötige städtebauliche Abrundung“ des Ortes, nur Ortsbeiratsmitglied Andreas Menzel (Grüne), erklärter Gegner des Projekts, murrt vernehmlich, wofür ihn Blaser anraunzt. Die Kulturdezernentin hatte Menzel bereits mit „Was will denn die Promenadenmischung hier?“ begrüßt und dabei offen gelassen, ob sie Menzel oder dessen mitgebrachten Hund meinte. „Das ist ein ungarischer Mudi“, gab der ungerührt zurück.
Angeraunzt wurde der Stadtwanderungs-Trupp auch von Fahrlands Ortsbürgermeister Claus Wartenberg, der nicht nur wegen der oberbürgermeisterlichen Fußballfaszination wartengelassen wurde, sondern auch sauer ist, dass der Bauherr Semmelhaack in seinem Ort zwar Hunderte Wohnungen gebaut hat und weitere 450 ab dem nächsten Jahr bauen will, „aber die versprochene Infrastruktur nicht herstellt“. Speziell beklagen die Fahrländer das Fehlen eines Arztes und einer Apotheke – erst recht, wenn der Ort demnächst um weitere 1000 Anwohner anschwillt. Die Stadt und Semmelhaack-Vertreter Berko Dibowski betonen daraufhin erneut, dass man keinen Arzt und Apotheker zur Ansiedlung zwingen könne, was Wartenberg noch eine Spur wütender macht: „Diese Ausreden höre ich schon seit fünf Jahren.“ Ihm entgleiten endgültig die Gesichtszüge, als der Trupp nach wenigen Minuten wieder aufbricht, um die beim Fußballfachsimpeln verlorene Zeit aufzuholen.
In Bornim wird am Hügelweg die letzte Freifläche ab nächstem Jahr mit 200 Wohnungen in 40 Häusern bebaut, die Erschließung hat schon begonnen. Erik Wolfram schafft es, das in drei Minuten zu erläutern, exakt eine Oberbürgermeisterzigarettenlänge, dann geht’s zum Schlusspunkt, der Semmelhaack-Siedlung am Krongut Bornstedt. 114 Häuser habe man dort gebaut, sagt Berko Dibowski, seit 2007, nun sei alles so gut wie fertig. Der Bau zog sich, weil das Grundwasser Probleme machte, auch der Verkauf lief schleppend, nun vermietet Semmelhaack einen großen Teil der Häuser. „Das läuft viel besser“, sagt er. „Die sehen alle gleich aus“, bemängelt jemand aus der zweiten Reihe. „Die haben verschiedene Farben“, wendet Dibowski ein.
Ansonsten ist auch diese 65. Stadtwanderung die bewährte Mischung aus „Wir schauen uns auch mal vor Ort an, worüber wir sonst in Sitzungen nur hören“ und Betriebsausflug. Der Baudezernent fehlt, was allgemeinen Unmut hervorruft, der Finanzdezernent sagt kein Wort und ist auf sein Handy konzentriert, die Kulturdezernentin stellt am Ortsschild von Groß Glienicke erschreckt fest, dass das ja „am Arsch der Welt“ liege und die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger juchzt auf einer Fahrländer Brache, als ihr Handy ihr meldet, dass sie soeben zum fünften Mal Oma geworden ist. Das ganz normale, pralle Leben halt.

Erschienen am 15.09.2012

Broschüren statt Bußgeld

Dienstag, 22. Mai 2012

Stadt, Polizei und Behindertenbeirat erinnerten Radler in Babelsberg daran, dass Gehwege für sie tabu sind

Dutzende Radfahrer erwischte ein Infoteam gestern Nachmittag in nur zwei Stunden auf Babelsberger Gehwegen.

Der Absprung ist so schnell und elegant, dass mancher Stuntman vor Neid erblassen würde, das Gesicht danach die reine Unschuld. Binnen Sekundenbruchteilen hat die junge Frau ein Schaufenster im Blick, schiebt das Rad nun, als habe sie seit Stunden nichts anderes getan. Polizeiobermeister Hans-Thomas Christ lässt sie dennoch nicht vorbei. Charmant, aber bestimmt, weist er sie darauf hin, dass sie doch eben auf dem Gehweg geradelt sei. „Waaaas?“ Entsetzter Blick aus grünen Augen. Nein, da müsse er sich verguckt haben. Erst als Christ erklärt, dass er nur aufklären möchte und nicht etwa fünf Euro Bußgeld kassieren, bekommt er ein Geständnis.
So geht es gestern Nachmittag zwei Stunden lang. Die Stadt, der Fahrradclub ADFC, der Behindertenbeirat und die Polizei haben sich zusammengetan, um etwas gegen das Radlerunwesen auf Gehwegen zu tun. Statt Knöllchen verteilen sie Broschüren mit der Aufschrift „Rücksicht kommt an“. Schwerpunkte der Kontrolle sind der Weg vor dem Thalia-Kino und die Mündung der Schornsteinfegergasse auf die Karl-Liebknecht-Straße.
Dass die meisten Radler durchaus wissen, dass sie etwas Verbotenes tun, beweist der Umstand, das 80 Prozent der Gehsteigradler hastig abspringen, wenn sie der Polizei oder auch nur der gelben Warnwesten des Infoteams ansichtig werden. Manche wechseln auch schleunigst die Straßenseite oder müssen plötzlich eiligst etwas im nächsten Geschäft erledigen. Bar jeden Schuldbewusstseins sind hingegen zwei 14-Jährige, die munter auf die Streife zuradeln und erwartungsvoll schauen, was man von ihnen wolle. Sie zeigen sich danach mustergültig einsichtig und sagen sogar „danke“, bevor sie weiter schieben.
So gute Erfahrungen macht Stefanie Seidel eher selten. Sie ist blind, und Radler auf Gehwegen sind für sie ein fast schon existenzielles Problem. „Wenn ich aus dem Weg geklingelt werde und mich schnell zur Seite drehe, verliere ich regelmäßig die Orientierung“, erzählt sie. Selbst wenn sie nur fünf Minuten von Zuhause entfernt sei, verlaufe sie sich dann oft so gründlich, dass sie erst nach einer Stunde wieder den Weg zurück finde. Und viele Gehwegrowdys seien zudem auch noch unfreundlich oder machten sich über sie lustig. Der Aktionstag ist Stefanie Seidel daher ein Herzensbedürfnis, was man ihr anmerkt, wenn sie mit den Erwischten spricht. Seidel wohnt in der Brandenburger Vorstadt, wo es besonders schlimm sei, weil die engen Gehwege auch noch mit parkenden Rädern zugestellt würden. Auch Rollstuhlfahrer kämen da oft kaum durch.
Angesichts der geballten Menschenmenge, der Polizei und der Presse gibt es kaum jemanden, der an diesem Nachmittag nicht Einsicht zeigt oder heuchelt. „Was die Leute allerdings ab der nächsten Ecke tun, darüber sollten wir uns nicht zuviele Illusionen machen“, sagt ein Polizist. Die Gründe für die Fehlfahrten sich vielschichtig: Einer sagt, das Fahren auf dem Kopfsteinpflaster schade seinen Bandscheiben, andere empfinden die Fahrbahn auf der Karl-Liebknecht-Straße als zu gefährlich, weil dauernd Autos ein- und ausparken. Das noch größte Verständnis haben die Polizisten, wenn Eltern ihre Kinder – bis zehn Jahre dürfen die auf dem Gehweg fahren – auch auf dem Gehweg begleiten. Verboten ist es dennoch, und die Ermahnung hilft. Meistens. Nur ein Vater fährt aus der Haut. „Wenn jetzt etwas passiert, mache ich Sie verantwortlich“, ruft er, und fährt schlicht weiter. Da hätte dann wohl doch eher ein Knöllchen geholfen. Die Broschüre lässt er demonstrativ liegen.

Erschienen am 22.05.2012

Sieben Gramm Geschichte für 7,5 Millionen Euro versteigert

Mittwoch, 16. Mai 2012

Er steckte in der preußischen Krone und gehörte dem Haus 310 Jahre: Der Diamant „Beau Sancy“ wurde gestern an einen anonymen Bieter verkauft

POTSDAM/GENF Es sind nicht einmal sieben Gramm, doch obgleich lupenrein, haben sie es in sich: Mehr als 400 Jahre europäischer Geschichte stecken im „Beau Sancy“, einem Diamanten aus dem preußischen Kronschatz, der gestern Abend auf einer Auktion in Genf für umgerechnet 7,5 Millionen Euro verkauft wurde – an einen anonym bleibenden Bieter. Das Auktionshaus Sotheby’s hatte das Kronjuwel auf 1,5 bis drei Millionen Euro taxiert. Rund sieben Minuten dauerte die Auktion, fünf Bieter steigerten am Telefon und im Auktionsraum um „einen der bedeutendsten historischen Diamanten, der je zur Auktion kam“, so der Auktionator.
Friedrich I., der 1701 die Königswürde nach Preußen holte, ließ den fast 35 Karat schweren Edelstein, der schon damals berühmt und daher prestigeträchtig war, 1702 in die Königskrone einarbeiten. Sein Enkel Friedrich II. schenkte den Stein seiner Gattin, und seither trugen alle preußischen „First Ladys“ den im Doppel-Rosenschliff gehaltenen größten Edelstein des Hauses Preußen (zirka 23 mal 20 mal 11 Millimeter) bei ihrer Hochzeit und anderen hohen Anlässen. Georg Friedrich Prinz von Preußen, dem derzeitigen Oberhaupt des Hauses, dürfte die Entscheidung zum Verkauf nicht leichtgefallen sein. Die Familie habe viele Renten und sonstige finanzielle Verpflichtungen zu erfüllen, die den Verkauf erforderlich machten, sagte eine Sprecherin des Hauses.
Georg Friedrich heiratete ohne Kronschmuck im August 2011 in Potsdam. Zuletzt getragen wurde der Diamant bei der Hochzeit des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. von dessen Gattin Auguste Viktoria. Der Stein stammt aus den berühmten indischen Minen nahe der Stadt Golconda, aus denen die weltweit bekanntesten Diamanten kamen.
Schon bevor der Stein in preußische Hände fiel, hatte er eine bewegte Geschichte hinter sich. Erworben vom „Lord von Sancy“ in Konstantinopel im Jahr 1500, kaufte ihn 1604 der französische König Heinrich IV. auf Drängen seiner Gattin Maria de Medici. Die ambitionierte Adlige sah das Juwel als Prestigeobjekt. Als Heinrich IV. 1610 ermordet wurde und seine Frau vorübergehend den Thron bestieg, ließ sie den Stein in ihre Krone einarbeiten. Maria musste 1631 in die Niederlande fliehen und verkaufte den Beau Sancy an das Haus Oranien-Nassau (Niederlande) für 80 000 Gulden – damals die höchste Ausgabe im Staatshaushalt des gesamten Jahres. Durch die Hochzeit eines Nassauischen Königs mit Maria Stuart gelangte der Stein nach Schottland, später an den Thron von England und fiel schließlich wegen Kinderlosigkeit wieder an Oranien-Nassau zurück. 1702 übernahm der Preuße Friedrich I. das Vermächtnis des Hauses von Oranien und gelangte so in den Besitz des europaweit berühmten Diamanten, der perfekt zur soeben errungenen Königswürde Preußens passte. Dort blieb der Stein 310 Jahre lang. Nach Abzug der Provision von rund 800 000 Euro bleiben dem Haus Preußen nun Einnahmen von rund 6,7 Millionen Euro – und ein schmerzlicher Verlust.

Erschienen am 16.05.2012

Der Buchstabenbäcker

Mittwoch, 7. März 2012

Friedrich Althausen erfindet Schriften / Seine „Vollkorn“ hat im Internet bereits Karriere gemacht

Von der Erotik geschwungener Linien, der Todsünde der Fettung und den Avancen einer Suchmaschine.

Mit den Schriften, sagt Friedrich Althausen, sei es wie mit Frauen: auf die Kurven komme es an. Er sagt das ganz ernst, ohne zweideutiges Lächeln, und schwärmt dann von der Faszination der Buchstaben, vom Kribbeln in den Fingern, wenn der Bogen an einem B besonders schwungvoll gelungen ist, wenn an der Serife des kleinen l, dem Rand am Buchstabenende, genug „Fleisch“ – genug Dicke – dran ist, wenn beim Betrachten einer Buchseite der „Grauwert“, das Verhältnis von Schwarz und Weiß, ausgewogen wirkt und sich Ober- und Unterlängen der einzelnen Lettern zu einem harmonischen Bild ergänzen. „Wen dieses Feuer gefangen hat, der sehnt sich künftig danach“, sagt Friedrich Althausen, und in dem sonst zwar engagiert, aber eher kühl wirkenden Gesicht zeichnet sich eine Leidenschaft ab.
Der 30-jährige Schriftgestalter hat auf Hermannswerder Abitur gemacht und ist dann nach Weimar gegangen, um an der Bauhaus-Universität Mediengestaltung und Visuelle Kommunikation zu studieren. Seit einem Jahr ist er zurück in Potsdam und arbeitet als Typograf und Schriftgestalter. Schon im Studium begann Friedrich Althausen mit einer Schrift, die er „Vollkorn“ nannte – weil es sich um eine „Brotschrift“ handelt. „Brotschrift“ nennen Schriftsetzer eine Alltagsschrift für längere Fließtexte. Da sich Althausens Schrift als zurückhaltend und klassisch, aber eben auch kräftig, kernig und robust präsentierte, habe der Name Vollkorn nahegelegen, trotz der schlechten internationalen Vermarktbarkeit, sagt er. Althausen stellte die Schrift ins Internet und erlaubte jedem die kostenlose Nutzung. Unter Schriftfreunden erfreute sich die Vollkorn schnell einiger Beliebtheit, viele forderten auch eine fette und eine kursive Version – einen „Schnitt“ – der Schrift. Unter Buchstabengourmets gilt die rein digitale Schrägstellung oder Fettung einer Grundschrift nämlich als Todsünde, da dabei die Proportionen und Formen verloren gehen. Vor dieser Arbeit drückte sich Friedrich Althausen zunächst – eine Schrift zu schaffen und zu perfektionieren, kann Jahre dauern –, bis eines Tages eine E-Mail vom Internetriesen Google in seinem Postfach landete, die er fast als Werbemüll aussortiert hätte. Dort bot ihm ein Google-Mitarbeiter an, die Schrift in eine neue Schriftendatenbank des Unternehmens zu stellen, die auch jedem Nutzer kostenlos offen steht. Da sich Google aber mit Vollkorn schmücken wollte, zahlte das Unternehmen ihm 1000 Dollar für jeden Schnitt, wenn er noch die anderen Schnitte kursiv, fett und fett-kursiv dazuerfände. In einem dreimonatigen Gewaltakt war das vollbracht, und auch die schon vorher begeisterten Vollkorn-Freunde freuten sich über den Zuwachs. „Ich mag, wie edel die Kursive daherkommt, und ich mag, wie selbstbewusst die Fettschrift sich breit macht“, schwärmt Stefan Niggemeier, Medienjournalist und viel gelesener Internetblogger von der Vollkorn, die er für die Renovierung seiner Internetseite nutzte: „Markant, aber unaufdringlich; gediegen, aber kein bisschen maniriert“. Ein bisschen hat er damit auch Friedrich Althausen beschrieben, der zwar stolz auf den Erfolg der Vollkorn ist, mit seinen Schriften aber gern sein Brot verdienen würde. Bislang füllt er sein Konto hauptsächlich mit der Gestaltung und Illustration von Büchern und Plakaten. Eine neue, diesmal kommerzielle Schrift ist aber schon in Arbeit – sie basiert auf alten Drucken der DDR-Kinderbuchreihe „Knabes Jugendbücher“, die Althausen im Zuge seiner Diplomarbeit neu auflegte.

Erschienen am 07.03.2012

Mit Links und mit der Lupe

Donnerstag, 2. Februar 2012

Armenischer Kartograph malte die erste Potsdam-Karte seit 150 Jahren

Den ohnehin schon unzähligen Stadtplänen werden jedes Jahr ein paar neue hinzugefügt – manche davon benötigen aber einen hohen Aufwand.

Ein gutes Jahr lang hat Ruben Atoyan gebraucht, um Potsdam unter der Lupe auferstehen zu lassen – hauptsächlich das heutige Potsdam, an manchen Ecken das künftige, an anderen das frühere. Mittlerweile kennt sich der Armenier in der Stadt besser aus als mancher Fremdenführer oder Architekt, denn jedes Dach, jede Gaube, jeder Straßenbaum ging einmal durch seine linke Hand. Der 58-Jährige malt dreidimensionale Karten aus der Vogelperspektive, er ist Kartograph und Künstler zugleich, und ganz nebenbei auch promovierter Naturwissenschaftler. Seine Verlegerin sagt, sein Schnuller müsse ein Bleistift gewesen sein, denn schon mit drei habe er erste Skizzen gezeichnet, mit sechs einen Mondatlas. Über 80 Karten von Atoyan sind veröffentlicht, sein jüngstes Werk ist nun eine Karte Potsdams. Fünfmal hat er die Stadt dazu besucht, ist sie in vielen, 45 Kilometer langen Gewaltmärschen mit dem Skizzenblock abgeschritten und hat schließlich noch eigene Fotos und Videos zu Hilfe genommen. Das Ergebnis ist im großen B1-Format zu bewundern – als Touristenkarte mit Straßenverzeichnis, als Wandposter und als Faltplan mit Leselupe und Geschenkumschlag, herausgebracht vom polnischen Verlag „Terra Nostra“. Während der Vorbereitungen zum 1000. Geburtstag Danzigs traf Ruben Atoyan die Verlegerin Elzbieta Kuzmiuk, die sein Talent für ihren Verlag urbar machte – eine fruchtbare Zusammenarbeit: Schon zweimal bekam Atoyan den Oscar der Kartografen, den Preis der Internationalen Gesellschaft kartographischer Verleger – für seine Panoramen von Venedig und Berlin.
In Potsdam stellte sich zunächst die Frage, ob nur die historische Innenstadt vom Brandenburger Tor bis zur Nikolaikirche oder ein größeres Areal abgebildet werden soll. Weil die Arbeit so zeitaufwändig und detailgenau ablaufen muss, beschränkt sich Ruben Atoyan für gewöhnlich auf die Stadtzentren. Doch in Potsdam hätte das bedeutet, sowohl die Schlösser und Gärten als auch die Seen auszusparen, und das brachte der Armenier nach eigenem Bekunden nicht übers Herz – obgleich es bedeutete, dass die Potsdamer Karte eines seiner größten und zeitaufwändigsten Projekte wurde. Nun sind 34 Quadratkilometer vom Neuen Palais bis zum Schloss Babelsberg abgebildet.
Als besondere Herausforderung erweist sich die Perspektive, sagt Atoyan. Es gilt, einen Winkel zu finden, der möglichst viel abbildet, ohne dass vordere Gebäude hintere verdecken. Ruben Atoyan wählte für Potsdam Winkel zwischen 30 bis 45 Grad über der Horizontlinie. Trotz moderner Werkzeuge wie Google Maps muss er dabei aus der Straßenperspektive die Vogelperspektive denken – was nicht nur künstlerische, sondern auch geometrische Meisterschaft verlangt.

Erschienen am 02.02.2012


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