Hennen unter Dampf: Ostern bedeutet für Ostdeutschlands größten Eierproduzenten Arbeit rund um die Uhr
BESTENSEE Die Osterzeit ist purer Stress in der Eierproduktion. Für den Menschen. Die klassische Legehenne bleibt in der Karwoche hingegen ganz entspannt – aus gutem Grund. Sie kann sich mit biologischen Gegebenheiten herausreden. Mehr als ein Ei in 24 Stunden ist bauartbedingt nicht drin. Nachdem sie ihr Tagwerk vertragsgemäß ins Nest gelegt hat, gibt sich die Henne entspannt den kleinen Freuden des Alltags hin: Scharren, picken, gackern – und vielleicht mal einen sehnsüchtig-verstohlenen Blick auf einen der wenigen Hähne, die es hier gibt, werfen. Der Rest ist ländliche Idylle in der Frühlingssonne.
Von diesem geruhsamen Leben können die Landkost-Mitarbeiter dieser Tage nur träumen. Sie schuften im Drei-Schichten-System, um dem Eierbedarf der Verbraucher gerecht zu werden. In der Packabteilung stehen die Förderbänder bis zum Osterfest nicht mehr still. Etwa 30 bis 40 Prozent mehr Eier liefert Landkost in der kurzen Zeitspanne aus. Ginge es nach den Märkten, könnten es noch mehr sein. „Es tut fast körperlich weh, wenn man jahrelangen Kunden sagen muss: Tut uns leid, mehr haben wir nicht“, sagt Marketing-Chefin Marianne Wieland. Doch irgendwann sind selbst bei Landkost, dem größten Eierproduzenten in den neuen Bundesländern, die Kapazitäten erschöpft, alle Förderbänder ausgelastet, alle 145 Mitarbeiter nebst etwa 50 Saisonkräften im Einsatz. Und selbst die Zulieferer haben auch das letzte Ei noch abgeliefert. Die Hennen, wie gesagt, weigern sich, mehr zu legen.
An den Bedingungen in Bestensee kann es nicht liegen. Der Betrieb hat eine der höchsten Quoten an Freiland- und Bodenhaltungstieren. Nur die Hälfte der etwa eine Million Hennen muss mit einem immerhin relativ großzügigen Käfig vorlieb nehmen, die anderen scharren emsig auf dem Boden, ein Teil von ihnen sogar unter märkischer Sonne. Auch die Bodenhaltungs-Hennen haben dank großer Fensterfront keinen Mangel an natürlichem Licht zu beklagen. Von Produktionsstress ganz zu schweigen.
„Wir können ja nicht drängelnd hinter jeder Henne stehen“, sagt Geschäftsführer Heinz Pilz. Es würde auch nichts nützen: Ein Huhn, ein Tag, ein Ei, das ist das unumstößliche Gesetz der Eierproduktion. Also kauft Landkost zu, wo es nur geht. Die Verträge dafür werden bereits im Januar ausgehandelt, denn kurz vor Ostern kommen alle Eierhändler mit ihren Wünschen.
Wider Erwarten ist das Ostergeschäft nicht die wichtigste Zeit für Eierproduzenten. Aber die stressigste. „Das Ostergeschäft geht nur etwa sieben Tage lang. Längeren Vorlauf mögen die Kunden nicht. Und danach ist sofort wieder alles beim Alten“, sagt Heinz Pilz. Wesentlich mehr Umsatz macht Landkost vor Weihnachten, wenn alle fürs Plätzchen- und Stollenbacken Eier kaufen. Das zieht sich über vier Wochen hin, so dass auch die Mehrbelastung besser verteilt wird.
Nur vor Ostern hingegen verlangen die Kunden die knallbunten Eier. Jahr für Jahr steigen die Verkaufszahlen. Die in allen Regenbogenfarben leuchtenden Eier sind ein Verkaufsschlager. Die Zahl der Familien, die noch selbst färben, geht hingegen zurück. „Das Gemansche und die schmutzigen Töpfe tun sich immer weniger Familien an“, so Pilz, der es zu Hause ebenso hält. Bei Landkost lässt man Färben, in einem auf die Eierverarbeitung spezialisierten Betrieb. Für das Selbstkochen und -färben ist der Produzent in Bestensee nicht ausgestattet, eine Investition in diesen Bereich lohnt aus Sicht der Firma wegen der Saisonabhängigkeit im Moment auch nicht. Die ehemals weiße Ware kommt zum Vertrieb wieder zu Landkost zurück. 30 bis 40 Prozent der verkauften Eier in den Wochen vor Ostern sind mittlerweile gefärbt. Dass das Selbstfärben dennoch nicht völlig aus der Mode gekommen ist, zeigt die vorösterliche Nachfrage nach weißen Eiern: Nur in dieser Zeit bekommt Landkost von den Märkten 0,4 bis 0,6 Cent mehr pro Stück für die Hellen, auf denen die Farben besonders leuchten.
Wenn Heinz Pilz trotz des brummenden Geschäfts nur zufrieden, aber nicht restlos glücklich ist, so liegt das daran, dass die Deutschen zunehmend Ei-muffliger werden. Innerhalb weniger Jahre ist der Pro-Kopf-Verbrauch von 225 auf 205 Eier gefallen und liegt damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 224. Daran dürfte der Trend zum Fertiggericht nicht unschuldig sein. Zwar ist das Kochen wieder in Mode gekommen, aber es wird hauptsächlich an den Wochenenden zelebriert. Unter der Woche dominieren Fertiggerichte, Fastfood und Kantine den Speiseplan. Auch die Nachrichten über Salmonellen und den vermeintlich hohen Cholesterinwert des Naturprodukts Ei hat Pilz im Verdacht, nicht eben umsatzfördernd zu wirken. Schließlich steht auch die Käfighaltung in keinem guten Ruf. Das Ei hat ein Imageproblem.
Meist zu unrecht, glaubt der Landkost-Geschäftsführer. Zumal sich die Argumente gegenseitig ausschließen: Käfighaltung mag aus Tierschutzgründen problematisch sein, der hygienische Zustand und die Salmonellen-Gefahr sind bei den Eiern aus dem Käfig hingegen wesentlich unbedenklicher. Doch es kommt noch dicker: Aus den neuen EU-Mitgliedsländern im Osten droht Gefahr für den Eiermarkt, weil dort günstiger produziert werden kann. Schließlich müssen die strengen EU-Richtlinien zur Hühnerhaltung in Polen und Tschechien vielerorts erst in einigen Jahren eingehalten werden. Der Ausweg für Landkost heißt Alternativhaltung: Freiland- und Bioeier werden verstärkt nachgefragt. Weil Landkost gleich nach der Wende große Freilaufareale und Ställe für Bodenhaltung eingeführt hat, ist das Unternehmen gut aufgestellt. Den boomenden Biomarkt bedienen die Bestenseer durch Zukäufe. Für einen großen Betrieb wie Landkost, der täglich mehr als eine Million Eier produziert, kommt eine eigene, aufwändige Biohaltung derzeit nicht in Frage. Doch Heinz Pilz ist beständig auf der Suche nach Höfen, die Mitglied in Bio-Verbänden sind und zwischen 15000 und 25000 Hühner halten. Sogar per Anzeige hat er schon nach Partnern gesucht, denn dank der großen Nachfrage kann Landkost im Biobereich derzeit gutes Geld verdienen. Zum Vergleich: Ein Bodenhaltungs-Ei muss fast zum Produktionspreis verkauft werden.
Die Quote an Bio-Eiern beträgt in Deutschland derzeit fünf Prozent, bei Landkost sind es sogar acht. Vor Ostern schwoll die Nachfrage derart an, dass die Firma nicht mehr alle bedienen konnte. Die Nachfrage steigt täglich, ein Zeichen dafür, dass auch im Osten Deutschlands ein Sinneswandel stattgefunden hat. Kurz nach der Wende, als sich Landkost auf den neuen Markt einstellte, ging die gesamte Alternativproduktion in den Westen, bis hinunter in die Schweiz. Dem Märker war die Herkunft seines Eis damals vollkommen schnurz.
Erschienen am 07.04.2007
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