Archiv für die Kategorie „Kommentar“
Freitag, 17. Februar 2012
über das Risiko überraschender Hinterlassen- schaften von Fluggästen
Es bedurfte nicht dieses stinkenden Eisblocks aus einer Flugzeugtoilette, um zu wissen, dass das Sprichwort, demzufolge alles Gute von oben komme, seine besten Tage auch hinter sich hat. Doch selbst ohne den Glauben daran setzen in Quaderform gefrorene Fluggasthinterlassenschaften im Dachstuhl die Sorge frei, dass man nicht nur ein geruchstechnisches Problem erlitte, wenn sie statt der Schindeln oder Scheiben die eigene Schädeldecke durchschlügen. Das einschlägige Risiko ist aber, gelinde gesagt, überschaubar: Rund zehn versehentliche Eisbrocken aus Bordtoiletten errechnete ein Gutachten 2005 pro Jahr für Deutschland, fast alle davon schlugen in Gebäuden oder der freien Landschaft ein und setzten dort langsam ihren Zauber frei. Bislang ist weltweit kein Mensch zu Tode gekommen. Das Risiko des Ablebens ist damit deutlich geringer, als im Laufe eines 80-jährigen Lebens von einem Blitz (1:12 500), einem Meteoritensplitter (1:3,7 Milliarden) oder einem Lotto-Jackpot (1:163) erwischt zu werden. Der Griff zur Zigarette, das Einsteigen ins Auto oder zuviel Vertrauen auf den Satz „Der will doch nur spielen“ sind wesentlich riskanter. Tröstlich auch: Von tiefgekühltem Flugpipi erschlagen zu werden, würde im Gegensatz zu den Alltagsrisiken zumindest einen Platz in den Abendnachrichten sichern.
Erschienen am 17.02.2012
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Dienstag, 7. Februar 2012
Über die Komik vermeintlich bedrohlicher Neonazi-Aufmärsche
Man kann dem Häufchen Neonazis den Gefallen tun und den erneuten Aufmarsch in der Waldstadt als eine gespenstische, Angst erregende Parade stummer Fackelträger mystifizieren, hinter deren verhüllten Gesichtern das grausame Gedankengut tickt, das Millionen Menschen Leid und Tod brachte. Das hieße aber, ihnen das Geschäft zu besorgen. Mindestens ebenso gültig ist es, die Horden als einen Haufen verblendeter, im Leben gescheiterter Halbirrer zu betrachten, die sich bei Eiseskälte in einem kindergartenähnlichen Lampionumzug den Hintern abfrieren, nur gewärmt von ihrer kruden Volk-und-Boden-Romantik und der Hoffnung, eine Zeit, in der selbst lebensuntüchtige Randexistenzen wie sie wieder etwas zu sagen haben, möge wiederkehren. Dass sich die Herren nicht mal trauten, ein Spruchband zu entrollen oder ihre jeden Sinns entleerten Parolen zu brüllen sowie dass sie sich wie Pennäler nach einem Klingelstreich in den Wald flüchten, sobald die Polizei auftaucht, darf insgesamt doch ganz munter stimmen. Gut, dass die Bürger mittlerweile reagieren und schnell die Polizei rufen; gut, dass diese mittlerweile sogar schnell am Einsatzort ist – so beunruhigend die Außenwirkung solcher Aufzüge auch sein mag, so erbärmlich sind sie zugleich auch.
Erschienen am 07.02.2012
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Samstag, 1. Oktober 2011
über Versuche von Kindesentführung, die es offenbar gar nicht gab
Die Grenze zwischen Wachsamkeit und Paranoia ist fließend, das lehren die beiden Fehlalarme in Sachen Kindesentführung erneut. So sehr das Wegsehen von Nachbarn, Freunden oder Passanten in vielen tragischen Fällen Misshandlungen oder Missbräuche erst ermöglicht hat, so wenig ist der Sache doch mit Hysterie gedient – in Zeiten von E-Mail und Facebook sind Gerüchte und Verdächtigungen im Nu verbreitet, und selbst die Medien spielen dabei nicht immer die rühmliche Ausnahme, die sie dank eigener Recherchekraft spielen sollten. So hat ein Radiosender die Panik einer Potsdamer Mutter ungeprüft übernommen und über zwei Versuche von Kindesentführung berichtet, die laut Polizei nie stattgefunden haben. Nun sind zehn Fehlalarme noch immer besser als eine echte Entführung, doch das heißt nicht, dass sie unproblematisch sind: Solche Fehlmeldungen schüren ein Klima von Hysterie, das dazu führt, dass die Polizei zu Spielplätzen gerufen wird, wenn dort jemand die Kinder fotografiert – selbst wenn es nur der Vater oder ein Freund der Familie ist, der den Sprößling auf dem Klettergerüst ablichtet. Zwischen kritischer Aufmerksamkeit und Alarmismus ist es nur ein schmaler Grat – aber er sollte breit genug für gesunden Menschenverstand sein.
Erschienen am 01.10.2011
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Mittwoch, 10. August 2011
Über kurze Wege im Rathaus für fast jedes Anliegen
Jetzt, wo der städtische Wirtschaftsservice aus den Elendsvierteln des Stadthauses in dessen Alte Mitte gerückt ist, ergeben sich neue Synergien. Er residiert nun Tür an Tür mit dem Kitaservice, was etwa Neupotsdamern die hübsche Möglichkeit eröffnet, Unternehmens- und Familiengründung quasi in einem … nun ja … Rutsch abzuhandeln. Zumindest den administrativen Teil dieser Verrichtungen. Wenn’s noch ein bisschen mehr sein darf: Das Standesamt liegt nur um die Ecke. Da das Unternehmen dank des Wirtschaftsservice bald floriert und der Kitaservice sofort einen Betreuungsplatz im Angebot hat, könnte bald weiterer Nachwuchs anstehen – kein Problem: Der Babybegrüßungsdienst kommt sogar nach Hause. Die Dienstwege im Stadthaus mögen lang sein, jene der Bürger hingegen werden immer kürzer. Wer sich nun aber, vor lauter Begeisterung, der Marketingabteilung als Werbeträger andienen möchte, der muss leider noch immer ins Elendsviertel: Bis zum großen Gemälde, dann rechts, am Ende des Ganges links, am Ende dieses Ganges einfach nochmal neu fragen. Und falls Ehe und Firma wider Erwarten scheitern: Die Suppenküche der Volkssolidarität liegt auch in Spuckweite und ist mit wenigen Schritten erreicht. Deren Garten hat aber zu.
Erschienen am 10.08.2011
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Donnerstag, 24. März 2011
Jan Bosschaart hat eine simple Lösung für Gartenstadt, die aber leider nicht funktioniert
Warum macht es sich die Stadt eigentlich so schwer, mit all diesen Workshops und Werkstätten, Bürgerversammlungen und Bürgeraktiv, mit Betroffenenvertretungen und Briefwahlen? Wenn eines immer deutlicher wird, dann, dass die Drewitzer die Gartenstadt partout nicht wollen. Auch wenn Außenstehende die Idee noch so gut finden, auch wenn das Konzept auf Bundesebene prämiert wurde, auch wenn die Stadtverordneten einstimmig – wann gibt’s das schon mal? – dafür waren: Die Drewitzer wollen es nicht. Sie wollen keinen Park, sie wollen Durchgangsverkehr, sie wollen keine Grünanlagen, aber ihre Parkplätze vor der Haustür; der Horizont der Argumente reicht manchmal nicht über Papierkörbe und alte Pizzaschachteln hinaus. Warum setzt die Stadt dann Experten, Nerven und Steuergeld ein, um Menschen, die es nicht besser haben wollen, zwangszubeglücken? Sagt doch die Pläne ab, lasst die Wohnungswirtschaft ihre Platten sanieren und überlasst Drewitz sich ansonsten selbst? Dumm nur, dass ein organisiertes Gemeinwesen im Interesse aller handeln muss. Also auch der rund 140 000 Nicht- oder Noch-Nichtdrewitzer. In 20 Jahren heißt es sonst nämlich, da wäre ein Stadtteil vernachlässigt worden, weil alle um die schicke Innenstadt besorgt waren.
Erschienen am 24.03.2011
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Donnerstag, 10. März 2011
Jan Bosschaart über städtebauliche Weisheit in Abrissverfügungen
Bevor sich nun das Heer der Klagenden erhebt und den Umstand beweint, dass schon wieder historisch rekonstruiert werden soll in dieser Stadt, diesmal in der Pufferzone der Französischen Kirche, sei darauf hingewiesen, dass schon die heftiger Preußentümelei unverdächtige DDR es war, die zwar die Ruinen der Holländertypenhäuser für den sozialistischen Fortschritt in Form eines Hubschrauberlandeplatzes aus dem Stadtbild tilgte, zugleich aber aufgab, sie dereinst wiederzuerrichten, um der Französischen Kirche – was für ein bürgerlich-ästhetischer Gedankengang! – ihre Maßstäblichkeit zurückzugeben. Wie klug und weitsichtig das war, wird ersichtlich, wenn man erstaunt bemerkt, wie groß die Kirche neben dem Neubau plötzlich wirkt, und wie ganz ungerechtfertigt klein sie so ohne Kontext auf dem Bassinplatz stehend derzeit noch anmutet. Der Auftrag aus der Abrissverfügung von 1987 hätte auch vom heutigen Gestaltungsrat stammen können. Zugleich handelt es sich um eine städtebaulich kluge Entscheidung. Wenn nun dank Sonntagsverkaufsverbotes das Holländische Viertel wirklich wüst fallen sollte, baut die Stadt halt das „Kleine Holländerviertel“ wieder auf – für Senioren. Die haben dank demografischen Wandels in den nächsten Jahrzehnten nämlich ganz sicher Konjunktur.
Erschienen am 10.03.2011
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Freitag, 4. März 2011
Jan Bosschaart über Standortabwertung für sehr Fortgeschrittene
Diese Stadt kriegt wirklich nahezu jeden Investor klein. Im Zerreden von Vorhaben beweist die Landeshauptstadt eine Meisterschaft, um die man sie wirklich beneiden müsste, wäre sie nicht so destruktiv. Dass etwas aus rechtlichen Gründen nicht machbar ist, gehört ja noch zum Schicksal großer Projekte, auch dass sie zuweilen politisch nicht gewollt sind. Das Vertreiben von Investoren, die nicht mal Fördermittel wollen, noch bevor überhaupt ein Verfahren in Gang gesetzt werden kann, ist allerdings schon Standortabwertung für sehr Fortgeschrittene. Berlin mag es recht sein, dort war laut Investor in 48 Stunden alles geklärt. Solange Potsdam seinem eigenen Glück so engagiert im Weg steht, darf man sich über mitleidige Blicke aus der Bundeshauptstadt nicht wundern. Vielleicht muss man dergleichen in einer Stadt, der es seit Jahren gelingt, trotz großer Freiflächen in ihren Ortsteilen kein Tierheim auf den märkischen Boden zu setzen, ja auch erwarten. Dann allerdings bleibt die Frage bestehen, wo all die Bedenkenträger und Verhinderer waren, als es um die Errichtung einiger zweifelhafter Schönheiten der Nachwendezeit ging. Und welche Mopsfledermausseerosennatter von der „Königin der Nacht“ vertrieben worden wäre, aber den „Rock am Wasserturm“ klaglos erduldet.
Erschienen am 04.03.2011
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Freitag, 25. Februar 2011
Jan Bosschaart über ein völlig verfehltes Ladenschlussgesetz und seine Folgen
Es ist ein sehr kundenunfreundliches Ladenschlussgesetz, das 2010 auf Druck von Kirchen und Gewerkschaften zustande kam. Ladenöffnungen am Sonntag sind dort als absolute Ausnahme definiert – angeblich, um Verkäufer zu schützen. Dieses Scheinargument war von Beginn an nicht sonderlich überzeugend – Ärzte, Feuerwehrleute, Journalisten, Piloten und Busfahrer müssen ja auch am Wochenende arbeiten, Selbstständige sowieso. Letztlich wird mit den straffen Regelungen weniger die Profitgier der Wirtschaft gebändigt, als der Arbeitsmarkt geschädigt: Viele Geschäfte, die sonntags geöffnet hatten, mussten Angestellte entlassen. In schwächelnden Arealen wie dem Holländischen Viertel ist das Gesetz gar zum Sargnagel geworden: Wenn die halblegale Sonntagsöffnung der seidene Faden war, an dem der Geschäftserfolg hing, wird das Verbot zum geschäftlichen Todesurteil. Nicht nur, dass selbst der willige Käufer den von der Politik immer wieder geforderten Konsum an den einzigen arbeitsfreien Tagen nun gar nicht mehr leisten kann – es ist auch äußerst fraglich, ob all die arbeitslosen Verkäufer und insolventen Einzelhändler künftig den nun freien Sonntag dazu nutzen, mal wieder in die Kirche zu gehen. Oder der Gewerkschaft beizutreten.
Erschienen am 25.02.2011
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Donnerstag, 10. Februar 2011
Jan Bosschaart über die Pflasterhauptstadt und ihre Zentrale, den Bauausschuss
Die kollektive Begeisterung beim Aufruf des Themas „Pflaster“ im Bauausschuss kennt kaum Grenzen – das Gremium darf mit Recht und Fuge als deutlich pflastergeschädigt gelten, seit es sich dank einiger Mitglieder regelmäßig zwangsverpflichtet sieht, die Natursteinfrage zu diskutieren, bis alles auf Format geschlagen und festgeklopft ist. Die Liegezeiten des Ausschusses können sich da schon mal verdreifachen. Doch stand diesmal kein erneuter Antrag darüber zur zähen Debatte, ob nicht dort oder hier oder vielleicht auch da noch gepflastert werden könnte, sondern eine Information über die generelle Strategie der Stadt, und so wandelte sich Unmut in Freude: Dass nämlich „Pflastermeister“ Norbert Praetzel mit seinen Mitarbeitern da Wünschenswertes fernab jeder Ideologie sprichwörtlich auf den Weg bringt, stand über alle Fraktionsgrenzen, in diesem Fall müsste man gar sagen: über alle Konfessionsgrenzen hinweg fest. Mit einem ausgefeilten Konzept will Potsdam das Pflastererhandwerk wiederbeleben und stärken. Dazu wird die Ausbildung junger Straßenbauer ebenso gefördert wie Mitarbeiter qualifiziert und fremde Buddler auf Linie gebracht werden. Dieser unaufgeregte Zugang zwischen die steinharten Fronten wurde daher allenthalben begrüßt.
Erschienen am 10.02.2011
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Donnerstag, 6. Januar 2011
Jan Bosschaart über die überraschende Idee, Potsdam könnte auf Geld verzichten
Es spricht überhaupt nichts dagegen, Politik für eine bestimmte Gruppe Menschen zu machen – seien es besonders arme oder besonders reiche, besonders ökologisch oder besonders ökonomisch denkende Menschen – wer von einer ausreichenden Zahl solcher Wähler in politische Verantwortung gehoben wird, darf, nein: muss ihrem Auftrag folgen. Besonders konsistent ist der jüngste Vorschlag der FDP, auf die Zweitwohnsitzsteuer zu verzichten, trotzdem nicht. Dass die Abschaffung der Steuer die Bürokratie verringern würde, ist zwar richtig. Dass aber 100 000 Euro pro Jahr so wenig Geld seien, dass man darauf leicht verzichten könnte, steht andererseits im Widerspruch zum sonstigen Sparwillen der Partei. Stattdessen wird die selektive Wahrnehmung der Liberalen deutlich: Sobald vor allem die eigene Klientel der Selbstständigen und Besserverdienenden entlastet werden könnte, darf gern auf Einnahmen verzichtet werden – etwa bei der Zweitwohnsitzsteuer oder den Stellplatzabgaben für Hausbauer. Sind aber die eigenen Wähler am Griebnitzsee von städtischen Ausgaben betroffen, etwa im Kampf um freie Uferwege, ist jeder bezahlte Euro einer zuviel. Klientelpolitik ist kein Schimpfwort, solange sie auch das große Ganze im Blick behält. Aber nur dann.
Erschienen am 06.01.2011
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