Archiv für die Kategorie „Kommentar“

Verständnisinnig

Donnerstag, 5. August 2010

Jan Bosschaart über einen Hauch zu viel Konsenswillen beim Mieterverein

Angstschlottern und Zähneklappern muss bei der städtischen Gewoba jetzt ebenso wenig ausbrechen wie bei allen anderen Vermietern in der Stadt: Die neue Vorsitzende des Mieterbundes ist zweifellos engagiert und bestens informiert, eine Kampfansage hat sie bei ihrem Antrittsbesuch aber nicht abgegeben. Das mag durchaus klug sein, denn zerschlagenes Porzellan taugt als Eintrittskarte in der Regel wenig, doch die Ankündigung, nicht in der großen Politik mitmischen zu wollen, sich nicht in generelle mietenpolitische Fragen einzumischen, ja sogar vorab Verständnis für die Wirtschaftlichkeitsinteressen der Vermieter zu bekunden, lässt auch nicht eben auf eine kampfbereite Mieterlobby schließen. Genau einer solchen bedarf es aber in einer Stadt, in der Wohnraum so knapp und so teuer ist, dass ein regelgerechter Wohnungsmarkt faktisch nicht existiert und in der Folge Vermieter mit Mietern vergleichsweise leichtes Spiel haben – Drohungen mit Kündigung sind kein sonderlich effektives Werkzeug, wenn vor der Tür bereits eine Schlange von Interessenten steht, die erst im Schlaatz abreißt. Der Oberbürgermeister ist zwar im Wahlkampf und war daher gestern zu Zugeständnissen bereit, die gar nicht eingefordert wurden. Doch das wird nicht ewig so bleiben.

Erschienen am 05.08.2010

Verbotsrepublik

Dienstag, 1. Juni 2010

Jan Bosschaart über den Wert der schieren Möglichkeit, ein Bier am Bahnhof zu trinken

Wie oft dürfte es dem Durchschnittspotsdamer passieren, dass er, ein Bier trinkend, über den Bahnhofsvorplatz schlendert? Selten. Und trotzdem hinterlässt der jüngste Vorstoß, dort mit einem Alkoholverbot für Gesetz und Ordnung zu sorgen, ein ungutes Gefühl. Ja, pöbelnde, betrunkene Horden sind unangenehm, und ebenso sind es die Scherben und erst recht die organischen Reste der Zechgelage. Und sicher würden die meisten Menschen nie von diesem Verbot beeinträchtigt, da ja der Bahnhofsvorplatz auch nicht eben das hat, was Städteplaner gern eine „Aufenthaltsqualität“ nennen, so dass man gern dort den Sonnenuntergang beim Feierabendbier genösse. Diese Qualität bekäme er auch nicht, wenn dort niemand mehr tränke. Trotzdem ist das angepeilte Verbot einer jener phantasielosen Vorstöße, die geneigt sind, die Verbotsrepublik Deutschland ein kleines Stück weiter zu zementieren. Sollte also doch einmal jener unwahrscheinliche Fall eintreten, dass den Durchschnittreisenden der unwiderstehliche Drang nach einem Bier überfiele, dann hinterließe die sofort einschreitende Ordnungsmacht einen Nachgeschmack, gegen den eine Bierpfütze vom Vorabend wie Veilchen duftet. Ob ihm dieses Stück persönlicher Freiheit wichtiger ist als ein entpöbelter, sauberer Vorplatz, muss freilich jeder für sich entscheiden.

Erschienen am 01.06.2010

Gleichgestellt

Freitag, 23. April 2010

Jan Bosschaart über Girls, Boys und die Zukunft des Zukunftstages

Das war ja zu erwarten: Wenn alles durchgegendert ist, sucht sich der Gleichstellungswahn ein neues Opfer und irgendjemand merkt, dass nun ja die Jungs benachteiligt seien, wenn Mädchen so gefördert werden. In Berlin hat es jetzt unser aller Bundesfamilienministerin geahnt und ausgerufen, zum jährlichen „Girls Day“ zur Förderung des Berufseinstiegs von Mädchen in Männerberufe, soll künftig gleichberechtigt auch ein „Boys Day“ gestellt werden. Schließlich drängen sicher genau so viele Jungen ins Krankenschwestern- und Grundschulfach, wie Mädchen die Piloten- und Hufschmiedkarriere vorenthalten wird. Brandenburg ist da schon seit längerem weiter – dank Ostsozialisation? –, denn hier heißt der „Girls Day“ seit einiger Zeit „Zukunftstag“ und richtet sich ausdrücklich an Mädchen und Jungen. Und das nicht nur auf dem Papier: Die Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg hatte gestern Mitleid mit dem phantasie- und gefühllosen Geschlecht und ließ zum Schauspielworkshop nur Jungen zu. Für den entsprechenden Studiengang der HFF bewerben sich nämlich fast nur Frauen. Die mussten hingegen mit den harten Fächern Sounddesign vorlieb nehmen und rostige Ölfässer vor Maschinengewehren in die Luft stemmen. Es lebe die Gleichstellung!

Erschienen am 23.04.2010

Was bleibt: Kleine Diktaturenkunde

Donnerstag, 8. April 2010

Es scheint, als ginge bei dräuendem Erfolg in Uferwegdingen mit Rechtsanwälten gern mal die Historie durch. Unvergessen der Auftritt des Reiner Geulen vor dem Oberverwaltungsgericht im Mai letzten Jahres, kurz bevor das Gericht der Stadt am Griebnitzsee die zweite kapitale Klatsche zumutete und Geulens wegsperrenden Mandanten einen Erfolg bescherte: Da stand der Anwalt im Gerichtssaal, hochrot, drehte sich zum Publikum statt zum Richter, hob den pädagogischen Zeigefinger und ließ erstmal laufen: In Potsdam seien „seit 20 Jahren die Uhren stehen geblieben“, es herrsche ein „post-sozialistischer Eigentumsbegriff“ in der „ideologisch verblendeten“ Stadt, die noch „die DDR in den Knochen“ habe, ja ein einziges „sozialistisches Biotop“ sei. Solche Ergüsse kommen meist davon, dass der Sprecher es beim Potsdam-Besuch nur vom Hauptbahnhof bis zum Schlaatz geschafft hat, statt auch mal in der Berliner und Nauener Vorstadt vorbeizuschauen.
Als zweiten hat es nun offenbar Christoph Partsch erwischt, der bislang als eher kühler Stratege galt. In seiner Wut über die „zu lange Untätigkeit“ der Polizei bei den Ostermontags-Protesten vor den Grundstücken seiner wegsperrenden Mandanten in Groß Glienicke ließ er multimedial die Worte fahren, dies habe „anscheinend Tradition“ und erinnere „an die Zeit zwischen 33 und 45“. Etwas mehr Abstimmung dürfte man da schon verlangen, schließlich betreuen beide Herren zwar unterschiedliche Mandanten, aber mit dem gleichen Ziel – der gern zitierten nachhaltigen Entfernung des Pöbels aus der Sichtachse Kaffeetasse – Bootssteg. Da sollte es doch möglich sein, sich auf eine deutsche Diktatur zu einigen. Zumal beide Regime nach kurzer Einarbeitungszeit doch recht gut unterscheidbar sind: Holocaust, Weltkrieg, Atombombe und so: 33-45. Mauer, Stasi & Pioniergeburtstag: DDR.
So gesehen hat dann eher der Herr Geulen recht, denn mit Aussperrungen, Mauern und Grenzposten haben die Uferwege in jeder Beziehung mehr zu tun als mit Atombomben und Weltkriegen. Mit Sozialismus allerdings weniger, und engagiert protestiert wurde zu DDR-Zeiten ja auch erst kurz vor Schluss (fragen Sie mal den Baudezernenten!).
Sie werden ihre Diktaturenvergleiche ohnehin nicht glauben, die Herren Advokaten. Partsch ist mehrfach als Verfasser kluger Artikel über den Nationalsozialismus an die Öffentlichkeit getreten, Geulen hat entscheidenden Anteil am Sieg der Bürgerinitiative gegen das Bombodrom in der Kyritzer Heide – eines der linken Vorzeigeprojekte. Viel wahrscheinlicher ist, dass die gezielten Provokation die Stimmungen schüren sollen – medial funktioniert das ja schon bestens. Dass es am Ende auch den Schürern nützt, ist hingegen zweifelhaft. Über vorschnelle NS- und DDR-Vergleiche ist schon mancher böse gestolpert.

Erschienen am 08.04.2010

Heulen und Wehklagen

Samstag, 27. Februar 2010

Jan Bosschaart über die vermutlich letzte Zumutung dieses Winters

Da wird sich nun bald erheben ein gewaltiges Wehklagen an den Stammtischen und an den aufgeplatzten Straßen, und das Volk Potsdams wird sagen: Siehe, da hat nun diese Stadt den Winterdienst vernachlässigt und die Glätte am Ende auch noch mit schnödem Splitte bekämpft, und nun sollen auch noch wir, die wir unter diesen Mängeln gelitten, zum Besen greifen, und die Malaise, die von uns nicht verursacht, nicht nur bezahlen, sondern mit der eigenen Muskelkraft beseitigen helfen. Doch all der biblische Zorn ist vergebens: Der Winter war nun einmal, wie er war, und was am Winterdienst nicht funktionierte, will die Stadt in einer neuen Ausschreibung korrigieren. Was bleibt, sind außer einer Menge teurer Erfahrungen über die Physik schwerer Körper auf Eis und gut gefüllten Leserbriefspalten die Überreste von Silvester und von Streubemühungen aus einer Zeit, da das Salz zu Ende war. Diese Reste können die Stadtentsorger zwar aufsaugen, wegwischen und an den Rand fegen, ohne den beherzten Einsatz der Anlieger an Besen und Schaufel werden sie aber nicht zu beseitigen sein. Immerhin dürfte es die letzte Investition an Muskelkraft im Kampf gegen den Winter werden. Und gegen angestaute Wut hilft sportliche Betätigung bekanntlich auch. Ganz im Ernst.

Erschienen am 27.02.2010

Überfällig

Montag, 15. Februar 2010

Jan Bosschaart über die Beteiligung der Jugend an städtischen Projekten

Wer zuviel Grönemeyers „Kinder an die Macht“ gehört hat, könnte auf den Gedanken verfallen, wir hätten es mit einer blühenden, pazifistischen, glücklichen Welt ohne Ungleichbehandlung, Egoismen und Konflikte zu tun, wenn die Jüngsten das Steuer übernähmen. Wer aber mal 20 Minuten im Kindergarten neben dem Buddelkasten gesessen hat, weiß, dass das nicht stimmt – und dass an manchen Tagen das Rathaus, die Stadtverordnetenversammlung, der Oberbürgermeisterwahlkampf und diverse Pressekonferenzen die Fortsetzung des Buddelkastens mit anderen Mitteln sind: mit der gleichen Heimtücke und dem gleichen Egoismus, aber verfeinerten Werkzeugen wie gezielter Intelligenz, viel Lebenserfahrung und großen Netzwerken im Hintergrund. Daraus nun wiederum abzuleiten, die Kinder müssten nicht beteiligt werden, wäre allerdings auch ein Fehler: Wann immer es um ihre Belange geht, sollte Kinder und Jugendliche gehört werden, und weil sich selbst talentierte 14-Jährige wohl nur schwerlich für Verwaltungsvorlagen, Kommunalverfassung und Straßenausbaubeitragssatzung begeistern können, ist die richtige Methodik in diesem Fall mindestens genau so wichtig wie das Vorhaben an sich. In der „kinderfreundlichsten Stadt“ allzumal.

Erschienen am 15.02.2010

Nicht verdient

Freitag, 12. Februar 2010

Jan Bosschaart über die Wirkung von Sumoringern beim Damenballett

Reiner Becker ist nichts vorzuwerfen: Der Architekt der neuen Bibliotheksfassade hat sein Bestes getan. Sofern es sich anhand einer Simulation beurteilen lässt, sieht die Stadt- und Landesbibliothek nachher deutlich besser aus. Doch wie ein Sumoringer auch nach einer Gesichtsoperation im Damenballett auffallen würde, heilt das Facelifting nicht den Widerspruch, in dem der Klotz künftig zu seinen angrenzenden Fassaden und zum Rest seines Quartiers steht. Die Hässlichkeit der gegenüber liegenden Wilhelmgalerie als Referenz ins Feld zu führen, hilft da nur begrenzt. Ebenso gut könnte man Potsdams Bahnhof gegen jedes architektonisch ambitionierte Bauvorhaben in der Stadt in Stellung bringen. Doch auch die Kulturbeigeordnete hat recht: Es ist an der Zeit, dass die unselige Debatte an ein Ende gelangt. Fünf Jahre, in denen das Haus weiter verfiel, haben genügt. Da es bisher nicht gelang, sich auf eine städtebaulich verträgliche Version zu einigen, wird das auch künftig nicht geschehen. Derweil verfallen die Fördermittel. Bedauerlich ist neben dem rein ästhetischen Schmerz vor allem, dass es in der hitzigen Debatte zuweilen aussah, als stünde der Nutzen der Bibliothek oder ihr gesamter Standort im Zentrum zur Diskussion. Das aber hatte sie nun wirklich nicht verdient.

Erschienen am 12.02.2010

Rasen für die Stadtkasse

Dienstag, 24. November 2009

Jan Bosschaart hat ein paar Vorschläge, um das Bußgeldaufkommen zu steigern

Es gibt Radeln fürs Klima, Rauchen gegen den Terrorismus und Trommeln für den Weltfrieden. Dieser Gutmenschen-Olympiade könnte man längst die Disziplinen Falschparken für die Kommunalfinanzen und Rasen für die Stadtkasse hinzufügen. Immerhin verdient Potsdam rund 1,6 Millionen Euro pro Jahr mit Knöllchen und Blitzbescheiden. Das Perfide an diesen Formen moderner Wegelagerei und an den überteuerten Porträtfotos mit miserablen Abzügen ist, dass den vermeintlichen Abzockern nicht nur Recht und Gesetz, sondern auch das Gemeinwohl als unüberwindliche Argumentationshilfe zur Verfügung stehen. Da bleibt dem ordnungswidrigen Bürger nur, die Wut in ein Magengeschwür zu wandeln. Konsequenterweise sollten aber Spendenquittungen ausgestellt werden, wenn jemand zum Beispiel regelmäßig auf dem Bordstein parkend oder durch die Tempo-30-Zone rasend seiner Bürgerpflicht nachkommt. Auch Titel wie „inoffizieller Sponsor der Landeshauptstadt Potsdam“ würden das Engagement sicher noch steigern können, damit das leidige Haushaltssicherungskonzept endlich obsolet wird. Denn eines, liebe Bußgeldstelle, sollte doch glasklar sein: Wenn wir alle mal für einen Tag in den Ordnungswidrigkeits-Streik träten und korrekt parkten, wäre bei Euch ein Heulen und Zähneklappern.

Erschienen am 24.11.2009

Hochhängende Trauben

Dienstag, 27. Oktober 2009

Jan Bosschaart über einen Erfolg, der sich ganz schnell rächen kann

Nicht nur die familienfreundlichste Stadt Deutschlands ist Potsdam und jene mit den höchsten Mieten, jetzt haben wir auch noch die besten Taxis. Potsdam, Stadt der Superlative. Die Liste ließe sich fortsetzen: Die oppositionellste Linke, der geschlossenste Uferweg, die spendabelsten Star-Einwohner drängen sich geradezu auf. Doch auch da ist es, wie es mit den Taxen ist: Der Titel allein zählt wenig, es lohnt ein Blick aufs Detail. Der zeigt dann eher, dass die Mietkutschen in Potsdam im Durchschnitt ganz ordentlich sind, wie in vielen anderen Städten auch. Prestigeträchtige Titel indes können schnell zum Fluch werden, weil sie die Erwartungen in den Himmel heben. Wer mit dem Test im Hinterkopf auf einen jener typischen Taxilenker trifft, die mit bodenständig-märkischem Charme dem Fahrgast beim Kofferverladen zusehen, bevor sie ihn mit einem sanft gebrüllten „mit den Döna aba nich ufft Polsta“ freundlich zurechtstutzen und die beim Bezahlen gezogene Kreditkarte mit den Worten „so’n Kram nehmwa nich“ zart zurückweisen sowie auf den ersatzweise beschafften 50-Euro-Schein mit „kannick nich wechseln“ reagieren, wird Potsdam in wenig guter Erinnerung behalten. Ohne den Test würde er es hingegen als ganz normalen Wahnsinn verbuchen. In diesem Sinne, liebe Taxifahrer: Die Trauben hängen jetzt vadammt hoch!

Erschienen am 27.10.2009

Keine Diskussion

Dienstag, 18. August 2009

Jan Bosschaart über legitime Wahlkampfmaßnahmen und schlichte Augenwischerei

Wahlkampfaktionen sind manchmal so durchschaubar, dass der Wähler eigentlich intellektuell beleidigt sein müsste. Dass er es nicht ist, liegt nur daran, dass er kaum noch etwas anderes erwartet. Wenn eine in Sachsen geborene und aufgewachsene Politikerin für den Brandenburger Landtag mit dem Slogan „Heimat im Herzen“ kandidiert, ist zumindest Stirnrunzeln erlaubt. Und wenn die Linke nun eine „Umfrage“ zur Gestaltung der Potsdamer Mitte startet, und die erwünschten Antworten schon in den Fragen verbirgt, dann ist das ein recht transparenter Versuch, für die eigenen Positionen möglichst großen Rückhalt zu generieren. Daran ist nichts falsch, so funktioniert Politik. Aber es als „Umfrage“ zu verbrämen, als ein offenes Instrument also, mit dem die Stimmung in der Bevölkerung erfasst werden soll, ist schlicht Augenwischerei. Wie die Potsdamer zum Schlossbau stehen, haben diverse Umfragen gezeigt. Wie die Linke zum Schlossbau steht, hat sie mehrfach deutlich gemacht – und der Stadt für ihre Zustimmung dazu ein ausnehmend großes Sozialpaket abgetrotzt. Dass die Linke mit dieser Aktion Wähler unter den Jungen und Studierenden abschöpfen möchte, ist ihr gutes Recht. Aber dann nennt es bitte auch Wahlkampf. Und nicht Umfrage oder Diskussion.

Erschienen am 18.08.2009


%d Bloggern gefällt das: