Archiv für die Kategorie „Kommentar“

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Freitag, 29. Mai 2009

Jan Bosschaart über selbstgerechte Anwälte und ein kleines Hoffnungslicht

Die Stadt hat mal wieder verloren, und der Uferweg für alle ist wieder ein Stück weiter in die Ferne gerückt. Nun lässt sich natürlich erneut der Konjunktiv als tröstender Freund anrufen: Wenn die Stadt gleich 1990 reagiert hätte; wenn sie früher einen Bebauungsplan verabschiedet hätte; wenn der späte Bebauungsplan zumindest rechtssicher gewesen wäre; wenn sie rechtzeitig Ufergrundstücke ge- und ein eigenes nicht verkauft hätte, ja dann flanierten noch heute die Potsdamer und ihre Gäste am Ufer entlang. Sicher sind Fehler gemacht worden, früher und heute, die Gerichte lassen daran keinen Zweifel. Die unsäglich arrogante, oberlehrerhafte und selbstgerechte Art, in der ein Anwalt gestern der Stadt die Leviten zu lesen glaubte, zeugt hingegen nicht nur von schlechtem Charakter und von billigem Nachtreten, sie ist eine pauschale Beleidigung für die ganze Stadt und alle, die ein Interesse am Uferweg haben. Und kein einziger der Kläger konnte behaupten, er habe nicht gewusst, dass dort ein Weg über sein Grundstück führt – sei er nun gewidmet oder nicht. Dem Richter immerhin ist zu danken, denn er hat der Stadt Mut gemacht: Wegen der großen geschichtlichen Bedeutung ist ein Uferweg noch nicht vom Tisch – wenn er denn endlich mal richtig angepackt würde.

Erschienen am 29.05.2009

Angebiedert

Freitag, 24. April 2009

Jan Bosschaart über falsche Lehren aus dem amerikanischen Wahlkampf

Dass Politiker gern Barack Obamas furiosen Wahlkampf kopieren, dessen Strategien aber nicht auf Deutschland übertragbar sind, ohne dass man sich lächerlich macht, lernte schon SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Als er einen vollen Saal mit Parteimitgliedern zu „Yes we can!“-Rufen aufforderte, kam keine Antwort. Potsdams SPD-Vorsitzender Mike Schubert versucht es nun im Internet und hat auf seiner Website die „M-Community“ gegründet. M wie Mike. Dort rührt er alle Internetseiten zusammen, die im Verdacht stehen, irgendwie – der Leser verzeihe die Begriffswahl – in, hip, cool oder hype zu sein, er twittert und facebookt, flickert und youtubet, was der HTML-Generator hergibt. Die ganze Seite schreit: „Ich will die junge Zielgruppe!“ Dabei wird die coole Community auch noch mit der Brechstange beworben: „Brandenburgs erster Onlinenetzwerker“ sei Schubert, und „ein gefragter Mann“, denn alle Welt wolle wissen, was die M-Community sei. „Was Facebook kann, kann ich nämlich schon lange“, sagt er – und übersieht, dass außer seinen Parteigängern niemand einen Grund findet, warum er nicht gleich auf die Originalseiten zugreift. Der Zielgruppe, der sich Schubert damit anbiedert, ringt er jedenfalls nur ein mildes Lächeln ab: No, he can’t.

Erschienen am 24.04.2009

Beiläufig gefragt

Montag, 9. März 2009

Jan Bosschaart über das Ritual der politischen motivierten Blumengabe am Frauentag

Das Verschenken von Blumen am 8. März in Fußgängerzonen und Frauentreffs ist eine höchst dankbare Angelegenheit für alle Beteiligten: Für den schenkenden Politiker, weil er als wertschätzender, frauenverstehender und sozial engagierter Mensch in die Objektive von Presse und Fernsehen lächeln darf, und für die Beschenkten ohnehin. Dass all die Rosen dabei durchaus ein klein wenig vergiftet sind, mag den Beschenkten vor Überraschung und Freude dabei nur ganz dunkel am Rande des Bewusstseins dämmern. Andernfalls ließe sich die Entgegennahme der Rose nämlich auch ganz beiläufig mit der Frage kombinieren, was der Schenker denn seit dem letzten 8. März in seinen politischen Ämtern so alles unternommen habe, um die Lohn- und Chancengleichheit zu befördern; ob und wie er sich für bessere Kinderbetreuung einsetze und mit welchen Methoden und unter Zurücklassung welcher Frauen er eigentich in sein Amt gelangte. Das könnte natürlich dazu führen, dass der erstmal in sich ginge oder gar im kommenden Jahr beleidigt zuhause bliebe. Ein Schaden muss das nicht sein. So ein Röschen mag ja ganz nett sein, aber eher, wenn es als Sahnehäubchen zur Gleichstellung kommt. Nicht stattdessen.

Erschienen am 09.03.2009

Vernunft statt Egoismus

Donnerstag, 29. Januar 2009

Jan Bosschaart über das kakophonische Meinungsgewirr im Sanierungsgebiet Babelsberg

Wenn mitten in der schönsten Debatte, nachdem der Sanierer zum dritten Mal erklärte, warum politische, rechtliche oder technische Vorgaben bestimmte Bürgerwünsche unmöglich machen, wenn da jemand einen Satz mit „Aber trotzdem“ beginnt, kann schon mal die Frage aufkommen, wer eigentlich für die Sanierung der Nerven von Stadtkontor-Mitarbeitern zuständig wäre. Das ist natürlich ungerecht: Das Babelsberger Sanierungskonzept legt Hauseignern harte Bandagen an, und wer sich als Bauherr monatelang um einen
Türgriff oder eine Gaube streiten musste, ist schnell empört, wenn er das Gefühl hat, das Stadtkontor dürfe leichtfüßig Straßenzuschnitt oder Baumbestand ändern. Der Bürgereinsatz für die Sanierungsziele ist hoch zu achten. Im kakophonischen Meinungsgewirr aber, dass sich derzeit unter- und innerhalb zu sanierender Straßen erhebt, ist dieses Interesse kaum noch auszumachen. Dazu sind die Forderungen oft zu egoistisch: Keine Parkplätze auf der Straße, weil ich welche auf dem Hof habe; keine Mieterbefragung, weil es mich Eigner mehr betrifft und, als Krönung, weiterhin eine Einbahnstraßenregelung, die für mich Anlieger aber aus Gewohnheitsrecht sowieso nicht gilt. In solchen Debatten setzen sich bestenfalls die Lautesten, aber nicht die Vernünftigsten durch. Doch gerade die werden jetzt gebraucht.

Erschienen am 29.01.2009

Verpflastert

Samstag, 24. Januar 2009

Jan Bosschaart über unklare Fronten, entnervte Sanierer und lustige Workshops

Potsdam ist nicht nur ein schwieriges Pflaster, es hat auch welches. Während Radler in den Natursteinen ein gebisszerrüttendes Hindernis sehen, die Stadt angesichts des Pflegeaufwands am liebsten eine geschlossene Asphaltdecke über Babelsberg legte und Rettungswagenfahrer von einem potenziell lebensverkürzenden Faktor sprechen, überraschten Anlieger der Jahn-, Watt- und Siemensstraße in den letzten Jahren mit einem vehementen Kampf für die alten Steine. Die Stadt beugte sich dem Protest, doch wer glaubte, die Fronten seien damit definiert, irrte: In der Neuen Straße scheint niemand vom Pflaster begeistert. Das Stadtkontor als zuständiger Sanierer hat die Prognose des Bürgerwillens daher eingestellt und wartet mittlerweile einfach ab, welche Initiativen sich so bilden. Der Bauausschuss hingegen geht in die Offensive und veranstaltet für 14 000 Euro einen lustigen Pflasterworkshop, in dem alle Argumente nochmal ausgebuddelt, geprüft und danach wohl wieder vergraben werden. Auf der Tagesordnung steht etwa „Natursteinpflaster im Konflikt zwischen Geschichtszeugnis und Gebrauchsgegenstand“, und als Vorablektüre ward den Abgeordneten das Standardwerk „Die Kunst des Pflasterns“ anempfohlen. Dass dabei ein Trostpflaster für Pflasterskeptiker herausspringt, ist unwahrscheinlich.

Erschienen am 24.01.2009

Die Klinge wird stumpf

Donnerstag, 15. Januar 2009

Jan Bosschaart über reale und vermeintliche Baufrevel und die Rolle der Verwaltung dabei

Bauen wir, wie es die alten Meister taten oder geben wir moderner Architektur eine Chance – das ist zur Gretchenfrage der öffentlichen Baudiskussion der letzten Jahre geworden, nicht nur, aber besonders in Potsdam. Die Debatten werden erbittert geführt, und sie beschränken sich keineswegs auf öffentliche Gebäude. Erinnert sei an die Lennéstraße 44 oder die aktuelle Diskussion um die Seestraße 7. Von Kritikern wird dann gern das Battis-Schwert geschwungen und impliziert, alle Schuld liege bei der Bauverwaltung, deren Schwächen der Bericht des gleichnamigen Baurechtlers 2007 aufdeckte. Doch jede zu oft geschwungene Klinge wird stumpf, und nicht jeder Fehler der Vergangenheit taugt zur Erklärung aktueller Entscheidungen. Im Falle der Seestraße7 konnte die Verwaltung überzeugend erklären, warum sie den Bauherren mit seiner anspruchsvollen Architektur von einigen Bestimmungen befreit. Das war im Fall Lennéstraße44 noch ganz anders, wo der Chef-Stadtplaner jede Begründung verweigerte. Die Gegner des Neubaus sollten daher die Battis-Klinge ruhen zu lassen. Die Stadt hat sich nicht ins Schema „alt oder modern“ zwingen lassen, sondern am Einzelfall entschieden – für einen dritten Weg: Einen modernen Bau, der die alten Meister interpretiert.

Erschienen am 15.01.2009

Fehlender Aufschrei

Mittwoch, 26. November 2008

Jan Bosschaart über einen neuen Zossener, der der Stadt nicht zur Ehre gereicht.

Wäre das Thema nicht so ernst, man müsste in schallendes Gelächter ausbrechen: Da kämpft ein Verblendeter jahrelang gegen das, was er die „Auschwitz-Lüge“ nennt und muss sich dafür vor Gerichten verantworten. Dann verlässt er Berlin, wo er verbrannte Erde hinterließ, und lässt sich – als Holocaust-Leugner unerkannt – in Zossen nieder. Es muss ihm wie eine unglaubliche Provokation vorgekommen sein, zu erfahren, dass die Stadt vor seinem Haus, das auch noch ehemals Juden gehörte, der von den Nazis deportierten Bewohner gedenken will. Fast nimmt es nicht mehr Wunder, dass der Mann anlässlich der Steinverlegung ausrastet. Was er nicht bedachte, ist, dass sein Ausbruch Fragen aufwarf. Ganz Zossen weiß nun, dass ein bundesweit bekannter Neonazi in der Stadt lebt und arbeitet. Seinem Geschäft dürfte das nachhaltig schaden, doch leider nicht nur seinem. Was daher fehlt, ist eine eindeutige Reaktion der Stadt und ihrer Bewohner: Die Provokation der verdeckten Steine sollte die Verwaltung nicht länger hinnehmen, auch einen Aufschrei der Bürger hat bislang niemand vernommen. Falls Zossen diese Haltung beibehält, könnte das zum Stolperstein für die Wachstumsregion werden. Und das wäre dann gar nicht mehr lustig.

Erschienen am 26.11.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Gestolpert

Freitag, 21. November 2008

Jan Bosschaart über einen Unternehmer, der sich selbst demontiert

Was da gestern Nachmittag in Zossens Berliner Straße zu beobachten war, war nicht weniger als die öffentliche Selbstdemontage eines Gewerbetreibenden und Bürgers. Denn es gibt kein vernünftiges Argument gegen die Stolpersteine – es sei denn, man ist Antisemit, Holocaust-Leugner oder sonstwie rechtsextremen Überzeugungen anhängig. Ob das auf den Unternehmer zutrifft, steht dahin. Den Verdacht hat er jedenfalls erfolgreich geweckt. Geschäftsschädigend sind nicht die Steine, sondern das Gebaren des Mannes, der sich nicht zu schade war, eine von der absoluten Mehrheit der Zossener Stadtverordneten und der Bevölkerung getragene Aktion nach Kräften zu sabotieren, und der, da er keine Argumente zu nennen wusste, in hilfloser Wut zum Schubsen, Zerren, Brüllen und zum Entreißen von Kameras griff. Auf offener Straße, wohlgemerkt, unter den Augen von Passanten und Kunden. Gebracht hat ihm das außer einer Anzeige und einer eklatanten Rufschädigung nichts: Die Steine ruhen wie geplant im Pflaster. Der „Medienkombin@t“-Betreiber aber ist darüber gestolpert. Das ist nicht ohne Ironie: Eigentlich dienen die Stolpersteine dazu, Antisemitismus vorzubeugen. Dass sie ihn zuweilen aus dem Dunklen ans Licht zerren, ist ein eher unerwarteter Effekt.

Erschienen am 21.11.2008

Schimpffreudig

Samstag, 25. Oktober 2008

Jan Bosschaart über einen besonderen Volkssport im Herbst

Alle Jahre wieder kommt – der Herbst. Die Bäume entblättern sich, und mehr als nur eine Hand voll flotte Feger sind vonnöten, um den ehemals grünen, die nun gelbe, rote oder braune sind, zu zeigen, was eine Harke ist. Darauf könnte eine Ordnungsbehörde wohl vorbereitet sein. Dass die Bäume abschütteln, was sie noch vor kurzem kleidete, erfolgt mit so schöner Regelmäßigkeit, dass selbst der skeptischste Ordnungsamtsleiter durchaus nicht fehl darin geht, dem Phänomen den Charakter eines Naturgesetzes zuzubilligen. Glaubt man nun aber Volkes Stimme – und beim gemeinsamen Rechen vor der Haustür trägt Volkes Stimme weit in der klaren Herbstluft – so belegt schon jede Zusammenrottung von mehr als drei Blättern auf dem Asphalt mal wieder die völlige Unfähigkeit der Kommune, für Ordnung zu sorgen. Ja, da macht er sich gern Luft, der Bürger; der Begriff Herbststurm kommt nicht von ungefähr. Der Vorwurf indes geht fehl: Allerorten wird in den Bauhöfen zusammengetrommelt, wer nicht bei drei auf den kahlen Bäumen ist, und zum Dienst an der Harke verpflichtet. Dass selbst der emsigste Kommunalbedienstete nicht mit dem Laubsack unter jeder Linde stehen und herabsegelnde Blätter vor dem Auftreffen auf dem Asphalt abfangen kann, sollte da selbst dem schimpffreudigsten Bürger einleuchten.

Erschienen am 25.10.2008

Dürre Argumentation

Dienstag, 20. Mai 2008

Die klassische Reaktion auf Ohnmacht ist Aktionismus. Auch Ulla Schmidt ist in diese Falle getappt: Angesichts der Ohnmacht der Gesundheitspolitik gegenüber der Magersucht fordert sie ein Laufstegverbot für zu dünne Models. Die Ministerin hat knochige Mannequins als Schuldige am verzerrten Körperbild der kranken Teenager ausgemacht, und auf diese Fehldiagnose folgt nun ein untauglicher Therapievorschlag. Das findet jede Stammtischrunde einleuchtend, und die Ministerin steht als Retterin der Töchter da.

Magersucht ist aber kein Problem des gesellschaftlichen Schönheitsideals, sondern eines der Selbstregulation, der Körperwahrnehmung und der Familienstruktur, das kann die Gesundheitsministerin in jedem klinischen Lehrbuch nachlesen. Oder in den extra für ihr Haus erstellten Forschungsberichten. Sie hat es vermutlich längst getan – und auf diese Weise erfahren, dass politisch dagegen wenig getan werden kann. Die Hilflosigkeit gegenüber der Magersucht ist offenbar nicht nur für Therapeuten, sondern auch für Gesundheitspolitiker schwer zu ertragen. So fordert Schmidt nun ein Verbot der Magermodels. Das ist billig zu haben, im doppelten Sinne: Es sieht aus, als tue die Ministerin etwas, und es kostet sie keinen Cent. Verdienstvoller, aber mühseliger und teurer wäre es hingegen, die Zwangsdiät in der psychotherapeutischen Versorgung endlich zu lockern. Seit fast zehn Jahren steigt der Bedarf an Psychotherapie in der Bevölkerung, doch weil das Budget dafür gedeckelt ist, erhalten die Patienten immer weniger Stunden. Das entstehende Therapie-Vakuum füllen die Pharmakonzerne gern aus: Sie bringen neue Substanzen auf den Markt, die Leidenszeiten verkürzen und Menschen schneller wieder in die globalisierte Arbeitswelt entlassen. Die Hoffnung auf Spareffekte im Gesundheitssystem ist dennoch trügerisch, weil selbst die beste Pille gegen Angst, Wahn oder Zwang nicht heilt, sondern nur während der Einnahmezeit die Symptome unterdrückt. Gegen viele Krankheiten ist zudem noch kein Medikament in Sicht – die hochkomplexe Anorexie gehört dazu.

Magersucht ist eine Krankheit des Individuums. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie das jeweilige Schönheitsideal beeinflussen nur die Symptomwahl, sie entscheiden nicht darüber, ob ein Mensch krank wird oder nicht. Eine Therapie kann daher nur beim Einzelnen ansetzen. Doch Therapien in ausreichendem Maß bereitzustellen, dazu ist das über jedes gesundes Maß hinaus verschlankte Gesundheitssystem derzeit kaum in der Lage. Diese Versäumnisse der Gesundheitspolitik kann auch Ulla Schmidts dürre Argumentation nicht verdecken.

(veröffentlicht am 20. Mai 2008)


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