Archiv für die Kategorie „Glosse“

Von schottischen Schafen lernen …

Donnerstag, 1. September 2016

Wenn Sie heute in Potsdam im Stau stehen – und glauben Sie mir, das werden Sie – und das nanometerweise Vorankommen an Ihrem ebenso starken Geduldsfaden zerrt, dann nutzen Sie die seit Hunderten von Jahren erprobte Methode des schottischen Hochlandschafs: Schottische Hochlandschafe haben einfach beschlossen, zu vergessen, dass sie Herden- und Fluchttiere sind und lümmeln auf den schmalen schottischen Hochlandstraßen, die stets zehn Zentimeter enger sind als jedes denkbare Auto. Am Rand lauert entweder massiver Fels oder ein Abgrund. Doch das schottische Schaf lässt sich davon nicht beirren. Es wirft dem Vehikel einen gleichgültigen Blick zu und mümmelt weiter. Oder es schläft weiter. Manchmal auch beides, nacheinander. Da hilft kein Heranfahren, da hilft kein Hupen. Wer’s gar nicht mehr erträgt, muss eben aussteigen, und das Schaf von Hand von der Straße tragen, was ihm bestenfalls ein vorwurfsvolles „Mähhh“ und schlimmstenfalls einen Auftrag an die Reinigung einbringt. Auch die schottischen Hochlandrinder haben bereits vom schottischen Schaf gelernt, sind aber deutlich schwerer von der Straße zu tragen. Da dies vermutlich auch für den gerade vor Ihnen Parkenden gilt, entfällt demnach diese Methode. Also beißen sie von irgendwas ab – notfalls ins Lenkrad – und mümmeln sie ab dann gemütlich.
Autos kommen und gehen, Staus kommen und gehen.
Das Hebridenschaf bleibt.

„Ich sag, der Türke war’s“

Freitag, 10. Juli 2015

Oder: Wie viele McDonalds-Mitarbeiter es braucht, eine Energiesparlampe zu wechseln

Samstag Abend, Berlin. Schwach besetzte McDonalds-Filiale. Über dem Eingang flackert eine Lampe. Hinter dem Tresen stehen zwei Mitarbeiter männlichen Geschlechts, einer eindeutig mit Migrationshintergrund. Faszinierend beobachten sie mangels Kundschaft das An und Aus der Lampe. Der türkische Mitarbeiter, nach Uniform und Schild Schichtleiter, übernimmt schließlich Initiative und Verantwortung. Er fordert den Kollegen auf, einen Hocker zu holen. Das dauert nur wenige Minuten, dann stellt der Kollege für den Schichtleiter den Hocker (der sich, streng genommen, als eine kleine Trittleiter materialisiert) unter die Lampe, die sich trotz beharrlichen Anstarrens durch den Schichtleiter noch immer nicht zwischen An und Aus entschieden hat. Er steigt nun auf den Hocker, streckt sich und merkt, das sein Arm gerade so an die Abdeckung reicht. Da das jeder sieht, zwingt ihn sein Stolz zu einem waghalsigen Manöver. Er bittet nicht etwa den deutlich größeren deutschen Kollegen auf den Hocker – der steht offenen Mundes – sondern überstreckt sich, und berührt so die Abdeckung gerade mit den Fingerspitzen. Diese quittiert den Eingriff mit schepperndem Herunterfallen. Beim Überstrecken legt der Schichtleiter ein weiteres waghalsiges Manöver, diesmal rhetorischer Natur hin, den seine Lippen formen den unsterblichen Satz: „Ich würde mich ja länger machen, aber dann kannst Du Honk ja meine Waffe sehen“. (Für nicht Dabeigewesene: Er hatte offenbar Sorge, dass sein Bauch aus der Hose rutscht – das war bereits eingetreten –, und zwar soweit, dass Teile des Genitaltrakts freigelegt würden.)

Der Kollege lacht pflichtschuldig, aber nicht überzeugen. Der Schichtleiter hat indes nun die perfekte Ausrede gefunden, den Hocker zu verlassen. Er ist nicht zu klein, sondern hat Sorgen, seinen Kollegen Minderwertigkeitskomplexe oder gar unerfüllbare Begierden aufzubürden, falls sie seiner gewaltigen Fortpflanzungsausstattung ansichtig würden. Außerdem hat ihn das ewige Schauen in die nach wie vor unbeeindruckt an- und ausgehende Energiesparlampe, die zudem ihres mattierten Schutzes beraubt ist, geblendet. Also darf der größere Kollege dran. Der klagt zunächst auch über Blendung, kommt aber gerade so an die Lampe, greift sie allerdings nicht am Sockel, sondern am Glas. Das hat zwei völlig unvorhersehbare Auswirkungen: Er verbrennt sich und schreit auf. Der Schichtleiter grübelt einen Moment angestrengt und bringt dann eine unschlagbaren Idee ein: Ein Lappen muss her. Selbstverständlich kann er als Schichtleiter den Posten unmöglich verlassen, also muss der Kollege von der Trittleiter herunter und den Lappen selbst holen. Die Zeit nutzt der Schichtleiter, ein gelbes „Vorsicht, rutschig“-Warnschild vor die Trittleiter zu platzieren. Es ist zwar nicht rutschig, aber irgendwie sollten die nicht existenten Kunden ja gewarnt sein, dass hier eine Gefahrenstelle vorliegt, die schon einen Kollegen verletzt hat.

Der Verletzte kommt derweil mit zweierlei zurück: verpflasterten Fingern und dem Lappen. Er steigt nun auf die Trittleiter, und fasst die Lampe durch den Lappen an. Leider nicht am Sockel – der wäre ja kalt gewesen –, sondern erneut am Glas, so dass er sie abbricht und ein bisschen Quecksilberdampf in die Küche weht. Dank des Lappens verbrennt er sich zumindest nicht. Aber er schneidet sich an den Scherben. „Wenigstens ist sie aus“, sagt der Schichtleiter, sein mediterran-optimistisches Naturell unter Beweis stellend. Jetzt werden zwei Kolleginnen gerufen: Eine, um die Scherben aufzufegen, eine weitere, um mehr Pflaster zu bringen. Das dauert weitere fünf Minuten, der Schichtleiter tauscht derweil den Tritthocker gegen eine Stehleiter aus, die so hoch ist, dass sie nicht unter die Decke passt. Mit leichtem Schrägstellen gelingt es, er muss sie nun aber durch Besteigen der untersten Stufe austarieren. Die verpflasternde und die scherbenfegende Kollegin haben ihre Aufgaben erfüllt, bleiben aber sicherheitshalber – und weil’s lustig zu sein scheint – noch am Ort des Geschehens.

Der nun vierfach verpflasterte Kollege erklimmt unsicheren Schritts die schwankende Leiter, die sein Schichtleiter dank höheren Körpergewichts immerhin stabilisieren kann. „Wenn ditt ma nich schiefjeht und der noch runtasaust“, sagt die Kollegin mit den Scherben auf der Kehrschaufel. „Ich sag dann einfach, der Türke war’s“, witzelt der Kollege auf der Leiter, dem es mittlerweile tatsächlich gelang, den Sockel der Lampe ohne weitere Verbrennungen, Schnittwunden oder Quecksilberwolken herauszuziehen. „Jetzt die neue“, sagt er, und sein Knie zittert etwas – ob der Höhe oder mangels Vertrauens in das Gegengewicht des Schichtleiters, muss unklar bleiben. „Ach Du kacke, wo sind denn neue?“ fragt dieser. Die Pflasterkollegin mutmaßt, dass Katrin das wissen müsse. Katrin ist im Moment die einzige noch arbeitende Kollegin und bedient gerade jemanden am McDrive-Fenster. Also warten. Sobald Katrin frei ist, weiß sie es tatsächlich, kann aber gerade nicht ins Lager, weil ein neuer Kunde anrollt. Die Kollegin mit den Scherben bietet sich an, ins Lager zu gehen und diese dort auch gleich zu entsorgen. „Einer muss hierbleiben, falls Kunden kommen“, entscheidet der Schichtleiter, „ich kann hier ja nicht weg und er“ – er meint den immer stärker zitternden Kollegen am oberen Ende – „auch nicht“. „Ich bin ja noch da“, bringt sich die Pflasterkollegin in Erinnerung. Der Schichtleiter denkt kurz nach. „Das müsste gehen“, entscheidet er schließlich, ganz Schichtleiter. So wird es gemacht. Fünf Minuten später kommt die Kollegin aus dem Lager mit einer herkömmlichen Glühbirne zurück, die mit ihrem Gewinde nicht in den Stecksockel der Energiesparleuchte passt. Das merken die Herren aber erst nach einigen Versuchen, das runde Gewinde in den quadratischen Sockel zu drehen. Also muss die Kollegin erneut ins Lager.

Inzwischen kommen Kunden, ein Pärchen. „Habt ihr schon zu?“ fragt der Mann, weil das gelbe Anti-Rutsch-Schild, die wankende Aluleiter und der Tritthocker eine unüberwindliche Barriere bilden. „Nee, ist offen“, sagt der Schichtleiter, „ihr müsst nur außen rum gehen, durchs ganze Lokal“. „He“, ruft der Kollege von oben zaghaft, denn der Schichtleiter hat sich zur Beantwortung der Frage etwas zu weit vorgelehnt und das Konstrukt gerät bedrohlich ins Wanken. Erschrocken lehnt er sich zurück. Die Kunden gehen brav durchs ganze Lokal – statt einfach über den Hocker zu steigen – und die Kollegin kehrt aus dem Lager zurück. Sie will an diesem Abend offensichtlich den Preis für den intelligentesten Mitarbeiter gewinnen, denn sie hat sicherheitshalber von jedem verfügbaren Leuchtmittel im Lager ein Exemplar mitgebracht – auch wenn das bedeutet, dass sie einen Extraweg in Kauf nimmt, um die nicht passenden zurückzubringen. Es sind dies: drei weitere Glühlampen mit dem selben Sockel, nur in anderen Wattstärken, zwei Glühlampen mit kleinerem Sockel und zwei Energiesparlampen mit quadratischem Stecksockel. Sie werden genau in dieser Reihenfolge und unter zunehmender Resignation durchprobiert: Erst die drei mit dem Drehsockel groß, dann die beiden mit dem Drehsockel klein.

Missmut macht sich breit. Erst bei der ersten Energiesparlampe hellt sich das Gesicht am oberen Ende der Leiter auf: „Hey, die sieht ja aus wie die, die wir rausgenommen haben!“ Der Schichtleiter vergisst vor Freude fast wieder die Balance, doch die Begeisterung ist nur von kurzer Dauer: Die Lampe ist zu klein, passt nicht in den Sockel. „Gib mal die letzte“, sagt der Kollege oben, und es ist kaum noch Hoffnung in seiner Stimme. „Lass gut sein“, sagt der Schichtleiter, „wenn die anderen nicht passen, passt die auch nicht. Wir fragen Chef am Montag“. Doch der Kollege oben riskiert nicht seit 20 Minuten sein Leben und hat vier Pflaster an den Fingern, um jetzt den letzten Strohhalm vorbeischwimmen zu lassen. „Gib schon her“, beharrt er, steckt die Lampe in den Sockel, sie passt – und bleibt dunkel. „Du muss sie tiefer reindrücken“, sagt der Chef. Das tut der Kollege, fasst sie aber wieder am Glas an. Kurzes Leuchten, dann ein Schrei, Scherben, Quecksilberqualm. „Na wenigstens war es die richtige“, sagt die Kollegin mit der Vorliebe fürs Lager, „ich hol noch eine und sag Katrin, sie soll Pflaster bringen.“

Geistesgegenwärtig hat auch der Schichtleiter die Lage analysiert und fordert bei der fünften Kollegin erneut den Lappen an. Auf die Idee, die Lampe am Plastikfuß zu berühren, kommt niemand. Muss auch niemand. Mit vereinten Kräften gelingt es im nächsten Anlauf ganz zufällig. Nach nur einer halben Stunde, sieben Pflastern und mit Hilfe von fünf Kollegen hat die Crew eine Energiesparleuchte gewechselt. „Was für ein Tag“, sagt der Schichtleiter, tief ausatmend. Dann verteilt er die Aufgaben zum Wegräumen von Leiter, Tritthocker, nicht passenden Lampen, Scherben und Pflasterresten. Das gelbe Schild klappt er eigenhändig zusammen.
Was bleibt, ist ein Hauch Quecksilberduft über der Küche.

Veröffentlicht am 10. März 2013

Risiken und Nebenwirkungen

Samstag, 6. Juni 2015

Ich mag meinen Hausarzt. Wirklich. Er hört tatsächlich zu, nimmt sich Zeit, stellt differenzierte Diagnosen. Doch vor das Gespräch mit dem Arzt haben die Götter die Tresenkraft gesetzt. Nach einer statistisch abgesicherten, repräsentativen Studie, durchgeführt von – nunja: mir, verhält sich die Abwehrgewalt der Praxisschwester direkt proportional zur Freundlichkeit des Arztes. Als ich ob fieser Nebenwirkungen eines Medikaments dieser Tage meinen zuhörenden Arzt konsultieren wollte, scheiterte ich. Mal wieder. Vermutlich werden Praxishilfen irgendwo industriell gefertigt, in einem Werk, in dem auch Kampfdrachen der Einsatzklasse gezüchtet werden. Dort lernen sie, wie man den Zugriff auf den Arzt verteidigt, als gelte es den Weltfrieden. Das Fatale daran ist: Vermutlich kann sich der Arzt nur deshalb soviel Zeit nehmen, weil er diesen Drachen beschäftigt. Ein Dilemma. Der Arzt lagert seine dunkle Seite an den Tresen aus und produziert so eine Nebenwirkung, vor der keine Packungsbeilage warnt.

Märkische Gastlichkeit

Mittwoch, 6. Mai 2015

Ein Restaurant, irgendwo dort, wo die Mark am schönsten ist. Es gibt etwas mit einem Kollegen zu feiern. Und es gibt Spargel. Mit Zander. Wunderbar – auf der Haut gebraten, außen kross, innen saftig. Fehlt nur noch ein passender Weißwein zum Glück. Aber so ist das mit dem Glück – es versteckt sich gern. Die Karte listet Bier, Schnaps und Sekt, dann endet sie abrupt. Nun gut. Wir haben einen Beruf mit Kommunikationshintergrund, also kommunizieren wir. Freundlicher Wink zur Kellnerin.
„Haben Sie auch Wein?“
„Ja.“
(Innerer Klaps auf den Hinterkopf. Jan, du bist in deiner Heimat. Hier sagt man auch „ja“ und geht weiter, wenn du fragst, ob jemand eine Uhr dabei hat, statt dir die Zeit zu nennen. Frag halt richtig!)
„Nur, weil in der Karte keiner steht.“
„Wir haben aber welchen.“
„Schön.“
„…?“
„Ähm… was haben Sie denn?“
„Roten und weißen.“
„…?“
„…!“
„Es soll zum Spargel schon weißer sein. Was bieten Sie da genau?“
„Trocken und halbtrocken.“
(Okay, Jan, sieh ein, du hast verloren:)
„Dann unbedingt den trockenen, bitte!“
Die Kellnerin, im Weggehen, mit dem Rücken zum Gast: „Ist auch ein guter. Ein österreichischer Kerner. Sortentypisch. Feine Säure, gute Frucht.“
Dumpfes Geräusch, als mein Kopf auf die Tischplatte aufschlägt.
Ich liebe mein Heimatland.
Meistens.

Paranoia für Profis

Freitag, 21. November 2014

Mit dem Verfolgungswahn ist das eine zweischneidige Sache: Eine skeptische Grundhaltung ist grundsätzlich gut, doch professionelle Paranoia ungerecht, gefährlich und selbstzerstörerisch? Die vergangene Woche bot ein buntes Potpourri zwischen beiden Extremen, und wir überlassen es gern Ihnen, die jeweiligen Ereignisse auf der Skala von „Völlig richtig!” bis „Total daneben!” einzuordnen. Im Folgenden unsere Nominierten:

Kandidat eins: Die Zaunverschwörung . Vor einem winzigen Teilstück des umstrittenen döpfnerschen Zauns rund um den Park der Villa Schlieffen ließ die Stadt am Montag vier Zaunfelder aufstellen — weil dort das „Straßenbegleitgrün” (für Nichtverwaltungsleute: Rasen) am Hang instandgesetzt werden müsse und diese Baustelle der Absicherung bedürfe, sagt die Stadt. Die korrespondierende Verschwörungstheorie ist — das sind sie meistens, die Verschwörungstheorien — etwas komplizierter: Sie geht davon aus, dass der Baubeigeordnete mit der Bürgerinitiative gegen den Zaun (BI) sympathisiert. Die BI plakatiert ihren Protest ja gern am Bauzaun, was illegal ist. Fortgeschrittene Verschwörer sagen nun, der Baubeigeordnete habe seine Verwaltung angewiesen, einen Zaun vor den Zaun zu stellen, weil dieser dann öffentlich wäre und damit die BI legal plakatieren könnte. Alles klar? Gut. Dann arbeiten Sie jetzt nur noch die Information ein, dass die Stadt auch an diesem Zaun keinerlei Plakate duldet und einen Antrag der BI auf eine Plakatierungsfläche im öffentlichen Raum abschlägig beschied. Aber wer weiß schon, ob das stimmt oder einfach nur behauptet wird, um die Öffentlichkeit zu täuschen?

Kandidat zwei: Das Mercure-Mirakel . Da wurden sieben renommierte Landschaftsarchitekten damit beauftragt, den Lustgarten schöner zu machen, zu beleben und ihn mit dem Schloss zu einem Ensemble wachsen zu lassen. Nun legen sie ihre ersten Entwürfe vor und — große Überraschung! — keiner kann sich vorstellen, dass ein Ensemble aus Schloss und Garten das Plattenbauhotel verträgt. Auch hier haben Sie jetzt zwei Möglichkeiten: Sie können einfach davon ausgehen, dass quer zur Achse stehende rostige Plattenbauten bei Landschaftsplanern selten Anklang finden oder die komplexere Theorie zu Rate ziehen, nach der entweder 1. die böse Stadt nur Büros ausgewählt hat, die keine Platten mögen, 2. die Büros neben der offiziellen Aufgabenstellung noch eine inoffizielle bekommen haben, nach der sie das Hotel unbedingt ausradieren müssen oder 3. dem Linkenfraktions-Chef folgen, der sagt, die Bürgerwerkstatt zum Lustgarten sei manipuliert, Stimmen zum Erhalt des Hotels würden systematisch unterdrückt und solche zum Abriss systematisch bevorzugt.

Keinerlei Verschwörungstheorie brauchen Sie übrigens, wenn Sie einfach nur feststellen, dass der ganze Workshop von vornherein ein rund 520 000 Euro teures Feigenblatt zur Legitimation des Hotelabrisses ist. Das haben wir schon mehrfach so kommentiert. Und wir sind natürlich jedweder Paranoia von Berufs wegen völlig unverdächtig.

Spaßverderber überall — und der Norden entschwebt

Samstag, 1. November 2014

Der Begriff Schaumschläger gilt gemeinhin als ein wenig negativ besetzt. Hobbyfotografen, Kinder und Erwachsene, die sich das Kindliche bewahrt haben, dürften am Dienstagabend kurzzeitig anderer Meinung gewesen sein, als ein Spaßvogel mit einer Flasche Spülmittel den Springbrunnen auf dem Luisenplatz zum Überschäumen brachte: Manche knipsten, andere schlitterten und wieder andere lieferten sich eine Schaumschlacht. Nur die Stadtverwaltung zeigte mal wieder keinen Humor, die ollen Spielverderber. Die sagten doch wirklich, dass der Wasseraustausch teuer ist und viel Arbeit macht und schickten den Brunnen vorzeitig in den Winterschlaf. Kann man denn hier nicht mal öffentliches Gut fürs Privatvergnügen missbrauchen, ohne dass gleich wieder einer meckert? Spießig, diese Stadt.

Diese Spießigkeit ist nun nicht neu, Potsdam führt ja auch den zweifelhaften Ruf, Deutschlands einzige Landeshauptstadt ohne Rotlichtviertel zu sein. Und nur die parlamentarische Opposition wendet an dieser Stelle ein, dass Rot-Rot im Stadtschloss genug Rotlichtbestrahlung ergebe. Jedenfalls hatte Potsdam jetzt zumindest einen Mini-Puff im Plattenbau, und gleich gibt es wieder Spaßverderber, die dagegen protestieren, bloß weil sie keine Nacht mehr schlafen können und die Lust der anderen ihnen keine bereitet. Und natürlich macht die spaßbremsende Justiz mit und vertreibt die Damen — quasi durch den Aus-Puff. Die sind allerdings ausge-buff-t und längst in den Schlaatz weitergezogen. Wie man mit dieser Mentalität jedenfalls mehr Touristen in die Stadt bekommen will, bleibt uns schleierhaft: Schaumpartys — nö! Rotlicht — nö! Kinder, so geht’s nicht weiter! Nur von Sanssouci könnt ihr nicht ewig leben. Da hilft auch Steven Spielberg nicht weiter. Der bleibt ein paar Wochen, und zieht von hinnen. Etwas mehr Nachhaltigkeit im Spaßleben der Stadt wäre wirklich wünschenswert.

Bei größeren Projekten die Bürger zu befragen, ist eine sehr gute Idee. Sie sind die Experten vor Ort und haben nicht selten Ideen, auf die Stadtplaner am Schreibtisch nie kämen. Auf Bürgerversammlungen hingegen kann der Beobachter schnell Freund der repräsentativen Demokratie werden. Schwächere Gemüter wünschen sich in diesen Momenten sogar eine Diktatur. Zu theoretisch? Gut: Dass der Verkehr von und nach Norden ein Problem ist, für das bislang niemand eine Lösung hat, ist weidlich bekannt. Dass die Idee des Baudezernenten, den Autofahrern mittels Staus ihr Gefährt so sehr zu verleiden, dass sie freiwillig Rad oder Bus fahren, auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, ebenso. Doch was tun? Eine U-Bahn schlug allen Ernstes jemand auf einer Bürgerversammlung vor, und als man ihm erklärte, dass das wohl etwas teuer würde, schwenkte er auf Schwebebahn um. Wir meinen: Warum nicht gleich den Transrapid, von dem hat man lange nichts gehört. Und Großtrappenvorkommen zwischen Potsdam und Golm sind bislang auch nicht bekannt.

Aus der selben Feder stammt auch die Idee, in Golm eine Kita zu errichten, um einen sonst von Überbauung bedrohten Bolzplatz zu retten. Das ist eine wunderschöne Logik. Mit ihr könnte man auch eine Hauptfeuerwache in Golm bauen, um den Löschteich nicht austrocknen zu lassen. Oder einen Springbrunnen, weil noch eine Flasche Spüli übrig ist.

Diskriminiert im Parkhaus

Donnerstag, 30. Oktober 2014

Da wird nun im Alltag alles auf Gedeih und Verderb „durchgegendert”, auf dass die Gleichstellung von Frau und Mann auch in der Sprache vollzogen sei, da wird — deshalb „Verderb” — jedwede Sprachlogik und -schönheit missachtet. Von „Studierenden” und „Arbeitenden” wird gefaselt, obwohl doch Studenten und Arbeiter gemeint sind, denn „studierend” ist nur, wer gerade in Hörsaal oder Bibliothek sitzt, Student hingegen jeder an einer Uni eingeschriebene und „arbeitend” nur, wer gerade jetzt arbeitet, sobald er aber Feierabend hat, wird aus dem Arbeitenden ein Arbeiter. Da müssen wir das Binnen-I erleiden, das spätestens beim Aussprechen plötzlich die Männer diskriminiert („MitarbeiterInnen”) und der Verweis darauf, dass es im Deutschen nicht ohne Grund ein geschlechtsneutrales Maskulinum gibt, das Mann getrost verwenden kann, verhallt ungehört. Da passiert all das, und dann findet sich plötzlich im Parkhaus der Bahnhofspassagen das Schild „Frauenstellplatz” — fünf Zentimeter über der Mülltonne angebracht. Wären die Gleichstellungsbeauftragten dieses Planeten nicht mit der Verhunzung der Sprache ausgelastet, hier böte sich ihnen mal ein echtes Betätigungsfeld.

Allein auf verlorenem Lustposten

Samstag, 25. Oktober 2014

Wer nichts hat, der ist in der Regel neidisch auf die, die was haben. Das ist menschlich, aber auch tragisch: Kaum ist der soziale Abstieg da, schießt sich der Abgestiegene mit dieser wenig sympathischen Regung noch weiter ins Aus. Nun ist das keine neue Erkenntnis, doch sie wurde von der FDP — die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern, das ist eine Partei, die früher in vielen Landtagen und sogar im Bundestag vertreten war — in dieser Woche mustergültig durchexerziert hat.

Fast wäre uns deren Mail durchgerutscht, da niemand mehr etwas mit dem Kürzel FDP anfangen konnte, aber ein Redaktions-Urgestein erinnerte sich dann dunkel, also schauten wir hinein — und lernten. Als erstes lernten wir, dass der Oberbürgermeister demnächst eine Lustreise macht. Doch, wirklich, das steht da so. Und zwar nach Sansibar. Dass er dahinfliegt, wussten wir längst, dass es eine Lustreise ist, nicht. Wir kannten als Lustreise-Destinationen bislang nur Thailand und einige Gegenden in Lateinamerika, in denen Menschen in übel beleumdeten Gegenden ihr Geschlecht gegen Bares feilbieten. Aber gut, wir sind ja Journalisten geworden, weil man in dem Job täglich dazulernt.

Dann lernten wir, dass diese Reise unglaublich teuer sein muss. Die FDP verweist nämlich darauf, dass die Lustreise angesichts der Bettensteuer, des fehlenden Geldes für Kitas und Verkehr, „unvertretbar” ist. Nun tritt der Oberbürgermeister ja nicht dahin, sondern er fliegt, und wenn es denn wirklich eine Lustreise ist, so dürfte sie dem Verkehr ja durchaus förderlich sein (Fremdenverkehr, Luftverkehr), aber sei dem, wie ihm wolle, wenn ein Verzicht auf die Reise wirklich die Bettensteuer überflüssig macht und dafür sorgt, dass die Kitas, die ja allein mithilfe von Lust am Verkehr gefüllt werden, besser finanziert werden können, sind wir auch entschieden gegen die Reise. Lust hin oder her. Wie sie mit 11 400 Euro Kitas, Verkehr und Betten finanzieren will, sagt die FDP indes leider nicht. Auch finden wir es ungewöhnlich, dass man Lustreise mit der Ehefrau antritt, aber da sind sie halt liberal, die Liberalen.

Besonders peinlich sei, dass die Reise mit dem Ziel einer Klimapartnerschaft begründet würde, fährt die FDP fort. Wer das Klima schützen wolle, dürfe nicht um die halbe Welt fliegen. Wir haben dieses Argument mal kurz zu Ende gedacht und sind drauf gekommen, dass es dann auch keine Klimakonferenzen mehr gäbe, denn es ist eher unwahrscheinlich, dass über 200 Staats-Chefs zu den jeweiligen UN-Gipfeln geradelt kommen. Auch meinen wir uns zu erinnern, dass die FDP einst, als sie noch mitregierte, 50 Klimapartnerschaften mit südlichen Staaten forderte. Heute indes fordert sie von der Stadt, den „ökologischen Fußabdruck” zu berechnen, den der Oberbürgermeister auf seiner Reise hinterlässt. Wie man einen Fußabdruck bei etwas hinterlassen soll, das „unvertretbar” ist — und zu dem man fliegt, nicht läuft —, das haben wir zwar auch nicht verstanden, aber das hat sicher wieder was mit Verkehr zu tun.

Auffallend bleibt in jedem Fall, dass von 56 Stadtverordneten nur der eine FDP-Abgeordnete etwas gegen die Reise zu haben scheint. Alle anderen, selbst die Opposition, selbst jene in der Opposition, die alles, was vom Oberbürgermeister kommt, schon deshalb ablehnen, weil es vom Oberbürgermeister kommt, selbst wenn sie es kurz zuvor noch selbst vorgeschlagen haben — alle 55 anderen also, sie haben Lust auf die Partnerschaft in Sachen Klima und Verkehr.

Einfach mal Mut zum Weglassen fassen

Samstag, 20. September 2014

Manchmal sind es ja die kleinen Meldungen, die die großen Trends enthalten. So war dieser Zeitung in dieser Woche zu entnehmen, dass es in Nuthetal einen Informationsabend für Eltern gibt. Dort erfahren sie, was sie „einfach mal weglassen sollten, um weniger schwierig zu sein”. Wir finden: Das ist eine interessante Frage, die sich nicht nur Eltern stellen sollten. Man kann so vieles weglassen und wird dann gleich viel angenehmer für seine Zeitgenossen. Und für sich selbst.

Den besten Beweis lieferte noch am selben Tag der Polizeibericht: Demzufolge wollte ein 30-Jähriger in Potsdam einen sehr handfesten Streit schlichten und bekam beim Versuch ordentlich eine — sehen Sie uns die grobe Formulierung nach, es ist dies ein Fakt — aufs Maul. Hätte er diese völlig überflüssige Bemühung doch einfach mal weggelassen, die Streitenden hätten ihn als deutlich weniger schwierig empfunden. Und der Schlichter müsste jetzt nicht morgens seine Zähne nachzählen.

Gerüchten zufolge wollte die Stadtverwaltung in dieser Woche gegen einen Zaun rund um einen Park vorgehen, der dort eine Baustelle schützt. Das entsprechende, geharnischte Schreiben an den prominenten Bauherren wurde aber noch rechtzeitig kassiert, als sich die Presse zu interessieren begann. Schließlich saniert der Mann auf eigene Kosten ein Stück Weltkulturerbe, was die Schlösserstiftung mit eigenen Mitteln nicht gekonnt hätte. Gerade gegenüber prominenten Einwohnern möchte die Stadt sehr gern weniger schwierig sein, denn andernfalls werden die sehr schnell weniger großzügig. Da ist das wohlgezielte Weglassen von bösen Briefen ein probates Mittel.

Einfach mal weglassen könnten auch diverse Interessengruppen diverse Studien, die objektiv erhobene Daten so präsentieren, dass sie ins Kalkül des Auftraggebers passen. Die Immobilienfinanzierungstochter der Postbank etwa hat die Preise und die zu erwartende Wertsteigerung von Eigentumswohnungen in ganz Deutschland vermessen lassen. Aus diesen Daten hat sie dann geschickt zweierlei abgeleitet: In Regionen, wo Wohnungen billig sind — und daher auch bis 2025 nicht an Wert gewinnen oder sogar verlieren werden, empfiehlt sie dringend den Kauf, denn hier könnten selbst Geringverdiener die Finanzierung (bei wem wohl?) leichterhand stemmen. In Regionen, wo Wohnungen indes sehr teuer sind — Potsdam hat es hier im gesamten Osten mal wieder auf einen beklemmend schönen zweiten Platz gebracht —, empfiehlt sie dringend den Kauf, denn hier ist die Wertsteigerung so hoch, dass sich auch eine etwas aufwendigere Finanzierung (beim wem nur?) rechnet. Und in Gegenden, wo die Wohnungen mittelteuer sind und einen „ausgewogenen Chancen-Risiken-Mix” bieten, da empfiehlt sie überraschend — den Kauf! Denn hier stehen Finanzierungsaufwand (beim wem denn nur?) und Wertzuwachs in einem sehr gesunden Verhältnis. Blöd für die Postbank ist nunr, dass Journalisten Pressemitteilungen nicht einfach aus der E-Mail in den Artikel kopieren, sondern so umschreiben, dass der Leser das einordnen kann. Wenn man die Journalisten einfach wegließe, wäre Pressearbeit vermutlich auch weniger schwierig. Sorry, Jungs!

Glauben wir noch einmal dem Polizeibericht, dann können manche auch einfach mal etwas weglassen, wenn es schwierig wird. Das ist eine Spielart des selben Prinzips für Fortgeschrittene. Genauer gesagt: Für Fortgelaufene. Als nämlich am Mittwoch ein Rollstuhlfahrer bei roter Ampel die Straße in der Innenstadt überquerte und mit einer notbremsenden Tram zusammenstieß, ließ er das Gefährt einfach zurück und flüchtete zu Fuß. Ob es sich jetzt um Fahrer- oder Läuferflucht handelt, diese Information lässt die Polizei leider weg. Vermutlich, weil es zu schwierig zu ermitteln ist.

Wunder moderner Kommunikation

Mittwoch, 20. August 2014

Da ruft mich kürzlich jemand an, mir eine Telefonnummer durchzugeben. Er erwischt mich im Auto, weshalb der Anruf über Bordlautsprecher und -mikro abgewickelt wird, denn das Handy hat sich brav drahtlos mit dem Autoradio verbunden. Ich habe weder eine Hand frei noch einen Kuli in Griffnähe und bitte daher darum, die Telefonnummer per SMS zu senden. Das gehe nicht, sagt der Anrufer, denn er rufe aus dem Festnetz an. Dann möge er die Nummer doch nach dem Gespräch per Handy senden, schlage ich vor. Der Anrufer muss auch hier passen: Da, wo er gerade sei, habe er kein Netz. Deshalb rufe er ja im Übrigen vom Festnetz aus an. Kurze Ratlosigkeit auf beiden Seiten, die sich in meiner Frage löst, ob er mir eine E-Mail mit der Nummer senden könne — oder gebe es dort auch kein Internet? Doch, Internet gebe es. Hörbare Erleichterung. Wir haben eine Lösung. Die Mail kommt dann auch. Allerdings erst am nächsten Tag und: leer. Schon will ich resigniert zurückrufen — per Festnetz, versteht sich, mit gezücktem Kuli — da entdecke ich, dass die Mail einen Anhang im Gepäck führt — ein Bild. Ich öffne es und sehe: die gewünschte Nummer, eingescannt von einem handgeschriebenen Zettel. Lang lebe die Technik!


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