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Freibier statt Wegzugsprämien

Freitag, 8. Februar 2008

Aschermittwoch: Linkspartei und SPD dienen der CDU als Zielscheiben / Hilke und Pflüger geben sich angriffslustig

Rund 900 Gäste kamen zum politischen Kehraus der CDU nach Doberlug-Kirchhain. Es war der erste mit Ulrich Junghanns als Hauptredner.

DOBERLUG-KIRCHHAIN Der Mann von der CDU-Ortsgruppe Elsterland nimmt gleich drei Freibier, denn er will auf Nummer sicher gehen, was einen unterhaltsamen Abend angeht: „Beim Schönbohm“, sagt er entschuldigend, „war’s immer amüsant. Der Uli ist zwar ein guter Mann, aber kein Gute-Laune-Drops.“ Dass viele Parteimitglieder diese Auffassung über ihren Vorsitzenden Ulrich Junghanns teilen, muss bezweifelt werden: Von Beginn an ist die Stadthalle in Doberlug-Kirchhain (Elbe–Elster) gut gefüllt. Mit 500 Gästen hat die CDU gerechnet, fast 900 sind gekommen. Vielleicht ist es Neugier darauf, wie sich Junghanns bei seinem Aschermittwochs-Debüt schlägt, vielleicht ist die Lust auf zünftige Generalabrechnung bei Bier, Brezeln und Blasmusik auch nach einer Zwangspause im Vorjahr gewachsen: Infolge der E-Mail-Affäre fiel der Politische Aschermittwoch der märkischen CDU 2007 aus.
Zunächst stürmt Generalsekretär Rolf Hilke für ein zehnminütiges Grußwort auf die Bühne – und sichert sich sogleich Aufmerksamkeit: „Die SPD plant eine Einöde im Süden Brandenburgs, sie will ihn verwildern lassen“, ruft er. „Doch bei der CDU gibt’s keine Wegzugsprämie, sondern Freibier fürs Kommen.“ Hoppla, da reiben sich einige im Saal die Augen. Das geht ja munter los. Und Hilke legt nach: „Die Linke im Land schnürt munter Wünsch-Dir-was-Pakete, und die SPD rennt blind hinterher. Doch egal, wie schnell sie läuft, die Linke ist immer schon da.“ Da hat Hilke einen Rat für den Koalitionspartner: „Wer sich parfümiert neben einen Misthaufen stellt, lässt den nicht besser riechen. Er fängt nur selbst an zu stinken!“ So geht es weiter. Applaus im Saal, Erstaunen, Begeisterung. „Das waren die längsten zehn Minuten des heutigen Abends“, sagt der Moderator, denn Hilke hat sich 20 Minuten lang in Form geredet. Was der Moderator nicht wissen kann: Unterhaltsamer wird es nicht mehr.
Ulrich Junghanns gibt sich aber redlich Mühe. Der Satz „Es gibt viele Themen, die man ansprechen müsste“, gehört dennoch nicht zu den eindrucksvollsten Eröffnungen. Dann ist er erstmal bei der Lage in Hessen, bevor er zur märkischen SPD kommt: Ihr hält Junghanns vor, derzeit Eintrittskarten für die nächste Regierungskoalition zu verteilen: „Mindestens der Mindestlohn ist offenbar gefordert“, ruft er und warnt vor Rot-Rot in der Mark. Zur Situation in seiner Partei sagt Junghanns, „in der Brandenburger CDU unter Prinz Ulrich kann man sich wohlfühlen“. Falls das Ironie war angesichts des Machtkampfes mit Ex-Generalsekretär Sven Petke, lässt er es sich nicht anmerken. Am Schluss versucht Junghanns dann noch einen Witz über dicke Märker. Niemand lacht. „Das mit den Scherzen, das sollte er lassen“, diagnostiziert der Mann aus dem Elsterland trocken über seinen leeren Biergläsern. Ganz anders Berlins CDU-Fraktions chef Friedbert Pflüger. Der kommt zwar deutlich zu spät aus Köln – die Band spielte, um die Zeit zu dehnen, schon den „Holzmichl“ – steht aber ab dem ersten Wort auf dem Gaspedal. „Seien Sie stolz auf Ulrich Junghanns. Er ist der erfolgreichste Wirtschaftsminister der neuen Länder. Brandenburg hat mehr Wachstum als Berlin“, ruft er. Jubel. „Berlin und Brandenburg gehören zusammen!“ Tosender Applaus. Als er ein „tugendhaftes, bescheidenes Preußen“ beschwört, das Werte wie „Anstand, Ehre und Pünktlichkeit“ zu schätzen wisse, gibt es stehende Ovationen. Dass Pflüger die Gäste warten ließ, ist vergessen. „Das Land sollte von niemandem regiert werden, der diese Tugenden als Sekundärtugenden disqualifiziert, als Tugenden, mit denen man auch ein KZ führen könnte“, ruft Pflüger, mittlerweile seines Jackets entledigt, in Anspielung auf ein uraltes Oskar-Lafontaine-Zitat. Zum Schluss kommt er noch zu seinem Lieblingsthema: dem Weiterbetrieb des Flughafens Tempfelhof. „Ich danke Uli Junghanns, Sven Petke und Jörg Schönböhm, dass sie sagen, wir brauchen Tempelhof weiterhin“, ruft er. „ Tempelhof gefährdet Schönefeld nicht. Das steht weder im Grundgesetz noch in den zehn Geboten.“

Erschienen am 08.02.2008

Beste Noten für Gransee

Dienstag, 5. Februar 2008

Zeugnisse: Schüler geben im Internet Zensuren / Beliebtester Lehrer lehrt in Strausberg

STRAUSBERG/GRANSEE Es ist ein Halbjahres-Zeugnis, auf das Achims Eltern stolz sein können: Acht Einsen und zwei Zweien weisen den Strausberger (Märkisch-Oderland) als Musterschüler aus – Gesamtnote: 1,3. Beliebt ist er, cool und witzig, stets kompetent, fair, gut vorbereitet, beliebt und menschlich. Dass sein Zeugnis so gut geworden ist, hat Achim allerdings erst von Journalisten erfahren, die ihn anriefen und eine Reaktion erwarteten. Das mag daran liegen, dass Achim, der mit vollem Namen Hans-Joachim Baumert heißt und zudem einen Doktortitel trägt, gewohnt ist, Noten zu vergeben statt zu empfangen. Er ist Lehrer für Kunst, Geschichte und Lebenskunde-Ethik-Religion (LER) an zwei Strausberger Schulen: dem Theodor-Fontane-Gymnasium und der Anne-Frank-Oberschule. Und er ist Brandenburgs beliebtester Lehrer – zumindest wenn es nach dem Schülervotum geht, das 42 Jungen und Mädchen auf dem Internetportal „SpickMich.de“ hinterlassen haben. Dort dürfen seit einiger Zeit Schüler Noten für ihre Lehrer vergeben.
Regelmäßig zur Zeugnisausgabe ruft „SpickMich.de“ die rund 500 000 Schüler, die auf dem Portal angemeldet sind, zur Benotung auf. So lassen sich nicht nur die beliebtesten Lehrer, sondern auch die beliebtesten Schulen ermitteln. In Brandenburg führt das Strittmatter-Gymnasium in Gransee (Oberhavel) die Rangliste mit einer Gesamtnote von 2,2 an. Die besten Zensuren gab es für das moderne Schulgebäude (1,7), die Stimmung unter den Mitschülern und die Schulleitung (je 1,9), kritischer wurden hingegen die Mitbestimmungsmöglichkeiten (3,0) eingeschätzt. Schulleiter Uwe Zietmann bekannte, sich „erstmal gefreut“ zu haben, räumte aber Schwierigkeiten bei der Einordnung des Ergebnisses ein. „Es ist eine interessante Rückmeldung, die wir aber mit aller Vorsicht genießen“, sagte er.
„Lehrer verteilen täglich Noten. Es ist immer wieder erstaunlich, wie empfindlich manche sind, wenn sie selbst bewertet werden“, sagt Bernd Dicks von „SpickMich.de“. Einige Schulen hätten bereits mit Verweisen, Geldstrafen und der Polizei gedroht, falls Schüler an der Online-Bewertung teilnehmen. Durchsetzen können sie das nicht: Die Stimmabgabe im Internet ist anonym. Brandenburgs Lehrer haben ohnehin wenig Grund zur Klage: Mit einem Gesamtnotendurchschnitt von 2,6 liegen sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

INTERVIEW „Ein Wahnsinnsdurchschnitt“
Achim Baumert ist Brandenburgs beliebtester Lehrer. Mit ihm sprach Jan Bosschaart .

MAZ: Hat das Zeugnis einen Ehrenplatz bekommen?
Achim Baumert: Ich habe es noch gar nicht bekommen, es ist noch unterwegs.

Wie war Ihre erste Reaktion?
Baumert: Wenig überraschend: Ich habe mich sehr gefreut! Ist doch ein Wahnsinnsdurchschnitt, den ich erreicht habe. (lacht)

Welche Noten freuen Sie besonders?
Baumert: Die Einser in Fachkompetenz und Menschlichkeit. Und dass ich für witzig gehalten werde, denn das entspricht meinem Naturell.

Die Lehrerbewertung sehen viele kritisch – Sie auch?
Baumert: Nach diesem Ergebnis – wohl kaum. Es ist nur fair, wenn die Schüler sich auch artikulieren dürfen.

Erschienen am 05.02.2008

Harte Zeiten für den Weihnachtsmann

Dienstag, 18. Dezember 2007

Bescherung für schwierige Kinder

INNENSTADT Aufsagen mag Angelo nichts, singen auch nicht, und das Bedanken ist seine Sache nicht. Das Geschenk nimmt er aber gern, er trägt es stolz zu seinem Platz, selbst der Inhalt scheint ihm zu behagen: die Augen leuchten. Das muss genügen: Dem Kakao und dem Stollen sprechen die 16 Kinder im weihnachtlich geschmückten Speisesaal des Steigenberger-Hotels Sanssouci ordentlich zu, mit einem „Danke!“ der Kinder dürfen Marketingdirektorin Manuela Völske und ihre Helferinnen aber nicht rechnen. Das übernehmen die Betreuer – wie Christian Groß, Leiter der Tagesgruppe der Awo: „Die Kinder kommen aus schwierigen Familien, die meisten haben eine traumatische Vorgeschichte und Verhaltensstörungen. Viele waren im Hort nicht mehr tragbar, aber in festen, kleinen Strukturen wie unseren Gruppen kommen sie erstaunlich gut klar“, sagt er. Das gilt auch für die Schützlinge des Jugendhilfeverbandes, die ebenfalls teilnehmen. Seit vier Jahren organisiert das Steigenberger diese Nachmittag: Die Kinder schreiben Wünsche auf Postkarten, Hotelgäste und Potsdamer pflücken diese vom Weihnachtsbaum, kaufen ein, und geben die Geschenke – Schminksets, Fußbälle, Schwimmbrillen und ferngelenkte Autos – an der Rezeption ab. Obschon das Steigenberger bei übrig bleibenden Kärtchen einspränge, war das nie nötig: Alle Wünsche wurden bislang erfüllt. Da hat es der Weihnachtsmann schon schwerer: Als Autoritätsperson muss er eine Menge Aggression aushalten. Doch er nimmt es natürlich mit Humor: „Hier bin ich immer nur Weihnachtsmann-light“.

Erschienen am 18.12.2007

Filzer, Färber, Fellhändler

Samstag, 1. Dezember 2007

Böhmischer Weihnachtsmarkt lockt mit rustikal-mittelalterlicher Atmosphäre / Schon am ersten Abend überrannt

BABELSBERG Angelina wartet nicht auf den Weihnachtsmann. Angelina wartet auf Timo. An den Glühwein-Stand gelehnt, schafft sie das Kunststück, zugleich gelangweilt und genervt auszusehen. Ihrer Freundin gelingt das nicht, obwohl sie redlich versucht, sich Angelina in Kleidung, Haltung und Frisur anzugleichen. Von der Eröffnung des Böhmischen Weihnachtsmarktes um sie herum nehmen die beiden 15-Jährigen nur insofern Notiz, als er ihnen als Bühne dient. Gesehen werden lautet das Motto.
Gehört werden wollen hingegen die vier Tschechen des Ambrosia-Quartetts, die mit zwei Flöten und zwei Trommeln auf der Bühne musizieren. Doch auch das ist schwer: Während die Herren mit ihren Schlaginstrumenten noch zu vernehmen sind, flöten die Damen hilflos gegen den Marktlärm an, gegen Musik aus den Buden und die Gespräche der Besucher. Ihr „Stille Nacht“ verpufft ungehört.
Es ist Freitagabend, kurz vor 18 Uhr, das heißt: kurz vor Stollenanschnitt, und der Markt, der in diesem Jahr erstmals schon am Freitag beginnt, ist rappelvoll mit gut gelaunten Potsdamern, die sich dick eingepackt zwischen 108 Ständen entlangschieben. Bis auf Angelina und ihre Freundin. Die sind bauchfrei erschienen. Das Thermometer an der Glühweinbude, die ihnen als Stütze gilt, zeigt 5 Grad. Von Timo keine Spur. „Der ist bestimmt auf der Brandenburger“, schlägt die Freundin vor, „der Markt ist eh cooler. Mehr Läden da und so.“
Was die Läden angeht, hat sie nicht unrecht: Während auf der Flaniermeile sich Imbissbude an Imbissbude reiht, setzt der Böhmische Weihnachtsmarkt auf traditionelles Handwerk: Schmiede und Sternenfalter, Filzer und Färber, Märchenerzähler und Maroni-Kocher, Kerzenziehen und Kettenfädeln, Fellhändler, Wahrsager, Handleser und Lebkuchenbäcker haben ihre Buden aufgeschlagen.
Auf die Bühne kommt Bewegung: Oberbürgermeister Jann Jakobs ist eingetroffen und freut sich ins Mikrofon, dass sein Wunsch nach drei Tagen Böhmischer Weihnachtsmarkt erhört wurde. Nicht immer würden seine Wünsche so schnell umgesetzt, sagt er. Burkhard Baese, Sprecher der AG Babelsberg, die den Markt quasi erfunden hat, freut sich hingegen darüber, dass der Markt im Weberviertel zwischen all den alten Handwerkerhäusern immer niveauvoller und atmosphärischer wird und es auch mit dem arg hochgejubelten Berliner Pendant am Schloss Charlottenburg aufnehmen kann. Den hat sich Baese diese Woche mal angesehen – zu Vergleichszwecken. Sein Fazit: „Der hat nicht diese Atmosphäre.“ Baese freut sich auch, dass immer mehr Babelsberger sich einbringen, dass das Kulturhaus das Programm auf der Bühne gestaltet, dass mit Simone Kabst zum ersten Mal eine „böhmische Kristallfee“ zu sehen ist und dass der Markt schon am ersten Abend so überrannt ist, dass einige Händler sich ärgern, den Aufbau ihrer Stände auf Sonnabend verschoben zu haben. „Jedes Jahr ein Stückchen besser“, sagt er.
Nur Angelina, die freut sich nicht. Timo ist immer noch nicht da, und die restlichen Besucher haben mehr Augen für den korpulenten Weihnachtsmann als für sie. Sie wechselt den Standort: Ab in die Brandenburger.

Erschienen am 01.12.2007

Kurze Wege, lange Betreuung

Dienstag, 16. Oktober 2007

Kita in Uni-Nähe eröffnet / Betreiber plant schon die nächste in Golm

EICHE Edwina hat beschlossen, das Konzept der Frühförderung ernst zu nehmen. Wie das so ist mit den wirklich wichtigen Entschlüssen, musste er schnell und ohne Rücksicht getroffen werden. Die Vierjährige mit den kecken Zöpfen und den tiefschwarzen Knopfaugen entschied sich für musikalische Frühförderung mit Schlaginstrumenten. Dass es ausgerechnet den Eröffnungstag der Uni-Kita an der Kaiser-Friedrich-Straße traf, mag sie bedauert haben, aber wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne. So bearbeitete Edwina stoisch die Trommel, während gestern früh Wissenschaftsministerium Johanna Wanka (CDU), Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), die Rektoren der Uni und der Fachhochschule Potsdam und andere Honoratioren von Kita-Leiterin Martina Günther durch die großzügigen Räume geführt wurden, die das Studentenwerk im Erdgeschoss des Studentenwohnheims für rund 700 000 Euro errichtet hat. 33 Jungen und Mädchen werden seit einer Woche dort von sieben Erzieherinnen und zwei Praktikanten betreut, hauptsächlich die Kinder von Studierenden und Hochschul-Angestellten. „Externe“ dürfen zwar auch in diese Kita, aber nur, wenn Plätze frei sind, und danach sieht es auf absehbare Zeit nicht aus: Die 60 Plätze für Kinder zwischen zwei Monaten und sechs Jahren sind längst vergeben, 20 Elternpaare stehen auf der Warteliste. Es scheint, als haben die Eltern nur auf so ein uninahes Betreuungsangebot gewartet. Wie Martina Günther verriet, steht der Betreiber, die Kinderwelt gGmbH, wegen des Andrangs bereits mit den Hochschulen, der Stadt und dem Studentenwerk in Verhandlung, um in Golm eine weitere Kita zu ermöglichen.
Der gestrige Nachmittag gehörte den Eltern und Kindern. Edwina war mittlerweile auf ein Becken umgeschwenkt, das sie jedem erwartungsfroh entgegenhielt, in der Hoffnung, er würde es schlagen. In der Wahl der Mittel war sie nicht festgelegt und ließ Finger, Kugelschreiber und Kuchengabeln als Schlegel gelten. Stellte sich über längere Zeit kein Impulsgeber zur Verfügung, nahm die kleine Chinesin ihre Ausbildung selbst in die Hände und bediente sich der Fensterbretter, Stuhlkanten und Tischbeine zum Scheppern. Die 17 Monate alte Lilli tappte ihr eine Weile fasziniert hinterher, als fordere sie zur Polonaise auf. Lillis Mutter Marie Wohlbrandt schaute mit einem Lächeln zu, nach einem stressigen Tag: Sie nahm gestern ihr Lehramtsstudium auf und zeigte sich glücklich, einen Kita-Platz ergattert zu haben. Die kurzen Wege und vor allem die flexiblen Betreuungszeiten von 7 bis 20 Uhr kämen ihr sehr entgegen, sagte sie. Da sie erst am Samstag nach Potsdam zog, bleibe dank Uni-Kita ein wenig Zeit, die Wohnung herzurichten.
Wenige Stunden später rüsteten Günther und ihre Kolleginnen zur dritten Feier an diesem Tag: Die Kinderwelt dankte den Helfern. Danach ging für das Team ein langer, stressiger erster Tag zu Ende. Vermutlich haben ihnen dann die Ohren geklingelt.

Erschienen am 16.10.2007

Schießerei in der Rotunde

Dienstag, 25. September 2007

Tom Tykwer ließ das Guggenheim-Museum in Babelsberg nachbauen

Dass es wirklich passte, sei die größte Sensation gewesen, sagt Produktionsdesigner Uli Hanisch. Die Suche nach einem passenden Gelände hatte er schon fast aufgegeben, doch dann kam Babelsberg: Ein alter, ein „ruinöser“ Lokschuppen, wie Hanisch betont, rettete den Plan. Dieser Plan besagte, dass für Tom Tykwers neuen Film „The International“ eine wilde Schießerei in der berühmten Rotunde des New Yorker Guggenheim-Museums notwendig ist. Aus technischen, filmischen und musealen Gründen kam ein Dreh am Originalschauplatz nicht in Frage, also musste nachgebaut werden. Doch welches Gebäude hat die Ausmaße, die Rotunde im Originalmaßstab – 40 Meter Durchmesser, 15 Meter Höhe – aufzunehmen? Die Filmstadt konnte weiterhelfen.
Doch bevor das „Gug“ in Babelsberg, wo seit gestern gedreht wird, entstehen konnte, hatten die Götter den Schweiß gesetzt: Während das Original in 16 Jahren erbaut wurde, hatte das Team um Bauleiter Dirk Grahlow nur 16 Wochen Zeit. Zunächst musste der Schuppen geflickt werden – alte Schienenstränge verschwanden unter Asphalt, das Gebäude wurde gegen Wind und Regen geschützt, große Teile des Daches bedurften einer neuen Abdichtung. Zwei Wochen teure Sanierung waren das, erzählt Hanisch, der für Tom Tykwer auch schon das Set im „Parfum“ baute. Nach weiteren vier Wochen Entwicklungszeit kam dann wieder Dirk Grahlow zum Zuge: Innerhalb von nur zehn Wochen musste die Rotunde im Lokschuppen entstehen: eine umlaufende Gerüstkonstruktion mit innenliegenden Strahlträgern. 40 Leute arbeiteten fast rund um die Uhr und sechs Tage pro Woche daran, verbauten 7000 Kubikmeter Gerüst, 3000 Tonnen Stahl und acht Kilometer Kantholz.
Das Ergebnis trägt nicht nur Dutzende von Menschen, sondern erzielt die selbe „Raumwirkung“ wie das Original, wie Uli Hanisch stolz berichtet. Guggenheim-Mitarbeiter aus New York haben sich bereits angekündigt, um sich davon zu überzeugen. Sie halfen während der Konzeptions- und Bauphase kräftig mit, etwa, indem sie Hanisch die Originalbaupläne überließen. Uli Hanisch ist vollauf begeistert: „Es hat wirklich auf 50 Zentimeter genau reingepasst“, sagt er und schüttelt noch immer ungläubig den Kopf. Dem Team von Dirk Grahlow bescheinigt er „eine Riesenleistung“, doch der drückt sich bescheiden in den Hintergrund. Auch Tom Tykwer ist begeistert. Mit Hilfe von 30 Beamern sollen Video-Kunstwerke auf ebenso vielen Leinwänden die Szene beleuchten, verrät er. Hanisch, mit dem Tykwer regelmäßig zusammenarbeitet, habe sich selbst übertroffen: „Solchen Wahnsinn hat noch niemand gemacht“, sagt der Regisseur und lächelt. Dem stimmt sogar Dirk Grahlow zu: „Das war das Komplizierteste, was ich je gemacht hab.“

Erschienen am 25.09.2007

Medien-Ethik in Europa

Samstag, 1. September 2007

Prominente Journalisten diskutierten vor dem M100-Jugendworkshop

„Mein Beileid“, eröffnete Hans-Ulrich Jörges, Vizechef des „Stern“, „sie müssen sich jetzt stundenlang langweilige Debatten anhören. Doch gewöhnen sie sich dran: Das wird ihnen noch die nächsten 50 Jahre so gehen.“ Es war eine knackige Eröffnung des M100-Jugendmedien-Workshops, die der Ankündigung scheinbar widersprach. Und so lachten sie zunächst, die 35 Teilnehmer aus zwölf europäischen Ländern und Israel, die zur Podiumsdiskussion ins Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte gekommen waren. Die 18- bis 25-Jährigen erwartete ein Podiumsgespräch über „Ethische Richtlinien für Journalismus in Europa“. Jörges im Podium ist da eine gute Idee, denn er redet nicht nur zu allen journalistischen Themen in der Öffentlichkeit gern und ausdauernd, sondern meist auch bissig und daher unterhaltsam. Und so ging es dann los: Richtlinien seien schonmal schlecht, denn sie schränkten die Pressefreiheit ein, man spräche doch besser von ethischen Standards, ließ er die Runde wissen. Ehrlichkeit, Integrität und Unabhängigkeit seien die einzigen Rezepte, verkündete Jörges. Er erklärte das so, als sei nun alles gesagt und man könne endlich zum Buffet schreiten. Doch ein wenig reden wollten die anderen im Podium doch noch. Andrea Seibel, Vize-Chefin der „Welt“, erklärte, die Tendenz zur Unterhaltung sei gefährlich. Susan Neiman vom Einstein Forum warnte die jungen Teilnehmer davor, der verführerischen Berufskrankheit Zynismus zu verfallen („Guter Journalismus gehört in die Tradition der Aufklärung!“), und Joachim Huber, Ressortleiter Medien beim „Tagesspiegel“, fasste es pragmatisch: „Lügen Sie nicht, wenn sie wissen, dass Sie lügen!“ Dann kam wieder Jörges, der wusste, dass 80 Prozent der Journalisten ohnehin schon vom Weg abgekommen und den vielen Verführungen erlegen seien. Die Gesichter der Teilnehmer wurden während dieser Debatte immer leerer – wohl auch, weil sie nicht mitreden durften. Da war es gut, dass der Journalist Mathew D. Rose dazu riet, nie den Humor zu verlieren, obwohl der Journalismus in der Krise sei. Ein Rat, den etwa Hans-Ulrich Jörges schon seit Jahren befolgt.

Erschienen am 01.09.2007

Risse in der Familie

Mittwoch, 29. August 2007

Die „Grüns“ mussten repariert werden

INNENSTADT Frau Grün hatte in letzter Zeit einige Sorgen mit der Gesundheit: Nicht nur, dass der Arm furchtbar schmerzte, auch um ihre Standfestigkeit war es schlecht bestellte – sie schwankte gewaltig hin und her, das dauernde Stehen bekam ihr gar nicht. Doch zum Glück erbarmte sich Joachim Buhlmann: Mit Keller und Kleber, Binden und Beton nahm er sich des herunter gefallenen und zerbrochenen Armes sowie des gelockerten Sockels an, und nun strahlt die Familie Grün wieder in gewohnter Eintracht auf der Ecke Brandenburger Straße/Lindenstraße den Passanten entgegen – zwar um ein paar Narben reichen, aber so ist das halt im Alter und wenn man 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche und 52 Wochen im Jahr draußen steht. Die Grüns führen ein öffentliches Familienleben, mit all den Vor- und Nachteilen. Zu letzteren gehören Vandalismus oder zumindest Unbedachtheit. „Kinder klettern darauf herum, sitzen auf den Schultern, zerren daran“, sagt Joachim Buhlmann, dessen Frau Carola die Familie 1979 schuf – und damit ein kleines Wahrzeichen Potsdams. „Dass die drei angefasst und genutzt werden, war ja auch so geplant“, verteidigte Buhlmann die jungen Kunstnutzer. Nur für echten Vandalismus und mutwillige Zerstörung hat er kein Verständnis, auch wenn er betont, dass „Halbstarke es in unserer Zeit sehr schwer haben“. Es wird nicht die letzte Reparatur an der Familie gewesen sein.

Erschienen am 29.08.2007

Wenn die Geigen wiehern

Freitag, 24. August 2007

Filmlivekonzert zu „Dick und Doof“-Streifen fordert Musikern einiges ab

„War das Moll oder Dur? Also ich hab Dur erwartet.“ Scott Lawton lässt den Taktstock sinken und grinst. Ohne Blick in die Noten kann Gert-Jan Blom aus der ersten Bankreihe bestätigen: „Es ist Dur!“ „Dann habt ihr ein sehr interessantes Dur gespielt“, sagt Lawton, wieder seinem Orchester zugewandt. Die Musiker zucken mit den Schultern und schauen konzentriert auf ihre Notenblätter. Es funktioniert noch nicht alles, aber schon das meiste bei der Generalprobe zum „Filmlivekonzert Dick und Doof“ im Nikolaisaal, das heute Abend dort erklingen wird. Scott Lawton hat das Deutsche Filmorchester Babelsberg bestens im Griff, und er wird von zwei Profis in Sachen Filmmusik der 1920er und 30er Jahre flankiert: Musikforscher Piet Schreuders und Gert-Jan Blom, Orchesterleiter der berühmten „Beau Hunks“, stehen dem Dirigenten zur Seite.

Die beiden Niederländer haben sich das Verdienst erworben, die fast vergessene und vielbelächelte Filmmusik der letzten Stumm- und ersten Sprachfilme auszugraben. „Es ist fast ein archäologischer Prozess gewesen“, sagt Piet Schreuders. Weder gab es Aufnahmen dieser Stücke, noch Noten, noch hielten es die damaligen Filmemacher für nötig, Komponisten oder Musiker im Abspann zu erwähnen. Also setzten sich Schreuders und Blom zusammen und hörten sich die Musik tausende Male an. Sie transkribierten die Noten, bevor sie sie wieder zu Orchesterarrangements zusammensetzten. „Originaltreue war dabei oberstes Gebot“, sagt Schreuders. Vier Alben produzierten die „Beau Hunks“ mit dieser Musik und erwarben sich internationalen Ruhm, bevor sie sich, der Filmmusik müde, wieder anderen Projekten zuwandten. Drei seiner Besten – Saxophonisten und Klarinettisten – hat Gert-Jan Blom nach Potsdam mitgebracht, um das Filmorchester zu unterstützen. „Das Orchester ist gut, aber für sie ist es ein Konzert. Für uns ist es Enthusiasmus und ein Teil unseres Lebens“, erklärt Schreuders lächend den Unterschied.

Den schwersten Job an diesem Abend aber hat zweifellos Scott Lawton: Er muss nicht nur rund 20 Musiker dirigieren, sondern auch noch darauf achten, dass Melodien synchron zu den zwei „Dick und Doof“-Filmen auf der Leinwand laufen. Manchmal auf den Ton genau. „Scott macht das super“, sagt Piet Schreuders anerkennend, „egal in welchem Dur“.

Erschienen am 24.08.2007

Freundinnen in schwerer Zeit

Dienstag, 10. Juli 2007

Hannah Pick-Goslar berichtete an der Voltaire-Schule von Anne Frank

INNENSTADT Es muss schwer sein für Hannah Pick-Goslar, in Anne Franks Tagebuch zu lesen. Besonders jene Stelle, in der Anne mutmaßt, ihre Freundin Hannah sei vermutlich längst tot. Seit Ende des Krieges ist es genau andersherum: Anne ist tot, Hannah lebt. Und sie wird nicht müde, davon zu berichten – davon, wie sie Anne kennen lernte, und was für finstere Zeiten es waren. In Amsterdam, wohin die beiden jüdischen Familien geflohen waren, als Hitler 1933 an die Macht kam, trafen die beiden Fünfjährigen aufeinander: Eine Begegnung im Gemüseladen, der erste Tag im Kindergarten, und Hannah und Anne sollten Freundinnen werden für den Rest ihres Lebens. Sie ahnten noch nicht, dass das nur noch wenige Jahre waren.

Soweit es ihre Kraft und Gesundheit zulassen, kommt Hannah Pick-Goslar aus Jerusalem oft nach Deutschland, um ihre und Annes Geschichte zu erzählen. Besonders oft kommt sie nach Brandenburg, und in die Landeshauptstadt am liebsten. Die Aula der Voltaire-Schule ist gut gefüllt an diesem Vormittag, fast 100 Schüler, vorrangig aus der achten und neunten Klasse begrüßen die energiegeladene Israelin mit kräftigem Applaus. Sie wirkt nicht wie 79 – straffer Gang, pechschwarzes Haar, elegante Kleidung, selbstsicheres Auftreten. Die Entschuldigung für ihr schlechtes Deutsch darf getrost als Koketterie verbucht werden: In ihrem rund einstündigen Vortrag, frei und ohne Pause gesprochen, unterläuft ihr kein Fehler, keine Betonung weist darauf hin, dass sie seit vielen Jahren im Nahen Osten lebt, nicht mal ein Wort sucht sie.

Hannah Pick-Goslar begeht auch nicht den Fehler, Anne Frank auf einen Sockel zu heben. Sie ist klug genug, zu wissen, dass ihr Tagebuch, das offenbar alle im Saal gelesen haben, für sich spricht. Die reale Anne mit ihren Schwächen zu zeigen, lässt die Schüler viel näher an das junge Mädchen heran, lässt sie stärker mitleiden, als es jeder Heroisierungs-Versuch könnte. Anne habe gern im Mittelpunkt gestanden, sagt Hannah Pick-Goslar, und ihre Mutter habe mit Recht gesagt: „Vielleicht weiß Gott alles, aber sicher ist: Anne weiß alles besser.“ Um so stärker und nachhaltiger hat sich die vom Typhus geschwächte, jämmerliche Gestalt mit der dünnen Stimme in Hannah Pick-Goslars Gedächtnis eingebrannt, der sie Jahre später, von einem Stacheldrahtzaun getrennt, im KZ Bergen-Belsen begegnete: Wenige Wochen nach diesem Zufallstreffen war Anne tot. Sie würde wohl glücklich sein, zu wissen, dass sie ihre Energie und Erzählkraft an ihre Freundin weitergegeben hat.

Erschienen am 10.07.2007


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