Das wiedererweckte Wort
Samstag, 23. August 2008In einem Dorf an der Müritz steht Deutschlands einzige Hörspielkirche. Konzipiert und umgebaut wurde sie von einem Potsdamer.
Gemessen an der Größe seines Kirchleins hat Pastor Leif Rother eine geradezu luxuriöse Audioanlage zur Verfügung. Auch ein Beamer-Anschluss und Internet-Verbindung sind für eine Kirche aus dem 13. Jahrhundert nicht unbedingt der Ausstattungs-Standard. Das wundert um so mehr, wenn man bedenkt, dass es Federower geben soll, die vor fünf Jahren gar nicht mehr wussten, dass ihr 700-Seelen-Dorf am Eingang zum Müritz-Nationalpark überhaupt eine eigene Kirche hat.
Er erregte eben nicht viel Aufmerksamkeit, der fast schon schmucklose Backsteinbau, zwar zentral gelegen, doch ohne weithin sichtbaren Turm und hinter dichtem Fliedergestrüpp verborgen. Mehr als 20 Jahre lang verfiel die stillgelegte Kirche – auf durchaus malerische Art – hinter diesem Dickicht, die Gemeindemitglieder fuhren indes zum Gottesdienst in die Warener Marienkirche oder ins benachbarte Kargow.
Dann kam Jens Franke. Der Potsdamer Architekt besuchte einen ehemaligen Kommilitonen an der Müritz, und die Kirche lag auf dem Weg. „Wenn du eine Nutzungsidee hast, kannst du sie umbauen“, soll der Freund gesagt haben. Für einen wie Franke genügt das, um Feuer zu fangen. „Du kannst tausendmal Architekt sein, wirst aber nie eine Kirche bauen“, sagt er. Weil Kirchen eigene Architekten haben, und weil Kirchenbau in Zeiten schwindender Gemeindegrößen ein seltenes Geschäft geworden ist. Also musste eine Nutzungsidee her. Auf verschlungenen Assoziationspfaden – im Radio hatte Franke vom Hörspielplanetarium in Berlin gehört – kam ihm schließlich eine Hörspielkirche in den Sinn.
Das war 2003, und was folgte, war ausgiebiges Klinkenputzen. Die Kirchgemeinde konnte sich eine Hörspielkirche prinzipiell vorstellen, doch woher das Geld kommen sollte, blieb offen. Also schrieb Franke an den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), denn der hatte auch das sehr erfolgreiche Hörspielplanetarium aus der Taufe gehoben. Dort half man, ein Konzept zu erstellen, doch Geld hatte der RBB auch nicht übrig. Selbst der Mecklenburgische Landesbischof erteilte dem Plan seinen Segen, konnte aber kein Säckel öffnen. So war es schließlich die EU, die mit einer Förderung von 160 000 Euro den entscheidenden Impuls gab: Federow bekam wieder eine nutzbare Kirche, Hörspielfreunde eine neue Pilgerstätte und der Architekt Franke den Auftrag, sie umzubauen.
Wirtschaftlich betrachtet, war es für Jens Franke dennoch ein Verlustgeschäft, aber eines mit Ansage: Unzählige Arbeitsstunden sind inzwischen in die Organisation, die Bekanntmachung und die Betreuung der Hörspielkirche geflossen, während der Spielzeit von Mai bis September fährt Franke jede Woche einmal die 185 Kilometer von Potsdam nach Federow – und zurück. Weil die Kirche keinen Eintritt erhebt, weil immer jemand die CDs starten muss und auch sonst jede Menge Arbeit anfällt, ist das Projekt nach wie vor nicht selbsttragend: Freiwillige Spenden, viel ehrenamtliche Arbeit der Federower Gemeindemitglieder sowie Zuschüsse vom Kultusministerium und nicht zuletzt CD-Verkäufe sorgen aber für einen leidlich ausgeglichenen Haushalt. Zur öffentlichen Einweihung 2005, als die Potsdamer Schriftstellerin Helga Schütz in der Kirche las und der Putz von der Decke rieselte, war das Spendenaufkommen so groß wie später nie wieder. „Wenn wir mehr Geld einnehmen wollten, hätten wir nicht sanieren dürfen“, sagt Franke trocken.
Doch natürlich ist der Potsdamer stolz auf die Kirche, die nun wieder mit frischem Putz zwischen den uralten Feldsteinen und leuchtend gelbem Vorbau erstrahlt. Der Dachstuhl wurde komplett saniert – das marode alte Gebälk drückte bereits die Wände auseinander – und auf besonderen Wunsch der Kirchgemeinde gestaltete Frankes Schwester, die in Berlin als Künstlerin arbeitete, drei neue, farbige Fenster, die das alte Klarglas ersetzen. Einen „schönen, introvertierten Raum“ nennt Jens Franke das Ergebnis, denn ein direkter Blick nach draußen ist nun nicht mehr möglich. Das ist gewollt: Wenig soll den Hörenden vom Text und dem Klang der Stimmen ablenken. Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn Kirchräume sind fürs gesprochene Wort gemacht. Franke war daher wenig überrascht, als die Akustik-Berechnungen ein hervorragendes Klangerlebnis voraussagten.
Das ist durchaus ein Argument, wenn der Potsdamer bei den großen Hörspielproduzenten – allen voran den öffentlich-rechtlichen Radiostationen – um günstige Aufführungsrechte ersucht. „Wenn wir hier mit einem Ghetto-Blaster aufliefen, würden viele gleich wieder auflegen“, sagt er. Das Programm umfasst neben Krimis – selbst Derrick gibt es als umfangreiche Hörspielserie – vor allem gut umgesetzte hochklassige Literatur: Hemimgway, Fontane, Tucholsky, vor allem Stücke mit regionalem Bezug wie „Der Stechlin“ oder „Rheinsberg“ laufen gut. Außerdem gibt’s hin und wieder klassische Musik zu hören, und einmal am Tag ein Programm für die Kinder, meist schöne DDR-Aufnahmen bekannter Märchen wie „Zwerg Nase“ oder „Das kalte Herz“. Viele gute Hörspiele rettet Franke auf diese Weise davor, in den Archiven zu verstauben.
Was die Raumnutzung angeht, so hat das Bauwerk durchaus die Gesetze diktiert: Anfängliche Ideen, die Zuschauerplätze im Kreis anzuordnen oder eine Liegelandschaft anzubieten, erwiesen sich schon im Konzeptstadium als unpraktikabel. „Über Jahrhunderte hat sich eine Sitzordnung in Kirchen etabliert, und das hat ganz offenkundig seinen Sinn“, musste der Architekt lernen. Die harten Sitzbänke verhindern allzu bequeme Haltungen und damit ein Entgleiten der Aufmerksamkeit, die Ausrichtung nach vorn hilft, sich nicht ablenken zu lassen – „nicht mal von der hübschen Frau neben sich“, sagt Franke.
7500 Gäste haben diese Erfahrung im Jahr 2007 gemacht, 6000 davon beließen es dabei, Deutschlands einzige Hörspielkirche zu besichtigen, 1500 hörten auch. Für Franke ist das ein „Super-Schnitt“, denn mehr als 30 Personen zugleich passen ohnehin nicht bequem ins Kirchlein, und dass an manchen Tagen eine der drei Aufführungen leer bleibt, ist bei kostenlosen Vorführungen verschmerzbar. Wichtiger ist ihm, dass die Hörspielkirche bekannter wird. „Der Charme des Neuen ist längst weg“, sagt er, „und dass trotzdem jedes Jahr mehr Leute kommen, zeigt, dass wir es richtig gemacht haben.“ Wiederholbar ist das allerdings nicht ohne Weiteres: Sein Nachfolgeprojekt, einen Hörspielbahnhof in Joachimsthal (Märkisch Oderland) hat Franke mittlerweile für gescheitert erklärt. Er nennt das die „Evolution des Erfolgs“ und freut sich um so mehr, zumindest in Federow „einen vergessenen und verlorenen Ort aus dem Dunkeln ans Licht geholt“ zu haben – mit Kirche, Kunst und Kultur als Paten.
Info-Box: Hörspiele, Kinderprogramm und Klassik
Federow liegt direkt an den Toren des Müritz-Nationalparks. Rund 700000 Touristen kommen jedes Jahr durch das beschauliche 700-Seelen-Dorf.
Die Hörspiel-Saison der Kirche begann in diesem Jahr am 11. Juli und endet am 14. September.
Täglich ab 11 Uhr stehen die Kirchentüren offen, um 15 Uhr steht ein Kinderhörspiel auf dem Programm, ab 16.30 Uhr tönt klassische Musik aus der Anlage, ab 18.30 läuft ein Hörspiel für Erwachsene.
Jeden Mittwoch bieten die Veranstalter zusätzlich eine „blaue Stunde“ an: Ein gruseliges Krimi-Hörspiel, das um 20 Uhr beginnt.
Auch Lesungen stehen auf dem Programm: Am 5. September wird der in Potsdam lebende Fernsehjournalist Dirk Sager von „Russlands hohem Norden“ berichten.
Im Kinderprogramm laufen etwa „Der kleine Muck“, „Zwerg Nase“, „Das kalte Herz“, „Die Bremer Stadtmusikanten“ oder „Pinocchio“.
Im Musikprogramm erklingen Operngalas, Mozarts Requiem und der Thomanerchor.
Im Hauptprogramm sind unter anderem Fälle von Sherlock Holmes und Prof. van Dusen ebenso zu hören wie Werke von Edgar Allen Poe, Heinrich Heine, Edgar Wallace, Homer, Hemingway und Schiller.
Das volle Programm sowie weitere Informationen – auch zur Anreise – stehen im Internet unter der Adresse www.hoerspielkirche.de
Erschienen am 23.08.2008