Archiv für die Kategorie „Toast & Honig“

Vernachlässigenswert

Donnerstag, 24. März 2011

Jan Bosschaart hat eine simple Lösung für Gartenstadt, die aber leider nicht funktioniert

Warum macht es sich die Stadt eigentlich so schwer, mit all diesen Workshops und Werkstätten, Bürgerversammlungen und Bürgeraktiv, mit Betroffenenvertretungen und Briefwahlen? Wenn eines immer deutlicher wird, dann, dass die Drewitzer die Gartenstadt partout nicht wollen. Auch wenn Außenstehende die Idee noch so gut finden, auch wenn das Konzept auf Bundesebene prämiert wurde, auch wenn die Stadtverordneten einstimmig – wann gibt’s das schon mal? – dafür waren: Die Drewitzer wollen es nicht. Sie wollen keinen Park, sie wollen Durchgangsverkehr, sie wollen keine Grünanlagen, aber ihre Parkplätze vor der Haustür; der Horizont der Argumente reicht manchmal nicht über Papierkörbe und alte Pizzaschachteln hinaus. Warum setzt die Stadt dann Experten, Nerven und Steuergeld ein, um Menschen, die es nicht besser haben wollen, zwangszubeglücken? Sagt doch die Pläne ab, lasst die Wohnungswirtschaft ihre Platten sanieren und überlasst Drewitz sich ansonsten selbst? Dumm nur, dass ein organisiertes Gemeinwesen im Interesse aller handeln muss. Also auch der rund 140 000 Nicht- oder Noch-Nichtdrewitzer. In 20 Jahren heißt es sonst nämlich, da wäre ein Stadtteil vernachlässigt worden, weil alle um die schicke Innenstadt besorgt waren.

Erschienen am 24.03.2011

Kluge Idee

Donnerstag, 10. März 2011

Jan Bosschaart über städtebauliche Weisheit in Abrissverfügungen

Bevor sich nun das Heer der Klagenden erhebt und den Umstand beweint, dass schon wieder historisch rekonstruiert werden soll in dieser Stadt, diesmal in der Pufferzone der Französischen Kirche, sei darauf hingewiesen, dass schon die heftiger Preußentümelei unverdächtige DDR es war, die zwar die Ruinen der Holländertypenhäuser für den sozialistischen Fortschritt in Form eines Hubschrauberlandeplatzes aus dem Stadtbild tilgte, zugleich aber aufgab, sie dereinst wiederzuerrichten, um der Französischen Kirche – was für ein bürgerlich-ästhetischer Gedankengang! – ihre Maßstäblichkeit zurückzugeben. Wie klug und weitsichtig das war, wird ersichtlich, wenn man erstaunt bemerkt, wie groß die Kirche neben dem Neubau plötzlich wirkt, und wie ganz ungerechtfertigt klein sie so ohne Kontext auf dem Bassinplatz stehend derzeit noch anmutet. Der Auftrag aus der Abrissverfügung von 1987 hätte auch vom heutigen Gestaltungsrat stammen können. Zugleich handelt es sich um eine städtebaulich kluge Entscheidung. Wenn nun dank Sonntagsverkaufsverbotes das Holländische Viertel wirklich wüst fallen sollte, baut die Stadt halt das „Kleine Holländerviertel“ wieder auf – für Senioren. Die haben dank demografischen Wandels in den nächsten Jahrzehnten nämlich ganz sicher Konjunktur.

Erschienen am 10.03.2011

Ostalgie zu Schlussverkaufspreisen

Montag, 7. März 2011

Messe: „Ostpro“ in der Metropolishalle war gut besucht / DDR-Produkte beliebt

Einkaufen wie im Konsum: Von Tempo-Linsen bis Röstfein-Kaffee.

POTSDAM | Geruchstechnisch ist die Messe „Ostpro“ eine Enttäuschung: „Hier gibt’s zwar Filinchen und Rondo Melange, aber es riecht trotzdem wie im Intershop“, stellt ein älterer Herr beim Betreten der Metropolishalle fest. Zwei Tage lang verkaufen rund 60 Anbieter typische Ostprodukte, neue Produkte unter typischen Ostmarken oder schlichtweg Regionales aus den nicht mehr ganz so neuen Bundesländern. Dem Besucherinteresse tut das 20 Jahre nach der Wende keinen Abbruch – rund 10 000 Gäste drängen sich laut Veranstalter an beiden Tagen in die Halle, ein bisschen Schlangestehen inklusive. Aber das gehörte in diesem Fall ebenso zum Flair wie der sehr moderate Eintritt von zwei Euro. Das Stimmengewirr ist leicht sächsisch gefärbt, der Altersschnitt liegt deutlich über 60 – Ostalgie ist kein Teenagerphänomen.
Gekauft werden weniger die Produkte als vielmehr das „Früher“-Gefühl, das sich in stark am Original gehaltenen Verpackungen manifestiert, deren Inhalt letztlich ein bisschen egal ist. Filinchen etwa gibt es mittlerweile in der „Kakao und Kokos“-Variante („hatten wir ja früher beides nich“) oder mit Dinkel („kannt’ ick damals nich“), sie gehen aber im Siebener-Pack wie geschnitten Brot über die Theke. Gleiches gilt für Tempo-Bohnen, -Erbsen, und -Linsen, für die sich die Leute mit Plastikkörben („Kein Rundgang ohne Korb“) der alten Zeiten wegen brav in die Schlange reihen, und es gilt auch für Plauener Spitze, Lausitzer Glanzbalsam (putzt Schuhe, Möbel und Bildschirme), Sarisal-Salz, Moskauer Eis im Butterpapier, Badusan-Schaumbad, Nautik-Rasiercreme und Elsterglanz. Inka Bause wirbt auf Plakaten für Röstfein-Kaffee, der inzwischen aus richtigem Kaffee besteht und sogar als Espresso und Cappuccino zu erwerben ist. „Das Original würd’ ich heute nicht mehr runterkriegen“, sagt eine Frau, die gerade für 42 Euro am Stand eingekauft hat. Sie kauft weniger die Produkte als „so ein Heimatgefühl“, wie sie bekennt.
Nach soviel Osten ist der Stand des „Neuen Deutschland“ gefühlsmäßig auch korrekt, die Listen für das kostenlose Probeabo füllen sich wie von selbst, und wer schon dasteht, nimmt auch die DVDs mit den schönsten Auftritten des Erich-Weinert-Ensembles und dem Propaganda-Filmchen „Berlin – Hauptstadt der DDR“ gern mit. Das Standardwerk „Die Flachzangen aus dem Westen“, das Wessi-Manager beim Spatenstich in Deutschen Demokratischen Boden auf dem Cover hat, verkauft sich gut, daneben liegen Poesiebände von Eva Strittmatter und das gesammelte Werk von Hermann Kant. „Von solchem Andrang aufs ND hätte Erich geträumt“, kommentiert ein Mann in der Schlange selbstironisch. „Welcher – Honecker oder Mielke?“, fragt sein Nebenmann. „Ist doch egal!“.
Das trifft’s. Zwischen Drei Haselnüssen für Aschenbrödel, Pittiplatsch und Bambina-Schokolade, deren Hauptzutat von gemahlenem Ostseesand längst auf echten Kakao gewechselt hat, schrumpft die Diktatur auf eine heimelig-lauwarme Warenwelt. Ob’s Erich – egal welchem – gefallen hätte, dass der ehemalige Klassenfeind die Arbeiter-und-Bauern-Produkte längst als Marketingfalle erkannt hat?
Der Konsument ist mittlerweile immerhin kritisch geworden. „Das gibt’s auch bei Kaufland, und zwar billiger“, ist ein oft gehörter Satz.

Erschienen am 07.03.2011

Rekordverdächtig

Freitag, 4. März 2011

Jan Bosschaart über Standortabwertung für sehr Fortgeschrittene

Diese Stadt kriegt wirklich nahezu jeden Investor klein. Im Zerreden von Vorhaben beweist die Landeshauptstadt eine Meisterschaft, um die man sie wirklich beneiden müsste, wäre sie nicht so destruktiv. Dass etwas aus rechtlichen Gründen nicht machbar ist, gehört ja noch zum Schicksal großer Projekte, auch dass sie zuweilen politisch nicht gewollt sind. Das Vertreiben von Investoren, die nicht mal Fördermittel wollen, noch bevor überhaupt ein Verfahren in Gang gesetzt werden kann, ist allerdings schon Standortabwertung für sehr Fortgeschrittene. Berlin mag es recht sein, dort war laut Investor in 48 Stunden alles geklärt. Solange Potsdam seinem eigenen Glück so engagiert im Weg steht, darf man sich über mitleidige Blicke aus der Bundeshauptstadt nicht wundern. Vielleicht muss man dergleichen in einer Stadt, der es seit Jahren gelingt, trotz großer Freiflächen in ihren Ortsteilen kein Tierheim auf den märkischen Boden zu setzen, ja auch erwarten. Dann allerdings bleibt die Frage bestehen, wo all die Bedenkenträger und Verhinderer waren, als es um die Errichtung einiger zweifelhafter Schönheiten der Nachwendezeit ging. Und welche Mopsfledermausseerosennatter von der „Königin der Nacht“ vertrieben worden wäre, aber den „Rock am Wasserturm“ klaglos erduldet.

Erschienen am 04.03.2011

Sargnagel

Freitag, 25. Februar 2011

Jan Bosschaart über ein völlig verfehltes Ladenschlussgesetz und seine Folgen

Es ist ein sehr kundenunfreundliches Ladenschlussgesetz, das 2010 auf Druck von Kirchen und Gewerkschaften zustande kam. Ladenöffnungen am Sonntag sind dort als absolute Ausnahme definiert – angeblich, um Verkäufer zu schützen. Dieses Scheinargument war von Beginn an nicht sonderlich überzeugend – Ärzte, Feuerwehrleute, Journalisten, Piloten und Busfahrer müssen ja auch am Wochenende arbeiten, Selbstständige sowieso. Letztlich wird mit den straffen Regelungen weniger die Profitgier der Wirtschaft gebändigt, als der Arbeitsmarkt geschädigt: Viele Geschäfte, die sonntags geöffnet hatten, mussten Angestellte entlassen. In schwächelnden Arealen wie dem Holländischen Viertel ist das Gesetz gar zum Sargnagel geworden: Wenn die halblegale Sonntagsöffnung der seidene Faden war, an dem der Geschäftserfolg hing, wird das Verbot zum geschäftlichen Todesurteil. Nicht nur, dass selbst der willige Käufer den von der Politik immer wieder geforderten Konsum an den einzigen arbeitsfreien Tagen nun gar nicht mehr leisten kann – es ist auch äußerst fraglich, ob all die arbeitslosen Verkäufer und insolventen Einzelhändler künftig den nun freien Sonntag dazu nutzen, mal wieder in die Kirche zu gehen. Oder der Gewerkschaft beizutreten.

Erschienen am 25.02.2011

Nur für geladene Gäste

Donnerstag, 17. Februar 2011

Landtagsbau: Grundsteinlegung wird zum Fehlstart für das wichtigste Bauprojekt des Landes / Jauch fehlte

Selbst aus der Prignitz waren Menschen angereist, um den Baustart ihres Landtagsschlosses zu erleben. Die Reise hätten sie sich sparen können.

Transparenz und Bürgernähe enden gestern Mittag bei Herrn Ullmann. Herr Ullmann ist ausweislich seines Namensschildes fürs Protokoll des Landtages zuständig, das heißt, er ist an diesem historischen Tag Prellbock des Bürgerzorns und versichert sich daher der Gesellschaft eines Quartetts breitschultriger Wachschützer in neonfarbenen Warnwesten. Denn zur Grundsteinlegung des Landtages darf nur, wer eine der 400 Einladungen hat.
Es geht um jenen Landtag, der, so erklärt es der Ministerpräsident den Auserwählten hinter dem blickdichten Zwei-Meter-Zaun, „hier unten auf Augenhöhe mit dem Bürger“ sein will. „Ein beschissenerer Start is ja wohl kaum denkbar“, findet ein älterer Herr vor der Absperrung. Es ist noch das freundlichste, was sich Herr Ullmann und seine Vierschröter mit humorlosem Gesichtsausdruck anhören müssen. „Frechheit“, „unverschämt bis zum Geht-Nicht-Mehr“, „Verbrecher da drin“, tönt es aus allen Richtungen. Lautes Grummeln, als die Spitze der Linkspartei samt ihrem Finanzminister und Schlossbauherren Helmuth Markov passieren darf. „Diese Leute haben mit aller Kraft gegen das Schloss gekämpft. Jetzt trinken sie auf Steuerzahlerkosten Sekt, und die Bürger, die dafür kämpften, stehen draußen und frieren“, schimpft jemand. Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser ist das sichtlich unangenehm. „Ich habe nie für diesen Landtag gestimmt“, sagt sie, ohne anzuhalten. Sozialminister Gunter Baaske (SPD) murmelt etwas von „Sicherheit“ und „mal sehen, was sich machen lässt“. Zu sehen ist von ihm fortan nichts mehr. Auch die Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein (SPD) findet die Sperre „unsäglich“. Sie verstummt, als jemand fragt, ob die SPD Angst vor dem Volk habe. „Die wollen kein Prekariat und keinen Pöbel“, sagt einer aus der Prígnitz. Landtagsarchitekt Peter Kulka schüttelt den Kopf: „Man kann die Menschen mitnehmen oder nicht. Ich bin für mitnehmen.“
Der Bürgerprotest ist Wasser auf die Mühlen von Barbara Kuster. Die Schlosslobbyistin ohne Einladung zelebriert ihr Ausgesperrtsein: Demonstrativ trägt sie ein Fernglas vor sich her, um die Distanz der Regierung zu den Bürgern zu verdeutlichen. Es fruchtet: „Was? Sie sind nicht drin? Eine Schande!“ – das hört Kuster bestimmt 20 Mal.
Die Wut vor dem Tor macht resigniertem Sarkasmus Platz, als klar wird, dass die Zeremonie begonnen hat. „Vielleicht reicht der Sekt ja nicht für alle“, sucht jemand nach einer Begründung.
Herr Ullmann zieht sich mit zwei seiner Warnwesten zurück. Als der dritte Wachmann abrückt, planen die Ausgesperrten im Scherz den Durchbruch. „Gehen Sie sich doch mal aufwärmen, wir warten auch allein draußen“, ruft jemand dem verbliebenen Wachschützer zu. Kollektives Gelächter. Der Mann bleibt ernst. Irgendwer entdeckt das Schild, auf dem steht, dass das Gelände von scharfen Wachhunden gesichert werde. „Überlebende werden strafrechlich verfolgt“, steht darauf. Das finden die Umstehenden an diesem Tag nur begrenzt lustig.
Mittlerweile ist der Grundstein gelegt, und auf dem Weg zu den Häppchen läuft die Prominenz in Sichtweite zum Tor vorbei. Als Platzeck kommt, sind die „Heuchler“-Rufe so laut, dass er sie unmöglich überhören kann. „Der soll es nicht wagen, sich rauszureden. Er ist der Ministerpräsident“, ruft eine Dame mit hochrotem Kopf. „Lass doch“, sagt ihr Mann und legt beschwichtigend die Hand auf ihren Unterarm: „Wir hätten nicht kommen sollen, sondern Mittagsschlaf halten.“ Er zieht sie sanft mit sich. Für die Bürger gibt es an diesem Tag nichts mehr zu sehen.
Im Partyzelt ist der Fehlstart für das wichtigste Bauprojekt des Landes inzwischen aufgefallen. Es läuft die Suche nach dem Schuldigen. Oppositionsführerin Saskia Ludwig (CDU) ist aus Protest erst gar nicht gekommen. Der Linken-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg kritisiert den eigenen Genossen Finanzminister: „Ich habe schon vor Wochen gesagt, man darf sich bei einem so symbolträchtigen Akt nicht einigeln.“ Markov war als Bauherr der Einladende. Er beteuerte gestern, man könne aus Sicherheitsgründen kein Volksfest auf einer Baustelle veranstalten. Damit hat er sich dem Regime des Baukonsortiums Bam Deutschland AG unterworfen. „Auf 100 Grundsteinlegungen habe ich so etwas nicht gesehen. Wenn einer in die Grube stürzt, zahlen wir die Rente bis zum Schluss“, sagt Bam-Vorstandschef Alexander Naujoks. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sagt, er hätte den erfreulichen Anlass trotzdem lieber mit den Potsdamern gefeiert.
Einer war wieder eingeladen und ist wieder nicht gekommen. Günther Jauch, der Spender des Fortunaportals. Er habe nicht einmal geantwortet, sagt Markovs Sprecherin Ingrid Mattern. Der Potsdamer TV-Moderator hat nach den Querelen um den Schlossbau für sich entschieden: Du investierst nur noch in Menschen, nicht mehr in Steine. Die Kinder im Hilfsprojekt „Arche“ danken es ihm.

(Mit Volkmar Klein)

Erschienen am 17.02.2011

Na, geht doch

Donnerstag, 10. Februar 2011

Jan Bosschaart über die Pflasterhauptstadt und ihre Zentrale, den Bauausschuss

Die kollektive Begeisterung beim Aufruf des Themas „Pflaster“ im Bauausschuss kennt kaum Grenzen – das Gremium darf mit Recht und Fuge als deutlich pflastergeschädigt gelten, seit es sich dank einiger Mitglieder regelmäßig zwangsverpflichtet sieht, die Natursteinfrage zu diskutieren, bis alles auf Format geschlagen und festgeklopft ist. Die Liegezeiten des Ausschusses können sich da schon mal verdreifachen. Doch stand diesmal kein erneuter Antrag darüber zur zähen Debatte, ob nicht dort oder hier oder vielleicht auch da noch gepflastert werden könnte, sondern eine Information über die generelle Strategie der Stadt, und so wandelte sich Unmut in Freude: Dass nämlich „Pflastermeister“ Norbert Praetzel mit seinen Mitarbeitern da Wünschenswertes fernab jeder Ideologie sprichwörtlich auf den Weg bringt, stand über alle Fraktionsgrenzen, in diesem Fall müsste man gar sagen: über alle Konfessionsgrenzen hinweg fest. Mit einem ausgefeilten Konzept will Potsdam das Pflastererhandwerk wiederbeleben und stärken. Dazu wird die Ausbildung junger Straßenbauer ebenso gefördert wie Mitarbeiter qualifiziert und fremde Buddler auf Linie gebracht werden. Dieser unaufgeregte Zugang zwischen die steinharten Fronten wurde daher allenthalben begrüßt.

Erschienen am 10.02.2011

Was bleibt: Wie Ritter der Kokosnuss

Donnerstag, 3. Februar 2011

Kommt ein Mann ins Museum und sagt: „Ich habe hier eine antike Statue, bitte stellen Sie sie aus!“ Sagt der Direktor: „Sie irren, das ist nur Nippes vom Trödelmarkt. Da steht ,made in China’ drauf.“ „Ja, aber es erinnert mich an eine antike Statue. Stellen Sie es aus!“ „Das kann ich nicht tun. Außerdem haben wir hier schon genug Statuen aus dieser Zeit.“ „Na und?“ „Das würde nicht nur unser Museum in Verruf bringen, man würde sich auch über Sie als Spender lustig machen.“ – „Trotzdem!“
Das klingt albern und ist ausgedacht – aber es ist von der Realität inspiriert. In Wahrheit ging es so: Kommen die Grünen in den Bauausschuss und sagen: „Da steht ein Rest der Grenzmauer an der Bertinistraße, die muss unter Schutz gestellt und erhalten werden!“ Sagt die Bauverwaltung: „Sie irren, das ist keine Hinterlandmauer. Das ist nur die Einfriedung einer Logistikeinheit der Grenztruppen, die zudem lange vor dem Mauerbau dort stand!“ „Dann erinnert es ja trotzdem an die Grenze. Stellen Sie es unter Schutz!“ „Daneben gibt es einen echten Grenzturm, den stellen wir ohnehin schon unter Schutz.“ „Na und?“ „Wenn wir dieses wackelige Fragment stehen lassen, kippt es bald auf den Gehweg und gefährdet Passanten. Außerdem können wir die Straße dann dort nicht ausbauen.“ – „Trotzdem!“
Dieses Beharren offenbart einen abstrusen Charme, wenn man es zu Ende denkt. So ließen sich etwa sämtliche Uferwege unter Schutz stellen, weil dort Grenztruppen ihre Stiefel drauf gesetzt haben. (Die FDP als Mitantragsteller würde sich bei dieser Forderung zurückziehen, aber Verluste gibt’s halt überall.) Schritt zwei wäre dann, alle DDR-Bauten in Grenznähe zu erhalten oder herzustellen, weil nur so das Flair des früheren Mauerumfelds für künftige Generationen erlebbar wird. Das bisschen Bürgerprotest dagegen lässt sich sicher aussitzen.
Anderswo wirft man den Grünen gern vor, eine Partei zu sein, die sich statt um die Menschen nur um Mopsfledermäuse kümmert. In Potsdam geht das an der Realität vorbei. Hier kümmern sich Grüne vor allem um Denkmäler und Asphalt und darum, in der Stadtverordnetenversammlung mit Clownsnase zu sitzen, wenn der Oberbürgermeister spricht, was zugegebenermaßen der lockeren Stimmung sehr zuträglich ist. Cineasten hingegen wissen, dass der Mauervorstoß nur eine Hommage an den legendären britischen Komiker Monty Python war. Der lässt in „Die Ritter der Kokosnuss“ zwei Kämpfer aufeinander treffen. Der eine schlägt dem anderen erst einen Arm ab („Nur eine Fleischwunde!“), dann den nächsten („Dann spuck’ ich Dir halt ins Gesicht“), schließlich ein Bein („Komm doch, komm doch!“ erklärt der Einbeinige hopsend) und letztlich auch das andere. Als der Sieger seiner Wege zieht, ruft ihm der Torso nach: „Einigen wir uns halt auf unentschieden!“ In diesem Sinne: Hut ab! Ihr Grünen lasst Euch von nichts kleinkriegen. Nicht mal von Argumenten. Oder, wie der grüner Überzeugungen unverdächtige Helmut Kohl einst sagte: „Ich lasse mir doch von Ihrer Sachkenntnis nicht meinen politischen Willen verwässern.“

Erschienen am 03.02.2011

Inkonsistent

Donnerstag, 6. Januar 2011

Jan Bosschaart über die überraschende Idee, Potsdam könnte auf Geld verzichten

Es spricht überhaupt nichts dagegen, Politik für eine bestimmte Gruppe Menschen zu machen – seien es besonders arme oder besonders reiche, besonders ökologisch oder besonders ökonomisch denkende Menschen – wer von einer ausreichenden Zahl solcher Wähler in politische Verantwortung gehoben wird, darf, nein: muss ihrem Auftrag folgen. Besonders konsistent ist der jüngste Vorschlag der FDP, auf die Zweitwohnsitzsteuer zu verzichten, trotzdem nicht. Dass die Abschaffung der Steuer die Bürokratie verringern würde, ist zwar richtig. Dass aber 100 000 Euro pro Jahr so wenig Geld seien, dass man darauf leicht verzichten könnte, steht andererseits im Widerspruch zum sonstigen Sparwillen der Partei. Stattdessen wird die selektive Wahrnehmung der Liberalen deutlich: Sobald vor allem die eigene Klientel der Selbstständigen und Besserverdienenden entlastet werden könnte, darf gern auf Einnahmen verzichtet werden – etwa bei der Zweitwohnsitzsteuer oder den Stellplatzabgaben für Hausbauer. Sind aber die eigenen Wähler am Griebnitzsee von städtischen Ausgaben betroffen, etwa im Kampf um freie Uferwege, ist jeder bezahlte Euro einer zuviel. Klientelpolitik ist kein Schimpfwort, solange sie auch das große Ganze im Blick behält. Aber nur dann.

Erschienen am 06.01.2011

Was bleibt: Der Welt Lohn

Freitag, 17. Dezember 2010

Ja, wo ist nur, der Geist der Weihnacht? Da haben wir nun Schnee, Glühwein und Kommerz in Hülle und Fülle und reiben uns verwundert die Lebkuchenkrümel aus den Augen, weil sich das adventliche Gefühl partout nicht einstellen will. Fast scheint es, als fehle eine Zutat, aber welche sollte es sein, wenn das Wetter winterlich ist, der Magen voll und Defizite im Zwischenmenschlichen unter den Geschenkebergen sorgfältig kaschiert sind? Es ist, verzeiht den klerikalen Tonfall, Schwestern und Brüder, die Dankbarkeit, der wir entbehren. Dankbarkeit ist der Schlüssel zu adventlichen Gefühlen, Dankbarkeit ist das, was fehlt in dieser Stadt – im Großen wie im Kleinen. Fangen wir mit dem Großen an: Da plagt sich der Kämmerer seit Jahren mit dem Haushalt, dem er wie einer alten Zitrone durch gezieltes Wringen und Quetschen noch den einen oder anderen Tropfen Substanz abringt, welchen der gute Mann dann gewissenhaft mit einem kleinen Schälchen aufzufangen pflegt und an sicherer Stelle verwahrt, auf dass nichts verdunste. Kurz vor dem Fest der Liebe geht er, des stolzen Geschenkes froh, in eine „Haushaltsklausur“ genannte Weihnachtsfeier und eröffnet, während im Hintergrunde Händels Halleluja läuft, im Schein der Kerzen die frohe Botschaft: Wir haben Geld! Einen Überschuss! Preiset den Herrn der Doppik! Doch es kommt, wie es in jeder guten Familie kommt: Die sorgfältig ausgewählten Krawatten und Socken treffen nicht den Geschmack, das Geschenk ist zwar willkommen, aber nicht so, nicht jetzt, nicht auf diese Art. Früher hätte man es haben mögen, damit die Socken noch gegen neue Radwege, die Krawatten gegen kostenloses Kitaessen hätten getauscht werden können. Und dann kommen sie ihm mit Spielräumen, dem armen Kämmerer, die er ihnen genommen habe, mit arglistiger Täuschung, mit Lüge gar – ihm, der er stets nur, wenn auch mit einiger Verschlagenheit, der Stadt Bestes suchte! Hätten Sie danach noch Lust auf Gänsebraten und Rotwein im Kreise der Lieben? Eben. Undank ist des Ringens schmaler Lohn.
Ein Prinzip, das auch im Kleinen gilt. „Das größte Geschenk, dass Sie ihrem Leser machen können, ist es, ihm kulinarische Tipps zu geben. Testen Sie Restaurants und Kneipen, testen Sie Eis im Sommer und Glühwein im Winter“, so tönte es in Journalistenkreisen dieses Jahr laut von fern und nah. Da wir berufsbedingt ausgesprochen gern Geschenke machen, stürzte die MAZ also voran, zu Sterneköchen und Dönerbuden, in die Eisdielen und an die Glühweinstände. Und was tun Sie, liebe Leser? Haben wir auch nur eine freundliche Dankeskarte bekommen? Hat uns einer die vom Schreibkrampf gekrümmte Hand geschüttelt, dass wir ihn vor einem gustatorischen Desaster bewahrt, ihm die Magenverstimmung oder die Privatinsolvenz für zwei Crème Brûlée erspart haben? Mitnichten! Stattdessen wird geklagt! Wie man denn das Lieblingsrestaurant verreißen könnte, bloß weil es nicht schmeckt – die Chefin ist doch so nett und es gibt immer kostenlos Schnaps, wurden wir gefragt. Ob wir den Lieblingsdöner vernichten wollen, bloß weil das Fleisch kalt und das Brot labbrig ist? Nein, so kommen wir nicht weiter – fürs nächste Jahr daher bitte den Vorsatz größerer Dankbarkeit fassen, dann klappt’s auch wieder mit der Adventsstimmung. Mit kritischen Politikern und Lesern lässt sich kein Staat machen. Die stellen am Ende noch den ganzen schönen Weihnachtskommerz in Frage. Und dann wird es wirklich finster, im Weihnachtswirtschaftswunderland.

Erschienen am 17.12.2010


%d Bloggern gefällt das: