Archiv für die Kategorie „Toast & Honig“

Was bleibt: Vielen Dank, für die Sperren!

Donnerstag, 9. Juli 2009

Konjunkturpakete sind eine feine Sache. Doch es muss nicht immer nur der Staat sein, der hilft. Immer häufiger greifen auch Privatleute der darbenden Konjunktur beherzt unters Schultergelenk, manchmal sogar gegen deren Willen. Und es kann so einfach sein; der persönliche Einsatz ist dabei denkbar gering: Ein rostiger Zaun, ein „Betreten Verboten!“-Schild aus dem Baumarkt und ein verdammt dickes Fell genügen zurzeit völlig. Gut, ein Wassergrundstück nebst darüberlaufendem Weg gehört noch dazu, befindet sich bei unseren Konjunkturfreunden aber ohnehin im Bestand. Erster Profiteur ist in der Regel dann die juristische Branche, denn Uferwegstreits, das zeigt die Erfahrung, landen stets vor Gericht – mehrfach und vor fast allen Instanzen. Dazu braucht jede Seite einen Anwalt. Christoph Partsch etwa, der einen Großteil der Griebnitzsee-Anrainer vertritt und nun offenbar auch die Mandate von zwei Sperrern am Glienicker See bekam, sei der Einfachheit halber folgender Slogan empfohlen: „Sie haben ein Grundstück am Wasser? Rufen Sie an! Wir schaffen jeden Uferweg ab, entfernen lästige Spaziergänger von Ihrem Grün und zeigen den Behörden, wie ernst die Justiz es mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums meint“. Profiteur Nummer zwei ist die Immobilienbranche. Es war bis vor kurzem – leider müssen wir hier zum Präteritum greifen – noch eine grandiose Idee, ein auch nur handtuchgroßes Stück Land in Spuckweite zum Griebnitzsee-Uferweg zu erwerben, denn nach einem Gutachten hat sich der Wert jeder Parzelle durch die höchstrichterliche Entfernung des Pöbels aus der Sichtachse Kaffeetasse-Bootssteg mit einer schlichten Verzwanzigfachung aufs Vermögen niedergeschlagen. Für alle, die das Prada-Handy mit integriertem Renditerechner nicht schnell genug zur Hand haben: Der schmale Gegenwert eines besseren Familienvans genügte also, um aus dem Eigner einen Millionär zu machen. Wen wundert’s da, dass die Kriegskassen der Anrainer gut gefüllt sind. Zugegeben, ein bisschen haben gar die Medien profitiert, denn die Erwähnung des Wortes „Griebnitzsee“ in und um Potsdam garantiert in letzter Zeit Leserinteresse, Klickraten und Einschaltquoten – sofern man es denn nicht zu plump versucht und unter der Überschrift „Hundebiss am Griebnitzsee“ eine Meldung verkauft, die von einem Berliner handelt, der „in Sichtweite der Potsdamer Stadtgrenze nahe des Griebnitzsees“ wohnt, wie es ein Mitbewerber dieser Tage tat. Rechnen wir nun noch den Umsatz mit Protestschildern und -plakaten hinzu sowie Sonderschichten in der Stadtverwaltung, bleibt eigentlich nur ein Fazit, das uns zugegebenermaßen aber etwas stockend über die Lippen rinnt: „Danke, liebe Sperrer. Ihr seid wirklich am Gemeinwohl in der Krise interessiert.“

Erschienen am 09.07.2009

Was bleibt: Danke, wir melden uns!

Mittwoch, 1. Juli 2009

An den normalen bis schlechten Tagen – das Sommerloch sei hier nur als Stichwort eingeworfen – geben Pressetermine zurzeit nicht viel her. Fast scheint es, als drücke die feuchte Schwüle auch auf die Nachrichtenlage. Da buddeln dann Landtagspräsidenten auf Baustellenbesichtigungen lustlos eine noch kurz vor Eintreffen der Pressemeute verscharrte Weinkiste mit zwei Spatenstichen wieder aus, alles lächelt milde über diese irgendwie voll lustige Idee und über das Etikett, auf dem der Finanzminister „Tyrannenblut“ entziffert, und selbst die gründliche Verkostung desselben – des Tyrannenbluts, nicht des Ministers – bei 30Grad und 85 Prozent Luftfeuchte vermag den Vormittag nicht zu retten. Doch dann wiederum gibt es jene seltenen guten, nein: richtig guten Tage, an denen schon die Terminmappe selbst ein Ereignis ist. Da sorgt die Ankündigung, die neue Kulturbeigeordnete werde als eine ihrer ersten Amtshandlungen einer Premiere im T-Werk beiwohnen, dessen Titel nach Auffassung vieler eigentlich ins Antwortschreiben auf ihre Bewerbung gehört hätte, für ressort- und medienübergreifende Erheiterung: „Danke, wir melden uns …“ Jugendliche, so verrät der Begleittext, setzen sich in diesem Stück mit der Selbstvermarktung in der heutigen Gesellschaft auseinander. Absichtliche Selbstironie ist ja eine Tugend; wie zufällige Ironie, in erheiternde Termine gegossen, zu bewerten ist, steht noch dahin. Die Terminmappe interessiert das wenig. Sie lädt indes für Freitag zum Fußballturnier der Jugendsparte des Lionsclub, dem „Leo-Cup“. Der Finanzminister ist angekündigt, unter einer Eckfahne oder dem Mittelkreis dürfen also Weinflaschen vermutet werden, ebenso im Blut jenes Texters, der für das „Event“ das Motto „Rock den Rasen – o-Leo-le!“ ausrief. „Ojeoje“ läge phonetisch und inhaltlich näher, doch auch damit nicht genug des üblen Spiels, den Wahnsinn – das ist jetzt ein Zitat! – krönt die Kochschule „Rock the kitchen“, die am Freitag die Potsdamer zum Kochen bringen will – auch das ein Zitat. Zusammen mit „Ihnen als eine Einheit“ wollen dort Galaköche „ein Erlebnis schaffen“. „Bei (sic!) einer Mischung zwischen Wahnsinn, Perfektion und einer Prise rockigem Flair (sic!)“ dürfen Teilnehmer „ihren Sinnen freien Lauf lassen“. Da müssten sich also auch Kulturbeigeordnete und Finanzminister heimisch fühlen. Nachdem es sich um ein „Kick-Off-Event“ handelt, könnte eigentlich auch der o-Leo-le-Cup gleich in der Küche stattfinden. Warm und feucht und im Zweifel auch (be-)drückend ist es dort ja ohnehin, und eine Weinflasche unter den Fliesen zu verbergen, sollte die rockigen Organisatoren nun wirklich nicht überfordern.

Erschienen am 01.07.2009

Aktionsfreie Alkoholwoche

Samstag, 27. Juni 2009

Jan Bosschaart über Worte, die kaschieren sollen und dabei viel mehr verraten

Es bedarf keiner fundierten psychoanalytischen Ausbildung, um zu wissen, dass Versprecher verräterisch sind. Das Enttarnungspotenzial des gemeinen Zungenausrutschers ist total: Einmal verquasselt, und der Sprecher steht quasi nackt vor dem Publikum. Herausreden verschlimmbessert nur. Bleiben zwei erprobte Gegenmittel: Gepflegte Selbstironie, kombiniert mit dem Eingeständnis des ohnehin offensichtlich Gewordenen, oder weiterreden als sei nichts geschehen. Letzteres empfiehlt sich vor allem Zeitgenossen, denen die Selbstironie als soziales Werkzeug nicht zur Verfügung steht. Doch vor dem Einsatz dieses nur zweitbesten Mittels ist peinlich genau zu prüfen, dass niemand im Raum sitzt, der genau hinhört. Das mag für die Teambesprechung oder das Business-Meeting gelten, ist aber bei Pressekonferenzen ein seltenes Phänomen. Und so fanden folgende goldene Sätze auf der Aktionswoche gegen Alkohol den Weg in Journalisten-Blöcke: „Herzlich Willkommen zur Aktionswoche ,Alkohol ohne Grenzen’“ (der wahre Titel lautete: ,Kenn Dein Limit’) und „Hiermit eröffne ich die aktionsfreie Alkoholwoche.“ Entzug kann so schmerzhaft sein!

Erschienen am 30.06.2009

„Keine netten Menschen“

Freitag, 22. Mai 2009

Ausflug: Eine Art Katastrophentourismus: Grüne schippern am Griebnitzseeufer

POTSDAM | Jonathan ruft unverdrossen „Hallo!“, zu jedem Boot, das vorbeizieht – ganz gleich, ob jemand zurückruft. Diese bedingungslose Freundlichkeit haben nur Zweijährige. Sie wirkte anrührend und seltsam deplatziert auf jenem Floß, mit dem der Kreisverband der Grünen am Mittwochnachmittag jeden, der wollte, über den Griebnitzsee schipperte – um den Schaden am nur noch teilweise erkennbaren Uferweg sichtbar zu machen, damit die Potsdamer sich nicht an die Sperrung gewöhnen und „um Flagge zu zeigen“, wie Kreisvorsitzende Eva Benirschke erklärt. Dieses Flaggezeigen wird ein wenig dadurch erschwert, dass eine Grünen-Flagge, ökologisch korrekt mit Seil am Floß befestigt, gleich beim ersten Anlegeversuch in den Fluten des Sees versinkt. Irgendwer aus dem Floßinneren merkt an, dass das nicht geschehen wäre, wenn man statt eines Plastikstiels einen ökologisch wünschenswerten Holzstiel benutzt hätte: Dann wäre die Flagge geschwommen.

Es ist der zweite symbolische Kollateralschaden des politisch motivierten Ausflugs. Der erste tritt ein, als Seeanrainer und Stadtverordneter Wolfhard Kirsch (Bürgerbündnis) von seinem gesperrten Grundstück aus etwas zum Floß ruft. Man versteht sich nicht – akustisch wie inhaltlich – und so setzt sich Kirsch ans Steuer eines Motorbootes, umkreist das Floß und erklärt von Deck zu Deck, dass er einst kompromissbereit war und das auch dokumentieren könne. Es fallen einige weniger freundliche Sätze, dann gibt Kirsch Gas. Eine Verfolgung ist weder gewünscht noch angesichts von sechs PS aussichtsreich. Doch auf dem Floß bleibt der Nachgeschmack ob dieser Symbolik und trübt die Stimmung.

Sie wird nicht besser, als die Mitreisenden das ganze Ausmaß der Baumaßnahmen sehen: Die möglicherweise illegal auf den schmalen Pfaden angerollten 30-Tonner haben ganze Arbeit geleistet. Manche Grundstücke sehen aus, als habe es nie einen Weg gegeben, andere erinnern an Kraterlandschaften. Eine Frau fragt genau dahin, wo es den Grünen weh tut: Warum sie nicht Enteignungen fordern, wie es die Linke tut. Eva Benirschke schweigt eine Weile, dann sagt sie: „Wir können uns doch nicht den Linken anschließen.“ Außerdem widerstrebe es ihr, den Anrainern, „ auch noch Steuergelder in den Rachen zu werfen.“ Jonathan grüßt derweil mit seinem unverdrossenen „Hallo!“ jemanden auf einem Ufergrundstück. „Lass das!“, sagt seine Mutter und drückt das Ärmchen herunter, „das sind keine netten Menschen“. So geht es zwischen Dampferanlegestelle und Park Babelsberg hin und her – eine Form von ohnmächtigem Katastrophentourismus auf einem Holzfloß. Grüne und Sympathisanten bleiben dabei weitgehend unter sich, an Bord sind Sätze wie „Jetzt genieß doch mal die Fahrt, Malte, und ärger’ Dich nicht“ zu hören. Irgendwann schwappt eine Welle über den Bug und macht alle, die ganz vorn sitzen, patschnass. „Grüne gehen baden“, titelt ein Mitreisender. Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Doch irgendwo auf dem schlammigen Grund des Griebnitzsees liegt eine Parteiflagge.

Erschienen am 22.05.2009

Hinreizend

Freitag, 22. Mai 2009

Jan Bosschaart glossiert den fast schon poetisch geführten Kampf ums Haus des Reisens

Dass das Haus des Reisens in ein Haus des Abreißens gewandelt wird, ist nun gewiss. Dass es um den Abriss einen Aufriss gibt, war zu erwarten. Dass die mehrgeschossige Argumentation so durch die Decke geht, nimmt dann aber doch Wunder. Zu fast schon poetischen Ausführungen hat sich die „Andere“ in einer Erklärung hinreißen lassen: Um dem zu folgen und das Haus des Reisens als „Erholung fürs Auge“ und als „interessanten Ruhepunkt im Umfeld eintöniger Barockfassaden“ zu begreifen, müsste einem aber schon ein Abrissstein auf den Kopf fallen. Nimmt man diese Denkweise jedoch ernst, bietet sich optische Befriedung an vielerlei Stellen an. Das von postmoderner Grafitti-Hochkultur und Rost geprägte FHP-Gebäude wäre nach behutsamer Umbettung geeignet, das Auge von all dem eintönigen Barock in Sanssouci zu entlasten – und von den grauenhaften Sichtachsen. Das Belvedere verlöre viel von seiner anstrengenden Filigranität, nutzte man es als Randbebauung des umgelagerten, in seiner Klarheit innerlich reinigenden Mercure-Hotels weiter. Und Touristengruppen sollten nicht durchs kreuzlangweilige Holländische Viertel, sondern in den Schlaatz: Nur hier lässt sich der „Geist des Optimismus und der Zukunftsgewandtheit“, der die „Andere“ am Haus des Reisens reizt, ohne barocken Zierrat erleben.

Erschienen am 22.05.2009

Mustergültig in Musterhausen

Dienstag, 12. Mai 2009

Online: Linken-Fraktionschef Scharfenberg wird Opfer der Tücken des Internet-Wahlkampfes

Die Seite heißt „Scharfenberg für Potsdam“, doch für ein paar Tage drehte sich dort alles um Muster- hausen – offenbar eine Stadt mit ähnlichen Problemen.

Der Wahlkampf hat seine eigenen Gesetze. Journalisten können auf zunehmende Dünnhäutigkeit bei Politikern gegenüber Kritik und Pressefotografen auf großen Andrang vor der Linse bei Scheckübergaben und Kita-Grundsteinen bauen. Etwas später als die Allgemeinheit haben auch Landtagskandidaten den Charme des Internets entdeckt und stellen auf eigenen Webseiten, mit Facebook-Einträgen, Online-Videos, Blogs und SMS-Beschuss die Bits und Bytes in den Dienst des Wahlkampfs.
Mancher schießt dabei übers Ziel hinaus und biedert sich in einem Maße an, dass sich die junge Zielgruppe angewidert wegdreht; andere belassen es bei lustlosen Anmeldungen auf vermeintlich coolen Seiten, stellen ein Passfoto drauf und drei Passagen aus dem Wahlprogramm und behaupten auf Presseterminen, sie seien jetzt „online voll dabei“ – wohl hoffend, dass die Damen und Herren von den Medien von den Begriffen FaceBook, YouTube und Twitter so verwirrt sind, dass sie nicht nachschauen.
Doch der Online-Wahlkampf hat seine Tücken. Das musste Linken-Stadtfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg erfahren, der sich erneut um einen Landtags-Sitz bewirbt. Er ließ hastig eigene Seiten freischalten, als der Potsdamer SPD-Landtagskandidat Mike Schubert (SPD) jüngst mit seiner „M-Community“ online ging. Doch Scharfenbergs Seiten gehörten offenbar zu einem Mustersatz, den die Linke allen ihren Kandidaten zur Verfügung stellt. Daran ist nichts auszusetzen, schließlich sorgt es dafür, dass alle Seiten der Partei ähnlich aussehen und sich das Wahlvolk schnell zurechtfindet. Dumm nur, dass Scharfenbergs Mitarbeiter vergessen hatten, außer dem Namen ihres Kandidaten weitere Parameter zu ändern. Ein Wochenende lang ließ sich daher lesen, dass Scharfenberg vom „Linke-Verband Musterhausen“ für „ein weltoffenes Musterhausen“ eintritt. Schließlich nehme „Musterhausen als Stadt der Wissenschaft“ die Bürgerrechte ernst und trete daher für Zuwanderung ein. Auch, dass in Musterhausen 3000 Menschen arbeitslos sind und 5000 Menschen als arm gelten, lernte der interessierte Surfer – und erfuhr so nebenbei einiges über politisches Phrasendreschen, denn offenbar sind das Sätze, die fast überall gelten.
Wer den Kandidaten darauf ansprechen möchte, hat spätestens am 1.Dezember – ein paar Wochen nach der Wahl – dazu Gelegenheit: Dann weilt Scharfenberg nämlich laut Internet ab 23 Uhr im Hotel Mustermann zum 2.Musterhausener Parteitag.
Nach drei Tagen waren die Standard-Seiten verschwunden. Die Adresse verweist nun auf die – ganz klassische – Seite der Linksfraktion im Landtag. Und im Hintergrund wird in aller Ruhe an einer mustergültigen Version gefeilt, die dann sicher auch direkten Potsdam-Bezug hat.

Erschienen am 12.05.2009

22 Meter und 47 Schritte

Samstag, 2. Mai 2009

Besuch: Während Camilla durch Sanssouci geführt wurde, warteten die Fans geduldig auf einen kurzen Blick

POTSDAM | Sie kommt nur bis „Countess“, dann scheitert sie an der Staatsmacht. Die Polizisten nehmen ihre Absperr-Aufgaben sehr ernst und keinerlei Rücksichten auf überzeugte Royalisten. Deshalb muss Karina Ristel (31) ihren Satz, der mit „Aber ich möchte doch nur Camilla sehen, sie ist schließlich…“ beginnt und dann zum 33 Worte umfassenden offiziellen Titel von Camilla Mountbatten-Windsor übergeht, hinter der imaginären Absperrung vollenden, die die Polizisten am Eingang zum Schlosspark gegenüber der historischen Mühle ausweisen.

Den Unterschied zwischen Aristokratie und gemeinem Volk markiert diesmal – über die klassischen Ständegrenzen hinweg – ein zehn mal sieben Zentimeter messendes Stück Plastik, das einigen um den Hals baumelt. Wer es hat, ist geadelt und darf sich dem Tross um Stiftungsdirektor Hartmut Dorgerloh, Innenminister Jörg Schönbohm und Bürgermeister Jann Jakobs anschließen. Wer nicht, muss sich zum Pöbel zählen und wird von Polizei und Botschaftsangehörigen auch so behandelt. Dass die Britische Botschaft selbst bei Presseakkreditierungen offenbar gewürfelt hatte, statt nach medialer Bedeutung zu entscheiden, sorgt für zusätzliche gute Laune vor dem Tor.

Für jene, die warten müssen, dauert Camillas Besuch exakt 22 Meter oder 47 Schritte. So lange braucht die in ein elegantes weißes Kleid und blauen Mantel gehüllte Herzogin von Cornwall, um von der schwarzen Limousine bis zum Tor zu gelangen. Fröhlicher Applaus von etwa 80 Schaulustigen hallt ihr nach. Karina Ristel indes ist den Tränen nahe. Sie hatte sich wesentlich mehr Nähe erhofft. Nicht nur, weil sie ohne zu stocken von „Her Royal Highness“ über neun Titel bis „Princess of Scotland“ kommt und Camillas Lebenslauf herunterbeten kann wie jenen von Prinz Charles, Lady Diana und anderen Royals, sondern auch, weil sie unbedingt sehen wollte, wie Camilla, die sie sonst nur „im Paket mit Charles“ zu Gesicht bekomme, sich allein schlägt im Damenprogramm. Daraus wird nun nichts. „Sie müssen das verstehen“, sagt ihr Freund entschuldigend und ungefragt zu dem Häuflein Wartender, das stehen geblieben ist, als die Menge sich auflöst und auf die Rückkehr der Herzogin zur Limousine wartet, „sie trägt selbst Unterwäsche mit dem Wappen der Windsors“. Er lächelt verkniffen, trippelt ein wenig auf der Stelle und sieht so aus, als könne er sich nicht entscheiden, ob Scham oder Stolz stärker sind. Die anderen schauen kurz konsterniert und setzen sich dann an der Rampe in die Sonne. 15 Minuten sieht der Zeitplan der Herzogin für Schloss und Gemäldegalerie vor, die Wartezeit gilt als überschaubar. Gegenüber nimmt ein als Friedrich II. gewandeter Flötenspieler seine Musik wieder auf. Auch er wurde kurzzeitig verscheucht. Die Polizisten sind im Park oder ziehen sich zu den Autos zurück. Alles klebt am Magneten Camilla, der Eingang verwaist. Zehn Minuten vergehen, es kommt ein wenig Langeweile auf. Langeweile, die ins Philosophische mündet. „Warum eigentlich der Rummel? Die Frau hat weder was geleistet noch stellt sie was dar noch ist sie schön. Sie hat nur zufällig einen möglichen Thronfolger kennengelernt“, sagt ein älterer Herr. Die Frage bleibt ohne Antwort. „Polizisten in grünen Hosen mit weißen Sakkos sehen echt scheiße aus“, bemerkt eine jüngere Stimme nach weiteren Minuten. Wieder Stille. „Sie ist das mit dem Tampon ja auch nie losgeworden“, versucht es einDritter. Aussichtslos. Die Gruppe brät in der Sonne und kommt zu keinem Gespräch. Mittlerweile sind fast 40 Minuten vergangen. „Mich nervt dieser Flötenschlumpf da oben echt schwer“, sagt ein Jugendlicher. Alle nicken. Die Laune ist auf dem Tiefpunkt. „Man müsste so eine Plastikkarte um den Hals haben“, bringt es eine Dame auf den Punkt. Dann plötzlich: Bewegung. Erst ein Pulk rückwärts laufender Touristen, dann die Pressemeute, dann die Polizei, die wieder alles an die Seiten drängt. Camilla lächelt immer noch, blinzelt in die Sonne, schüttelt ein paar Hände. 22 Meter, 47 Schritte. Die Herzogin besteigt die Limousine. Konvoi ab. Applaus hallt ihr nach. Karina Ristel hat erneut eine Träne im Auge – und Friedrich II. greift wieder zur Flöte.

Erschienen am 02.05.2009

Publikumsjoker

Samstag, 25. April 2009

Jan Bosschaart über einen dringend nötigen Wechsel der Strategie am Griebnitzsee

Da hieß es immer, die Enteignungsdrohung sei die ultimative Waffe der Stadt in Sachen Griebnitzseeuferweg. Papperlapapp! Die ultimative Drohung ist ein neuer Uferweg auf – möglichst hohen! – Stelzen vor den nun gesperrten Grundstücken, wie ihn jetzt die SPD ganz perfide ins Gespräch gebracht hat. Herrlich, wie es sich da hoch über den Wassern aufs gemeine Millionärsvolk herunterschauen, ihm in die mahagonimöblierten Schlafzimmer linsen und in den Kopi Luwak spucken ließe. Man kennt das Prinzip aus Zoos, wo Hängebrücken über die Krokodilwelt führen, oder aus dem Dschungelcamp, wo die lästerlichsten Kommentare aus der Höhe des Sozialneids auf die nichts ahnenden Protagonisten platschen. Sollte sich das als Erfolg erweisen – und dazu ist die Idee geradezu verdammt – ließe sich das am Heiligen See nahtlos fortsetzen. Wir haben schon, voller Vorfreude, den Ruf aus luftiger Höhe über dem Jauchschen Grundstück im Ohr: „Huhu Günther, kuck mal hoch, hier ist dein Publikumsjoker!“

Erschienen am 25.04.2009

Angebiedert

Freitag, 24. April 2009

Jan Bosschaart über falsche Lehren aus dem amerikanischen Wahlkampf

Dass Politiker gern Barack Obamas furiosen Wahlkampf kopieren, dessen Strategien aber nicht auf Deutschland übertragbar sind, ohne dass man sich lächerlich macht, lernte schon SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Als er einen vollen Saal mit Parteimitgliedern zu „Yes we can!“-Rufen aufforderte, kam keine Antwort. Potsdams SPD-Vorsitzender Mike Schubert versucht es nun im Internet und hat auf seiner Website die „M-Community“ gegründet. M wie Mike. Dort rührt er alle Internetseiten zusammen, die im Verdacht stehen, irgendwie – der Leser verzeihe die Begriffswahl – in, hip, cool oder hype zu sein, er twittert und facebookt, flickert und youtubet, was der HTML-Generator hergibt. Die ganze Seite schreit: „Ich will die junge Zielgruppe!“ Dabei wird die coole Community auch noch mit der Brechstange beworben: „Brandenburgs erster Onlinenetzwerker“ sei Schubert, und „ein gefragter Mann“, denn alle Welt wolle wissen, was die M-Community sei. „Was Facebook kann, kann ich nämlich schon lange“, sagt er – und übersieht, dass außer seinen Parteigängern niemand einen Grund findet, warum er nicht gleich auf die Originalseiten zugreift. Der Zielgruppe, der sich Schubert damit anbiedert, ringt er jedenfalls nur ein mildes Lächeln ab: No, he can’t.

Erschienen am 24.04.2009

Aurasehen für den Anfänger

Samstag, 18. April 2009

Messe: Drei Tage „kommerzialisierter Obskurantismus“ im Waschhaus

Noch bis Sonntag informieren die Esoteriktage über Geistheilung, Hellsicht und Aurafotografie.

SCHIFFBAUERGASSE| Das Seminar zur Selbstheilung muss krankheitsbedingt leider ausfallen, verkündete eine Notiz. Davon abgesehen ging es am Eröffnungstag der Esoterik- und Naturheiltage im Waschhaus gestern aber munter zu. Auch wenn vom „großen Andrang“, den der Veranstalter ausgemacht haben wollte, nicht die Rede sein konnte, kamen doch rund 50 Besucher gleich zur Eröffnung in die Schiffbauergasse. Der Veranstalter rechnet mit 3000 bis Sonntagabend.
Gleich in der Eingangshalle dominiert der Stand mit den Heilsteinen. Der Besucher lernt, dass es Steine gegen Bandscheiben und Haarausfall, Lernschwäche und Schluckauf, Tumore und Sodbrennen, Leberschäden und Schlaganfall gibt; solche, die „Sensiblen ein dickes Fell schenken“ und andere, die „aus Drama Komik“ machen, was auch das Motto des Standes sein könnte. Doch die Verkäuferin nimmt ihre Steine sehr ernst, sie rät den Käuferinnen, sie jeden Abend unter klarem Wasser von negativen Energien zu reinigen und pendelt für jede Interessentin den richtigen Stein aus. Wer will, kann selbst ein Pendel erwerben und über dem Diagramm die Sinnfragen des Lebens anhand der fundamentalen Alternativen „ja“, „nein“ und „vielleicht“ entscheiden lassen. Man kennt das noch vom „Willst-du-mit-mir-gehen?“-Zettel aus der Grundschule. Ein vierter Punkt ermöglicht dem Pendel, die Antwort zu verweigern. Wer auf soviel Hilfe nicht mit ausreichend Barschaft vorbereitet ist, darf glücklicherweise mit Kreditkarte zahlen. Ein Stein gegen akuten Geldmangel oder fehlendes Vertrauen in Esoterik ist aber nicht im Angebot.
So geht es weiter. Eine Schamanin drückt den Besuchern Amulette in die Hand und trommelt dann mit geschlossenen Augen so lange, bis sich deren Probleme offenbaren. Wer mag, darf das Amulett für 45 Euro mitnehmen. Der Bücherstand bietet alles über Engel, Schamanen, Rituale, Magie in den Farbschlägen weiß, schwarz und rot, über Kabala, Karma und Hellsicht für den Hausgebrauch. Ein paar Meter weiter probiert ein Herr, dem die Beine wehtun, die feinstofflich aktive Bettwäsche. Dafür setzt er sich 30 Minuten in die Ecke, das Kopfkissen vor die Brust gepresst, und hofft auf Besserung. Nach 30 Minuten Sitzen tun die Beine wirklich weniger weh, und zum Glück nimmt der Anbieter auch EC-Karten, also ist die Bettwäsche gekauft. Am anderen Ende lassen die Besucher Fotos von ihrer Aura machen. Mit Deutungshilfe kostet das 20 Euro, mit mündlicher Erklärung vom Aurafotografen 25 Euro.
Eine Psychotherapeutin, die nachher schon den Tsunami von 2004 vorausgesehen hatte und alles wichtige im Voraus durch den Wind spürt, bietet die Wohnungsbefreiung von Geistern für 190 Euro an. Büros sind offenbar schwerer zu entgeistern, sie kosten nämlich 350 Euro. Andere Anbieter heilen das innere Kind oder helfen bei der spirituellen Partnersuche. Mancher bietet auch einfach nur „das beste Wasser der Welt“ zu Literpreisen, die selbst Tankwarte neidisch machten oder Massagebürsten, Kräutertees und Holundergelee. Die Kunden sind mehrheitlich fasziniert und überzeugt.
Lediglich eine Dame, die ihren Namen nicht verrät, zieht von Stand zu Stand, um den Anbietern ins Gewissen zu reden: Dass das doch Unsinn sei, Geschäftemacherei und gotteslästerlich obendrein. Das ist angesichts der versammelten Esoterikbranche, die sie den „kommerzialisierten Obskurantismus“ nennt, ein eher sportliches Unterfangen. Vielleicht hätten ihr die Seminare „Familienstellen mit Engeln“ oder „Aurasehen für Anfänger“ besser getan.

Erschienen am 18.04.2009


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