Archiv für die Kategorie „Märkische Allgemeine“

Hochhängende Trauben

Dienstag, 27. Oktober 2009

Jan Bosschaart über einen Erfolg, der sich ganz schnell rächen kann

Nicht nur die familienfreundlichste Stadt Deutschlands ist Potsdam und jene mit den höchsten Mieten, jetzt haben wir auch noch die besten Taxis. Potsdam, Stadt der Superlative. Die Liste ließe sich fortsetzen: Die oppositionellste Linke, der geschlossenste Uferweg, die spendabelsten Star-Einwohner drängen sich geradezu auf. Doch auch da ist es, wie es mit den Taxen ist: Der Titel allein zählt wenig, es lohnt ein Blick aufs Detail. Der zeigt dann eher, dass die Mietkutschen in Potsdam im Durchschnitt ganz ordentlich sind, wie in vielen anderen Städten auch. Prestigeträchtige Titel indes können schnell zum Fluch werden, weil sie die Erwartungen in den Himmel heben. Wer mit dem Test im Hinterkopf auf einen jener typischen Taxilenker trifft, die mit bodenständig-märkischem Charme dem Fahrgast beim Kofferverladen zusehen, bevor sie ihn mit einem sanft gebrüllten „mit den Döna aba nich ufft Polsta“ freundlich zurechtstutzen und die beim Bezahlen gezogene Kreditkarte mit den Worten „so’n Kram nehmwa nich“ zart zurückweisen sowie auf den ersatzweise beschafften 50-Euro-Schein mit „kannick nich wechseln“ reagieren, wird Potsdam in wenig guter Erinnerung behalten. Ohne den Test würde er es hingegen als ganz normalen Wahnsinn verbuchen. In diesem Sinne, liebe Taxifahrer: Die Trauben hängen jetzt vadammt hoch!

Erschienen am 27.10.2009

Schade eigentlich!

Mittwoch, 30. September 2009

Schade eigentlich, dass die Wahl schon wieder vorbei ist. Man hat so gar nichts gemerkt davon. Erste freundliche Menschen machen sich bereits daran, die inhaltsleer grinsenden Kandidatengesichter von den Laternenmasten zu schälen. Manchem Mandatsbewerber ist das Grienen im Laufe des Sonntagabends ohnehin vergangen, und das überhebliche Feixen der Sieger will auf die Dauer erst recht niemand sehen. Es erinnert den Bürger zu schmerzlich daran, dass die Freude beim Kreuzen kurz und die Reue beim Regiertwerden lang ist. Passend zur politischen Stimmung hat sich mit der großen Koalition auch der Sommer verabschiedet. Jetzt ist es kalt in Deutschland, dunkel und grau, das Leben fällt von den Bäumen. Sagen jedenfalls die Verlierer. Die Gewinner hingegen versprechen mehr netto als brutto, frische Atomkraftwerke und einen festen Platz der Türkei in der Arabischen Liga – statt in der EU. Im Land haben es zumindest die Grünen wieder in den Landtag geschafft – wenn auch nur in die Opposition. Sie werden sich wohl vergeblich am Ausstieg aus der Kohle aufreiben, statt sich um das Problem zu kümmern, das die Landeshauptstädter wirklich bedrückt: die immens wachsende Zahl von Riesenjeeps in Potsdam, die trotz Klimawandels und Abwrackprämie täglich um zehn Exemplare zuzunehmen scheint. Vorsichtigen Schätzungen zufolge verlängern diese in der Stadt völlig sinnfreien Cayennes und Qashqais den ohnehin nervigen täglichen Stau um den Faktor zwei und die Parkplatznot in der Innenstadt sogar um den Faktor drei: Weil die rollenden Kompensationsmechanismen zwei Parkplätze brauchen und der Fahrer sich qua gesellschaftlichem Status und Geldbörse den albernen Linien, die den Parkplatz begrenzen, ohnehin nicht verpflichtet fühlt. Er steht außerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams und daher auch der Verkehrsregeln, und auch den Treibhauseffekt kommentiert er eher schulterzuckend mit: „Was kümmert mich Euer Klimaelend? Wenn die Ostsee dereinst bis Berlin reicht, weil Holland als Vorfluter untergeht, kaufe ich mir halt eine Finca im südamerikanischen Hochplateau.“ In solchen Momenten gewinnt dann die Idee an Charme, die Abgase aller Autos mit mehr als 300 Milligramm Kohlendioxidausstoß zur Vorklärung zunächst durch den Innenraum des Fahrzeugs zu leiten und den Lenker als Biofilter zu benutzen. Wird sich aber natürlich mal wieder nicht durchsetzen, diese grandiose Idee, weil die Grünen mal wieder Mopsfledermäuse schützen. Oder, wie in Potsdam, mit der Errichtung eines gesamtstädtischen Freilichtmuseums befasst sind. Schade eigentlich.

Erschienen am 30.09.2009

Rumpelnde Wahlwerbung

Donnerstag, 24. September 2009

Politik: Grüne und Linke chauffierten den Wähler mit Straßenbahnen durch die Stadt

Gute Laune, quietschende Bremsen: Grünen-Bundeschefin Claudia Roth und Landtagskandidaten der Linken waren auf Tour.

POTSDAM |  Es herrscht nicht wirklich Gedränge an diesem Dienstagabend, auch wenn am Hauptbahnhof jedes zweite Plakat für „Straßenbahnfahren mit Claudia“ wirbt. Das mag daran liegen, dass Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, mit satten zwei Stunden Verspätung in die historische Gotha-Bahn steigt. Selbst der Ruf „Bis Platz der Einheit, kostenlos!“, von eifrigen grünen Parteigängern in die kühle Nacht gerufen, verhallt nahezu ungehört. Nur eine Gruppe Schwaben, die eigentlich in eine andere Richtung wollte, steigt der Landsfrau zuliebe ein. Und Harri. Harri trägt Leggings mit Tigerdruck, Gummischuhe und eine Art Nachthemd unter einer Sportjacke, seine Habe fährt er in einem ausgedienten Kinderwagen vor sich her: Decke, Bierflaschen, Leergut. Er steige ein, weil er auf Verpflegung und ein warmes Plätzchen hoffe, sagt er. Letzteres kann ihm die Tatrabahn bieten, ersteres nur bedingt: Wasser und Weintrauben schenken die Grünen aus, eine Mischung, von der Harri sagt: „kriechick Dünnsch… von“. Mit dieser Haltung steht er schnell allein. Die Grünen sagen, es wäre wegen des Geruchs.
Indes hat Claudia Roth, die auch nach einem langen Tag, der um 7 Uhr mit vier Tassen Kaffee und einer Parteiklausur in Nürnberg begann, recht munter wirkt, das Mikrofon der Straßenbahn ergriffen und freut sich zunächst, dass Schwaben an Bord sind: „Wenn’s was umsonst gibt, da fahrt’s schon mit, gell?“ frotzelt sie. Die Stimmung bleibt auch gut, als Roth sagt, in Ostdeutschland hielten viele die Grünen für einen Luxus, den man nur in guten Zeiten wählen könne, weil sie sich um Mopsfledermäuse und Gräser kümmerten. Was natürlich so nicht stimme. Es sei höchste Zeit, sagt sie, dass die Mark grüner würde, den abtrünnigen Parteigänger Platzeck müsse man an seine frühen Ziele mahnen, und Kohle sei nun wirklich keine Zukunftsenergie. Sie beklagt die „Ausschließerei“ im Bundestagswahlkampf, schließt aber im selben Satz die „Jamaika-Koalition“ aus und erzählt, dass Trams schon als Kind für sie das Größte waren. Am Platz der Einheit befragt Roth den Zugführer zu technischen Details, Harri indes steigt aus; er ist an diesem Abend kein Grünen-Wähler geworden. „Die kommt also mittn Fliega und ’n Auto und will mia watt über Ökolojie erzähln“, sagt er im Fortgehen, den Kinderwagen vor sich her schiebend. Claudia Roth muss indes mit dem Bus weiter nach Rostock. 25000 Kilometer legt sie in neun Wochen Wahlkampf zurück. „Das geht mit dem Fahrrad nunmal nicht“, stöhnt sie.
Weniger gehetzt und bester Laune drehen zwölf Stunden später die Linken eine Runde durch die Stadt. Landtagskandidatin Anita Tack hat eingeladen, Hans-Jürgen Scharfenberg und Bundestagskandidat Rolf Kutzmutz sind mit an Bord der diesmal knallroten Tatra. Als verkehrspolitische Sprecherin hat Tack die Straßenbahn als Wahlkampfmobil erwählt, als Kämpferin für eine Wiederbelebung des Bahnhofs Pirschheide das Fahrziel festgelegt. Und die Lieblingsforderung der Linken, den kostenlosen Schülerverkehr, kann sie so auch noch zwanglos anbringen.
Von Harri keine Spur, doch es hätte ihm gefallen: Es gibt starken Kaffee und handfeste Brötchen. Als dann auch noch sechs Kinder mit zwei Erziehern auf dem Weg zur Kita „Firlefanz“ zusteigen, ist der Wahlkampftraum nahezu perfekt. Die Jüngstwähler sind an verkehrspolitischen Fragen zwar eher desinteressiert, nehmen Bonbons und Luftballons aber gern an. Auch die weitere Klientel ist dankbar: Eine ältere Dame kommt nun schneller zur Apotheke, ein älterer Herr rechtzeitig zum Arzt: „Janz tolle Idee“, lobt er. An jeder Haltestelle tobt ein Junglinker heraus, um Wahlplakate über die Fahrpläne zu kleben. Einmal wäre die Bahn fast ohne ihn weitergefahren, doch die resolute Anita Tack lässt stoppen: „Die Linke vergisst keinen“, sagt sie, als ihr Helfer wieder an Bord ist.

Erschienen am 24.09.2009

Versehrt an Körper und Seele

Dienstag, 8. September 2009

Bildung: DDR-Dopingopfer berichtet am OSZ „Johanna Just“ aus seinem Leben

Dass mancher die DDR nicht unbeschadet am Charakter überstand, hatten die Schüler schon gehört. Bernd Richter erweiterte ihr Wissen ins Körperliche.

POTSDAM | Anschaulicher kann Geschichtsunterricht kaum sein. „So wie ich hier sitze, bin ich ein Produkt der DDR“, sagt Bernd Richter gleich zu Beginn.
Er meint damit nicht nur, wie das Land, in dem er aufwuchs, seinen Charakter prägte, sondern auch und in erster Linie seinen Körper. Einen Körper, der fast alle Knorpelmasse abgebaut hat, der unter einer schweren Gerinnungsstörung des Blutes leidet, mit Embolien und Thrombosen kämpft und zeitweise nur durch Morphium vom Druck der Schmerzen entlastet werden kann. Er hat sich wirklich nichts dabei gedacht, sagt Richter, und die Schüler des Oberstufenzentrums (OSZ) „Johanna Just“ in der Berliner Straße glauben es ihm, als er, der begabte Sportler, der familiären Problemen auf dem Sportplatz davonlaufen oder sie mit dem Diskus und dem Hammer von sich werfen konnte, in der Sportschule „Vitamintabletten“, „Eiweißpillen“ und „Spezialessen“ angedient bekam.
Es war Anfang der 70er Jahre, Richter war erst in der 9. Klasse und gerade in die Jugend-Nationalmannschaft gekommen – der Begriff Doping war noch nicht etabliert. Dass dem 15-Jährigen Brüste wuchsen, wurde mit dem „vermehrten Schwitzen“ beim Sport erklärt, wie auch andere hormonelle Probleme, die er lieber nicht vor den 18- und 19-jährigen Zuhörern, überwiegend Frauen, erzählt. „Was wir da bekommen haben, war noch nicht mal für Tierversuche zugelassen“, weiß Richter heute.
Es war ziemlich still in der Aula, als Richter seine Erzählung begann. Eingeladen hatte Bildungsminister Holger Ruprecht (SPD), der gestern auf „Kreistour“ war und nach einem empörten Brief einer Gymnasiastin, die DDR-Geschichte käme in Brandenburgs Schulen zu kurz, beschloss, die Sache in die eigenen Hände zu nehmen: Bereits zum 21. Mal trat der Minister in Sachen DDR-Geschichte nebst einem weiteren Zeitzeugen auf. Doch die recht glatt und glücklich verlaufene Vita des Ministers verblasst neben der brüchigen des Gastes: Die Dopingerfahrung war erst der Anfang.
Als er kurz darauf nicht nach Kuba zu einem Wettkampf reisen durfte, beschloss der 17-Jährige, über Ungarn und Jugoslawien in den Westen zu fliehen. Von einem Freund verraten, wurde er in Jugoslawien gefasst, was ihm tage- und nächtelange Verhöre in Budapest, in Berlin-Hohenschönhausen und der Potsdamer Lindenstraße einbrachte. Im dortigen Stasi-Untersuchungsgefängnis musste er ein halbes Jahr Einzelhaft erdulden, eine Qual, an der Richter auch hätte sterben können: Seinem Körper, der zehn Stunden Training am Tag gewohnt war, drohte bei so plötzlichem Trainingsabbruch Herzversagen.
Selbst nach der Entlassung aufgrund einer Amnestie wurde es immer nur vorübergehend besser: Ob in der Armee oder bei der GST (Gesellschaft für Sport und Technik), ob beim Versuch, sich selbstständig zu machen oder bei der Arbeit in der Potsdamer Bauverwaltung: Stets legten Stasi oder SED dem Unbequemen Steine in den Weg.
Die Schüler nahmen es mit Schrecken und fragten vergleichsweise viel nach. Einer bat gar um zusätzlichen Geschichtsunterricht zur DDR.

Erschienen am 08.09.2009

Freudenfahrt mit klemmenden Luken

Mittwoch, 2. September 2009

Stadtentwicklung: Neue Straßenbahntrasse freigegeben / Die Linke macht ihren Frieden mit der Trambrücke

Nach anderthalb Jahren Bauzeit fährt die Tram über ihre neue Brücke – leiser, schneller und ohne die Straße zu kreuzen. Für den Landtagsneubau ist nun Platz geschaffen.

POTSDAM |  Ein bisschen wirkten sie ja wie auf Klassenfahrt in dem Straßenbahn-Sonderzug. Zur offiziellen Freigabe der neuen Trasse kutschierten der Verkehrsminister, der Oberbürgermeister, der neue Baubeigeordnete und die Pro-Potsdam-Spitzen gestern nebst einem Presse-Pulk durch die Stadt. Dem SPD-Übergewicht im Waggon angemessen war es dann auch ein knallroter Tatra-Zug, der zugleich als Partybahn zu buchen ist, wovon nicht nur knallbunte Plastikblumen an den Fenstern zeugten. Dafür ließen sich die Fenster nicht öffnen, die Dachluken klemmten und an der Einmündung zur Friedrich-Ebert-Straße ging’s wegen Restbauarbeiten nicht weiter.
Die Hitze drückte, der Stimmung tat das keinen Abbruch. „Das ist das erste Mal, dass Sie bei der Arbeit schwitzen“, neckte Pro-Potsdam-Chef Horst Müller-Zinsius Erich Jesse vom Sanierungsträger, Verkehrsminister Reinhold Dellmann (SPD) legte Potsdams neuem Baubeigeordneten Matthias Klipp (Grüne) indes auf munter-joviale Weise die Paragraphen 34 und 35 des Baugesetzbuches ans Herz, die bitte künftig „personenunabhängig“ angewandt werden mögen, und die Bauausschuss-Vorsitzende Anita Tack (Linke) frotzelte über den ihrer Partei missliebigen Abriss des „Hauses des Reisens“, als die Bahn es passierte.
Doch irgendwann endete auch diese launige Fahrt an der neuen Haltestelle „Alter Markt“, und es galt zu arbeiten, eine Schere in die Hand zu nehmen, ein Band zu zerteilen und sich gegenseitig zu loben: Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) freute sich, dass die Arbeiten im Zeitplan lagen, dass nun die Voraussetzungen für den neuen Landtag da seien und man den 32 Millionen Euro teuren Verkehrsumbau in der Mitte gestemmt bekam: „Das war gut investiertes Geld.“ Dellmann freute sich, dass die „kluge Verkehrsführung“ eine Vollsperrung überflüssig machte, dass die zwölf Millionen Landeszuschuss in „stimmigem Kosten-Nutzen-Verhältnis“ ausgegeben wurden und klagte nur, der „Radfahrer im Verkehrsminister“ habe manchmal unter fehlenden Schildern gelitten. Sanierungsträger-Chef Jesse hingegen erfreute sich daran, dass 120 Leute in drei Schichten bis zuletzt zum Gelingen beitrugen und man 850Tonnen Stahl und 1,5 Kilometer Schienen für Brücke und Trasse verbaut habe. Sogar die Linke hat offenbar mit der „Luxusbrücke“ mittlerweile ihren Frieden gemacht: „Nun ist sie fertig – nutzen wir sie“, forderte Anita Tack, die auch im Infrastrukturausschuss des Landtages sitzt und verkehrspolitische Sprecherin der Linken ist. Sie betonte zwar noch einmal ihre Zweifel an der Wirtschaftlichkeit, räumte aber ein, dass sich die Brücke gut in die Umgebung einfüge und die Einschränkungen für Besucher der Freundschaftsinsel erträglich seien.
Bis spät in die Sonntagnacht hatten die Bauarbeiter noch gewirkt, bevor kurz nach vier Uhr am Montagmorgen die erste reguläre Tram über die neuen Flüstergleise rollte. Ab 20 Uhr waren am Sonntag die ersten Testwagen gefahren, hatten den Kontakt zur Fahrleitung und die Spurlage getestet und die korrekte Weichensteuerung überprüft. Trotz des hohen Zeitdrucks sei die Qualität der Bauarbeiten sehr gut, lobten die Verkehrsbetriebe.
Dem Verkehrsminister erschloss sich die Qualität ganz unmittelbar: Er konnte seine Ansprache trotz direkt neben ihm rollender Bahn halten, ohne von Quietschen, Kreischen oder Holpern unterbrochen zu werden. Bis zur Begehung der Brücke kam der Tross aber nicht mehr. Im Schatten des Fortunaportals warteten gekühlte Getränke, und dann mochte bei der Hitze niemand mehr weiter. Wie bei einer Klassenfahrt.

Erschienen am 02.09.2009

Die Show geht weiter

Mittwoch, 26. August 2009

Das sind jetzt so Tage, in denen dem Journalisten die Menschen, mit denen er professionellen Umgang pflegt, seltsam leer, wie automatisiert, ja roboterhaft erscheinen. Er kommt sich manchmal vor, als sei er in einen dieser Filme geraten, in denen ein einziger Überlebender zwischen entseelten Marionetten herumstakst, seine Beunruhigung nimmt zu, steigert sich in Angst. Zum Glück ist das nur eine Phantasie, doch das Wissen darum mildert den Eindruck nur bedingt. Am Freitag beispielsweise, als gezeigt wurde, wie der Landtag in Potsdams Mitte aussehen wird, da vermutete der Journalist, die SPD werde es gut finden, die CDU gut mit Abstrichen, und die Bürgerinitiativen fürs Schloss seien trotz historischer Kubatur und Fassade nicht zufrieden. Und wirklich: „Wunderschön!“ sagte die SPD, „schön, aber noch Änderungen nötig“, sagte die CDU, „schrecklich“, „großkotzig“ und „wie ein Toaster“ sagten die Initiativen. Die Linke sagte noch etwas zum Thema ÖPP, und beim Verlassen des Alten Rathauses beschlich den Journalisten das dumpfe Gefühl, dass er das auch schon hätte niederschreiben können, bevor er die Frage stellte. Die unangenehme Idee, dass er mit seinen Fragen zur Verfestigung dieses Prinzips beiträgt, verdrängte er.
Sicher, es ist Wahlkampf, die Geschlossenheit wächst, Minderheitenmeinungen treten zurück, der Wähler könnte ja verschreckt sein, wenn eine Partei sich Menschen leistete, die die Vernunft über einzelne Punkte des Wahlprogramms stellen. Und sicher, was will man erwarten, wenn schon sämtliche Kandidaten das gleiche, freundlich-kompetente, Vertrauen stiftende „Kreuz-mich-an“-Lächeln von Plakaten senden, die sich im Kern nun nur noch durch die Farbwahl unterscheiden? Eben.
Nehmen wir die Meldung, Potsdam würden in den nächsten zwei Jahren je 13 Millionen Euro im Haushalt fehlen. Da war ein Aufschrei zu erwarten, und noch bevor der Journalist zum Hörer greifen konnte, trudelten die Aufschreie im Mailfach ein. „Alle Projekte auf den Prüfstand“, lautete erwartungsgemäß die zentrale Forderung. Kurz darauf tagte der Finanzausschuss, und wenn schnell eines klar war, dann das: Es sollen alle Projekt auf den Prüfstand – so lange sie von den anderen Fraktionen kommen. Die Ideen der eigenen Partei hingegen sind unkürzbar, unerlässlich, unausweichlich. Das sind so Augenblicke, in denen der Berichterstatter sich gern von seinem Beobachterposten erhöbe und einzelne Abgeordnete auf den Bauch herumdrehte, um zu schauen, ob sich in deren Rücken ein viereckiges Loch befinde, in das der Fraktionsvorsitzende vor der Sitzung einen Schlüssel gesteckt und ordentlich gedreht hat, auf dass dieses Programm auch vornahmegemäß die nächsten drei Stunden ablaufe. Oder im Nacken nach eine Klappe schaute, in die die Kassette mit dem immergleichen Ton geschoben wird. Es ist gut, dass er das nicht tut, der Journalist, denn es droht die Gefahr, dass er fündig würde. Dann allerdings bräche sein Welt- und Berufsbild zusammen. Deshalb schreibt er lieber eine Glosse und geht hernach in den Bauauschuss. The show must go on!

Erschienen am 26.08.2009

Der Thron muss noch warten

Montag, 24. August 2009

Film: Frank-Walter Steinmeier besuchte Sets von Hexe Lilli und Sandmann

POTSDAM-BABELSBERG| „Schade, dass der Thron noch nicht da ist. Der hätte jetzt gut gepasst“, sagt jemand aus der Filmcrew von „Hexe Lilli“ zum Kandidaten Steinmeier. Der lächelt gequält. Selbst hier in den Babelsberger Studios, selbst an diesem sonnigen Sonntagnachmittag, kann der Wahlkämpfer die Umfragen nicht vergessen. Und natürlich ist Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Wahlkampf hier, denn Filmstudios gehören für gewöhnlich nicht zu seinen Kernaufgaben als Außenminister. Ein ganzer Tross aus Studiomitarbeitern führt Steinmeier nach einem Gespräch mit Studiochef Carl Woebken über das aufwändige Set des zweiten „Hexe Lilli“-Films, der 2011 in die Kinos kommen soll. Steinmeier erfährt, dass es sich um eine für europäische Maßstäbe sehr aufwändige Produktion handelt, betrachtet interessiert den fertigen und professionell eingestaubten Basar und ist guten Mutes, bis im Thronsaal das traurige Lächeln sich durchringt. Die Thronassoziationen holen den Kandidaten in die Wirklichkeit der Umfragen zurück.
Doch der Besuch hat eine Menge Presse angelockt, das Drängeln und Schieben der Fotografen und Kameraleute in den engen Kulissen erinnert an modernen Ausdruckstanz. Steinmeier wirkt indes konzentriert, ja fast versunken. „Das wär kein Platz für mich“, sagt er angesichts des aufwändig gestalteten Thronsaals, „ansehen zu müssen, wie die Arbeit von Jahren nach drei Tagen überflüssig wird“. Was für ein Satz! Einem Reporter bricht vor Begeisterung der Bleistift ab. Steinmeier schaut ihn an, zieht sybillinisch die Mundwinkel hoch.
Per Elektrocar geht’s weiter zur Caligari-Halle. Händeschütteln mit Filmpark-Chef Friedhelm Schatz, dann erklärt Jan Bonath, wie der Sandmann gedreht wird. Es ist Tag 103 der 108-tägigen Produktion, das Set gilt als „heiß“, die Film-Mitarbeiter halten die Luft an, als Produzent Bonath Steinmeier den Hauptdarsteller in die Hand drückt. „Man kann ihn in jede Pose verbiegen, und die hält er dann“, sagt Bonath. Da staunt der Wahlkämpfer Steinmeier und schaut ein klein wenig neidisch. Als er den Sandmann wieder aus der Hand gibt, atmen zehn Leute von der Crew erleichtert auf.
Draußen sagt Steinmeier dann noch, dass er auf historischem Boden gestanden habe, dass nirgendwo auf der Welt länger Filme gemacht werden und dass Babelsberg nicht von der Geschichte, sondern von seiner Zukunft lebe. Dann muss er weiter. Sollte ihm das Volk wider Erwarten am 27. September auf den Thron heben, wird er wiederkommen. Carl Woebken sähe das gern. Er rühmte den Kandidaten als einen der Gründerväter des Deutschen Filmförderfonds, von dem Babelsberg sehr profitiert.

Erschienen am 24.08.2009

„Prachtkind“ und „’n reinet Jewissn“

Montag, 24. August 2009

Eine Telefonkonferenz von Hasso Plattner mit Rainer Speer offenbarte eklatante Stilunterschiede

Es dauerte 40 Minuten, das Gespräch, dass Finanzminister Rainer Speer (SPD) am Mittwoch mit Hasso Plattner führte. Speer wollte das Okay von Plattner zur Vergabeentscheidung für den Landtagsneubau. Als Schenker von 20 Millionen Euro für die historisch korrekte Fassade hatte Plattner ein Wörtchen mitzureden. Die auf achteinhalb Minuten verdichtete Version, die am Freitag die Presse zu sehen bekam – und die im Internet für jedermann abrufbar steht – zeigt aber nicht nur, dass Plattner in dieser Videokonferenz von Potsdam nach Palo Alto in Kalifornien seinen Segen zur Entscheidung gab, sondern auch eklatante Stilunterschiede: Plattner sitzt um 7 Uhr Ortszeit taufrisch wirkend in einem modernen Konferenzraum und plaudert locker über den Entwurf, Speer hockt etwas geduckt vor der Kamera und wirkt ein wenig wie der Schuljunge, der zur Tafel zitiert wurde. „Morgen Herr Minister, ist es ein Prachtkind geworden?“, fragt Plattner generös und betont, er sei froh, damals „den Anruf gemacht“ zu haben. Speer sieht dank erhöhter Kameraperspektive aus, als kniete er vor dem Tisch, hinter ihm eine Ledercouch mit Karokissen. Er berlinert, was das Mikro hergibt.
Großzügig betont Plattner nun, dass trotzdem nicht die ganze Innenstadt in Barock aufgebaut werden müsse, als sei das allein seine Entscheidung, und lobt das „wunderschöne Potsdam“. Speer hingegen will vor allem Absolution. „Wir ham beede noch’n Vertrach mitnanda“, sagt er nach einer Weile. „Ick hab’ ’n reinet Jewissen. Den hab’ ich erfüllt“, grummelt er ins Mikro. „Das kann ich voll bestätigen“, entgegnet Plattner, der sich, vom Minister angesteckt, selbst ertappt, wie er „das Ding“ zu dem Schloss sagt, sich aber noch schnell korrigiert. „Jruß darüber“, endet Speer. Er hätte auch „Tschüssikowski“ oder „Rinnjehauen“ sagen können, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Plattner indes lässt beste Wünsche an den Ministerpräsidenten bestellen.

Erschienen am 24.08.2009

Keine Diskussion

Dienstag, 18. August 2009

Jan Bosschaart über legitime Wahlkampfmaßnahmen und schlichte Augenwischerei

Wahlkampfaktionen sind manchmal so durchschaubar, dass der Wähler eigentlich intellektuell beleidigt sein müsste. Dass er es nicht ist, liegt nur daran, dass er kaum noch etwas anderes erwartet. Wenn eine in Sachsen geborene und aufgewachsene Politikerin für den Brandenburger Landtag mit dem Slogan „Heimat im Herzen“ kandidiert, ist zumindest Stirnrunzeln erlaubt. Und wenn die Linke nun eine „Umfrage“ zur Gestaltung der Potsdamer Mitte startet, und die erwünschten Antworten schon in den Fragen verbirgt, dann ist das ein recht transparenter Versuch, für die eigenen Positionen möglichst großen Rückhalt zu generieren. Daran ist nichts falsch, so funktioniert Politik. Aber es als „Umfrage“ zu verbrämen, als ein offenes Instrument also, mit dem die Stimmung in der Bevölkerung erfasst werden soll, ist schlicht Augenwischerei. Wie die Potsdamer zum Schlossbau stehen, haben diverse Umfragen gezeigt. Wie die Linke zum Schlossbau steht, hat sie mehrfach deutlich gemacht – und der Stadt für ihre Zustimmung dazu ein ausnehmend großes Sozialpaket abgetrotzt. Dass die Linke mit dieser Aktion Wähler unter den Jungen und Studierenden abschöpfen möchte, ist ihr gutes Recht. Aber dann nennt es bitte auch Wahlkampf. Und nicht Umfrage oder Diskussion.

Erschienen am 18.08.2009

Was bleibt: Eine Keks-Phantasie

Mittwoch, 5. August 2009

Jetzt, wo ihr Nachfolger in den Startlöchern steht, bereits erste Veranstaltungen besucht und Projekte begutachtet, können wir es ja sagen: Am Ende ist sie nicht am Battis-Bericht oder an schlechter Kommunikation gescheitert, die Baubeigeordnete Elke von Kuick-Frenz. Sondern an der Geschichte mit den Keksen.
Aus baulicher Sicht sind diese Kekse eine ganz simple Angelegenheit: Trocken-bröseliger grundhafter Aufbau, Vollmilch-Deckschicht und – als fassadäres Highlight – eine Applikation aus weißer Schokolade in Form eines Turmes. Poetisch veranlagte Naturen wären da schon hellhörig geworden: Der Turm, ein Solitär, wehrhaft, aber sehr einsam. Doch Journalisten sind nicht poetisch veranlagt. Wären sie es, säßen sie im Feuiletton und nicht bei der Baubeigeordneten. Der in Rede stehende Keks jedenfalls gehört zu einer Kekssammlung, wie es ihrer tausende gibt. Der durchschnittliche Journalist wird wöchentlich im Schnitt 3,72 Mal mit solchen Keksen konfrontiert, die meist als launiges Beiwerk zu nur mäßig genießbarem Filterkaffee bei Presseeinladungen am späten Vormittag daherkommen. Ist nicht zufällig noch ein stets hungriger Fotograf im Raum, bleiben sie meist unangetastet, die Kekse.
Nicht so in Zimmer 1.023 des Stadthauses, wenn die Beigeordnete Neuigkeiten für die Presse vorhielt. Sie griff bei den Turmkeksen stets beherzt zu – als Gastgeberin ihr gutes Recht. Was die Sache nicht unerheblich komplizierte, ist, dass es derer je Packung nur zwei gibt – der Kekse, nicht der Beigeordneten. Und: Sie betonte stets launig und lauthals, dass diesen Keksen ihr unumstößliches Interesse gälte. Hätte sie wortlos gekrümelt, die Geschichte wäre wohl anders verlaufen. Zunächst ließen die Reporter die Beigeordnete gewähren, denn sie haben ein prinzipielles Misstrauen, wenn sie auf Terminen gefüttert werden sollen. Doch dann berichteten sie in der Redaktion von der Vorliebe der Beigeordneten, und die Dinge nahmen einen dramatischen Lauf. Redaktionsleiter nämlich, die Natur und die Berufssoziologie wollen es so, sind per Definition Alphatiere – beim nächsten Termin in 1.023 folglich harrten der Beigeordneten keinerlei Turm-Kekse mehr, stattdessen aber zwei vollgekrümelte Lokalchefs mit diabolischem Grinsen. Der Brunnen war augenblicklich vergiftet, der Fehdehandschuh geworfen, das Kriegsbeil exhumiert. Doch man wird nicht Beigeordnete im nur mit paramilitärischen Methoden zu überlebenden Bauressort Potsdams, wenn man sich nicht zu wehren weiß: Beim nächsten Termin erschien Kuick-Frenz deutlich früher, um Vorräte sicherzustellen. Die Journaille ihrerseits schlug zurück, in dem sie eine Vorhut aus niederen Chargen – Volontäre, freie Mitarbeiter – zur Keksreservierung entsandte. Die sich auf beiden Seiten unvermeidlich einstellenden Keksverluste wurden durch böse Zeitungskommentare auf der einen und zurückgehaltene Informationen auf der anderen Seite kompensiert. Eine normale, kritisch-würdigende Zusammenarbeit erwies sich fürderhin als unmöglich. Das Klima war vergiftet, das Gebäck auch, und so bröselte der Keks – man ging sich gehörig auf denselben. Am Ende, man muss es sagen, hatte die Beigeordnete keine Chance mehr gegen die geballte veröffentlichte Meinung. Der weiße Turm war befleckt, die Wiederwahl unmöglich. Und der einzige Hunger, der blieb, war der nach Vergeltung.

Erschienen am 05.08.2009


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