Archiv für die Kategorie „Märkische Allgemeine“

Wollestraße: Parkplätze oder Bäume

Donnerstag, 29. Januar 2009

Sanierung: Anwohnerwünsche gehen in Babelsberg weit auseinander

Wenn wir nicht übers Pflaster streiten, streiten wir über die Einbahnstraße: Im Stadtkontor ist dieser Tage Nervenstärke gefragt.

POTSDAM-BABELSBERG| „Manchmal“, sagte einer der Anwohner beim Hinausgehen, „manchmal wäre eine Diktatur doch ganz praktisch.“ Es waren fast zwei Stunden vergangen, als sich der mit 60 Anwohnern hoffnungslos überfüllte Raum leerte. Das Stadtkontor hatte seine Pläne zur Sanierung der Wollestraße vorgestellt, die vermutlich im Frühjahr 2010 beginnt.
Dass die Sanierung dringend nötig ist, dürfte dabei der einzige Konsens an diesem Abend gewesen sein: Das alte Pflaster ist vielfach kaputt, der Lärm und die Schäden an den Häusern sind immens, die fehlende Regenentwässerung lässt zuweilen Keller volllaufen und die das Straßenbild prägenden Rotdorn-Bäume sind laut Grünflächenamt und Naturschutzbehörde zum überwiegenden Teil dank rücksichtslosen Parkens dem Tode geweiht.
Weil er die häufig auseinanderklaffenden Wünsche der Anlieger im Sanierungsgebiet bereits gewohnt ist, hatte Dietrich Wiemer vom Stadtkontor diesmal gleich zwei Varianten projektieren lassen und erhoffte sich von der Anwohnerversammlung ein erstes Meinungsbild, das durch eine Umfrage unter allen Anwohnern demnächst geschärft werden soll. Die erste Variante sieht vor, den Straßenquerschnitt bei 6,10 Metern zu belassen, die kranken Rotdornbäume zu ersetzen und das Parken künftig auf eine Straßenseite einzuschränken. Dabei fielen zum Schutze der Bäume aber 64 bis 72 Parkplätze weg. Version zwei sieht eine Verbreiterung der Straße auf 8,10 Meter vor, zu deren Ungunsten die Gehwege auf 1,30 Meter Breite gestutzt würden und der traditionelle Rotdorn dem nicht so mächtige Kronen bildenden Weißdorn weichen müsste. Im Gegenzug könnte auf beiden Straßenseiten geparkt werden, es fielen kaum Stellplätze weg. Gemeinsam ist beiden Varianten der Austausch der Trink- und Schmutzwasser, Gas- und Elektroleitungen sowie der Einbau der bislang fehlenden Regenentwässerung in die Straße. Außerdem soll laut Verkehrsbehörde in jedem Fall die Einbahnstraßenregelung aufgehoben werden, um Umweg-Verkehre zu vermeiden.
Der Plan, den Anwohnern die Meinungsfindung durch Alternativen zu erleichtern, darf nach der munteren Debatte im Anschluss dennoch als grandios gescheitert gelten: Statt über die Auswahl zwischen historischem Baumbestand oder Parkplätzen entzündeten sich nicht nur Debatten um die beliebte, leidige Frage „Asphalt oder Pflaster“, die das Stadtkontor trotz Hinweises auf einen nach den Streitigkeiten der letzten Jahre von den Stadtverordneten gefassten Grundsatzbeschluss für das alte Pflaster nicht unterbinden konnte: Man diskutierte auch und vor allem darüber, ob man die Einbahnstraßenregelung nicht beibehalten könne. Warum das nötig sei, konnte zwar niemand schlüssig begründen – sieht man einmal vom Argument ab, dass das schon immer so gewesen sei –, aber das minderte die Leidenschaft des Streits nicht. Kurios dabei war, dass viele Anwohner bekannten, sich ohnehin nicht an die Regelung zu halten, denn die Wollestraße sei nun einmal lang sonst oft ein Umweg nötig. Wäre es nach dem Meinungsbild im Saal gegangen, es müsste wohl eine breite Einbahnstraße mit doppelt Parkplätzen, zum Teil mit Pflaster, zum Teil mit Asphalt, unter Beibehaltung des Rotdorns und breiten Gehwegen sein. Das ist aber nicht nur technisch, sondern rechtlich unmöglich.
Dem Stadtkontor stehen turbulente Zeiten ins Haus.

Infobox: Pflasterstreit
Die Straßensanierung in Babelsberg leidet seit Ende 2007 an verschiedenen Meinungen zur Frage: Pflaster oder n Asphalt?
In der Jahnstraße setzten Anwohner das Pflaster durch.
Die Meinungen in der Neuen Straße und der Wollestraße sind geteilt – ein Großteil der Bürger ist für Asphalt.
Ein zwischenzeitlich gefasster Grundsatzbeschluss der Stadtverordneten erzwingt im Sanierungsgebiet aber den Erhalt des Pflasters.

Erschienen am 29.01.2009

Vernunft statt Egoismus

Donnerstag, 29. Januar 2009

Jan Bosschaart über das kakophonische Meinungsgewirr im Sanierungsgebiet Babelsberg

Wenn mitten in der schönsten Debatte, nachdem der Sanierer zum dritten Mal erklärte, warum politische, rechtliche oder technische Vorgaben bestimmte Bürgerwünsche unmöglich machen, wenn da jemand einen Satz mit „Aber trotzdem“ beginnt, kann schon mal die Frage aufkommen, wer eigentlich für die Sanierung der Nerven von Stadtkontor-Mitarbeitern zuständig wäre. Das ist natürlich ungerecht: Das Babelsberger Sanierungskonzept legt Hauseignern harte Bandagen an, und wer sich als Bauherr monatelang um einen
Türgriff oder eine Gaube streiten musste, ist schnell empört, wenn er das Gefühl hat, das Stadtkontor dürfe leichtfüßig Straßenzuschnitt oder Baumbestand ändern. Der Bürgereinsatz für die Sanierungsziele ist hoch zu achten. Im kakophonischen Meinungsgewirr aber, dass sich derzeit unter- und innerhalb zu sanierender Straßen erhebt, ist dieses Interesse kaum noch auszumachen. Dazu sind die Forderungen oft zu egoistisch: Keine Parkplätze auf der Straße, weil ich welche auf dem Hof habe; keine Mieterbefragung, weil es mich Eigner mehr betrifft und, als Krönung, weiterhin eine Einbahnstraßenregelung, die für mich Anlieger aber aus Gewohnheitsrecht sowieso nicht gilt. In solchen Debatten setzen sich bestenfalls die Lautesten, aber nicht die Vernünftigsten durch. Doch gerade die werden jetzt gebraucht.

Erschienen am 29.01.2009

Verpflastert

Samstag, 24. Januar 2009

Jan Bosschaart über unklare Fronten, entnervte Sanierer und lustige Workshops

Potsdam ist nicht nur ein schwieriges Pflaster, es hat auch welches. Während Radler in den Natursteinen ein gebisszerrüttendes Hindernis sehen, die Stadt angesichts des Pflegeaufwands am liebsten eine geschlossene Asphaltdecke über Babelsberg legte und Rettungswagenfahrer von einem potenziell lebensverkürzenden Faktor sprechen, überraschten Anlieger der Jahn-, Watt- und Siemensstraße in den letzten Jahren mit einem vehementen Kampf für die alten Steine. Die Stadt beugte sich dem Protest, doch wer glaubte, die Fronten seien damit definiert, irrte: In der Neuen Straße scheint niemand vom Pflaster begeistert. Das Stadtkontor als zuständiger Sanierer hat die Prognose des Bürgerwillens daher eingestellt und wartet mittlerweile einfach ab, welche Initiativen sich so bilden. Der Bauausschuss hingegen geht in die Offensive und veranstaltet für 14 000 Euro einen lustigen Pflasterworkshop, in dem alle Argumente nochmal ausgebuddelt, geprüft und danach wohl wieder vergraben werden. Auf der Tagesordnung steht etwa „Natursteinpflaster im Konflikt zwischen Geschichtszeugnis und Gebrauchsgegenstand“, und als Vorablektüre ward den Abgeordneten das Standardwerk „Die Kunst des Pflasterns“ anempfohlen. Dass dabei ein Trostpflaster für Pflasterskeptiker herausspringt, ist unwahrscheinlich.

Erschienen am 24.01.2009

Die Klinge wird stumpf

Donnerstag, 15. Januar 2009

Jan Bosschaart über reale und vermeintliche Baufrevel und die Rolle der Verwaltung dabei

Bauen wir, wie es die alten Meister taten oder geben wir moderner Architektur eine Chance – das ist zur Gretchenfrage der öffentlichen Baudiskussion der letzten Jahre geworden, nicht nur, aber besonders in Potsdam. Die Debatten werden erbittert geführt, und sie beschränken sich keineswegs auf öffentliche Gebäude. Erinnert sei an die Lennéstraße 44 oder die aktuelle Diskussion um die Seestraße 7. Von Kritikern wird dann gern das Battis-Schwert geschwungen und impliziert, alle Schuld liege bei der Bauverwaltung, deren Schwächen der Bericht des gleichnamigen Baurechtlers 2007 aufdeckte. Doch jede zu oft geschwungene Klinge wird stumpf, und nicht jeder Fehler der Vergangenheit taugt zur Erklärung aktueller Entscheidungen. Im Falle der Seestraße7 konnte die Verwaltung überzeugend erklären, warum sie den Bauherren mit seiner anspruchsvollen Architektur von einigen Bestimmungen befreit. Das war im Fall Lennéstraße44 noch ganz anders, wo der Chef-Stadtplaner jede Begründung verweigerte. Die Gegner des Neubaus sollten daher die Battis-Klinge ruhen zu lassen. Die Stadt hat sich nicht ins Schema „alt oder modern“ zwingen lassen, sondern am Einzelfall entschieden – für einen dritten Weg: Einen modernen Bau, der die alten Meister interpretiert.

Erschienen am 15.01.2009

Fröstelnde Fische aus Fernost

Mittwoch, 31. Dezember 2008

Silvester: Der Marmorkarpfen ist lecker, wird aber verschmäht

Sie kamen zu DDR-Zeiten als Gastarbeiter, wurden hier aber nie richtig warm. Nun neigt sich der Auslandseinsatz der Marmorkarpfen dem Ende zu.

KALLINCHEN| Nach den Weihnachtsfeiertagen gelten selbst dauerhungrige Zeitgenossen als ausgefüttert. Ein 62 Kilogramm schwerer und 1,52 Meter langer Marmorkarpfen dürfte daher auch größere Gesellschaften als Silvester- oder Neujahrsmahl überfordern. Fischer Peter Sombert hingegen kann sich nicht aussuchen, was er in seinen Netzen findet. Zum Jahreswechsel wird Karpfen traditionell nachgefragt, und er könne ja keine Schilder an die Netze hängen, die den gewünschten heimischen Spiegelkarpfen das Hängenbleiben nahelegt, während er den „Gästen“ aus Asien, den meist größeren Marmor- und Silberkrapfen empfehle, einen Umweg im Motzener See zu schwimmen, sagt Sombert trocken. Und überhaupt, was heißt hier Gäste: In den 1970er Jahren ließ die DDR die Asiaten in großen Stückzahlen in die Seen setzen, um die Gewässer sauber zu halten. Da die Tiere genügsam sind und ausschließlich Plankton fressen, galten sie als wirtschaftlich sinnvoll. Doch ein wenig mehr Fischkunde vorher hätte helfen können: Die Gastarbeiter aus der Mongolei und China frieren in deutschen Gewässern: In jedem kalten Winter reduzierte sich die Population merklich– von ursprünglich 12000 Marmorkarpfen im Motzener See sind es derzeit vielleicht noch 2000, schätzt Sombert. Und: Weil die Gäste wärmeres Wasser gewöhnt sind, kommt in den kalten märkischen Seen keine Fortpflanzungslust auf, so dass der Bestand sich auch nicht erholen kann. Immerhin taugen die im Sommer sprungfreudigen Karpfen als Touristenattraktion. „Wenn neben ihrem Boot so ein Kaventsmann einen delphintauglichen Salto vollführt, staunen sie Bauklötzer“, sagt Peter Sombert.
Prinzipiell müsste der Fischer in Kallinchen den marmornen Beifang im Netz nicht ignorieren: Die Filets sind lecker, und auch in der Fischsuppe macht sich der Marmorkarpfen ausgesprochen gut. Doch Sombert wird deren Fleisch nicht los, der Brandenburger will seinen Spiegelkarpfen, und alte Gewohnheiten sind eben schwer zu ändern. Außerdem überfordert die schiere Größe selbst experimentierfreudige Fischesser: Wer nimmt schon 20 Kilogramm Karpfen mit nach Hause…
So werden die Marmorkarpfen wohl ein vorübergehendes Phänomen bleiben, und das große Zappeln im Netz wird immer seltener werden. Gut 30 Jahre sind die Fische jetzt alt, ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 40 bis 50 Jahren. Zumindest in warmen asiatischen Seen.
Peter Sombert verkauft indes weiterhin zirka einjährige einheimische Spiegelkarpfen, die in der Helter seiner Fischerei, quasi einem umzäunten Becken, dem Schicksal in Topf und Pfanne entgegenschwimmen. Rund 300 Stück hat er über die Feiertage an Kunden aus der Region und aus Berlin verkauft. Mit ihrem Gewicht von zwei Kilogramm sind sie auch nach den fetten Tagen noch zu bewältigen.

Erschienen am 31.12.2008

Entsetzen in Chor und Kirche

Dienstag, 23. Dezember 2008

Neonazi: Rainer Link war im Berliner Oratorienchor bislang unauffällig / Illegale Straßenüberwachung

ZOSSEN | Die Geschichte um den Zossener Neonazi Rainer Link, die Stolpersteine vor seinem „Medienkombinat“ in der Berliner Straße und die Folgen nimmt kein Ende. Zwar hat der Holocaustleugner Link den umstrittenen Bierkasten nebst Aufsteller, den er gern auf die Erinnerungssteine stellte, mittlerweile durch einen lieblos geschmückten Weihnachtsbaum ersetzt, doch steht auch der gern mal auf statt neben den Mahntafeln. Zudem überwacht Link sein Geschäft und die Straße davor mit einer Kamera, deren Live-Bilder sich jederzeit im Internet abrufen lassen – inklusive aller Aufzeichnungen seit dem Tag der Einrichtung. Rainer Link überwacht damit öffentliches Straßenland, was laut Gesetz nur der Polizei erlaubt ist. Weil er auf diese Weise das Recht auf die sogenannte „informationelle Selbstbestimmung“ jedes Passanten und jedes Autofahrers in der Berliner Straße verletzt, die im Aufnahmebereich der Kamera vorbeikommen, und weil dank des online gestellten Bildarchivs sogar Bewegungsprofile möglich sind, kann dagegen jeder bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten.

„Das ist hochgradig illegal“, sagte Lena Schraut, Pressesprecherin der Landesdatenschutzbeauftragten in Brandenburg. Sie könne nicht verstehen, warum die Zossener das bislang hinnähmen und sich dieser Überwachung aussetzten, berichtete Schraut der MAZ. Die Enthüllungen über diverse Mitgliedschaften Links in neonazistischen und holocaustleugnenden Vereinigungen haben nicht nur in Zossen für Entsetzen und Irritationen gesorgt, wo sich zum Beispiel in der Kirchengemeinde und der Jungen Gemeinde viele von ihm abwandten, die Link bislang schätzten. Auch im Berliner Oratorienchor, dem der Zossener angehört – er singt die Bassstimme –, sorgte die Nachricht für Entsetzen. Ein Mitglied des geschäftsführenden Vorstands sagte der MAZ, man habe sich zwar noch keine abschließende Meinung gebildet, sei aber „entsetzt“ über die „sehr, sehr unerfreuliche“ Nachricht. Wegen der Weihnachtspause habe der Chor die „schreckliche Neuigkeit“ noch nicht diskutieren können. Chorleiter und Maestro Thomas Hennig sagte der MAZ, er stehe noch unter Schock und erwarte eine heftige Diskussion im Vorstand und im Chor. Die Überzeugungen und Aktivitäten von Rainer Link seien ihm bisher nicht bekannt gewesen. „Für solche Bodenlosigkeiten darf es kein Verständnis geben“, so der renommierte Chorleiter, der sich bislang gar nicht vorstellen kann, wie der für 2009 geplante Mendelssohn-Schwerpunkt unter diesen Umständen eingeprobt werden soll. Auch wenn alle Chor-Spitzen betonten, dass eine Entscheidung erst in gemeinsamer Diskussion nach der Weihnachtspause getroffen werden kann, ließ niemand einen Zweifel daran, dass die Zusammenarbeit mit Rainer Link künftig nicht mehr vorstellbar sei.

Live-Überwachung aus dem Internetcafé unter www.meinungsfreiheit.org/zossen

Erschienen am 23.12.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Geist der Weihnacht, missverstanden

Samstag, 20. Dezember 2008

Über Kommerz, Spenden und Harmonie-Irrtümer

Ja wo ist er denn nun, der Geist der Weihnacht? Liegt er begraben unter Geschenkebergen? Ist er längst totgedudelt von seichter Weihnachtsmusik, von Jingle Bells und Co. in der fahrstuhltauglichen Version? Oder ist er ertrunken im Glühwein? Depressiv vom Weihnachts-Werbe-Wirbel? Es gehört mittlerweile zur adventlichen Folklore, sich – nicht zu Unrecht – über die Kommerzialisierung und die Entzauberung des Weihnachtsfests zu beklagen und zugleich daran teilzunehmen. Das Verdammen von Spendeaktionen liegt an diesem Punkt der vorweihnachtlichen Debatte schon in der Luft wie der Kardamom beim Plätzchenbacken. „Warum nur jetzt“, heißt es dann meist mit betroffenem Augenaufschlag, „Not gibt es doch das ganze Jahr!“ Das mag unter moralischen Qualitätskriterien richtig sein, aber ginge es nicht etwas pragmatischer? Die Alternative zu Spenden, Wärme und Aufmerksamkeit vor dem Fest lautet doch nicht: dasselbe, das ganze Jahr über, sondern: dann eben nicht. So betrachtet, sind glückliche Kinderaugen und seelig lächelnde Hartz-IV-Empfänger im Advent vielleicht nicht der Himmel auf Erden, aber das kleinere Übel gegenüber der Alternative: Not von Januar bis Dezember. Auch wenn es zugegebenermaßen trübe stimmen kann, zu sehen, wie sich manch Spender medienwirksam inszeniert. Selbst wenn wir oft eher aus schlechtem Gewissen denn aus echtem Altruismus – falls es den überhaupt gibt – spenden, so wird doch die segensreiche Wirkung dieser Tradition davon nicht geschmälert.
Dass man es mit der Weihnachtsharmonie auch übertreiben kann, zeigt sich in Zossen nach wie vor im Umgang mit Neonazis: Obschon Kirche, CDU, Landrat und Bürger aktiv wurden, hält sich die Stadtverwaltung zurück, was ihr einen öffentlichen Rüffel des Landrats einbrachte. Sollte das dem Geist der Weihnacht geschuldet sein, hätte man ihn im Rathaus gründlich missverstanden.

Erschienen am 20.12.2008

Stilvoller Scheitern

Samstag, 29. November 2008

Ein Ratgeber für ehemalige und – ja, auch – aktuelle Kommunalpolitiker

Das Rausfliegen gehört zu den elementaren menschlichen Erfahrungen. Stets imponiert es als Krise, als ein Nicht-gut-genug-sein, und stellt den Rausgeflogenen daher vor eine schwierige Lage: Reparatur- und bestenfalls sogar Renovierungsarbeiten am Ego sind angesagt. Großen Geistern gelingt es, sich aufzurappeln, ja gestärkt daraus hervorzugehen, weil sie eine wichtige Lektion über die eigene Fehlbarkeit gelernt haben. Kleine Geister verkriechen sich im Selbstmitleid, schimpfen auf die Ungerechtigkeit der Welt oder jener imaginären oder konkreten Jury, die die – natürlich falsche – Entscheidung traf: Sei es nun das Wahlvolk an den Urnen, die öffentliche Meinung oder irgendein PopSuperTopModelStarsTalent-Juror a lá Detlef-Dieter-D.-Soost-Bohlen. Wir wissen nun nicht, wie Annemarie aus Rangsdorf ihr vorzeitiges Ende bei den „Popstars“ verkraftet. Immerhin wirkte die 19-Jährige bislang natürlich und bodenständig genug, um darüber nicht am eigenen Lebensweg und der eigenen Bedeutung zu zweifeln. Was man von jedem Lokalpolitiker nicht unbedingt reinen Herzens behaupten kann. So mancher, der es am 29. September nicht wieder in den Ortsbeirat oder die Gemeindeversammlung geschafft hat, oder der dort lieb gewonnene Fraktions- oder Ortsvorsteherposten räumen musste, versucht sich nun in einer Spezialform außerparlamentarischer Opposition: Hinkommen, meckern, geharnischte Leserbriefe verfassen lautet der dissonante Dreiklang dieses öffentlichen Zweit-Scheiterns, sehr zum Ärger der neu Gewählten, die gern konstruktiv Arbeiten würden, und sehr zum Spott der Öffentlichkeit.
Freilich muss das nicht sein. Betätigungsfelder für gerechte Empörung, für geharnischte Leserbriefe oder einfach nur Erschütterung böten sich dieser Tage allein in Zossen genug. Aber was war schon das bisschen Holocaust gegen aktuelle lokalpolitische Verwerfungen?

Erschienen am 29.11.2008

Die Pizza-Alternative

Freitag, 28. November 2008

Der alte Zosse über entscheidende Vorteile vergangener Tage

Das gemeine Vorurteil hat seine besten Zeiten auch hinter sich. Es wird zunehmend unzuverlässig. Früher waren Pferde zum Reiten und Arbeiten da, heute landen sie in immer mehr Mode-Restaurants auf der Pizza. Früher waren die Sommer warm und die Winter kalt, heute gibt’s Schneeregen im Juli, und der Winter fällt auf einen Dienstag. Früher waren Neonazis glatzköpfig, im Geschäftsleben unsichtbar und gegen Schwule und Behinderte. Heute betreiben sie internationale Callshops mit Sonderkonditionen für Anrufe in Erbfeind-Staaten und „Zossens einzige Schwulenbar“ und geifern offen antisemitisch, ohne dass ein anderer Gewerbetreibender die Notwendigkeit sieht, sich öffentlich zu distanzieren. Ich gebe zu, das verwirrt mich, und beim Versuch, unauffällig die Berliner Straße entlangzugrasen, hätte ich mir fast die Nüstern an einem leeren Bierkasten aufgerissen. Das sind so Tage, an denen ich nicht sicher bin, ob die Zeiten der zuverlässigen Vorurteile nicht die besseren waren. Oder ob ich lieber auf einer Pizza landen würde, als dieses Trauerspiel noch länger mitansehen zu müssen.

Erschienen am 28.11.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Neonazi enttarnt sich

Freitag, 28. November 2008

Eklat: Weil er sich nicht unter Kontrolle hat, wissen die Zossener nun, dass ein Holocaust-Leugner in ihrer Mitte lebt

ZOSSEN |  Seit drei Jahren lebte Rainer Link in Zossen (Teltow-Fläming) ein unauffälliges Leben. Er sanierte ein Haus in der Haupteinkaufsstraße und eröffnete dort sein „Medienkombin@t“, eine Mischung aus Internetcafé, Callshop, Kulturraum und „Gay-Bar“ (Schwulenkneipe).
Seine Maske fiel, als vergangene Woche rund 30 Einwohner sich daran machten, einen Beschluss der Stadtverordneten umzusetzen: Sie wollten sogenannte „Stolpersteine“, kleine Erinnerungstafeln an jüdische Einwohner, die von den Nazis deportiert wurden, in den Asphalt vor seinem Laden einbringen. Die Fläche ist „öffentlicher Straßenraum“. Doch Rainer Link wollte sich damit nicht abfinden. Hochroten Kopfes stürmte er aus dem Laden, stieß Umstehende aus dem Weg, schrie und entriss einem städtischen Angestellten die Kamera, wobei er ihn verletzte. Wie ein wildes Tier gebärdete sich der Mann, rief die Polizei, die ihm freilich nicht helfen mochte, und drohte, die Steine noch am selben Abend herauszureißen sowie die Verlegung per Gerichtsbeschluss verbieten lassen zu wollen.
Bei dieser Drohung ist es geblieben: Die Steine liegen noch im Pflaster, auch das Amtsgericht Zossen verzeichnete bislang keinen Einspruch, nur mit einem täglich neu über die Gedenktäfelchen platzierten Bierkasten, an dem ein Aufsteller lehnt, provoziert der Unternehmer die Stadt, die sich bislang nicht in der Lage sieht, ihr Recht durchzusetzen.
Doch der öffentliche Ausbruch warf Fragen auf, die schnell eine Antwort fanden: Nach MAZ-Recherchen ist Rainer Link ein mehrfach angeklagter Holocaust-Leugner aus dem Umfeld des berüchtigten Anwalts Horst Mahler. Link, der aus Berlin nach Zossen zog, weil seine zweifelhafte Prominenz es ihm nahezu unmöglich machte, noch eine Wohnung zu bekommen, war zeitweise Schatzmeister des inzwischen verbotenen „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“, dem neben Mahler auch weitere prominente Holocaust-Leugner wie Ernst Zündel, Robert Faurisson und Anneliese Remer angehörten. Fotos im Internet zeigen ihn mit anderen Neonazis beim „Aufstand der Wahrheit“ auf der Wartburg im Sommer 2003, wo Plakate wie „Den Holocaust gab es nicht“ in die Kamera gehalten werden. Auf die MAZ-Veröffentlichung hin schrieb Rainer Link einen Brief an Zossens Bürgermeisterin und beklagte sich über das geschäftsschädigende Gebaren der Stadt und darüber, „hinterrücks besteinigt“ worden zu sein. Er forderte die Entfernung der „Schuldkultsteine“. Eine öffentliche Reaktion der Stadt steht bislang aus.
Link ist neben Gerd Walther bereits der zweite prominente Neonazi in Zossen. Ins nähere Umland sind einige NPD-Leute aus der Hauptstadt gezogen, darunter auch Berlins NPD-Chef Jörg Hähnel. In und um Zossen mehren sich nun Stimmen, die einen Imageschaden für die Wachstumsregion befürchten.

Erschienen am 28.11.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):


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