Archiv für die Kategorie „Märkische Allgemeine“

Mehr Sicherheit dank teurer Technik

Samstag, 19. April 2008

Feuerwehr: Neue Drehleiter übergeben / Stadt konnte sparen

Die Vorgeschichte war lang, doch das Warten lohnte: Falkensee hat eine neue Drehleiter – und noch gespart.

FALKENSEE Wenn Männeraugen wie die von Kindern strahlen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Der Sohn bekommt die Eisenbahn geschenkt, die Papa nie hatte, oder die Feuerwehr ein neues Auto. Letzteres war gestern in Falkensee zu beobachten: Gestandene Männer in Uniform, die sich an Größe und Kraft ihres neuen Drehleiterfahrzeugs begeisterten, die an jedem Hebel ziehen und jeden Knopf drücken mussten, dazu ein Maschinist, der in bester Captain-Kirk-Manier auf seinem Kommandosessel vor Schalttafeln und Bildschirm thronte, per Funk den Überblick behielt und die lokale Prominenz mit einem Finger fast geräuschlos in luftige Höhen von 30 Metern und wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbeförderte.

Zunächst galt es aber, auf das edle Stück zu warten. Stadtbrandmeister Michael Sahr begann daher mit seiner Rede, in der er das neue Fahrzeug das größte Ereignis seit der 100-Jahr-Feier der Wehr im Jahr 2004 nannte. Er erinnerte an das lange Ringen um die Drehleiter, an den Stadtverordnetenbeschluss von 2006, in dem man sich schweren Herzens zu der Investition von 650 000 Euro entschloss, an die Freude über die Ernennung zur Stützpunktfeuerwehr, die das Vorhaben förderfähig machte und der Stadt in Kombination mit der Sammelbestellung des Landes fast 400 000 Euro sparte – Geld, das nun für anderen Feuerwehrbedarf ausgegeben werden kann.

Die Rede war durch, doch von der Drehleiter noch keine Spur. Die Damen brachten Sekt, die Kameraden traten von einem Fuß auf den anderen, erste Witze machten die Runde: Altbürgermeister Jürgen Bigalke, der mit an Bord saß, genieße die Aussicht über seine Stadt wohl zu lange. Die Musik spielte „Triumpfwagen des Feuers“ und niemandem fiel mehr ein Grußwort ein, da bog sie endlich mit Blaulicht um die Ecke, und in den Augen der Feuerwehrmänner stand nur noch ein Wort: Bescherung!

Erschienen am 19.04.2008

Forschen Schritts durch die Geschichte

Samstag, 19. April 2008

Historie: Im Olympischen Dorf haben die Führungen wieder begonnen / Nasskaltes Wetter sorgte bislang für wenig Andrang

Der Abriss zweier Plattenbauten im Olympischen Dorf ist so gut wie abgeschlossen. Dafür kommen jetzt die Besucher.

ELSTAL Die Bedingungen sind nicht eben optimal: Es ist kalt, ein fieser, eisiger Nieselregen dringt durch jede Jacke und die Truppe, die sich am Eingang des Olympischen Dorfes sammelt, könnte motivierter sein. Die meisten sind Ein-Euro-Jobber, die von der Akademie Seeburg zum Dorfrundgang abkommandiert wurden: Um sich weiterzubilden, und weil sie in einem Tourismus-Projekt später Flyer entwerfen sollen. Ob’s nun dem Wetter geschuldet ist oder dem Umstand, dass viele das Olympische Dorf längst kennen: Kommentare wie „Hat einer ein Koppkissen bei?“ und demonstratives Gähnen lassen nur auf gut verborgene Begeisterung schließen.

Dorfführer Klaus Michels, ehemaliger Sport- und Russischlehrer, lässt sich davon aber wenig beeindrucken: An seiner Jacke perlt der Regen ebenso ab wie die allzu laut geflüsterten Kommentare an seiner Begeisterung. Also setzt der 70-Jährige mit einem „Und los!“ den müden Tross in Gang, als starte er einen Crosslauf und eilt forschen Schritts voran.

Michels kennt sich auf dem 55 Hektar großen Areal aus wie in seiner Hosentasche, das wird mit jedem Wort klar. Er kennt die Lage jedes Gebäudes, ob es nun noch steht wie die rund 20 ehemaligen Sportlerunterkünfte oder von den russischen Streitkräften abgerissen wurde wie die repräsentative Empfangshalle und etwa 100 weitere Sportlerheime. „Junge, der kennt wohl selbst jeden Stein hier mit Vornamen“, entfährt es einem Teilnehmer, und trotz aller Unlust schwingt Respekt in diesem Satz.

Klaus Michels hat sich einen Zeitplan von zwei Stunden gesetzt, und er ist entschlossen, das zu schaffen. Im Sauseschritt geht’s zunächst zum Kommandantenhaus, er erklärt, was davon noch steht und wie es früher aussah, welche Teile warum fehlen und ist schon weiter unterwegs zum Waldsee, der inzwischen ausgetrocknet ist. Die Sauna, auf Wunsch der finnischen Mannschaft angelegt, existiert auch nicht mehr, doch Michels hat ein Foto davon dabei. Er zeigt es und sprintet zum Hindenburghaus weiter, im Laufen darum bittend, die Privatgespräche wenigstens leiser zu führen, damit die dann doch Interessierten ihn verstehen können.

Eveline und Frank Unger sind zwei dieser „dann doch Interessierten“: Sie haben 49. Hochzeitstag und sind fest entschlossen, aus diesem Anlass „etwas Neues aufzunehmen“. Rathenow und Nauen kennen die Steglitzer Rentner mittlerweile bestens, nun ist das Olympische Dorf dran. Sie sind begeistert – nicht nur von Klaus Michels’ Führung, die sie als „exzellent“ und „rhetorisch brillant“ loben, sondern auch von der Schönheit des Geländes und dem Einsatz der DKB-Stiftung für dessen Erhalt, den sie „segensreich“ nennen. Einzig den geringen Bekanntheitsgrad des halbverfallenen Schmuckstücks vor den Toren Berlins beklagen sie und sind wild entschlossen, in ihrem Bekanntenkreis für einen Besuch zu werben.

Während Klaus Michels mit den beiden über den „Thing“ und die „Bastion“ zur Speisehalle der Nationen weitereilt, die restliche Gruppe wie einen störrischen Hund hinter sich herziehend, muss DKB-Mitarbeiter Jens Becker die Bauarbeiter bremsen. Vor wenigen Wochen haben sie mit dem Abriss zweier der hässlichsten Plattenbauten aus der Zeit der russischen Garnison begonnen, jetzt sind sie ihm etwas zu zügig, denn das Olympische Dorf erregt zunehmend Medieninteresse: Der „Spiegel“, die „Zeit“, die „New York Times“ gar, wollen über die Erhaltung des Dorfes und die Entfernung der russischen Hinterlassenschaften berichten, doch vom ehemaligen russischen Café etwa kündet nur noch ein Hinweisschild, das Haus ist weg, der Boden planiert, selbst Gras schon gesät.

Klaus Michels, der sonst mit kritischen Worten nicht spart, nennt das Wirken der DKB am Ende seines Rundgangs unverhohlen „großartig“, trotz Meinungsverschiedenheiten im Detail. Die abkommandierten Ein-Euro-Jobber sind da längst ins Wochenende enteilt, und so hat er nun Zeit, im Trockenen der Sporthalle stehend, die interessierten Fragen der Ungers zu beantworten. „Waren doch optimale Bedingungen“, sagt er lächelnd, bevor er sich auf sein Rad schwingt, um nach Hause zu fahren.

Erschienen am 19.04.2008

Nur seine Frau ist resistent

Freitag, 11. April 2008

Ehrung: Michel Oldenburg aus Friesack gilt als „Deutschlands bester Verkäufer“

Wie ein Boulevardblatt mit viel Phantasie und sehr viel Verspätung einen Helden der Beratung erschuf.

DALLGOW–DÖBERITZ Wie es aussieht, kann Michel Oldenburg jedem einen Fernseher verkaufen. Nur seiner Frau nicht. Der ist mit technischen Argumenten nicht beizukommen. Ihr Gegenargument ist haushalterischer Natur: „Wir haben uns vor drei Jahren einen supertollen, teuren Fernseher gekauft. Wir brauchen keinen neuen.“ Vor drei Jahren. Bevor die flachen Fernseher den Markt eroberten, wie Oldenburg mit Leidensmiene betont. Manchmal hat es auch ein Fernsehrverkäufer nicht leicht.

Auf seiner Arbeit in einem Elektromarkt im Havelpark Dallgow läuft es hingegen blendend: Ein Berliner Boulevardblatt hat den Friesacker Michel Oldenburg diese Woche zu Deutschlands bestem Verkäufer erklärt. Wie es dazu kam, ist etwas verworren: Ende 2006 waren Testkäufer einer Computerzeitschrift in je einer Filiale der großen Elektromärkte in Deutschland unterwegs. Bei MediMax, Oldenburgs Arbeitgeber, suchten die Testkäufer die Dallgower Filiale auf, und fühlten sich dort so gut beraten, dass sie die Kette zum Sieger erklärten. Das Team war stolz, und schnell war auch klar, wer den Testkäufer beraten hatte: Michel Oldenburg. Als besten Verkäufer sah er sich deshalb aber nicht. „Jeder meiner fünf Kollegen hätte das genau so gemacht“, sagt er. So war er nicht wenig erstaunt, als das Boulevardblatt bei ihm klingelte. Seitdem ist Oldenburg eine kleine Berühmtheit. Er wird beim Mittagessen angesprochen, von Kunden, und auch die übrige Presse ist auf ihn aufmerksam geworden: ein Fernsehteam hat sich angemeldet, auch die hauseigene Mitarbeiterzeitschrift will ein Interview. Soviel Trubel hat Michel Oldenburg noch nicht erlebt, und dass, obwohl er schon seit 13 Jahren im Havelpark arbeitet. Momentan jedenfalls genießt er seine etwas unfreiwillige Berühmtheit, die ihn ja auch nicht grundlos ereilte: Der Verkäufer berät mit Leidenschaft, er entzaubert auch mal Marketingfloskeln, und wenn ein Kunde mit dem neuen Gerät nicht klarkommt, lotst er ihn am Telefon durch die Bedienung. Schließlich kommen zufriedene Kunden wieder, und Verkäufer bei MediMax erhalten bei jedem Kauf eine Provision. Sollten seine Einnahmen durch die neue Berühmtheit demnächst steigen, wer weiß, vielleicht reicht es dann auch bei ihm zu einem Flachbildfernseher. Haushalterische Argumente hin oder her.

Erschienen am 11.04.2008

Wiederauferstehung und so

Samstag, 22. März 2008

Ostern: Dieter Langner geht mit Kaninchen und anderen Haustieren in Seniorenheime

Die Berührung eines Tieres erweckt in pflegebedürftigen Menschen nicht nur Erinnerungen – manche holt sie gar für Momente ins Leben zurück .

NAUEN „Huch, das ist ja schrecklich“, sagt die alte Dame und quiekt vor Vergnügen, als sie das Kaninchen in den Schoß gesetzt bekommt. „Der beißt bestimmt“, fügt sie hinzu, während sie das friedlich mümmelnde Kaninchen liebevoll streichelt, völlig in ihr Tun versunken. Dieter Langner, der ihr das Tier reichte, will wissen, wie es ihr damit geht. „Ich habe Angst, aber es ist schön“, sagt die Dame, und als das Kaninchen einschläft, ist sie glücklich. Ein beschauliches Bild: Die gepflegte alte Frau im Rollstuhl, auf ihren Knien ein selig schlummerndes Langohr, davor ein stolzer Kaninchenbesitzer. Als die Dame kurz darauf verwirrt aufschaut und fragt, wem denn die Katze auf ihrem Schoß gehöre, bekommt das Bild einen Riss.

Doch für Dieter Langner (68) sind solche Risse unwesentlich. Nicht die Demenz der Patienten zählt, sondern die Freude, die seine Tiere den alten Frauen und Männern schenken. Also zieht Langner, pensionierter Tischler und seit 54 Jahren Kleintierzüchter, dreimal im Monat mit seinen Frettchen, Hühnern, Tauben, Enten und Kaninchen in die beiden Pflegeheime des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Nauen. Um als stolzer Züchter seine Tiere zu zeigen, und weil es den Senioren merklich gut tut. Wenn er es besonders krachen lassen möchte, bringt er einen Esel oder eine Ziege mit. Heute sind es Kaninchen. „Weil doch Ostern ist und so“, sagt Langner. Die Frauen vom ASB haben alles österlich dekoriert. Zunächst scheu, dann mit wachsender Begeisterung knabbern die Mümmelmänner daraufhin kurzerhand die Deko weg.

Einzige Konstante in Langners kleinem Reisezoo ist Terrier Hapsi, der nicht von Herrchens Seite weicht – es sei denn, der setzt ihn jemandem auf den Schoß. Dann übermannt Hapsi der Diensteifer, er schaut besonders nett und lässt alles, aber auch wirklich alles, mit sich machen. „Davon kann sich jeder Sozialarbeiter ’ne Scheibe abschneiden, was Hapsi so mitmacht“, kommentiert das Herrchen.

In Lucia Herrmann steigen Erinnerungen auf, als sie ihr Kaninchen in Empfang nimmt. „Wir hatten drei Pferde, Kühe, Schweine, Hühner, Kaninchen und sehr viel Land“, erzählt die 82-Jährige und verrät auf Nachfrage, dass sie von ihrer Jugend in Ostpreußen spricht. 1945 musste sie von dort fliehen: 20-jährig und „ungeküsst“, wie sie betont. Die Erinnerung an all die Tiere und das Land, das sie zurückzuließen, an den Krieg, das Feuer auf dem Hof, an die Vertreibung, das tut ihr gerade wieder weh. Dass die Tiere Erinnerungen wecken, ist durchaus gewollt. Dass es immer angenehme sind, kann niemand garantieren.

„Die allermeisten Effekte sind aber sehr positiv“, berichtet Dorothea Münzer, Leiterin der Tagespflege: „Der Körperkontakt regt den Tastsinn an. Etwas Warmes, Lebendiges, Bewegliches am oder auf dem Körper zu haben, wirkt belebend und aktivierend auf die Leute.“ Noch schöner ist es, wenn Langners Langohren längst verstummte Menschen zum Reden bringen. So wie Lilly Hoffmann. Die 83-Jährige sagt meistens nichts, und wenn doch, dann versteht sie niemand.

Als Dieter Langner bei ihr steht und das Kaninchen auf ihren Schoß setzt, greift sie so fest zu, dass die Pflegerinnen schon um die Gesundheit des Nagers fürchten. „Lasst sie mal, die will nur das Leben spüren“, stoppt Langner gutgemeinte Rettungsversuche. Der Griff lockert sich, Lilly Hoffmann hebt den Kopf und sagt: „Das hatte ich zu Hause auch.“ Klar und deutlich sagt sie es, und die Umstehenden sind so erstaunt, dass sie für einen Moment verstummen. Pflegeleiterin Dorothea Münzer lächelt nur. „So was passiert öfter.“

Dieter Langner gibt sich angesichts solch kleiner Wunder eher gelassen. Dass er hier gebraucht und gemocht wird, freut ihn aber sichtlich. „Als ich das erste Mal kam, gab es ein Gekreische, keiner wollte ein Tier anfassen. Mittlerweile rufen sie schon an, wenn ich mich nur fünf Minuten verspäte“, berichtet er stolz. Tagelang würden die alten Menschen über die Tiere sprechen und sich die Fotos anschauen, die bei Langners Besuchen gemacht werden.

So fangen sie nicht nur an zu reden, sondern kommen auch miteinander ins Gespräch. Auch Lilly Hoffmann, die, einmal im Schwung, nun zu ihrer Sitznachbarin sagt, sie halte ihr Kaninchen falsch und ihr prompt den richtigen Griff zeigt. „Ist halt Ostern“, kommentiert Dieter Langner, „da geht’s doch um Wiederauferstehung und so.“

Erschienen am 22.03.2008

Lebensmut aus dem Arztkoffer

Freitag, 7. März 2008

Eine Berliner Ärztin betreut seit mehr als 15 Jahren Obdachlose – oft auf eigene Kosten

Einige Kollegen nennen sie Nestbeschmutzerin, doch Barbara Weichler-Wolfgramm lässt sich davon auch nach der Pensionierung nicht bremsen.

BERLIN Wenn es gar nicht mehr geht, fängt Barbara Weichler-Wolfgramm an zu schreiben. Über die Fälle, die sie zu sehr mitnehmen, wie den Punk, der einen Schlaganfall erlitt. Mit 21 Jahren – wegen Drogen und wegen Alkohols. Die Ärztin brachte ihn in eine Therapie, und als er nach einiger Zeit wieder gehen und sprechen konnte, war er im Nu wieder auf der Straße, trank wieder, nahm wieder Drogen. „Das war sein Leben, und die anderen dort waren seine Familie“, sagt sie resigniert. Gut 20 Geschichten sind zusammengekommen, in ihrem „Totenbuch“. Irgendwann will sie ein richtiges Buch daraus machen, es veröffentlichen, aber das wird noch Jahre dauern. Bisher fühlt sich Barbara Weichler-Wolfgramm nicht einmal in der Lage, die Geschichten auch nur erneut zu lesen.
Unlängst hat sie das Bundesverdienstkreuz bekommen – weil sie sich seit gut 15 Jahren ehrenamtlich um Obdachlose, Punks und Straßenkinder in Berlin kümmert, sie untersucht und versorgt.
Es begann 1992: Barbara Weichler-Wolfgramm hatte die Vertretungsarbeit satt, und in einer Praxisbeteiligung am Kurfürstendamm fühlte sie sich nicht gebraucht. Sie wollte die gesellschaftliche Veränderung im Osten hautnah miterleben, also ließ sie sich im Friedrichshain nieder. Viele Patienten kamen aus der Hausbesetzerszene, die meisten stammten aus Osteuropa und waren illegal in Deutschland. Schnell sprach sich herum, dass da eine Ärztin ist, die kostenlos behandelt und niemanden meldet. Wegen dieses Rufs fragte die Caritas, ob sie im Arztbus Obdachlose versorgen wolle. Sie wollte – zweimal pro Woche fuhr Weichler-Wolfgramm mit. Und weil auch das noch nicht genügte, ging sie mit ihrem Arztkoffer zu den Punks – auf den Alexanderplatz oder wo immer sie gerade gebraucht wurde. In der Berliner Stadtmission baute die Ärztin seit 1996 auch noch die Krankenstation auf. „Das waren harte Jahre“, sagt sie heute, „aber auch sehr schöne“.
Mittlerweile ist Weichler-Wolfgramm in Rente. Zumindest formal, denn viele Patienten verarztet sie immer noch, auch in der Krankenstation ist sie mindestens zweimal pro Woche, obwohl sie dafür von ihrem neuen Wohnort Halle anreisen muss. Frei von äußeren Zwängen Medizin machen zu können, ohne das „Damoklesschwert des Punktsystems und der Abrechnungen“ über sich zu spüren, sei ein riesiger Luxus, betont sie.
Die Probleme ihrer Klientel sind stets die gleichen: Verdauungs- und Stoffwechselstörungen durch Alkohol und Drogensucht, Lungenkrankheiten und Bronchitis von der Kälte im Winter, Hautkrankheiten wie Krätze sowie Läuse und Flöhe wegen mangelnder Hygiene. Und es ist eine störrische, eigenwillige Kundschaft, die nicht selten Probleme mit Autorität hat. Für Weichler-Wolfgramm ist das kein Problem. Sie lässt sich von allen duzen, wird aber auch mal laut, wenn nötig. Das kommt nicht immer gut an, wovon einige derbe Verwünschungen auf ihrer Tür in der Krankenstation zeugen, doch ihre Patienten vertrauen ihr und schätzen die Begegnung auf Augenhöhe. Viele kommen wieder.
Vielleicht weil sie spüren, dass auch die Ärztin keine Freundin von Autoritäten ist – ganz besonders, wenn Autoritäten ihrem Engagement Steine in den Weg legen. Als die Caritas die Haltestellen des Obdachlosenbusses zu sehr einschränkte, nahm Weichler-Wolfgramm ihren Hut. Dass einige Bezirksämter sich noch immer weigern, die Kosten für Behandlungen von Obdachlosen zu übernehmen, macht sie wütend. Punks hingegen bewundert sie für ihre Freiheit und schätzt deren klare Kommunikation: „Wenn die mies drauf sind, lassen sie es dich spüren.“ Gegenüber den Alternativen – „dem Gefängnis Hartz IV und dem Gefängnis der Vereinsamung“ – empfindet Weichler-Wolfgramm Punks und Obdachlose geradezu als frei. Doch sie neigt nicht zur sozialromantischen Verklärung: „Obdachlosigkeit in Deutschland und speziell in Berlin ist eine selbstgewählte Härte. Es gibt Angebote en masse, die Versorgung ist sehr gut.“
1946 geboren, wächst Barbara Weichler-Wolfgramm in Hamburg auf, später in Berlin. Nach dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg studiert sie zunächst „aus Verlegenheit“ Soziologie, weil der Numerus Clausus für Medizin sie in die Warteschleife drängt. Doch was sie anpackt, bringt sie nach Möglichkeit auch zu Ende, und so ist Weichler-Wolfgramm Diplom-Soziologin, bevor sie sich für Medizin einschreibt. Die Sichtweise, die durch das Erststudium geprägt wurde, habe ihr später sehr geholfen, sagt sie, auch wenn sich die Arbeit mit Obdachlosen, in die sie nach eigenem Bekunden „so reinschlitterte“, da noch längst nicht abzeichnete.
85 Euro kostet ein Tag in der Krankenstation der Stadtmission, und das sind nur die Kosten der Unterbringung. Die medizinische Versorgung finanziert Barbara Weichler-Wolfgramm aus eigener Tasche. Wenn es gelingt, die Patienten zu versichern, kann sie sich das Geld von der Krankenkasse zurückholen. Was auf diese Weise hereinkommt, decke lediglich ihre Kosten, sagt sie. Viel bedrohlicher aber erscheint ihr die „überbordende Bürokratie im Gesundheitswesen und die Gefahr, dass der Patient an letzter Stelle landet“.
Am Schlimmsten sei es, wenn ein Patient noch medizinischer Hilfe bedarf, aber auf die Straße gesetzt wird, weil die Kosten nicht geklärt sind. Das gebe es auch in der Stadtmission. Dann würde Weichler-Wolfgramm sich am liebsten wieder ihren Arztkoffer schnappen und auf die Straße rausgehen.
Gegen dieses Denken nützt auch ihr Bundesverdienstkreuz wenig. Sie hat lange überlegt, es anzunehmen. Dass es ihr von der Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner von der Linkspartei überreicht werden sollte, hat sie schließlich überzeugt – und der Umstand, dass sie damit jene Ärztekollegen ärgern konnte, die eine kostenlose Behandlung von Obdachlosen als Nestbeschmutzung bezeichnen.
Wenn unter ihrer Behandlung jemand neuen Lebensmut schöpft, wenn er mehr auf sich achtet, ist das Weichler-Wolfgramms größter Erfolg. Der Regelfall ist das nicht. „Wenn jemandem völlig egal ist, was er seinem Körper antut, steckt dahinter immer eine tiefe Depression“, sagt Barbara Weichler-Wolfgramm über die seelischen Härten ihrer Arbeit. Diese Depression macht mitunter auch vor ihr selbst nicht halt. „Manchmal ist es bitter, nicht helfen zu können.“ Gegen diese Bitterkeit rennt sie mit ihrem Arztkoffer an – jeden Tag aufs Neue.

Erschienen am 07.03.2008

Gut aufgestellte Gegenszene

Donnerstag, 14. Februar 2008

Rechtsextremismus: Vorsitzender betrachtet das Brandenburger Aktionsbündnis als eine Erfolgsgeschichte

Der Wittstocker Superintendent Heinz-Joachim Lohmann sitzt dem Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus vor, das vor zehn Jahren gegründet wurde. Mit Lohmann sprach Jan Bosschaart.

MAZ: Das Aktionsbündnis wird zehn Jahre alt. Was hat es bisher bewirkt?
Heinz-Joachim Lohmann: Es hat eine steigende Aufmerksamkeit für das Problem des Rechtsextremismus im Land geschaffen. Es hat an ein paar Stellen dazu beigetragen, Rechtsextremismus zurückzudrängen. Und es hat Leute zum Kampf gegen Rechtsextremismus geführt, die sonst nie zusammengetreten wären – Gewerkschaften und Arbeitgeber ebenso wie Kirchen und den Humanistischen Verband, den Flüchtlingsrat und den Städte- und Gemeindebund.

Wo sehen Sie noch die größten Baustellen?
Lohmann: Die Probleme haben sich verlagert. Das Aktionsbündnis wurde in einer Zeit gegründet, in der Ausländerwohnheime brannten und es viel mörderische rechtsextreme Gewalt auf den Straßen gab. Heute drängen die Rechtsextremen stattdessen in die Parlamente. Wir haben begonnen, darauf zu reagieren, zum Beispiel mit einer Diskussionsreihe im ganzen Land.

Die DVU ist in diesen zehn Jahren zweimal in den Landtag eingezogen. War das ein Rückschlag für das Bündnis?
Lohmann: Zu erwarten, wir könnten jeglichen Rechtsextremismus mit Stumpf und Stiel entfernen, wäre übertrieben. Es geht darum zu zeigen, dass die Mehrheit der Gesellschaft weder rechtsextrem ist, noch mit Rechtsextremismus etwas zu tun haben will. Natürlich hört der Rechtsextremismus davon nicht auf. Die DVU ist zweimal nur deshalb in den Landtag gekommen, weil sie extrem populistische Wahlkämpfe geführt und die Stimmen vieler Unzufriedener bekommen hat.

Ein Potsdamer Politologe sagte kürzlich, das Land begünstige den Rechtsextremismus in dünn besiedelten Gebieten, weil es nur noch die Zentren fördert. Macht die Landespolitik hier Fehler auf Kosten des Bündnisses?
Lohmann: Meines Wissens stimmt das nicht: Die meisten rechtsextremen Gewalttaten werden aus Potsdam gemeldet. Dort gibt es aber eine gut aufgestellte Gegenszene, was in der ländlichen Weite oft nicht der Fall ist. Die Aufstellung dieser Gegenszene ist das Ziel des Aktionsbündnisses: von ganz links bis zur CDU, von den Bürgerlichen bis zur Antifa.

Fühlen Sie sich von der Politik ausreichend unterstützt?
Lohmann: An die Zusammenarbeit mit der Landesregierung habe ich keine Forderungen. Die eigentlichen Kämpfe werden in den Städten und Gemeinden geschlagen. Da läuft es zwar unterschiedlich gut, aber besser als vor zehn Jahren. Gerade in den letzten zwei Jahren ist es verstärkt lokal angekommen, dass Rechtsextremismus etwas ist, was wir in Brandenburg nicht haben wollen.

Ist es nicht ein Pyrrhussieg, wenn sich die Rechten aus der Öffentlichkeit in Parlamente zurückziehen?
Lohmann: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Rechten im Anzug und mit freundlich frisiertem Haar in Brandenburg stark punkten. Vielmehr hat sich das Land in den letzten 15 Jahren gut aufgestellt und angemessen reagiert. Ein Erfolg dessen ist, dass es keine flächendeckende rechtsextreme parteiliche Struktur gibt. Von organisiertem Rechtsextremismus reden wir vor allem im Südosten des Landes und mit Abstrichen im Nordosten. Die NPD wird die DVU zwar verdrängen, aber sie ist nicht so aufgestellt, dass sie überall antreten oder gar ganze Landstriche übernehmen könnte.

Im Jahr 2000 entspann sich eine teils harsche Debatte darüber, ob auch der Linksextremismus zum Aufgabenspektrum des Bündnisses gehört. Wie hat sich das auf lange Sicht auf die Arbeit ausgewirkt?
Lohmann: Wir sind gestärkt daraus hervorgegangen. Der damals neue Innenminister kam aus Berlin und brachte seine Erfahrungen von dort mit. Mein Eindruck ist, dass Jörg Schönbohm die These aufgegeben hat, dass Linksextremismus hier eine große Gefahr ist. Er sagt heute ganz selbstverständlich: Der Brandenburg bedrohende Extremismus ist Rechtsextremismus.

Muss sich das Bündnis auch gegen das Stimmenfischen mit den Vorurteilen der schweigenden Mehrheit positionieren, wie es im hessischen Wahlkampf geschah? Oder gefährdet das den gesellschaftlichen Konsens, der für die angestrebte Breite des Bündnisses nötig ist?
Lohmann: Es hat ja in Hessen zum Glück nicht wirklich funktioniert. Dass Roland Koch zwölf Prozentpunkte verloren hat, ist gerade dieser Kampagne geschuldet. Jugendliche Straftäter zwischen zwölf und 25 Jahren mit Migrationshintergrund würde in Brandenburg selbst im Wahlkampf niemand aufs Plakat heben, denn bei uns ist die Gewalt in dieser Altersgruppe einheimisch und hat häufig eine Glatze. Zudem ist in Brandenburg der Konsens in dieser Frage von Linkspartei bis CDU zu groß, um sich so niederzumachen, dass davon die Rechten profitieren.

Wie lange wird das Bündnis noch gebraucht?
Lohmann: Solange Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt in Brandenburg ein Thema sind, wird das Bündnis gebraucht. Es ist im Moment kein Ende abzusehen, aber ich kann mir vorstellen, dass die Vernunft siegt und Rechtsextremismus irgendwann weitgehend verschwunden ist. Aber das lässt sich zeitlich nicht eingrenzen – solange es noch rechtsextreme Straftaten gibt und die Rechten bei Wahlen mehr als 0,2 Prozent bekommen, wird das Bündnis gebraucht.

Erschienen am 14.02.2008

Ein bisschen anachronistisch

Samstag, 9. Februar 2008

Nostalgie: Der ehemalige „Chor der Parteiveteranen“ hat die Wende überlebt und so manchem Mitglied das Weltbild gerettet

Sie sind im Durchschnitt 72 Jahre alt, und sie proben im Sitzen – doch die Stimmen des einstigen Parteichors sind noch ungebrochen.

BERLIN Beim 60. Jahrestag der Gründung der DDR-Grenztruppen haben sie auch gesungen. Die liebevoll geführte Chronik vermerkt es genau: Es war am 1. Dezember 2006 in Strausberg (Märkisch-Oderland). Der ehemalige DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler war dabei und andere ranghohe Ex-NVA-Leute. Der Ernst-Busch-Chor sang das „Einheitsfrontlied“ von Brecht. „Bisschen anachronistisch“ findet Jochen Fischer das beim Durchblättern der Chronik, und auch historisch nicht korrekt: 1946 gab es die DDR noch nicht. Aber Fischer ist ja auch nur hier, weil er jeden Dienstag seine Frau zur Chorprobe bringt, wie er betont.
Die probt mit etwa 50 anderen Mitgliedern des Ernst-Busch-Chors im Kulturhaus Berlin-Karlshorst gerade einen russischen Walzer. Gäbe es hier nicht modernes Mobiliar, man könnte glauben, es habe die Wende nie gegeben. Das ist den meisten Chormitgliedern durchaus willkommen. Schließlich hieß das Ensemble bis zur Wende „Chor der Parteiveteranen der SED“ und unterstand direkt der SED-Bezirksleitung. Um Mitglied zu werden, bedurfte es 25-jähriger Parteimitgliedschaft, davon mindestens 15 Jahre als Funktionär.
Dass der Chor die Wende überhaupt überlebte, verdankt er vornehmlich Rolf Stöckigt. Der frühere Professor für die Geschichte der Arbeiterbewegung kam 1987 mit seiner Pensionierung zum Ensemble und freute sich auf einen ruhigen Lebensabend. Der November 1989 machte einen Strich durch diese Rechnung: Stöckigt wurde Vorsitzender und musste die Sänger durch die Wendewirren dirigieren. „Der alte Vorstand tat sich schwer, die waren ohne Anleitung durch die SED völlig hilflos“, erinnert er sich. Gegen einige Widerstände boxte Stöckigt, der noch heute im Vorstand wegen seiner liberalen Haltungen kritisiert wird, die neue Satzung durch: Die parteipolitische Unabhängigkeit sicherte das Überleben des Chores. Auch im Repertoire räumte er auf: „,Die Partei, die Partei, die hat immer recht’, das haben wir ersatzlos gestrichen. Stattdessen singen wir jetzt ,Die Gedanken sind frei’“, sagt der 86-Jährige. Seit dem Jahreswechsel ist Rolf Stöckigt kein aktiver Sänger mehr. Nicht, weil die Stimme nicht mehr mitspielt, sondern weil ihn seine Beine nicht mehr lange genug tragen. Er ist mit diesem Problem nicht allein: Der Chor probt im Sitzen, das älteste Mitglied ist 99, das jüngste 60 Jahre alt, das Durchschnittsalter liegt bei 72. Chorleiter Klaus Hartke, der früher beim Ernst-Weinert-Ensemble, der „Musiktruppe der NVA“ arbeitete, sagt, er müsse neue Lieder abschleifen, ihnen die Höhen und Tiefen nehmen, weil die alternden Stimmen mit dem Neuen nicht so gut zurechtkommen. „An der Stimmgewalt mangelt es aber nicht, die muss ich eher bremsen.“ Das 250 Lieder starke Repertoire hat er behutsam erweitert. Neben die Kernkompetenz der Arbeiterlieder – am liebsten von Hanns Eisler – sind Volkslieder und klassische Chöre getreten, sogar das eine oder andere Kirchenlied hat sich eingeschlichen. „Das Publikum soll ja bedient werden“, sagt Hartke, als wolle er sich entschuldigen. Die Parteilieder der SED probt er hingegen nicht mehr, „das wäre irreal“, auch nicht die Grenzerlieder aus seiner Zeit als Oberst der Nationalen Volksarmee,, „obwohl einige davon sehr schön sind“, wie er betont.
Rolf Stöckigt mag keine Interviews. Die zahlreichen Journalisten, die immer noch anfragen, kommen meist nur, um sich lustig zu machen über die ewig Gestrigen. „Die wollen gar nicht wahrhaben, dass wir nur noch ein antifaschistischer Chor sind, der Wert legt auf seine Tradition aus der Arbeiterbewegung.“ Dass es je ein Arbeiterchor war, darf aber bezweifelt werden: Auf der Mitgliederliste stehen ein Ex-General beim Wachbataillon, Offiziere, Ex-Generaldirektoren von Kombinaten und Wissenschaftler.
Seiner Linie ist der Chor treu geblieben. Neben etwa 25 Konzerten pro Jahr vermerkt die Chronik, die stets ein bisschen an Wandzeitung erinnert, auch Spendensammlungen für Kuba, eine Grußnote an Täve Schur zum 75., das „Lob des Revolutionärs Ernst Thälmann“ und die Forderung, das KPD-Verbot aufzuheben.
Immer häufiger sind auch Traueranzeigen ehemaliger Mitglieder eingeklebt und Fotos vom Singen an deren Gräbern. Während sie vorn „Conquest of paradise“ proben, erzählt Rolf Stöckigt, dass einige Mitglieder in Chorkleidung beerdigt werden möchten. In einer Uniform, die sie mit den Genossen verbindet, die noch immer, wenn nicht gar stärker als zu DDR-Zeiten, zusammenhalten. Genossen, die eine Welt pflegen, die nur noch in ihren kollektiven Erinnerungen und den Liedern besteht. Sie haben ihr Paradies nach der Wende nicht erobert – aber verteidigt.

Info-Box: ERNST-BUSCH-CHOR
Der „Chor der Parteiveteranen der SED“ wurde 1972 gegründet. Er entstand im Rahmen der Singebewegung.
Die SED fand schnell Gefallen an dem Ensemble, unterstützte es finanziell und unterstellte den Chor schließlich der Bezirksleitung in Berlin.
1983 benannte sich der Chor nach dem Schauspieler, Regisseur und Sänger Ernst Busch, der unter anderem durch seine Interpretationen von Arbeiterliedern Ruhm erntete.
Busch zu Ehren gibt der Chor noch heute jährlich ein großes Konzert an oder um Buschs Geburtstag, dem 22. Januar.
Rund 4000 Menschen hören den Chor jährlich – bei fünf eigenen Konzerten und zahlreichen Gastauftritten, etwa dem Pressefest des „Neuen Deutschland“.
2008 erscheint die dritte CD des Chors.

Erschienen am 09.02.2008

Freibier statt Wegzugsprämien

Freitag, 8. Februar 2008

Aschermittwoch: Linkspartei und SPD dienen der CDU als Zielscheiben / Hilke und Pflüger geben sich angriffslustig

Rund 900 Gäste kamen zum politischen Kehraus der CDU nach Doberlug-Kirchhain. Es war der erste mit Ulrich Junghanns als Hauptredner.

DOBERLUG-KIRCHHAIN Der Mann von der CDU-Ortsgruppe Elsterland nimmt gleich drei Freibier, denn er will auf Nummer sicher gehen, was einen unterhaltsamen Abend angeht: „Beim Schönbohm“, sagt er entschuldigend, „war’s immer amüsant. Der Uli ist zwar ein guter Mann, aber kein Gute-Laune-Drops.“ Dass viele Parteimitglieder diese Auffassung über ihren Vorsitzenden Ulrich Junghanns teilen, muss bezweifelt werden: Von Beginn an ist die Stadthalle in Doberlug-Kirchhain (Elbe–Elster) gut gefüllt. Mit 500 Gästen hat die CDU gerechnet, fast 900 sind gekommen. Vielleicht ist es Neugier darauf, wie sich Junghanns bei seinem Aschermittwochs-Debüt schlägt, vielleicht ist die Lust auf zünftige Generalabrechnung bei Bier, Brezeln und Blasmusik auch nach einer Zwangspause im Vorjahr gewachsen: Infolge der E-Mail-Affäre fiel der Politische Aschermittwoch der märkischen CDU 2007 aus.
Zunächst stürmt Generalsekretär Rolf Hilke für ein zehnminütiges Grußwort auf die Bühne – und sichert sich sogleich Aufmerksamkeit: „Die SPD plant eine Einöde im Süden Brandenburgs, sie will ihn verwildern lassen“, ruft er. „Doch bei der CDU gibt’s keine Wegzugsprämie, sondern Freibier fürs Kommen.“ Hoppla, da reiben sich einige im Saal die Augen. Das geht ja munter los. Und Hilke legt nach: „Die Linke im Land schnürt munter Wünsch-Dir-was-Pakete, und die SPD rennt blind hinterher. Doch egal, wie schnell sie läuft, die Linke ist immer schon da.“ Da hat Hilke einen Rat für den Koalitionspartner: „Wer sich parfümiert neben einen Misthaufen stellt, lässt den nicht besser riechen. Er fängt nur selbst an zu stinken!“ So geht es weiter. Applaus im Saal, Erstaunen, Begeisterung. „Das waren die längsten zehn Minuten des heutigen Abends“, sagt der Moderator, denn Hilke hat sich 20 Minuten lang in Form geredet. Was der Moderator nicht wissen kann: Unterhaltsamer wird es nicht mehr.
Ulrich Junghanns gibt sich aber redlich Mühe. Der Satz „Es gibt viele Themen, die man ansprechen müsste“, gehört dennoch nicht zu den eindrucksvollsten Eröffnungen. Dann ist er erstmal bei der Lage in Hessen, bevor er zur märkischen SPD kommt: Ihr hält Junghanns vor, derzeit Eintrittskarten für die nächste Regierungskoalition zu verteilen: „Mindestens der Mindestlohn ist offenbar gefordert“, ruft er und warnt vor Rot-Rot in der Mark. Zur Situation in seiner Partei sagt Junghanns, „in der Brandenburger CDU unter Prinz Ulrich kann man sich wohlfühlen“. Falls das Ironie war angesichts des Machtkampfes mit Ex-Generalsekretär Sven Petke, lässt er es sich nicht anmerken. Am Schluss versucht Junghanns dann noch einen Witz über dicke Märker. Niemand lacht. „Das mit den Scherzen, das sollte er lassen“, diagnostiziert der Mann aus dem Elsterland trocken über seinen leeren Biergläsern. Ganz anders Berlins CDU-Fraktions chef Friedbert Pflüger. Der kommt zwar deutlich zu spät aus Köln – die Band spielte, um die Zeit zu dehnen, schon den „Holzmichl“ – steht aber ab dem ersten Wort auf dem Gaspedal. „Seien Sie stolz auf Ulrich Junghanns. Er ist der erfolgreichste Wirtschaftsminister der neuen Länder. Brandenburg hat mehr Wachstum als Berlin“, ruft er. Jubel. „Berlin und Brandenburg gehören zusammen!“ Tosender Applaus. Als er ein „tugendhaftes, bescheidenes Preußen“ beschwört, das Werte wie „Anstand, Ehre und Pünktlichkeit“ zu schätzen wisse, gibt es stehende Ovationen. Dass Pflüger die Gäste warten ließ, ist vergessen. „Das Land sollte von niemandem regiert werden, der diese Tugenden als Sekundärtugenden disqualifiziert, als Tugenden, mit denen man auch ein KZ führen könnte“, ruft Pflüger, mittlerweile seines Jackets entledigt, in Anspielung auf ein uraltes Oskar-Lafontaine-Zitat. Zum Schluss kommt er noch zu seinem Lieblingsthema: dem Weiterbetrieb des Flughafens Tempfelhof. „Ich danke Uli Junghanns, Sven Petke und Jörg Schönböhm, dass sie sagen, wir brauchen Tempelhof weiterhin“, ruft er. „ Tempelhof gefährdet Schönefeld nicht. Das steht weder im Grundgesetz noch in den zehn Geboten.“

Erschienen am 08.02.2008

Beste Noten für Gransee

Dienstag, 5. Februar 2008

Zeugnisse: Schüler geben im Internet Zensuren / Beliebtester Lehrer lehrt in Strausberg

STRAUSBERG/GRANSEE Es ist ein Halbjahres-Zeugnis, auf das Achims Eltern stolz sein können: Acht Einsen und zwei Zweien weisen den Strausberger (Märkisch-Oderland) als Musterschüler aus – Gesamtnote: 1,3. Beliebt ist er, cool und witzig, stets kompetent, fair, gut vorbereitet, beliebt und menschlich. Dass sein Zeugnis so gut geworden ist, hat Achim allerdings erst von Journalisten erfahren, die ihn anriefen und eine Reaktion erwarteten. Das mag daran liegen, dass Achim, der mit vollem Namen Hans-Joachim Baumert heißt und zudem einen Doktortitel trägt, gewohnt ist, Noten zu vergeben statt zu empfangen. Er ist Lehrer für Kunst, Geschichte und Lebenskunde-Ethik-Religion (LER) an zwei Strausberger Schulen: dem Theodor-Fontane-Gymnasium und der Anne-Frank-Oberschule. Und er ist Brandenburgs beliebtester Lehrer – zumindest wenn es nach dem Schülervotum geht, das 42 Jungen und Mädchen auf dem Internetportal „SpickMich.de“ hinterlassen haben. Dort dürfen seit einiger Zeit Schüler Noten für ihre Lehrer vergeben.
Regelmäßig zur Zeugnisausgabe ruft „SpickMich.de“ die rund 500 000 Schüler, die auf dem Portal angemeldet sind, zur Benotung auf. So lassen sich nicht nur die beliebtesten Lehrer, sondern auch die beliebtesten Schulen ermitteln. In Brandenburg führt das Strittmatter-Gymnasium in Gransee (Oberhavel) die Rangliste mit einer Gesamtnote von 2,2 an. Die besten Zensuren gab es für das moderne Schulgebäude (1,7), die Stimmung unter den Mitschülern und die Schulleitung (je 1,9), kritischer wurden hingegen die Mitbestimmungsmöglichkeiten (3,0) eingeschätzt. Schulleiter Uwe Zietmann bekannte, sich „erstmal gefreut“ zu haben, räumte aber Schwierigkeiten bei der Einordnung des Ergebnisses ein. „Es ist eine interessante Rückmeldung, die wir aber mit aller Vorsicht genießen“, sagte er.
„Lehrer verteilen täglich Noten. Es ist immer wieder erstaunlich, wie empfindlich manche sind, wenn sie selbst bewertet werden“, sagt Bernd Dicks von „SpickMich.de“. Einige Schulen hätten bereits mit Verweisen, Geldstrafen und der Polizei gedroht, falls Schüler an der Online-Bewertung teilnehmen. Durchsetzen können sie das nicht: Die Stimmabgabe im Internet ist anonym. Brandenburgs Lehrer haben ohnehin wenig Grund zur Klage: Mit einem Gesamtnotendurchschnitt von 2,6 liegen sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

INTERVIEW „Ein Wahnsinnsdurchschnitt“
Achim Baumert ist Brandenburgs beliebtester Lehrer. Mit ihm sprach Jan Bosschaart .

MAZ: Hat das Zeugnis einen Ehrenplatz bekommen?
Achim Baumert: Ich habe es noch gar nicht bekommen, es ist noch unterwegs.

Wie war Ihre erste Reaktion?
Baumert: Wenig überraschend: Ich habe mich sehr gefreut! Ist doch ein Wahnsinnsdurchschnitt, den ich erreicht habe. (lacht)

Welche Noten freuen Sie besonders?
Baumert: Die Einser in Fachkompetenz und Menschlichkeit. Und dass ich für witzig gehalten werde, denn das entspricht meinem Naturell.

Die Lehrerbewertung sehen viele kritisch – Sie auch?
Baumert: Nach diesem Ergebnis – wohl kaum. Es ist nur fair, wenn die Schüler sich auch artikulieren dürfen.

Erschienen am 05.02.2008

Ein Schritt zu weit

Donnerstag, 24. Januar 2008

Jan Bosschaart über das Für und Wider zur Privatisierung märkischer Seen

Man kann sie ja verstehen, die Sorgen der Fischer: Als Verpächter der Fischereirechte war der Bund in Gestalt der von ihr beauftragten BVVG ein verlässlicher Partner. Die Pachten galten als angemessen, Vertragsverlängerungen waren meist nur eine Formalie. Das Verhalten künftiger privater See-Eigner hingegen ist im Voraus schwer kalkulierbar: Wollen sie ihre Seen selbst bewirtschaften? Oder verpachten sie diese weiter – und wenn, zu welchen Konditionen? Das Land muss sich diese Sorgen nicht zu eigen machen, sondern kann elegant mit dem Finger nach Berlin zeigen und darüber hinaus „Willkommen in der Marktwirtschaft!“ rufen.
Auch wenn man es sich in der Staatskanzlei damit möglicherweise zu einfach macht: Vom Steuerzahler zu fordern, er müsse die Seen erwerben, damit die Fischer verlässliche Pachtbedingungen vorfinden, geht einen Schritt zu weit. In den meisten anderen Branchen müssen schließlich auch marktübliche Pacht bezahlt oder Eigentum erworben werden – sei es nun im Wald und auf dem Feld oder in der Industrie. Und solange Zäune um Seen verboten sind, dürfte es Touristen auch egal sein, wem das Idyll, das sie genießen, eigentlich gehört.

Erschienen am 24.01.2008


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