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Überschaubar

Freitag, 17. Februar 2012

über das Risiko überraschender Hinterlassen- schaften von Fluggästen

Es bedurfte nicht dieses stinkenden Eisblocks aus einer Flugzeugtoilette, um zu wissen, dass das Sprichwort, demzufolge alles Gute von oben komme, seine besten Tage auch hinter sich hat. Doch selbst ohne den Glauben daran setzen in Quaderform gefrorene Fluggasthinterlassenschaften im Dachstuhl die Sorge frei, dass man nicht nur ein geruchstechnisches Problem erlitte, wenn sie statt der Schindeln oder Scheiben die eigene Schädeldecke durchschlügen. Das einschlägige Risiko ist aber, gelinde gesagt, überschaubar: Rund zehn versehentliche Eisbrocken aus Bordtoiletten errechnete ein Gutachten 2005 pro Jahr für Deutschland, fast alle davon schlugen in Gebäuden oder der freien Landschaft ein und setzten dort langsam ihren Zauber frei. Bislang ist weltweit kein Mensch zu Tode gekommen. Das Risiko des Ablebens ist damit deutlich geringer, als im Laufe eines 80-jährigen Lebens von einem Blitz (1:12 500), einem Meteoritensplitter (1:3,7 Milliarden) oder einem Lotto-Jackpot (1:163) erwischt zu werden. Der Griff zur Zigarette, das Einsteigen ins Auto oder zuviel Vertrauen auf den Satz „Der will doch nur spielen“ sind wesentlich riskanter. Tröstlich auch: Von tiefgekühltem Flugpipi erschlagen zu werden, würde im Gegensatz zu den Alltagsrisiken zumindest einen Platz in den Abendnachrichten sichern.

Erschienen am 17.02.2012

Erbärmlich

Dienstag, 7. Februar 2012

Über die Komik vermeintlich bedrohlicher Neonazi-Aufmärsche

Man kann dem Häufchen Neonazis den Gefallen tun und den erneuten Aufmarsch in der Waldstadt als eine gespenstische, Angst erregende Parade stummer Fackelträger mystifizieren, hinter deren verhüllten Gesichtern das grausame Gedankengut tickt, das Millionen Menschen Leid und Tod brachte. Das hieße aber, ihnen das Geschäft zu besorgen. Mindestens ebenso gültig ist es, die Horden als einen Haufen verblendeter, im Leben gescheiterter Halbirrer zu betrachten, die sich bei Eiseskälte in einem kindergartenähnlichen Lampionumzug den Hintern abfrieren, nur gewärmt von ihrer kruden Volk-und-Boden-Romantik und der Hoffnung, eine Zeit, in der selbst lebensuntüchtige Randexistenzen wie sie wieder etwas zu sagen haben, möge wiederkehren. Dass sich die Herren nicht mal trauten, ein Spruchband zu entrollen oder ihre jeden Sinns entleerten Parolen zu brüllen sowie dass sie sich wie Pennäler nach einem Klingelstreich in den Wald flüchten, sobald die Polizei auftaucht, darf insgesamt doch ganz munter stimmen. Gut, dass die Bürger mittlerweile reagieren und schnell die Polizei rufen; gut, dass diese mittlerweile sogar schnell am Einsatzort ist – so beunruhigend die Außenwirkung solcher Aufzüge auch sein mag, so erbärmlich sind sie zugleich auch.

Erschienen am 07.02.2012

Mit Links und mit der Lupe

Donnerstag, 2. Februar 2012

Armenischer Kartograph malte die erste Potsdam-Karte seit 150 Jahren

Den ohnehin schon unzähligen Stadtplänen werden jedes Jahr ein paar neue hinzugefügt – manche davon benötigen aber einen hohen Aufwand.

Ein gutes Jahr lang hat Ruben Atoyan gebraucht, um Potsdam unter der Lupe auferstehen zu lassen – hauptsächlich das heutige Potsdam, an manchen Ecken das künftige, an anderen das frühere. Mittlerweile kennt sich der Armenier in der Stadt besser aus als mancher Fremdenführer oder Architekt, denn jedes Dach, jede Gaube, jeder Straßenbaum ging einmal durch seine linke Hand. Der 58-Jährige malt dreidimensionale Karten aus der Vogelperspektive, er ist Kartograph und Künstler zugleich, und ganz nebenbei auch promovierter Naturwissenschaftler. Seine Verlegerin sagt, sein Schnuller müsse ein Bleistift gewesen sein, denn schon mit drei habe er erste Skizzen gezeichnet, mit sechs einen Mondatlas. Über 80 Karten von Atoyan sind veröffentlicht, sein jüngstes Werk ist nun eine Karte Potsdams. Fünfmal hat er die Stadt dazu besucht, ist sie in vielen, 45 Kilometer langen Gewaltmärschen mit dem Skizzenblock abgeschritten und hat schließlich noch eigene Fotos und Videos zu Hilfe genommen. Das Ergebnis ist im großen B1-Format zu bewundern – als Touristenkarte mit Straßenverzeichnis, als Wandposter und als Faltplan mit Leselupe und Geschenkumschlag, herausgebracht vom polnischen Verlag „Terra Nostra“. Während der Vorbereitungen zum 1000. Geburtstag Danzigs traf Ruben Atoyan die Verlegerin Elzbieta Kuzmiuk, die sein Talent für ihren Verlag urbar machte – eine fruchtbare Zusammenarbeit: Schon zweimal bekam Atoyan den Oscar der Kartografen, den Preis der Internationalen Gesellschaft kartographischer Verleger – für seine Panoramen von Venedig und Berlin.
In Potsdam stellte sich zunächst die Frage, ob nur die historische Innenstadt vom Brandenburger Tor bis zur Nikolaikirche oder ein größeres Areal abgebildet werden soll. Weil die Arbeit so zeitaufwändig und detailgenau ablaufen muss, beschränkt sich Ruben Atoyan für gewöhnlich auf die Stadtzentren. Doch in Potsdam hätte das bedeutet, sowohl die Schlösser und Gärten als auch die Seen auszusparen, und das brachte der Armenier nach eigenem Bekunden nicht übers Herz – obgleich es bedeutete, dass die Potsdamer Karte eines seiner größten und zeitaufwändigsten Projekte wurde. Nun sind 34 Quadratkilometer vom Neuen Palais bis zum Schloss Babelsberg abgebildet.
Als besondere Herausforderung erweist sich die Perspektive, sagt Atoyan. Es gilt, einen Winkel zu finden, der möglichst viel abbildet, ohne dass vordere Gebäude hintere verdecken. Ruben Atoyan wählte für Potsdam Winkel zwischen 30 bis 45 Grad über der Horizontlinie. Trotz moderner Werkzeuge wie Google Maps muss er dabei aus der Straßenperspektive die Vogelperspektive denken – was nicht nur künstlerische, sondern auch geometrische Meisterschaft verlangt.

Erschienen am 02.02.2012

NACHSCHLAG. „Miesmuschel … auf einer Art Kloß“

Freitag, 6. Januar 2012

Das „Jero“ bietet französische Küche auf höchstem Niveau, ohne Gourmetpreise zu verlangen

Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter der MAZ sind als anonyme Tester unterwegs.

Beim Blick durch die Schaufenster bleibt zunächst unklar, ob es sich beim „Jero“ nun um ein Restaurant oder ein Gourmetgeschäft mit französischen Spezialitäten handelt. Bei näherer Betrachtung indes zeigt sich – es ist beides. Und das zu beiderlei Vorteil: Der Einkäufer, der nur Beaujolais oder Rohmilchkäse erwerben möchte, wird von den wenigen, liebevoll im Edel-Bistro-Stil gedeckten Tischen verführt, als Gast wiederzukommen. Und der Gast, so er denn mit der Küche zufrieden war, kann Wein und Roquefort zur Verlängerung des kulinarischen Eindrucks mit nach Hause nehmen. Wir treffen an einem Freitagabend ein, die wenigen Tische im Verkaufsraum sind besetzt, doch wir müssen weder warten noch weichen: Ein paar Stufen höher ist es nicht nur ruhiger, sondern auch separierter, denn der Aquariumseffekt für die Flaneure auf der Friedrich-Ebert-Straße entfällt. Zwischen dunklem Holz und auf festem Leder sitzt es sich gut und nobel, die Schiffsvertäuung an den Wänden fügt eine rustikale Note hinzu und rettet den Brasserie-Charme von unten herauf. Die Bedienung kommt prompt und begrüßt uns auf französisch, wechselt nach einem tiefen Blick in unsere erschreckten Gesichter aber nahtlos ins Hochdeutsch mit charmantem Akzent. Die Karten sind bistrotypisch übersichtlich gehalten: Alle Gerichte passen auf ein Blatt, alle Getränke auf ein zweites. Wir starten mit einem Meeresfrüchtesalat (15,50 Euro), der als Meeresanteil kleine Garnelen und Scheiben vom Tintenfischarm mit sich bringt. Sehr schön komponiert und mit Limone und Olivenöl fein abgeschmeckt, zwar sehr kalt serviert, aber geschmacklich ohne Tadel. Zum Hauptgang darf es Tartar sein, 180 Gramm rohes Hackfleisch aus der Rinderlende, klassisch serviert mit einem Eigelb und Limetten-Creme-Fraiche als Note des Hauses (18,50 Euro). Die Aussicht auf klassisch angerichtetes Tartar hatte uns schon auf der Straße verführt und war der Anlass, das „Jero“ zu erkunden. Bis uns das Hackfleisch erreicht, bringt ein junger Kellner zunächst einen Gruß aus der Küche, schwungvoll angekündigt als „Miesmuschel auf … äh … ähm … tja … also … nun … Miesmuschel auf … naja … einer Art Kloß“. Sprach’s und verschwand mit einem entschuldigenden Lächeln. Das Tartar ist ohne Fehl und Tadel, frisch, weich, saftig und, da roh, naturgemäß schwer verdaulich. Glücklicherweise hilft der „Wein des Tages“, ein roter Bordeaux (0,2-Glas 6,90 Euro), beim Verdauen. Ohne Fehl und Tadel, entlockt aber auch keine Begeisterung. In einem Gourmetfachgeschäft hätten wir etwas mehr erwartet. Nur mit Not passt noch eine Crème caramel (7,50 Euro) hinterher, doch nach so viel roher Fleischgewalt schreit der Gaumen nach einem süßen Ende. Derart gepäppelt ist der Rückweg über die Treppe fast schon eine Herausforderung, ein kurzes Flanieren über die Ebert-Straße tut Not. Von dort lässt sich neidvoll auf jene hinter der Scheibe schauen, die den Genuss noch vor sich haben.

Erschienen am 06.01.2012

Goldene Nasen und die Zauberkröte

Samstag, 31. Dezember 2011

Ausblick: Ein Blick in die redaktionelle Glaskugel zeigt die Potsdamer Höhepunkte des Jahres 2012

Unter dem Titel „Was bleibt“ glossiert die MAZ die Themen der Woche. Zum Jahreswechsel wagen wir einen nicht wirklich ernsten Blick voraus: Was kommt?

Im Januar verleiht die Bundesvereinigung der Rechtsanwälte und Gutachter der Stadt den Ehrenpreis „Goldene Nase“ für die überdurchschnittliche Förderung des Berufsstandes. „Mit teuren Rechtsgutachten, um die sich am Ende keiner schert, hat sich die Stadt in ungewöhnlicher Weise um das Gutachterwesen verdient gemacht“, heißt es zur Begründung. Herausgehoben werden der Blanko-Auftrag an einen Berliner Rechtsanwalt in der Transparenzkommission, der zur Überraschung aller sechsstellige Kosten verursacht hat, sowie Gutachten zu Straßenreinigung, Bäderstandorten, der Renitenz von Stadtverordneten und zur Verwendung von Gutachten im Stadthaus.
Im März rutscht Baudezernent Matthias Klipp mit dem Fahrrad auf nassem Pflaster in der Zimmerstraße aus und stürzt so unglücklich, dass ein alter Bandscheibenvorfall wieder akut wird. Beim Versuch, ihn in die Notaufnahme des Josephs-Krankenhauses zu fahren, wird der Rettungswagen so durchgeschüttelt, dass Klipps Schmerzensschrei bis zur nahe gelegenen Schlösserstiftung dringt, wo Kustodin und Grünen-Parteikollegin Saskia Hüneke am Schreibtisch zusammenzuckt. Sie erklärt sich sofort bereit, Klipp während der fünfeinhalbjährigen Krankschreibung zu vertreten. Als erste Amtshandlung lässt sie die Nutheschnellstraße pflastern.
Im Mai stellt ein Gericht fest, dass die Streichung der Abfindung für Ex-Stadtwerke-Chef Peter Paffhausen rechtswidrig war. Die Stadt muss 1,4 Millionen Euro zahlen. Damit bleibt Paffhausens angedrohte Öffnung seines Giftschrankes aus. Durch den kollektiven Erleichterungsseufzer an der Spitze kommunaler Unternehmen und des Rathauses kommt es zu einem kleinen Frühjahrssturm, der aber nur ein paar Dachziegel vom Stadthaus fegt. Tags darauf erklären Mitglieder des Stadtwerke-Aufsichtsrates anonym in der Bild-Zeitung, sie hätten das schon immer so gesehen, sich aber nicht getraut, etwas zu sagen, weil Bürgermeister Exner so böse geguckt und gedroht habe, sie nicht mehr zu grüßen.
Im Juli vertäut die Stadtfraktion der Grünen am Ufer der Schiffbauergasse eine zwei mal drei Meter große Seebühne für eine umweltverträgliche Version der „Zauberkröte“. Die künstlerische Leitung übernimmt Saskia Hüneke. Sie lässt zunächst die Bühne pflastern. Sämtliche Hauptrollen bekommt der Stadtverordnete Andreas Menzel, bis auf jene der leicht nörgeligen Witzfigur Papageno. Das bekomme er einfach nicht hin, sagt Menzel.
Im August ermöglicht es eine Sozialgesetznovelle, dass die Teilnahme am städtischen Bauausschuss Ansprüche auf Schmerzensgeld begründet. Eine Art Goldgräberstimmung bricht aus. Mangels Training gelingt es den Bürgern aber nicht, länger als zwei Stunden auszuharren – letzte Standhafte verlassen schreiend den Saal, als nach dreistündiger Debatte zum ersten der 18 Tagesordnungspunkte ein sachkundiger Einwohner seine Rede mit den Worten „Das ist jetzt nicht unmittelbar zum Thema, aber ich möchte noch anfügen, dass…“ einleitet.
Im November entspringt eine neue Debatte um das fast fertige Stadtschloss. Jemandem von „Mitteschön“ ist aufgefallen, dass an den historisch korrekten Holztüren mit den historisch korrekten Türbeschlägen der kleine Schieber, der das Schlüsselloch verdeckt, vom Schlossarchitekten Peter Kulka heimlich ausgetauscht wurde: Statt eines barock ziselierten Blättchens aus getriebenem Eisen ist ein silbrig glänzendes Aluminiumstück verarbeitet. Die mediale Empörung erreicht binnen weniger Tage vorrevolutionäre Ausmaße. Kulka will sich vom historisch korrekten Kupferdach stürzen, dass jedoch wegen der historisch korrekten Dachneigung nicht genug Schwung gibt, so dass er unverletzt auf dem ersten Fensterbrett zu liegen kommt – da es in den historischen Maßen gefertigt wurde, ist es breit genug, den Architekten aufzufangen. Weinend gibt Kulka ein letztes Mal nach und murmelt: „Ich hätte so gern wenigstens ein Detail selbst entschieden.“

Erschienen am 31.12.2011

WAS BLEIBT: Äußerst stille Nacht

Freitag, 23. Dezember 2011

Der Geist der Weihnacht ist in diesen Jahr von Reaktanz getragen – jener erstaunlichen Fähigkeit, das gefühlt Richtige zu tun, obwohl es doch ganz offenbar unsinnig ist. In die adventliche Bildersprache übersetzt hieße das: Der Weihnachtsmann (regional korrekt: Weihnaxmann) und seine vier Rentiere sitzen gemeinsam im Schlitten, mit verschränkten Armen und zum Schmollen verzogenen Mündern. An sich ein amüsantes Bild, wären da nicht die Geschenke, die hinten auf dem Schlitten ihrer Zustellung harren. Dieses Bild, gefunden auf einer Weihnachtskarte, ist in diesen nur meteorologisch frostfreien Tagen so treffend wie selten – sei es nun beim Weltklimagipfel, in Fragen der Eurorettung oder in der Stadtverordnetenversammlung: Lasst doch den Planeten absaufen, lasst uns die Währung um die Ohren fliegen und die Straßenreinigungsgebühren ausbleiben – Hauptsache, wir haben nicht nachgegeben. Da wird dann auch im Stadtparlament gern zweimal dieselbe Straßenreinigungssatzung beschlossen, obwohl sie offenkundig rechtswidrig ist, weshalb die Stadt sie dann zweimal beanstandet. Gerade im Advent ist ja Repetition die Mutter der Herzenswärme, es sind die immer gleichen Traditionen, Lieder und Rituale, die es lauschig machen. An dieser Lauschigkeit mangelt es offenbar außerhalb des Plenarsaals, weshalb sich die wilden 54 dann auch in der Woche vor Weihnachten und in der Woche danach nochmal zum Schrott-Wichteln ausgedienter Meinungen mit Abstimmungskarte und angeschlossenem Glühwein treffen. Nur der Adventskranz (regional korrekt: Adsventskranz) fehlt. Ob die Stadt, die diese Termine einberuft, auf Weihnachtsmilde hofft, ist nicht überliefert, bisher ging die Rechnung jedenfalls nicht auf. Aber begraben unter Geschenkebergen, zermürbt von einer angejazzten Stille-Nacht-Version und träge vom dritten Gänsebraten in Folge sowie des Glühweins wegen friedfertig gestimmt, mag das am 28. Dezember ja anders sein. Doch nein, das hieße wohl, dem Weihnachtsfest noch mehr aufzubürden, als ihm an sozialer Erwartung ohnehin schon aufgeladen wird. Selbst wenn es gelänge, einen Kompromiss über die Frage zu finden, ob manche Straßen denn nun günstiger zu reinigen wären, so drohte mit der Frage, welche Straßen das denn betreffen soll, der nächste Konflikt zwischen Nord, Süd, Ost und West – vermutlich müsste man die Streckenabschnitte erst wahlkreisscharf aufteilen. All das zöge allerdings auch noch Sondersitzungen am Silvesterabend und Neujahrsmorgen nach sich. Das wäre wiederum eine der wenigen Gelegenheiten, von denen sich sagen ließe, die Stadtverordnetenversammlung wäre mal ein Kracher gewesen. Mit Clownsnasen, Partyhüten und Konfetti im Haar würde bei einigen Abgeordneten auch endlich mal Deckung zwischen Form und Inhalt erreicht. Doch es wird ein Wunschtraum bleiben. Der Weihnachtsschlitten ist blockiert, die Geschenke bleiben aus. Äußerst stille Nacht. Kein Kehrfahrzeug zu hören.

Erschienen am 23.12.2011

Neuer Landtag als Öko-Schloss

Freitag, 25. November 2011

Architekt Peter Kulka über die Kritiken der Knobelsdorff-Freunde und die Passivität der Stadt

Peter Kulka ist der Schlossarchitekt. Mit ihm sprachen Jan Bosschaart und Volkmar Klein über Potsdamer Debatten und Türen.

MAZ: Nach all dem Streit um Fenster, Türen, Dachneigungen und Kutschdurchfahrten – sind Sie froh, dass der Rohbau abgeschlossen ist?
Peter Kulka: Ich bin vor allem stolz, stellvertretend für die Bauleute. Es ist Halbzeit bei einem schwierigen Projekt. Modernisten würden jetzt aufhören, wir aber bauen das Gebäude zweimal, weil jetzt die Knobelsdorff-Fassade vor den Beton kommt. Sie macht den Landtag zum schönen Öko-Haus, das war beim Dresdner nicht möglich.

Sehr diplomatisch. Aber haben Sie diesen Grad an öffentlichem Interesse, auch an Einmischung schon erlebt?
Kulka: Wir machen das Beste aus der Schizophrenie: außen historisch, innen modern mit höchsten Anforderungen an Sicherheits- und Energiestandards. Die Kritiker haben über einen halben Zentimeter Fenstersprossen diskutiert, aber wenn die Skater auf die Rampe am Plenarsaal fahren und sich die Nasen an den Scheiben plattdrücken können, muss man an die Sicherheit der Abgeordneten denken. Wir verbauen hier gigantisch dickes und schweres Glas. Mit dem isolierten Blick auf die Fassade ist die Gesamtaufgabe nicht zu meistern. Hier sind Laien überfordert. Für die zweite Halbzeit wünsche ich mir daher mehr Vertrauen einiger Bürger, dass wir hier die Richtigen sind.

Die Laien halfen immerhin, das Kupferdach zu erstreiten.
Kulka: Das ist richtig. Zink war eine Lösung, um das Projekt nicht zu gefährden und das Budget einzuhalten. Mir wurde berichtet, dass das Schloss in knappen Zeiten mit Zink gedeckt war. Ich konnte mir kein Geld für Kupfer drucken, doch dann kam zum Glück Herr Plattner.

Da waren auch Sie froh?
Kulka:
Ja, und wir Bauleute haben nun die zusätzliche Arbeit (lacht). Aber ich habe zum Glück dicke Nerven.

Die sind jüngst strapaziert worden, als der Potsdamer Architekt Bernd Redlich klagte, Sie hielten die historischen Dachneigungen nicht ein.
Kulka:
Das ist doch dummes Zeug. Wir bauen die Neigung, die Pro Denkmal aus Messdaten ermittelt hat. Es gibt immer Leute, die glauben nachweisen zu müssen, dass die anderen alle Idioten sind. Herr Redlich täte gut daran, sich um seine eigenen Bauvorhaben zu kümmern.

Anders als im Bebauungsplan vorgeschrieben, wollten Sie Metalltüren im Nordflügel, nicht Holz wie im Original.
Kulka:
Ich denke manchmal, ich bin im falschen Film mit diesem schwachsinnigen B-Plan. Als Meister von heute muss man doch moderneTüren verwenden dürfen. Sie müssen neue Anforderungen erfüllen. Holz ist zu schwer, wenn die Oma zum Abgeordneten will. Dennoch widersetze ich mich nicht der Forderung nach Holztüren, in Dresdener Denkmalen lassen wir sie dann offen, dahinter kommt eine Schiebetür und dann eine dritte, die bei Sicherheitsproblemen schließt.

Haben Sie diese Debatten als reines Störfeuer erlebt?
Kulka:
Die Diskussion ums Kupferdach hat etwas gebracht. Bei aller Freude möchte ich darauf hinweisen, dass sich das Kupferdach in den nächsten 25 Jahren schwer auf die barocken Fassaden legen wird, da es erst dann seine hellgrüne Patina zeigen wird.

Ab sofort beginnt der Innenausbau – wo lauern dort die Herausforderungen?
Kulka:
Wir müssen mit knappen Mitteln arbeiten, da viel Geld für die historische Äußerlichkeit ausgegeben wird. Es wird die Kunst sein, aus nichts etwas sehr Schönes, Modernes zu machen. Ich bin unerschütterlich in dem Glauben, dass das gelingt.

Im Moment ist die Baustelle von den Kränen aus beleuchtet – gibt es ein Konzept, wie der fertige Landtag ins Licht gerückt wird?
Kulka:
Darüber wollte ich lange mit der Stadt reden, aber die Stadt redet nicht mit mir. Herr Klipp ist ziemlich arrogant und exzentrisch. Ich glaube, es fehlt noch das Bewusstsein, dass man hier dringend etwas tun muss. Wir reden über Kutschzufahrten, obwohl es keine Kutschen gibt, aber über so wichtige Details wird nicht geredet.

Sie haben immer gesagt, die Kutschzufahrten sind machbar. Wären sie auch sinnvoll?
Kulka:
Das liegt nicht in meiner Entscheidung. Ich wünsche mir, dass der Hof ein öffentlicher Raum wird.

Würden Sie den Auftrag noch einmal annehmen?
Kulka:
Ich würde es wieder tun! Wenn sie mich nicht hätten, was würden sie tun? (lacht) Selbst die Klage über zehn Prozent Mehrkosten ist doch dummes Zeug. Beim Berliner Schloss kostet der Kubikmeter umbauten Raums schon doppelt so viel, bevor der Bau begonnen wurde. Nein, es macht trotz allem Spaß. Wo hat man heute eine solche Gelegenheit, der Stadt ihre Erinnerung zurückzugeben und zugleich die Wandlung von einem Repräsentationsschloss zu einem modernen Landtag zu vollziehen?

Erschienen am 25.11.2011

Martinsgans mit Meisterköchen

Freitag, 11. November 2011

Kürbisraspel statt Rotkohl, Innereienstrudel und Brüste auf Cranberrys: MAZ-Leser trafen Herdkünstler

Ein Hausrezept für Gans mit Rotkohl und Klößen hat jeder Hobbykoch – doch was machen die Profis? Drei MAZ-
Leserinnen durften es sehen – und probieren.

Der Vorhang hob sich um Punkt 11 Uhr. Die Stars: Alexander Dressel, Sterne-Koch im Bayrischen Haus, Steffen Specker, Küchenchef im hoch dekorierten „Speckers Landhaus“, Steffen Schwarz, Meisterkoch im Dorint-Hotel. In den Nebenrollen: die MAZ-Leserinnen Gabriele Rothe, Karin Briesemann und Brigitte Lüdicke, letztere nebst Lebensgefährten Thomas Weigt. Die Bühne: die Lehrküche des Bayrischen Hauses in der davor gelegenen „Alten Försterei“, ein Traum in Holz und Edelstahl, mit magnetgesteuerten Induktionsherden, Wärmebrücken und sonstiger Hightech. Die Mission: die perfekte Martinsgans. Das Rekrutierungsverfahren: außergewöhnlich. Wer teilnehmen wollte, war aufgerufen, sein liebstes Gänsebratenrezept an die MAZ zu senden. Die drei Sieger waren nicht wenig aufgeregt, den Profis gegenüberzutreten. Was folgte, war ein fröhlicher Schwank in drei Akten, voller Dramatik, mit Blut und Schweiß, aber ohne Tränen.
Zunächst stehen noch alle andächtig um die beiden großen Gänse auf dem blank polierten, perfekt ausgeleuchteten Edelstahl-Küchenblock herum, doch Alexander Dressel lässt keine Ehrfurcht aufkommen. Flugs überbrüht er die Haut der Gans, damit die Marinade besser einzieht, dann verteilt er die Aufgaben: Marinade anrühren, aufwellen lassen, Gans einstreichen. Wer noch nichts zu tun hat, darf Rosenkohl schälen oder Birnen rasieren. Schnell tauen die Damen auf und stellen erste Fragen: Was, wenn ich keinen Champagneressig habe? Dann tut es auch jeder andere helle, milde Essig. Gabriele Rothe bemisst den Honig mit dem Löffel nach Gefühl, statt mit der Waage – großes Gelächter. „Das können wir uns nicht leisten“, kommentiert Dressel trocken. Er lässt mittlerweile die Innereien in einer Pfanne aus, nebst Flügeln und Hals. Die Gans soll auf diesen Innereien thronen, um im Herd besser rundum mit Hitze versorgt zu werden – drei Stunden lang unter Umluft. Dressel prüft regelmäßig die Konsistenz per Fingerdruck, regelt die Temperatur nach, deckt Teile, die zu braun zu werden drohen, mit Alufolie ab.
Auftritt Steffen Specker. Er bereitet einen Strudel mit Gänseklein, rohem Gemüse, Balsamico-Gelee und drei Sorten Kresse. Während er den gefüllten Gänsemagen schön rosa hinbekommt – zum Neid der Damen, bei denen er immer braun wird – philosophiert Specker über die Vor- und Nachteile von Gas- und Induktionsherden und rät am Ende zur Induktion: leichter zu reinigen und heizt die Küche nicht so auf. Die Damen nicken andächtig. „Sie haben zarte Hände“, sagt eine Teilnehmerin anerkennend. „Das kommt vom Gänseschmalz“, gibt Specker zurück. Kollektives Gelächter. Derweil rollt er den fertigen Filloteig aus und die zubereiteten Innereien in denselben ein. Das Blech verschwindet im Ofen. Indes flucht Brigitte Lüdicke über die „Futzelei“ des Entblätterns von Rosenkohl. Das Birnenschälen behagt ihr schon mehr, allerdings nicht mit dem professionellen Pendelschäler, den Steffen Schwarz reicht: „Hamse keen Messer?“ Er hat, doch Brigitte Lüdickes Ehrgeiz ist geweckt. Sie schält tapfer zuende.
Gabriele Rothe ist aus Neugier, wie die Profis arbeiten, gekommen. Sie kommt voll auf ihre Kosten. „Warum werden ihre Birnen nach dem Aufschneiden nicht braun?“ fragt sie. „Weil wir sie in Wasser mit etwas Zitrone legen. Ascorbinsäure verhindert das Bräunen“, sagt Steffen Schwarz. Der Dorint-Koch hat vier Gänsebrüste eingeschweißt, um sie bei niedriger Temperatur zu garen. Am Ende bekommen sie in der Pfanne den letzten Schliff. Großes Gelächter am anderen Tischende. Jemand hat einen Löffel entdeckt, auf dem „Leck mich!“ steht. „Das war ein Geschenk“, outet sich Alexander Dressel etwas verlegen als Eigentümer. „Du mich auch“, entgegnet Steffen Specker, der gerade etwas gestresst wirkt. Seine Vorspeise ist fertig, doch jeder in der Küche ist noch beschäftigt. Also: Erstmals zu Tisch. Die Speckerschen Gänsekleinstrudel werden hochgelobt. Das Balsamicogelee mit seiner zarten Säure bildet ein schönes Gegengewicht zum Gänseklein im hauchdünnen, knusprigen Teigmantel. Dazu gibt’s einen Südtiroler Weißburgunder.
Zurück in die Küche, der Zwischengang steht an. Für Steffen Schwarz’ Gänsebrüste werden die Birnen mit Cranberrys und Zwiebeln in der Pfanne erhitzt, dazu gibt’s Schupfnudeln, die – um das Weitergaren nach der Pfanne zu verhindern – in Eiswasser gestoppt werden. Gabriele Rothe notiert eifrig. Der zweite Gang kommt mit einem leichten Rotwein, die Gespräche werden zunehmend entspannter. Die Herren Köche plaudern von Kindern und Karriere und verraten auf Nachfrage von Karin Briesemann, was sie privat gern essen – meist sehr rustikale Gerichte von Mutter oder Oma, die sie noch aus der Kindheit kennen, aber nie so hinbekommen haben, wie sie einst schmeckten: Kartoffelsalat ohne Mayonnaise, Bechamelkartoffeln mit Petersilie, Gehacktesstippe.
Zur Krönung kommt dann Alexander Dressels Ente auf den Tisch, auf Kraut aus Kürbis, begleitet von mit Pflaumenmus gefüllten Buchteln, dazu ein schwererer Rotwein. Das Gespräch dreht sich um die Qualität der Gastronomie in Brandenburg („Nimm Dir Essen mit, das war einmal!“ sagt Alexander Dressel), Verletzungen beim Kochen – eine Frau hat sich am Messer geschnitten und ist routiniert verbunden worden – und den Unterschied zwischen der Martins- und der Weihnachtsgans (letztere ist schlicht fetter, weil sie noch fünf Wochen länger fressen durfte). Noch schnell einen Kaffee, dann müssen die Herren Spitzenköche auch wieder los, das Abendgeschäft in ihren Restaurants wartet. Die Küchengäste hingegen ziehen beseelt in die graue Novemberluft hinaus – angefüllt mit Eindrücken, Tipps, Gänsefleisch und drei Sorten Wein.

Erschienen am 11.11.2011

Pathos und Superlative

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Pläne für die Alte Fahrt haben nun ein Gesicht / Bauten werden „ein Stück Stadtgeschichte“ schreiben

Der Alte Markt soll Potsdam sowohl ein Stück Geschichte wiedergeben als auch in die Zukunft weisen. Die Bauherren sind überzeugt, dass das gelingen wird.

Es war die Stunde großer Worte. Man schreibe heute ein Stück Stadtgeschichte, betreibe ein Stück Stadtreparatur, sagte Erich Jesse, Chef des städtischen Sanierungsträgers, bei der Vorstellung der Bauvorhaben für die Alte Fahrt. Jesse ist sonst nicht eben für übertriebenes Pathos berühmt, eher für wohlplatzierte Spitzen. Die Historizität des Augenblicks riss ihn offenbar mit. Im „aufwändigsten und transparentesten Verfahren, dass es je gab“ (Jesse) seien die Bauherren für die Alte Fahrt und das Eckgrundstück an der Schwertfegerstraße/Friedrich-Ebert-Straße gefunden worden, und sie hätten „die besten Ergebnisse gezeitigt, die wir kriegen konnten“, davon sei er überzeugt. Der Superlative war damit noch kein Ende: Man habe im Auswahlgremium und bei der Vorbereitung der aufwändigen zweistufigen Ausschreibung „die besten Leute bundesweit“ gehabt, ergänzte Baudezernent Matthias Klipp, auf den das zugrunde liegende Leitbautenkonzept zurückgeht. Egal, was nun die Politik sage – die Stadtveordneten müssen die Verkäufe im Dezember noch absegnen –, etwas Besseres könne die Stadt unmöglich vorlegen. Klipp dankte den künftigen Bauherren, denn das Verfahren sei „eine Zumutung“ gewesen: „Ich bin glücklich, dass wir am Ende noch willige Bauherren haben“. Architekten und Investoren mussten nicht nur zunächst ein Interessenbekundungsverfahren und dann, bei Erfolg in dieser ersten Runde, ein ausgefeiltes Bau- und Finanzierungskonzept vorlegen, sie waren auch gezwungen, sich dem Auswahlgremium und dem Gestaltungsrat zu stellen, die jeweils noch Änderungswünsche und Anforderungen an die Gebäude hatten. Das alles kostete viel Zeit und Geld, und bis zur Vertragsunterzeichnung konnte niemand sicher sein, auch den Zuschlag zu bekommen.

Ein Großteil der Arbeit fängt nun erst an: Die Investoren müssen Bauanträge schreiben, die Stadt muss sie möglichst schnell bearbeiten und zeitgleich die archäologischen Untersuchungen im Baugrund voranbringen. Die ersten Käufer würden gern im Frühjahr mit dem Bau beginnen, die letzten spätestens Anfang 2013. 15 bis 24 Monate soll die reine Bauzeit betragen; die Baustellenlogistik neben der Großbaustelle Stadtschloss und auf dem engen Uferstreifen an der Alten Fahrt dürfte dann noch eine Herausforderung der ganz besonderen Art werden.

Größter und prunkvollster Bau wird sicher das Palais Barberini. Hotelbesitzerin Gertrud Schmack hat das Grundstück bekommen und plant dort in der historischen Kubatur – das Barberini ist der einzige echte Leitbau – ein weiteres Hotel mit 80 Suiten. Für Überraschung und viel Lob sorgte die Nachricht, dass der junge Potsdamer Bauingenieur Christopher Kühn, der sich bei „Mitteschön“ sehr für historische Rekonstruktion einsetzt, am Barberini mitbauen darf. Weil Schmack nicht, wie gewünscht, noch das Grundstück nebenan bekam, auf dem sie Wirtschaftsräume des Hotels unterbringen wollte, dürfen auf den (nicht leitbau-geschützten) Hofflügeln des Barberini nun Staffelgeschosse errichtet werden, die aber laut Christopher Kühn so weit versetzt sind, dass sie von der Straße und selbst von der Freundschaftsinsel aus kaum zu sehen sein werden. Über eine Durchwegung in der Mitte bleibt der Durchgang zur Havel für alle Besucher offen; für Hotelgäste entsteht eine Tiefgarage. Auch zwei historische Säle im Barberini sollen wiedererrichtet werden und „für öffentliche Nutzungen zugänglich“ sein.

Am längsten diskutiert und mit den meisten Änderungswünschen belegt war der Komplex am Standort des ehemaligen Palasthotels in der Humboldtstraße 1 und 2. Der Baukonzern Kondor Wessels will dort ein kombiniertes Ärzte- und Bürohaus sowie Wohnen einrichten. Im Erdgeschoss ist ein Restaurant geplant; auch hier wird eine Tiefgarage ausgehoben. Als Brückenkopf zur Langen Brücke und nächster Nachbar zum Stadtschloss war das modern zu planende Gebäude besonderen Anforderungen unterworfen. Im Laufe des Verfahrens wurden die Ecke zur Brücke hin durch eine breite Kante ersetzt und die Dachform angepasst. Auch sollte das Haus nicht höher als das Stadtschloss werden, um sich nicht in den Vordergrund zu spielen. Unter den beauftragten Architekten ist hier auch der renommierte Potsdamer Bernd Redlich.

In der Humboldstraße 4 baut ebenfalls Kondor Wessels – ebenfalls mit Bernd Redlich – das Palais Chiericati mit historischer Fassade wieder auf – als Wohn- und Geschäftshaus. An der Humboldtstraße 3 kam die Prinz von Preußen AG zum Zuge, die dort hinter der historischen Fassade des Palais Pompeji ebenfalls ein Wohn- und Geschäftshaus plant sowie ein Gartenhaus, das nur zum Wohnen gedacht ist.

Auf den schwierigen, weil sehr schmalen Grundstücken links neben dem Barberini baut unter anderem Star-Architekt Franco Stella für die Lelbach-Gesellschaft ein Stadthaus und eine Gartenvilla mit moderner Architektur, aber im Stile Palladios. Im Erdgeschoss sind ein Kunstsalon und ein Café geplant, darüber Wohnungen, ebenso im Gartenhaus. Daneben hat die Complan Kommunalberatung ein Grundstück erworben, das ähnlich genutzt wird: Gewerbe im Erdgeschoss, Wohnen darüber und im Gartenhaus. Die Fassade ist ebenfalls modern gehalten.

Erschienen am 26.10.2011

WAS BLEIBT: Spatenstiche

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Um lange aufgehäuftelten Frust abzulassen, empfiehlt nicht nur der MAZ-Ratgeber regelmäßig Gartenarbeit. Sollte der von Potsdams Affären geplagte Oberbürgermeister also seinen geballten Unmut über die miese Medienmeute, die doch dauernd über eigentlich ganz passabel gelaufene Grundstücksgeschäfte hechelt, mal verscharren wollen, empfiehlt sich der beherzte Griff zum Spaten. Das oberbürgermeisterliche Anwesen in der Alexandrowka böte ja noch hinreichend Raum für neue Obstbäume, und Herbstzeit ist Pflanzzeit. Zudem wäre das doch mal etwas Produktives, statt ewig alten Geschäften, Spitzeleien und Sponsorings nachgraben zu müssen. Den Nadelstichen der Opposition und – schlimmer! – der Kooperation ließen sich also beherzte Spatenstiche entgegensetzen. An Werkzeug dürfte es nicht mangeln, denn zu den wenigen Freuden des Oberbürgermeisterdaseins gehört es, im Laufe der Amtsjahre eine unüberschaubare Zahl an Spaten anzuhäufen, die bei jedem ersten Spatenstich abfallen – steuerfrei, mit Namensgravur und nur einmal benutzt. Selbst das gestrenge Beamtenrecht und alle Transparenzkommissionen dieser Welt verlangen bislang noch nicht, dass ein Stadtoberhaupt diese Werkzeuge wegen der Gefahr der Vorteilsnahme etwa dem Bauhof übereignet, auf dass dieser damit in der Hauptverkehrszeit die Zeppelinstraße mal lustig punktiere, um sich über den hübschen Stau zu freuen. Nun ist nicht überliefert, ob der Spatenmillionär Jakobs die edlen Werkzeuge in einem Extraraum des labyrinthischen Stadthauses oder einem eigens dafür eingerichteten Schuppen in der Alexandrowka verwahrt, wir stellen uns das aber so vor: An einem trüben Samstagmorgen im Spätherbst schreitet der Oberbürgermeister vergrämten Blickes in eben jenen Raum, ein Druck auf den Schalter lässt die Beleuchtung aufflackern, und da hängen sie, liebevoll poliert, in gläsernen Vitrinen: Spaten um Spaten, vom Landtagsschloss über die Garnisonkirche bis zum Hans-Otto-Theater, SAP, Klinikums-Erweiterung, hunderte Kitas, Schulen, Turnhallen, aber auch City-Quartier am Bahnhof (autsch!) – ein Panoptikum oberbürgermeisterlichen Schaffens, eine sicht- und greifbare Lebensleistungsschau, etwas, was bleibt. Liebevoll streicht die vom nervösen Trommeln auf hunderten Sitzungstischen verkrampfte Hand über die Schäfte – und langsam hellt sich das oberbürgermeisterliche Antlitz auf: Heute ist doch ein Feiertag. Jakobs erwählt, nach kurzem Zögern, ob das nicht etwas übertrieben wäre, den Stadtschloss-Spaten. Zwanzig Minuten später ist der gesamte Frust von 50 Zentimetern Erde bedeckt.

Erschienen am 20.10.2011


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