Die Entscheidung der Stadtverordneten zum Garnisonkirchen-Bürgerbegehren wirft viele Fragen auf — hier einige Antworten
Bürgerbegehren, Bürgerentscheid, Stadtverordnetenbeschluss — ich sehe nicht mehr durch. Was hat das zu bedeuten?
Die Initiative gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche hat ein Bürgerbegehren angestrengt, in dem sie Unterschriften gesammelt hat. Sobald eine gesetzlich geregelte Zahl von Potsdamern unterschrieben hatte — zehn Prozent oder knapp 14 000 Einwohner —, musste sich die Stadtverordnetenversammlung mit dem Thema befassen. Das hat sie am Mittwoch getan. Ihr blieben genau zwei Optionen: Sie konnte das Bürgerbegehren annehmen — was sie getan hat, und damit ist der Bürgerwille politisch umgesetzt —, oder sie konnte es ablehnen. Dann wäre es zu einem Bürgerentscheid gekommen: Alle wahlberechtigten Potsdamer wären an die Urnen gerufen worden, um ihre Meinung zum Wiederaufbau der Garnisonkirche kund zu tun.
Die Rathauskooperation aus SPD, CDU, Grünen, Potsdamer Demokraten und Freien Wählern unter Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) ist doch für den Wiederaufbau. Warum hat sie dann mit ihrer Stimmenthaltung dem Bürgerbegehren der Wiederaufbaugegner den Weg frei gemacht?
Wäre es zum Bürgerentscheid gekommen und hätten alle Potsdamer abgestimmt, wären die Befürworter des Wiederaufbaus — also auch die Rathauskooperation — ein hohes Risiko eingegangen. Im Falle einer Mehrheit gegen die Kirche hätte die Stiftung, die das Projekt vorantreibt, ein großes Problem: Ihr Anliegen würde von den Bürgern der Stadt nicht mitgetragen. Das würde nicht nur einen Ansehensverlust bedeuten, sondern auch Spender vergraulen.
Das ist doch unlogisch. Durch die Annahme des Bürgerbegehrens wurden doch schon Tatsachen gegen den Bau geschaffen. Ein Bürgerentscheid indes hätte ja auch pro Wiederaufbau ausgehen können.
Das hätte er, aber er wäre, siehe oben, zu riskant. Durch die Annahme wurde dem Bürgerbegehren der Wind aus den Segeln genommen. Zum einen kann Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) beruhigt dem Auftrag folgen und im Kuratorium der Stiftung den Antrag auf Auflösung der Stiftung stellen. Da die Stadt dort nur eine Stimme hat, besteht keine Gefahr für die Fortexistenz der Stiftung. Jakobs ist zwar erklärter Befürworter des Wiederaufbaus, kann sich dann aber auf die Entscheidung im Stadtparlament berufen. Er müsste also quasi gegen die eigene Überzeugung, aber mit dem Mehrheitswillen im Rücken einen Antrag stellen, von dem er sicher sein kann, dass er in dem elfköpfigen Gremium abgelehnt wird. Für die Auflösung der Stiftung bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Mit der einen Stimme von der Stadt wäre nichts erreicht.
Demnach war es pure Taktik, dass die Rathauskooperation das Bürgerbegehren durchgewinkt hat?
Das darf man getrost unterstellen. Streng genommen hat sie es aber mit ihrer Stimmenthaltung sehr clever angestellt. Eine Zustimmung zum Bürgerbegehren wäre zwar taktisch klug gewesen, aber politisch peinlich, denn offiziell steht die Rathauskooperation ja zum Wiederaufbau. Die taktische Finte wäre dann sehr offensichtlich gewesen. So aber enthielten sich SPD, CDU, Grüne und Potsdamer Demokraten mit dem Hinweis darauf, dass es rechtliche Bedenken gibt, ob der Oberbürgermeister den Beschluss überhaupt umsetzen kann.
Wie ist nun aber das Stimmverhalten der Linken und der Fraktion Die Andere zu bewerten?
Ironischerweise waren es ausgerechnet die acht Stimmen der Linken, die den Bürgerentscheid verhindert haben. Die Linken wollten offenbar nicht taktieren und positionierten sich — wie zuvor schon oft — gegen den Wiederaufbau. Damit haben sie am Ende den Bürgerentscheid verhindert. Die Andere indes stimmte taktisch ab und votierte gegen ihr eigenes Bürgerbegehren, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Sie hofften darauf, dass eine Mehrzahl der Potsdamer an den Wahlurnen im September gegen die Kirche gestimmt hätte und die Stiftung dann in arge Not geraten wäre.
Was wäre denn passiert, wenn die Linken auch taktisch wie Die Andere gegen das Bürgerbegehren gestimmt hätten?
Dann wäre es tatsächlich zum Bürgerentscheid gekommen. Die gesamte Sondersitzung der Stadtverordneten war deshalb aufgrund der Gemengelage ziemlich bizarr: Um die Kirche zu verhindern, musste man gegen das Ziel des Bürgerbegehrens stimmen, wie es Die Andere tat, in der Hoffnung auf den Bürgerentscheid. Um den Wiederaufbau zu befördern, musste man indes für das Ziel des Bürgerbegehrens votieren — oder sich enthalten —, weil damit der Entscheid obsolet wurde und Jann Jakobs die Stiftung ohnehin nicht auflösen kann. Zumal Verwaltungsrechtler noch prüfen, ob dieser Beschluss überhaupt umsetzbar ist und Jakobs den ihm ungelegenen, aber wirkungslosen Antrag überhaupt stellen muss.
Das heißt, es war eine Menge Taktik und Trickserei im Spiel?
Ja, aber auf allen Seiten. Auch die Initiatoren des Bürgerbegehrens stimmten ja taktisch gegen ihr eigenes Papier, um den Bürgerentscheid zu ermöglichen. Die Kooperation enthielt sich, obwohl sie das Papier eigentlich hätte ablehnen müssen, was sie inhaltlich auch nach wie vor tut. Nur die Linke stimmte so, wie sie immer argumentiert hatte, nämlich gegen den Wiederaufbau. Ironischerweise könnte sie ihn damit aber erst ermöglicht haben.
Hatten die Linken das nicht verstanden?
Das ist höchst unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass ihnen Offenheit wichtiger war als Taktik und sie überzeugt sind, dass die Kirche aus anderen Gründen — etwa fehlenden Spendern — ohnehin nicht kommt.
Das klingt, als hatte das Bürgerbegehren von vorherein keine Chance.
Streng genommen ist das auch so. Die Unterschriftensammlung hat ein wichtiges Signal ausgesandt, nämlich das, dass es sehr viele Potsdamer gibt, die gegen den Wiederaufbau sind — diesen psychologischen Effekt und dieses öffentliche Signal darf man nicht unterschätzen. Politisch und rechtlich war es aber von Beginn an fragwürdig. Die Stadt hat der Stiftung das Grundstück für die Kirche nicht freiwillig überlassen, sondern weil sie vertraglich dazu verpflichtet war — das hätte auch kein Bürgerentscheid zurückdrehen können. Und ebenso wenig kann eine Entscheidung des Stadtparlaments Einfluss auf eine politisch unabhängige Stiftung nehmen. Das Bürgerbegehren der Wiederaufbaugegner stand also von Beginn an auf sehr wackligen Füßen. Streng genommen hätten die Unterschriftensammler jedem Unterzeichner fairerweise erklären müssen, dass es mehr um ein öffentliches Signal gehe als um ein rechtlich wirksames Mittel zur Verhinderung des Wiederaufbaus.
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