Er wäre um ein Haar PDS-Oberbürgermeister geworden, saß im Bundestag, leitete den Bauausschuss — nun geht Rolf Kutzmutz
Potsdam — Es war vor Jahren, einer jener zweiwöchentlichen Abende im Raum 405, einem flachen Konferenzraum mit dem Charme eines zu groß geratenen Baucontainers der 1960er Jahre. Die Luft war schlecht, die Stimmung schlechter. Man hatte sich mal wieder vier Stunden lang über Pflaster und Mercure gezofft, es war längst alles gesagt, nur noch nicht von jedem. Da beugte sich eine Besucherin, die erstmals dem zweifelhaften Vergnügen erlag, einer Sitzung des gefürchteten Potsdamer Bauausschusses beiwohnen zu dürfen, zu einem neben ihr sitzenden Journalisten und stellte genau zwei Fragen: „Zu welcher Partei gehört eigentlich der Vorsitzende, und wie hält er das aus?”
Dreizehn Worte, ein Ritterschlag für und eine Charakterisierung von Rolf Kutzmutz zugleich. Die erste Frage ist leicht beantwortet: Kutzmutz ist Linker, mit ganzem Herzen, wie er sagt. Die zweite Frage gibt selbst ihm Rätsel auf. „Vermutlich habe ich einfach Erfahrung und ein ausgeglichenes Naturell”, sagt er lächelnd. Das darf durchaus als Understatement gelten. Kutzmutz führte den Bauausschuss, der eigentlich nur mit paramilitärischen Mitteln zu leiten ist, über Jahre mit einer präsidialen Überparteilichkeit und Sachorientierung, die ihm nicht nur fraktionsübergreifenden Respekt sicherte, sondern dem chronisch zerstrittenen Haufen doch zuweilen sogar Ergebnisse und Beschlüsse abtrotzte.
Ob er dabei Nerven gelassen habe? „Nerven?” fragt Kutzmutz mit gequältem Lächeln, „Eher Lebensjahre.” Das will etwas heißen. Denn der 66-Jährige, der mit der Kommunalwahl endgültig aus der Politik ausscheidet, hat in seiner langen Laufbahn Ämter bekleidet, die stressiger sein könnten: So war er von 2003 bis 2005 Bundesgeschäftsführer der PDS, von 1994 bis 2002 PDS-Bundestagsabgeordneter, wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion und in den Bundestagsausschüssen für Wirtschaft und Sport. Auch als Parlamentarischer Geschäftsführer diente der Potsdamer der PDS.
Den Rückzug aus der Politik habe er lange geplant, sagt Kutzmutz, der sich zwar aus dem aktiven Dienst verabschiedet, den „homo politicus” aber nicht aufgeben kann. Einen langen Anlauf habe er genommen, die Stadtfraktion schon vor langer Zeit informiert. Man kann zwar Kutzmutz aus der Politik entlassen, aber nicht die Politik aus Kutzmutz: „Ich habe mich nie vor etwas gedrückt, vor keiner Auseinandersetzung, auch wenn ich selbst gar keine Schuld hatte”, sagt er. Das habe am Ende viel Kraft gekostet. Hinzu kamen Gesundheitssorgen und „die Entdeckung, dass es noch mehr Dinge im Leben gibt”. — „Noch mehr Dinge” sind vor allem die bald fünf Enkel seiner drei Kinder, auf die Kutzmutz unüberhörbar stolz ist. „Mehr Dinge” sind auch der Sport, für den Kutzmutz schon immer brannte — er passte und dribbelte als einziger Linker in der fraktionsübergreifenden Bundestagsmannschaft und lieferte manchmal sogar CSU-Abgeordneten eine Steilvorlage — und das Boxen. Rolf Kutzmutz hat alles von und weiß alles über Muhammad Ali. Alle Bilder, alle Bücher, alle Videos aller Kämpfe. Sein Vater, selbst Hobbyboxer, nahm Rolf Kutzmutz häufig zum Boxen mit, weil er „nicht hart genug war”. Von 1961 bis 1966 wurde so aus dem Leichtgewicht Kutzmutz ein Boxer mit linker Führhand und rechten Haken.
Wenn Politiker sagen, sie hätten sich nie in Funktionen gedrängt, sie seien immer gebeten worden, so darf das für gewöhnlich als Teil politischer Standard-Lyrik gelten. Kutzmutz indes nimmt man es ab — obwohl die Liste seiner Ämter bis in die Bundespolitik hinauf ziemlich lang ist. Nur die Kandidatur zum Potsdamer Oberbürgermeister 1993, das räumt Kutzmutz ein, sei von ihm aktiv betrieben worden. „Das war eine Trotzreaktion”, sagt er. 1993 galten PDS-Politiker als Vertreter der ausgedienten DDR, Kutzmutz wollte zeigen, dass die PDS „keine SED im demokratischen Mäntelchen” war. Der Aufschrei, der nach seinem erfolgreichen ersten Wahlgang folgte, in dem er Amtsinhaber Horst Gramlich (SPD) weit hinter sich ließ, sorgte dafür, dass er im zweiten Wahlgang verlor. Denn dass da in einer ostdeutschen Landeshauptstadt ein PDS’ler und Ex-Stasi-IM schon mit einer Backe auf dem Oberbürgermeistersessel sitzt, hatte nicht nur die nationale Presse, sondern auch die Wähler mobilisiert. Doch durch den Erfolg im ersten Wahlgang macht Kutzmutz in seiner Partei Karriere, man rät ihm, um ein Bundestagsmandat anzutreten, was er 1994 prompt erringt und zweimal verteidigt. Dass er 2005 nicht aufgestellt und 2009 auf einen aussichtslosen Listenplatz geschoben wurde, gehört zu schmerzvollsten Momenten in Kutzmutz’ Politikerleben.
Er kämpft gegen Andrea Wicklein (SPD) 2009 um ein Direktmandat und verfehlt es nur um 200 Stimmen. Das habe ihm eine Genugtuung gegeben, aus eigener Kraft „so nah heran gekommen zu sein”, sagt er heute. Fotos zeigen, wie er Wicklein umarmt, um ihr zum Wahlsieg zu gratulieren. Da ist er wieder, der Gutmensch Kutzmutz, dem manche Genossen „mangelnde Bissigkeit” vorhielten — ein Vorwurf, mit dem der Gescholtene gut zu leben weiß. „Diskreditierung und Unter-die-Gürtellinie sind meine Sache nicht”, sagt der 66-Jährige schulterzuckend. Er habe stets versucht, im politischen Gegner den Partner zu sehen und nie unterstellt, dass der andere immer den Knüppel hinterm Rücken trage. Das hat ihm einige Beulen eingebracht, doch trotzdem hat Rolf Kutzmutz im Haifischbecken der großen Politik überlebt. Wie es ihm gelungen ist, selbst dort, im Bundestag, diesen Glauben an die gute Absicht des anderen hochzuhalten, zwischen Intrigen und Lobbyisten, das kann er selbst nicht so recht erklären. „Der Wunsch, immer gemocht zu werden” und die Technik, „immer an das Gute im anderen zu glauben”, das sind „so Stichpunkte”. Genau das fiel Kutzmutz in letzter Zeit selbst auf kommunaler Ebene zusehends schwerer. „Der Politikstil und die Politiker ändern sich stark. Selbstdarstellung und -profilierung nehmen zu. Ich erkenne oft nicht mal mehr den Versuch, den anderen zu verstehen”, sagt er. Das ist im kleinen Potsdamer Bauausschuss, der auch „Rolfs Revier” genannt wird, nicht anders als in der großen Politik.
Die Rente will Kutzmutz nun zum Schreiben nutzen. Keine Autobiografie, sondern über wichtige Begegnungen, für seine Enkel zum Nachlesen. Denn Begegnungen waren das, was für Kutzmutz den Politikerberuf, den er nie als Beruf begriff, ausmachten: mit Menschen wie Stefan Heym, Gregor Gysi und Fidel Castro, aber auch Menschen aus anderen sozialen und ideologischen Hintergründen wie dem Unternehmer Hans Wall.
Es war einer jener zweiwöchentlichen Abende im Raum 405, vor vier Tagen, die 99. und letzte Sitzung des Bauausschusses. Die Luft war schlecht, die Stimmung schlechter. Man hatte sich mal wieder vier Stunden lang gezofft, über Kleingärten und Brauhausberg, es war längst alles gesagt, nur noch nicht von jedem. Kutzmutz war wegen Krankheit entschuldigt. Da beugte sich ein langjähriges Mitglied des Ausschusses zu einem hinter ihm sitzenden Journalisten und sagte mit Leidensmiene nur einen Satz: „Er fehlt schon jetzt.”
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …