„Was für ein mieser Tag!“
Liebes Tagebuch! Tut mir wirklich leid, dass ich Dich aus Deinem Winterschlaf reiße: dienstliche Anordnung. Ich darf jetzt nicht mehr mailen, wenn mich was bedrückt. Weil die Presse komischerweise von meinem Ärger über die Bibliothek Wind bekam. Die einen empfingen eine private Mail, die anderen eine versehentliche Weiterleitung aus dem Grünen-Verteiler. Blöd, das. Dabei wollte ich mich doch dazu gar nicht mehr äußern.
Liebes Tagebuch, war das ein mieser Tag gestern! So hatte ich mir das nicht vorgestellt, als ich mich vor einem Jahr um den Posten des Baubeigeordneten bewarb. Ich wollte eigentlich von allen gemocht, ach was, geliebt werden, egal, was ich tue. Dass ich das in einem Ressort wollte, das nur mit paramilitärischen Mitteln zu überleben ist, machte die Sache nur reizvoller. Und nun so ein Tag: Gleich morgens zerrte mich ein Fachbereichsleiter zum zweiten Mal vor den Kadi, weil er partout nicht einsehen mag, dass ich einen Sündenbock für die Kosten an der Humboldtbrücke brauche. Ständig belegt er mir, dass ihn keine Schuld trifft. Habe ihm ausführlich erklärt, dass die Beliebtheit des Chefs Opfer von den Untergebenen mit Zeitvertrag verlangt, aber der sture Kerl sieht das nicht ein. Und bekommt Recht! Für solches Recht bin ich 1989 aber nicht auf die Straße gegangen! Im Hauptausschuss ging’s weiter. Mein Hinterkopf ist schon ganz flach von den Schlägen, wenn ich was zur Bibliothek sage. Dabei habe ich immer für Meinungsfreiheit demonstriert, seinerzeit.
Liebes Tagebuch, und das Schlimmste, das ist diese Presse. Als sie was vom „Obama der Bauverwaltung“ schrieben, habe ich mich wirklich gefreut. Sehr. Die hatten mich verstanden. Meine Sekretärin hat zwar gesagt, das sei ironisch, aber die ist nur neidisch. Die sagt mir ja auch nicht, wenn ich morgens im Büro noch die Fahrradklammer am Hosenbein habe. Doch seither mischen die sich in alles ein, diese Schreiber und Filmer und Knipser. Ich kann keine Mitarbeiter schassen, ich kann nicht mal mittelfristig den Autoverkehr lahmlegen, ohne dass sich einer gleich am nächsten Tag darüber aufregt.
Das ärgert mich, das verletzt mich, und natürlich habe ich für sowas nicht demonstriert, damals, ’89. Dauernd rühren die mir meine Ankündigungen aus der Zeit vor dem Amtsantritt unter: Transparenz, Gleichbehandlung, Überparteilichkeit und so. Die müssten doch wissen, wie das läuft, schreiben doch auch täglich viel, was tags darauf keinen mehr kümmert.
Am allerschlimmsten aber ist die Linke. Wenn der Jäkel im Bauausschuss ansetzt, bin ich schon auf der Palme, bevor das erste Wort auf mein Trommelfell trifft. Und dann sitzt der da und feixt. Das macht der mit Absicht! Ich wette, der hatte 1989 nicht ein einziges Mal ein Plakat in der Hand – und für sowas haben wir damals… Was soll’s: Wenn das so weitergeht, werfe ich irgendwann einfach die Sandförmchen hin und gehe. Dann darf ich auch endlich wieder mailen. Ähm… nix für ungut, liebes Tagebuch: Dein Matze Klipp
Erschienen am 25.02.2010