Berufsrisiko

Jan Bosschaart über die jedes Menschenmaß sprengenden Härten des Advents

Journalisten haben nicht nur die niedrigste Lebenserwartung aller Berufsgruppen, sie haben auch echte Probleme. Eines davon heißt Vorweihnachtsblues und stellt sich regelmäßig nach dem ersten Advent ein. Die Symptome: Glühweinüberdruss, Tannengrünallergie, Kinderchor-Vermeidungsverhalten und ausgeprägte Jingle-Bells-Phobie. Das alles nicht etwa, weil sie so ausgeprägt zynische Zeitgenossen wären, sondern schlicht wegen der jedes Menschenmaß sprengenden Fülle an Weihnachtsmärkten, -feiern, -konzerten und -spendenaktionen. Geht Otto Normalleser im Advent auf zwei Märkte, zu drei Weihnachtsfeiern und spendet einmal, hat der Lokaljournalist bereits nach dem ersten Advent zwei Dutzend Märkte besucht, vier Konzerte rezensiert und zwölf weitere angekündigt, dazu für vier Spendenaktionen geworben und sieben Weihnachtsfeiern besucht. Dass dort immer Jingle Bells läuft, er immer zu Glühwein und Stollen genötigt wird („nu haben Se sich doch nich so“) und ein Kinderchor auftritt, ist leider unvermeidlich. Am 24. Dezember liegt er dann unter dem Baum, unfähig, sich noch an irgend etwas zu erfreuen, und murmelt erschöpft: „In vier Wochen beginnt die Karnevalssaison. Pro Wochenende elf Narhallamärsche, acht Büttenreden…“

Erschienen am 30.11.2010

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