Terroristen beim Therapeuten
RAF-Täter und ihr Leben „danach“
Man muss sich den Psychoanalytiker als harten Hund vorstellen. Als einen, der es gewohnt ist, die tiefsten Tiefen menschlicher Abgründe weitgehend stumm zu ertragen; der standhält, wenn der andere seine schlimmsten Traumata in der Beziehung zum Analytiker wiederholt. Deshalb bekommt die Zahl besonderes Gewicht: Acht! Acht gestandene Therapeuten haben sie verschlissen, die 15 Mitglieder der RAF und des „2. Juni“, die sich über Jahre mit Psychologen zu Gesprächen trafen. Die Gruppe entstand 1996 nach einem Vortrag über die Traumatisierung politischer Gefangener in Chile. Ohne Absprache fanden sich 15 ehemalige RAF-Terroristen im Publikum, viele frisch aus der Haft entlassen. Sie suchten das Gespräch, weil sie Parallelen sahen zwischen dem Bericht und ihrer Haftzeit. Der Redner, selbst Psychologe, war entsetzt: Wie konnten sich Terroristen, die in einem Rechtsstaat verurteilt und inhaftiert waren, mit Folteropfern in Chile gleichsetzen? Er lehnte ab, doch andere Kollegen ließen sich ein.
Zehn Psychologen waren es, die an Deformation schon einiges gesehen hatten. Einiges, aber nicht diese Gruppe, die zwar um Hilfe ersuchte, aber schon das Wort Therapie nicht ertrug. Nur zwei sind geblieben. Sie haben ein Buch herausgegeben, das reflektiert – ihre Sicht und die der Gruppenmitglieder Karl-Heinz Dellwo, Knut Folkerts, Roland Mayer und Ella Rollnik. Leicht ist auch den Therapeuten das Bleiben nicht gefallen. „Nie zuvor habe ich soviel Entwertung und so wenig empathisches Mitschwingen erlebt“, schreibt Angelika Holderberg. Sie fürchtete oft, „verloren zu gehen im Strudel von Spaltung und Verleugnung, der zu Paranoia, Selbstzerstörung und Flucht in Allmachts-fantasien führte“. Und Volker Friedrich ergänzt: „Viele der Therapeuten sind gegangen, weil sie die Leere der Beziehungen in der Gruppe nicht ertragen konnten.“ Auch große Teile der Gruppe verließen die Sitzungen bald. Weil sie nicht bereit waren, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, weil sie sich in gegenseitigen Vorwürfen verstrickten und weil sie es nicht ertrugen, dass die sie vermeintlich tragende RAF längst zerbrochen war. „Es glich einem Tigerkäfig. Das Kollektiv war kommunikationsunfähig. Die unbesprochenen Widersprüche aus 20 Jahren waren explodiert und lagen als Trümmer zwischen uns“, schreibt Knut Folkerts.
Als das Buch verfasst wurde, war die Debatte um Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar nicht absehbar. Dennoch liest es sich wie ein Kommentar dazu. Gefangenschaft, Sonderhaftbedingungen und Isolation machen eine Selbstdistanzierung – die notwendige Voraussetzung für Reflektion und Reue – unmöglich. Der Glaube an die Sache, an die Gemeinschaft im Terror und das eitle, ja narzisstische sich für etwas Besseres halten waren in Stammheim, Celle und Bruchsal schlechterdings überlebensnotwendig.
Trotz einiger Erfolge in dieser seltsamen Gruppe: Bis zur Frage der Reue ist niemand vorgedrungen. Zu einer kritischere Sicht auf sich selbst und die RAF hingegen schon. „Wir waren das lebende Dementi dessen, wofür wir zu kämpfen behaupteten: Identität, Souveränität, Authentizität“, schreibt Roland Mayer. Bis zu solcher Erkenntnis vergingen sieben Jahre zähen Ringens mit sich und den anderen. Ein Therapeut, der nach drei Jahren ging, schreibt, es sei schwer gefallen, „die alte, ungeschmälerte Wut, die unerschütterliche Selbstgerechtigkeit“ zu ertragen. Bis zuletzt habe er auf ein Zeichen der Übernahme persönlicher Schuld oder Reue gewartet. Es kam nicht. „Der eigene Mythos fuhr mit allen davon“. Stattdessen dominierten Wut, das Gefühl, verraten worden zu sein, Opferrolle und Selbstmitleid. Man muss sich den Terroristen als schwer deformierte Persönlichkeit vorstellen.
Angelika Holderberg (Hrsg.): Nach dem bewaffneten Kampf. Psychosozial-Verlag, Gießen 2007. 224 Seiten, 19,90 Euro
Erschienen am 05.04.2007