Michas rotierende Welt

Ein Abend im „Waschomat“

Vorwäsche

Mit einem Klick rastet die Waschmaschinentür ein, der Finger verharrt über dem Startknopf. „Das würde ich nicht tun“, sagt Michael. „Wieso nicht? Ist beides schwarz, beides 30 Grad!“ Das muss ein furchtbar dummer Satz gewesen sein, denn Michael verdreht genervt die Augen. „Das fusselt“, sagt er schließlich, „Baumwolle und Kunstfaser zusammen, das fusselt.“

Es ist leer im Waschomat am Rande der Altstadt. Nur wenige der 18 Waschmaschinen mümmeln, von Neonlicht beschienen, die Unterwäsche, Gardinen, Handtücher ihrer Mieter durch. Außer Michael, 38, graue Hose, grauer Karo-Pulli mit weißem Hemd darunter, sitzt nur einer im Geschäft, vor drei riesigen Reisetaschen, und liest. „Das ist Sven, aber den brauchst du gar nicht ansprechen, der ist stumm wie ein Fisch“, sagt Michael. Aus seiner Verachtung macht er keinen Hehl. Sven, unrasiert und mit filzigen Haaren, hat offenbar den Inhalt der Taschen in drei große Maschinen gepresst und überbrückt die Zeit, indem er „Die Bedeutung des sozialen Abstiegs für die Identität“ liest. Nachdem die Erwähnung seines Namens ihn ohnehin unterbrochen hat, geht er zum Kaffeeautomaten und zieht sich einen Plastikkaffee.

Hauptwaschgang

Zwei quirlige Teenager betreten den Waschomaten mit einer Reisetasche, die sie gemeinsam tragen. Sie wirken uniform: Lange schwarze Haare, dick aufgetragene Schminke, enge Jeans. Und sie sind bester Laune. Kichernd und giggelnd räumen sie eine Maschine ein, zeigen sich ihre Kleidung. Michaels Stirn liegt in Dauerfalten. Er ist von dem Gespräch ausgeschlossen, da sie türkisch reden, und ihr Umgang mit der Wäsche behagt ihm auch nicht. Sven, vom plötzlichen Lärm aufgeschreckt, zieht sich noch einen Kaffee.

Die Tür spuckt einen älteren Herrn in den Waschsalon. Unsicher schaut er sich um, hinkt in die hinterste Ecke zu einer großen Maschine. Aus seinem abgewetzten, löchrigen Koffer stopft er unwillig, fast wütend die Trommel voll. Dann ist die Leibwäsche an der Reihe: Die Jacke mit dem fleckigen Kragen, die schmuddelige Cordhose, die statt eines Gürtels von einer Paketschnur gehalten wird, das Polohemd, dem die Knöpfe fehlen. Nur in einer Unterhose, die mal weiß gewesen sein muss, und in Strümpfen setzt er sich auf die Bank und schaut in eine Zeitung von letzter Woche. Die Teenager kichern etwas lauter und blicken den Alten ungeniert an. „Arme Sau!“ sagt Michael.

Als es dunkel wird, kommt Herr Yildeniz. Herr Yildeniz ist klein und ständig in Bewegung. An seiner viel zu dicken, goldenen Armbanduhr hängt ein Schlüsselbund. Herr Yildeniz sieht hier nach dem Rechten, hebt Taschentücher auf, wischt Waschmittelreste weg, füllt Automaten nach. Er hat einen schwäbisch-bayrisch-türkischen Akzent, das klingt putzig. „Hallo Yildrim!“, sagt Michael, als Herr Yildeniz unter seinen erhobenen Füßen die Flusen unter der Bank hervorfegt. „Du schon wieder!“, knurrt Herr Yildeniz auf schwäbisch-bayrisch-türkisch und fegt weiter.
Das Surren des Kaffeeautomaten verrät, dasss Sven nicht an seinem Platz ist.

Als Herr Yildeniz geht, macht sich Langeweile breit. Die Abendkundschaft ist durch. Der Alte schläft, die Mädchen rauchen vor der Tür. Sven liest, umringt von leeren Kaffeebechern. Michael starrt auf „Jumbo, die Waschmaschine mit dem großen Hunger (14 kg)“. Darüber steht ein Schild: „Bitte keine Pferdedecken in die Maschine!“ Was macht Michael eigentlich hier? Seine Wäsche – zwei Pullunder, drei Hemden – ist längst gewaschen, geschleudert, gemangelt und getrocknet sowie nach Farben, Funktionen und Schrankfächern sortiert. „Ich lerne hier, mich zu emanzipieren!“, sagt er. „Ein Mann muss irgendwann selbstständig werden. Schließlich bin ich bald 40. Zeit für eine Freundin.“ Sein Gesicht lässt nicht erkennen, ob das Ironie ist. Etwas verlegen streicht er seine akkurat sitzende Ewiger-Junggeselle-Frisur zurecht.

Schleudergang

Das ist der Moment, in dem Julia auftritt. Julia kommt nicht einfach herein, Julia erscheint. Trotz drei Grad Kälte trägt sie einen kurzen Rock und Lederstiefel mit Metallabsätzen, die auf den Fliesen laut klacken. Hinter der Tür hält sie kurz inne und mustert die Runde. Ihr Gesichtsausdruck wird verächtlich. Erhobenen Hauptes schreitet sie klappernd durch den Raum und hinterlässt dabei eine betäubende Duftspur. „Das ist wirklich mal ein kurzer Rock“, sagt Michael, der sich vorgebeut hat, um hinterherzuschauen. „Widerlich“, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu.
Selbstverständlich würde Julia hier niemandem ihren Namen verraten. Doch Julia telefoniert, während die Baby-Waschmaschine den Inhalt ihres blauen Jeans-Handtäschchens wäscht. „Hallo, Maja-Schatz, hier ist Julia“, sagt sie. Julias Welt scheint noch aus mehreren Schätzen zu bestehen, doch die Babymaschine läuft schnell durch. Julia stopft die nassen Sachen in ihre Handtasche und entschwebt, ohne jemanden eines weiteren Blickes zu würdigen. Vor der Tür wartet ein Sportwagen, dessen gegelter Fahrer sie mit quietschenden Reifen davonträgt. „Ekelhaft!“, sagt Michael. Er sagt es so laut, dass der Neid deutlich hörbar wird.

Trocknen

Baumwolle und Kunstfaser sind im Trockner, die Stimmung sinkt auf den Tiefpunkt. Die Mädchen haben ihre Wäsche abgeholt, der Alte schnarcht. Sven ist sauer, denn der Kaffeeautomat zeigt „Fehler“. Schweigendes Starren auf rotierende Wäschestücke. Ein neuer Kunde kommt mit zwei Teppichen, deren ursprüngliche Farbe unter Katzenhaaren nicht mehr zu erkennen ist, und müht sich redlich, sie in Jumbo zu stopfen. Michael springt entrüstet auf: „Hey, kannst Du nicht lesen?!“ „Halt einmal’s Maul, Micha, einmal! Und geh zu Mama!“, lautet die Antwort. Jetzt schaut sogar Sven auf – er grinst. Michael stapft wutentbrannt und ohne Gruß hinaus. Die Niederlage auf eigenem Boden nimmt er übel.
Der Trockner meldet, Kunstfaser und Baumwolle seien fertig. Sie haben gefusselt.

(Veröffentlicht am 22. Januar 2007)

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