DAS WAR DIE WOCHE: Mit der Keule
Wenn es stimmt, was Platon sagt, dass das Staunen der Anfang aller Philosophie ist, dann war dies eine gute Woche für Philosophen. Nehmen wir die einzige Ausnahme gleich vorweg: Staunen ließ sich hier nicht über die Nachricht, dass in Deutschland die zehn Prozent der Reichsten 50 Prozent des Geldes besitzen und die 50 Prozent der Ärmsten gerade mal ein Prozent – das weiß jedes Potsdamer längst, denn in seiner Stadt ist es freundlicherweise so eingerichtet, dass die zehn Prozent mit dem Geld die Seeufer bevölkern und die 50 Prozent ohne die Plattenbauten. Das erspart den Armutsforschern eine Menge Laufarbeit. Nur ganz repräsentativ ist Potsdam nicht, denn dank emsigen Drehens an der Mietenschraube, das (fast) alle Parteien indirekt mitmachen, dürfte die Stadt bald deutlich mehr Reiche als der Bundesdurchschnitt aufweisen und die Geringverdiener in die Peripherie verdrängt haben. Da gibt’s dann Seeufer immerhin mal kostenlos und ohne Zaun zu bestaunen.
Staunen mussten indes die Potsdamer Geoforscher, die aus der Presse erfuhren, dass ihnen der Landtag großzügig und kostenfrei sein marodes Domizil überlassen will, sobald er vom Berg in die schicke Mitte herabsteigt. Blöd nur, dass die Geoforscher sich mit instabiler (Archi-)Tektonik auskennen und deshalb merken, wenn man ihnen spröde Gesteinsschichten andrehen möchte. Sie ziehen lieber neben das Gebäude und messen die Erschütterung, sobald die Decke herunterkommt. Das Land hätte es ahnen können: Schon Einstein warnte, Wissenschaftler seien ständig auf der Flucht vor dem Staunen.
Was wiederum alle Nicht-Kunsthistoriker diese Woche in Erstaunen versetzte, war die Restaurierung eines Puttos namens „Herkules-Amor“ im Foerstergarten. Der Bud Spencer der griechischen Mythologie und der knabenhafte römische Liebesgott in einer Person, das scheint so überraschend und unpassend wie das Lob der NPD für die Gewerkschaft der Polizei, das diese Woche ebenfalls zu bestaunen war. In Potsdam, so lernen wir staunend, zieht der Liebesgott mit der Keule los. Das wiederum erklärt, warum die hiesige Linke trotz Dauerangriff auf den SPD-Oberbürgermeister noch von einer rot-roten Stadtkoalition träumt. Hier werden Waffen halt nicht mit sanfter Hand geführt, um Zuneigung zu signalisieren.
So betrachtet, war die Deo-Attacke mit einer chemischen Keule der Marke „Axe“ auf eine Aldi-Kassiererin, die diese Woche vor Gericht verhandelt wurde, wohl auch nur eine verdeckte Liebeserklärung. Ob die Liebe allerdings der zwangsparfürmierten Dame oder dem Kasseninhalt galt, muss offen bleiben. Schließlich warb das Deo einst mit dem Slogan: „Der Duft, der Frauen provoziert“.
Erschienen am 22.09.2012