NACHSCHLAG: Nostalgie vom Drehgrill
Die „Globus Grillbar“ hat zwar den falschen Namen, aber noch das richtige Flair – und die besten Hühnchen
Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.
Über der Tür steht „Globus Grillbar“. Wer diesen Namen benutzt, hat sich allerdings sofort entweder als Zugezogener oder als Unter-30-Jähriger geoutet. Alle anderen nennen die kleine Einrichtung Am Kanal nämlich beharrlich weiter „Goldbroiler“, wie sie bis zur Wende hieß. Man könnte sie auch „Aquarium“ nennen, denn durch die riesigen Fenster zur Straße hat man nicht nur einen schönen Blick hinaus, sondern auch hinein.
Drinnen ist es spartanisch, aber modern eingerichtet; den Raum dominiert eine große, verspiegelte Bar, hinter der die Broiler brutzeln. Der klassische Drehgrill, der es gestattete, dem eigenen Mittagsmahl bei der Vergoldung zuzusehen, fehlt leider. Dank warmer Beleuchtung und ein paar Pflanzen wirken die runden Resopaltischchen mit je zwei Stühlen dran nicht ganz so karg. Es ist Mittagszeit, die Tische sind gut besetzt: Angestellte der umliegenden Läden und Kanzleien, FH-Studenten, Touristen und Rentner auf Einkaufstour dominieren. Ein Pärchen mit hörbar sächsischer Herkunft kommt herein, schaut sich um und er sagt zu ihr: „Gugg ma, fast wie früher“.
Die laminierte Speisekarte ist quietschbunt, aber übersichtlich. Der Broiler heißt touri-kompatibel jetzt Viertel- oder halbes Hähnchen und kostet pur zwei respektive drei Euro, mit Brötchen 25 Cent mehr, mit Pommes einen Euro plus. Wer Majo oder Ketchup möchte, legt nochmal 25 Cent drauf und ist trotzdem preiswert satt geworden. Für den weltgewandten Gast gibt’s auch noch Hähnchen Cordon Bleu (8,40 Euro) und Thaihuhn in Kokossoße mit Reis (5,80), für Geflügelverweigerer Beefsteak mit Röstzwiebeln (6,80) und für das komplette Ostalgie-Gefühl ein Ragout fin vorweg (4 Euro), natürlich in der DDR-Variante mit Huhn statt Kalb. Wir entscheiden uns für den halben „Gummiadler“ nebst Pommes (die in den 1980ern auch im Goldbroiler angebotenen Pommes waren legendär!) und einer Tüte Majo, dazu darfs eine Cola sein, die aber aus dem „imperialistischen Ausland“ kommt. Vita- oder Club-Cola aus dem Osten gibt’s nicht. Dafür sind die Teller „Made in GdR“, Marke „Inglasur Colditz“. Herrlich. Trotz Imbiss-Preisen wird man im Grill bedient von einer netten Dame mit leicht osteuropäischem Akzent. Nur die Dederon-Schürze fehlt. Der Broiler ist schlicht fantastisch. Schön heiß, schön frisch, saftig die Keule, faserig der Flügel, mit Curry und Paprika gewürzt, eine Köstlichkeit, wie sie in der berühmten Neptun-Bar Rostock nicht besser zu bekommen gewesen wäre. Auch die Pommes präsentieren sich ohne Fehl und Tadel, schon leicht abgekühlt zwar, aber reichlich viele, groß und kaum fettig. Die Gemüsegarnitur allerdings erfüllt nur Dekorations- und Alibizwecke. Die paar Gurkenstiftel und das Sechzehntel einer Tomatenscheibe, gekrönt von einem im Sterben liegenden Petersilieblatt, passen zusammen auf eine Gabel.
Nach dieser Riesenportion stellt sich eine fast schon sozialistische Arbeitsmoral ein. Abhilfe verspricht entweder die Abteilung heimisch-hochprozentig (Wilthener Goldkrone, Nordhäuser Doppelkorn oder Wodka Gorbatschow, alles 1,30 Euro) oder modern-aufputschend (Espresso, Cappuccino, Latte Macchiato 1,50–2,50 Euro). Da es noch Mittag ist, entscheiden wir uns für Letzteres und sind erfreut, frisch Gebrühtes aus frisch gemahlenen Bohnen zu bekommen mit einer tollen, nussigen Crema. Wir schämen uns einen Moment, dass wir insgeheim Muckefuck oder gefriergetrockneten Cappucino aus der Tüte, mit kochendem Wasser aufgequollen, befürchtet hatten. Mit dem Koffein flutet ein kindliches Nostalgie- und Wohlgefühl den Körper und wärmt nicht nur den Bauch, sondern auch die Seele. Das gibt es in der Global Grillbar kostenlos obendrauf. Wer’s erleben möchte oder einfach gute Grillhähnchen mag, sollte mal reinschauen. Für Tage mit „Westbesuch“ gibt’s andere Lokale.
Erschienen am 02.07.2012