Der Buchstabenbäcker
Friedrich Althausen erfindet Schriften / Seine „Vollkorn“ hat im Internet bereits Karriere gemacht
Von der Erotik geschwungener Linien, der Todsünde der Fettung und den Avancen einer Suchmaschine.
Mit den Schriften, sagt Friedrich Althausen, sei es wie mit Frauen: auf die Kurven komme es an. Er sagt das ganz ernst, ohne zweideutiges Lächeln, und schwärmt dann von der Faszination der Buchstaben, vom Kribbeln in den Fingern, wenn der Bogen an einem B besonders schwungvoll gelungen ist, wenn an der Serife des kleinen l, dem Rand am Buchstabenende, genug „Fleisch“ – genug Dicke – dran ist, wenn beim Betrachten einer Buchseite der „Grauwert“, das Verhältnis von Schwarz und Weiß, ausgewogen wirkt und sich Ober- und Unterlängen der einzelnen Lettern zu einem harmonischen Bild ergänzen. „Wen dieses Feuer gefangen hat, der sehnt sich künftig danach“, sagt Friedrich Althausen, und in dem sonst zwar engagiert, aber eher kühl wirkenden Gesicht zeichnet sich eine Leidenschaft ab.
Der 30-jährige Schriftgestalter hat auf Hermannswerder Abitur gemacht und ist dann nach Weimar gegangen, um an der Bauhaus-Universität Mediengestaltung und Visuelle Kommunikation zu studieren. Seit einem Jahr ist er zurück in Potsdam und arbeitet als Typograf und Schriftgestalter. Schon im Studium begann Friedrich Althausen mit einer Schrift, die er „Vollkorn“ nannte – weil es sich um eine „Brotschrift“ handelt. „Brotschrift“ nennen Schriftsetzer eine Alltagsschrift für längere Fließtexte. Da sich Althausens Schrift als zurückhaltend und klassisch, aber eben auch kräftig, kernig und robust präsentierte, habe der Name Vollkorn nahegelegen, trotz der schlechten internationalen Vermarktbarkeit, sagt er. Althausen stellte die Schrift ins Internet und erlaubte jedem die kostenlose Nutzung. Unter Schriftfreunden erfreute sich die Vollkorn schnell einiger Beliebtheit, viele forderten auch eine fette und eine kursive Version – einen „Schnitt“ – der Schrift. Unter Buchstabengourmets gilt die rein digitale Schrägstellung oder Fettung einer Grundschrift nämlich als Todsünde, da dabei die Proportionen und Formen verloren gehen. Vor dieser Arbeit drückte sich Friedrich Althausen zunächst – eine Schrift zu schaffen und zu perfektionieren, kann Jahre dauern –, bis eines Tages eine E-Mail vom Internetriesen Google in seinem Postfach landete, die er fast als Werbemüll aussortiert hätte. Dort bot ihm ein Google-Mitarbeiter an, die Schrift in eine neue Schriftendatenbank des Unternehmens zu stellen, die auch jedem Nutzer kostenlos offen steht. Da sich Google aber mit Vollkorn schmücken wollte, zahlte das Unternehmen ihm 1000 Dollar für jeden Schnitt, wenn er noch die anderen Schnitte kursiv, fett und fett-kursiv dazuerfände. In einem dreimonatigen Gewaltakt war das vollbracht, und auch die schon vorher begeisterten Vollkorn-Freunde freuten sich über den Zuwachs. „Ich mag, wie edel die Kursive daherkommt, und ich mag, wie selbstbewusst die Fettschrift sich breit macht“, schwärmt Stefan Niggemeier, Medienjournalist und viel gelesener Internetblogger von der Vollkorn, die er für die Renovierung seiner Internetseite nutzte: „Markant, aber unaufdringlich; gediegen, aber kein bisschen maniriert“. Ein bisschen hat er damit auch Friedrich Althausen beschrieben, der zwar stolz auf den Erfolg der Vollkorn ist, mit seinen Schriften aber gern sein Brot verdienen würde. Bislang füllt er sein Konto hauptsächlich mit der Gestaltung und Illustration von Büchern und Plakaten. Eine neue, diesmal kommerzielle Schrift ist aber schon in Arbeit – sie basiert auf alten Drucken der DDR-Kinderbuchreihe „Knabes Jugendbücher“, die Althausen im Zuge seiner Diplomarbeit neu auflegte.
Erschienen am 07.03.2012