Martinsgans mit Meisterköchen
Kürbisraspel statt Rotkohl, Innereienstrudel und Brüste auf Cranberrys: MAZ-Leser trafen Herdkünstler
Ein Hausrezept für Gans mit Rotkohl und Klößen hat jeder Hobbykoch – doch was machen die Profis? Drei MAZ-
Leserinnen durften es sehen – und probieren.
Der Vorhang hob sich um Punkt 11 Uhr. Die Stars: Alexander Dressel, Sterne-Koch im Bayrischen Haus, Steffen Specker, Küchenchef im hoch dekorierten „Speckers Landhaus“, Steffen Schwarz, Meisterkoch im Dorint-Hotel. In den Nebenrollen: die MAZ-Leserinnen Gabriele Rothe, Karin Briesemann und Brigitte Lüdicke, letztere nebst Lebensgefährten Thomas Weigt. Die Bühne: die Lehrküche des Bayrischen Hauses in der davor gelegenen „Alten Försterei“, ein Traum in Holz und Edelstahl, mit magnetgesteuerten Induktionsherden, Wärmebrücken und sonstiger Hightech. Die Mission: die perfekte Martinsgans. Das Rekrutierungsverfahren: außergewöhnlich. Wer teilnehmen wollte, war aufgerufen, sein liebstes Gänsebratenrezept an die MAZ zu senden. Die drei Sieger waren nicht wenig aufgeregt, den Profis gegenüberzutreten. Was folgte, war ein fröhlicher Schwank in drei Akten, voller Dramatik, mit Blut und Schweiß, aber ohne Tränen.
Zunächst stehen noch alle andächtig um die beiden großen Gänse auf dem blank polierten, perfekt ausgeleuchteten Edelstahl-Küchenblock herum, doch Alexander Dressel lässt keine Ehrfurcht aufkommen. Flugs überbrüht er die Haut der Gans, damit die Marinade besser einzieht, dann verteilt er die Aufgaben: Marinade anrühren, aufwellen lassen, Gans einstreichen. Wer noch nichts zu tun hat, darf Rosenkohl schälen oder Birnen rasieren. Schnell tauen die Damen auf und stellen erste Fragen: Was, wenn ich keinen Champagneressig habe? Dann tut es auch jeder andere helle, milde Essig. Gabriele Rothe bemisst den Honig mit dem Löffel nach Gefühl, statt mit der Waage – großes Gelächter. „Das können wir uns nicht leisten“, kommentiert Dressel trocken. Er lässt mittlerweile die Innereien in einer Pfanne aus, nebst Flügeln und Hals. Die Gans soll auf diesen Innereien thronen, um im Herd besser rundum mit Hitze versorgt zu werden – drei Stunden lang unter Umluft. Dressel prüft regelmäßig die Konsistenz per Fingerdruck, regelt die Temperatur nach, deckt Teile, die zu braun zu werden drohen, mit Alufolie ab.
Auftritt Steffen Specker. Er bereitet einen Strudel mit Gänseklein, rohem Gemüse, Balsamico-Gelee und drei Sorten Kresse. Während er den gefüllten Gänsemagen schön rosa hinbekommt – zum Neid der Damen, bei denen er immer braun wird – philosophiert Specker über die Vor- und Nachteile von Gas- und Induktionsherden und rät am Ende zur Induktion: leichter zu reinigen und heizt die Küche nicht so auf. Die Damen nicken andächtig. „Sie haben zarte Hände“, sagt eine Teilnehmerin anerkennend. „Das kommt vom Gänseschmalz“, gibt Specker zurück. Kollektives Gelächter. Derweil rollt er den fertigen Filloteig aus und die zubereiteten Innereien in denselben ein. Das Blech verschwindet im Ofen. Indes flucht Brigitte Lüdicke über die „Futzelei“ des Entblätterns von Rosenkohl. Das Birnenschälen behagt ihr schon mehr, allerdings nicht mit dem professionellen Pendelschäler, den Steffen Schwarz reicht: „Hamse keen Messer?“ Er hat, doch Brigitte Lüdickes Ehrgeiz ist geweckt. Sie schält tapfer zuende.
Gabriele Rothe ist aus Neugier, wie die Profis arbeiten, gekommen. Sie kommt voll auf ihre Kosten. „Warum werden ihre Birnen nach dem Aufschneiden nicht braun?“ fragt sie. „Weil wir sie in Wasser mit etwas Zitrone legen. Ascorbinsäure verhindert das Bräunen“, sagt Steffen Schwarz. Der Dorint-Koch hat vier Gänsebrüste eingeschweißt, um sie bei niedriger Temperatur zu garen. Am Ende bekommen sie in der Pfanne den letzten Schliff. Großes Gelächter am anderen Tischende. Jemand hat einen Löffel entdeckt, auf dem „Leck mich!“ steht. „Das war ein Geschenk“, outet sich Alexander Dressel etwas verlegen als Eigentümer. „Du mich auch“, entgegnet Steffen Specker, der gerade etwas gestresst wirkt. Seine Vorspeise ist fertig, doch jeder in der Küche ist noch beschäftigt. Also: Erstmals zu Tisch. Die Speckerschen Gänsekleinstrudel werden hochgelobt. Das Balsamicogelee mit seiner zarten Säure bildet ein schönes Gegengewicht zum Gänseklein im hauchdünnen, knusprigen Teigmantel. Dazu gibt’s einen Südtiroler Weißburgunder.
Zurück in die Küche, der Zwischengang steht an. Für Steffen Schwarz’ Gänsebrüste werden die Birnen mit Cranberrys und Zwiebeln in der Pfanne erhitzt, dazu gibt’s Schupfnudeln, die – um das Weitergaren nach der Pfanne zu verhindern – in Eiswasser gestoppt werden. Gabriele Rothe notiert eifrig. Der zweite Gang kommt mit einem leichten Rotwein, die Gespräche werden zunehmend entspannter. Die Herren Köche plaudern von Kindern und Karriere und verraten auf Nachfrage von Karin Briesemann, was sie privat gern essen – meist sehr rustikale Gerichte von Mutter oder Oma, die sie noch aus der Kindheit kennen, aber nie so hinbekommen haben, wie sie einst schmeckten: Kartoffelsalat ohne Mayonnaise, Bechamelkartoffeln mit Petersilie, Gehacktesstippe.
Zur Krönung kommt dann Alexander Dressels Ente auf den Tisch, auf Kraut aus Kürbis, begleitet von mit Pflaumenmus gefüllten Buchteln, dazu ein schwererer Rotwein. Das Gespräch dreht sich um die Qualität der Gastronomie in Brandenburg („Nimm Dir Essen mit, das war einmal!“ sagt Alexander Dressel), Verletzungen beim Kochen – eine Frau hat sich am Messer geschnitten und ist routiniert verbunden worden – und den Unterschied zwischen der Martins- und der Weihnachtsgans (letztere ist schlicht fetter, weil sie noch fünf Wochen länger fressen durfte). Noch schnell einen Kaffee, dann müssen die Herren Spitzenköche auch wieder los, das Abendgeschäft in ihren Restaurants wartet. Die Küchengäste hingegen ziehen beseelt in die graue Novemberluft hinaus – angefüllt mit Eindrücken, Tipps, Gänsefleisch und drei Sorten Wein.
Erschienen am 11.11.2011