Kultur geht durch den Magen
Das Abendland geht schon wieder unter. Nur ein Häuflein aufrechter Eltern stellt sich noch mit Protesten dem kulturellen Verfall entgegen, der diesmal in Form des Verzichts auf Schweinefleisch im Mittagessen von zehn Münchner Kitas daherkommt. Er tut das unter dem Deckmantel des Pragmatismus: Weil bis zu 60 Prozent der Kinder dieser Kitas Muslime sind, will die Schulverwaltung gänzlich aufs Schwein verzichten.
Nicht nur von den Eltern wird das flugs zur vor-auseilenden Selbstaufgabe der westlichen Welt stilisiert. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszei-tung diagnostiziert auf der Stelle einen besonders schweren Fall der vorgeblich überall grassierenden kulturellen Demenz – „einer bis zur Selbstaufgabe übersteigerten Rücksichtnahme“, die auf direktem Wege zum Verschwinden der jüdisch-christlichen Kultur führt. Hurra, wir kapitulieren mal wieder. Das Schandmahl ist angerichtet, und die bitteren Brocken schmecken nach Abdankungsbereitschaft aller westlichen Werte. Denn spätestens jetzt wird klar: Die Transformation Europas in einen islamischen Kontinent ist längst nicht mehr aufzuhalten. Die Horden des Bösen verbreiten nicht nur Angst und Schrecken, sie nehmen uns auch die kulturell verbürgten leiblichen Genüsse.
Soviel Aufregung wegen ein paar läppischer Schnitzel und Bockwürste!
Es muss ein sehr trauriges Bild sein, das diese lustvollen Propheten des Untergangs von ihrer westlichen Welt haben, wenn sie deren Kern schon beim Verzicht auf Eisbein und Bauchfleisch in Kindertagesstätten bedroht sehen. Und nicht nur das: Sie unterstellen der von ihnen so kultisch verehrten westlichen Zivilisation damit eine Fragili-tät, die fast schon beleidigend ist angesichts der Jahrhunderte ihres Bestehens. Das alles erweist sich bei Lichte betrachtet als fataler Fehlschluss, dem aufzusitzen das weitaus größere Übel wäre. Die Stärke des Abendlandes liegt keineswegs in seiner Speisekarte, sondern in seiner Offenheit und Pluralität. Nicht durch einen Rückfall in die Abgrenzung von anderen oder die Überhöhung der eigenen Kultur in eine „leitende“ beweist der Westen seine Stärke. Diesem fatalen Irrtum ist er doch schon mehrfach aufgesessen, und die Folgen sind noch lange nicht verdaut.
Die Bereitschaft zur Integration hingegen ist der einzige Weg aus dem Dilemma. Dass er immer leicht sei und keine Opfer fordert, hat nie jemand ernsthaft behauptet. Diese Bereitschaft zu opfern wäre aber der wahre Rückschritt: ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten, der die Diagnose vom Verfall der westlichen Kultur weit eher rechtfertigte als Haxenentzug für Vorschüler.
(Veröffentlicht am 19. Mai 2008)