Was der Senkel hergibt

Schnüren scheint das Gebot der Stunde, doch die Jury ist gnadenlos

Rettungspaket wird das Wort des Jahres werden – soviel lässt sich schon jetzt sagen. Es wird dieser Tage grandios geschnürt in Deutschland: Jeder, der was zu retten hat, schnürt, was der Senkel hergibt. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass Armut ausnahmsweise mal tröstlich ist: Wer nichts hat, kann nichts verlieren, muss nichts retten. Die vielzitierte Angst des Mittelstands vor dem Abrutschen ins Prekariat, hier wandelt sie sich in ein sanftes Ruhekissen. Nur des wirklich Wohlhabenden Konto trägt böse Früchte: „Hätte ich kein Aktiendepot, ich könnte ruhiger schlafen.“ Das ist die Strafe dafür, dass er sich dem Trend zur Armut standhaft verweigerte – doch der Konjunktiv ist der Feind des Verlierers. Großmut und Opferbereitschaft sind daher das Gebot der Stunde. Der Chef der Deutschen Bank verzichtete, nachdem er sich gründlich umgeschaut hatte, ob auch alle Kameras angeschaltet und alle Bleistifte gespitzt sind, auf seine Boni und begnügt sich nun mit einem schmalen Grundgehalt von 1,2 Millionen Euro. Auch er schnürt also mit, und er spendet die Millionen den Bedürftigsten: verdienten Mitarbeitern seines Geldhauses. Das ist konsequent, denn wenn wir eines gelernt haben aus der Finanzkrise, dann dass es die schwer arbeitenden, bis zur Selbstaufgabe am Gemeinwohl orientierten Banker sind, die nun wirklich am wenigsten dafür können, aber am schlimmsten gebeutelt werden. Sie haben schließlich die gefährdeten dicken Depots, während sich der gemeine Hartz-IV-Lümmel auf seiner Schadenfreude darüber ausruht, dass er ja nichts zu verlieren habe. Sie ist ungerecht, die Welt, und der Pöbel ohne Mitgefühl.
Das Schnüren macht indes Schule. Bei der Miss-Wahl am Mittwoch in Diedersdorf versuchte eine Kandidatin, die Auswirkung der skeptischen Jury-Blicke auf ihr Selbstbewusstsein in den folgenden Runden durch beherzten Eingriff in die Feinjustierung ihres BHs abzumildern. Danach hätte sie zwar freihändig Maßkrüge über den Laufsteg balancieren können und freie Auswahl an Mitfahrgelegenheiten nach Hause gehabt, im Gesamtklassement brachte sie das aber auch nicht spürbar nach vorne. Atemnot und ein farblich ihrem feuerwehrroten Abendkleid nacheifernder Teint lehrten sie immerhin, dass „Schnüren“ und „Abschnüren“ den selben Wortstamm haben. Das wiederum ist eine Lektion, die zu lernen Politikern und Bank-Chefs erst noch bevorsteht. Und wenn es ganz mies läuft, selbst uns armen Prekariern.

Erschienen am 18.10.2008

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