Nachschlag: Refugium im Landgasthausstil

Die „Maison Charlotte“ empfiehlt sich als romantischer Rückzugsraum mit hohem kulinarischen Anspruch

Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.

POTSDAM |  Holzstühle an dunklen Holztischen und Platten von Weinkisten an den Wänden drinnen, Korbsessel und Karotischdecken draußen – von den drei Restaurants, die Ralf Junick in Potsdam betreibt, ist das „Maison Charlotte“ im Holländischen Viertel das rustikalste – im besten Wortsinn. Das „Charlotte“ hat sich nicht nur auf französische Küche spezialisiert, es erinnert auch in der detailfrohen Ausstattung an ein französisches Landgasthaus. Die Plätze sind, besonders im Winter, wenn der Innenhof mit dem schattenspendenden Nussbaum nicht zur Verfügung steht, begrenzt: Daher empfielt sich das Charlotte einerseits als romantischer Rückzugsort, es macht aber gerade an den Wochenenden eine Reservierung ratsam.
Die Karte lockt schon von der Straße mit Elsässer Flammkuchen zu zivilen Preisen von urtümlich belegt (mit Schmand, Speck und Zwiebeln für 8 Euro) bis ambitioniert (mit Rucola, Räucherlachs und Honig-Senf-Dill-Sauce für 12,50 Euro), bietet aber auch der verfeinerten Zunge genug Auswahl zu Preisen von bis zu 22 Euro für einen Hauptgang.
Ein Platz im Inneren kommt an diesem heißen Höchstsommertag nicht in Frage, schnell ist ein schattiger Tisch, beschirmt von Baum und Sonnensegel gefunden. Zur Abkühlung drängt sich ein eleganter Elsässer Cremant rosé auf. Er begleitet die Vorspeisen perfekt: Die gratinierten Austern mit Spinat und Frischkäse sind eine Offenbarung selbst für Gäste, die sie pur für gewöhnlich meiden – im Spinatbett und unter der angerösteten Käsehaube verlieren sie ihren fischig-schleimigen Charakter und entfalten ihr zartes Aroma optimal. Die Jakobsmuscheln auf Ingwer-Spinatsalat sind zwar auf den Punkt perfekt gebraten, der Ingweranteil tut aber der Schärfe zuviel, so dass die zarten Muschelnoten in der brennenden Mundhöhle wenig Resonanzraum finden. Schade.
Zum Hauptgang darf es Kalbsfilet sein, aktuell der Star der Karte und passend zur Saison mit Pfifferlingen und Couscous serviert, begleitet von einem klassischen roten Bordeaux. Am tadellosen Filet gibt es nichts auszusetzen, es ist saftig, frisch und hat im perfekten Medium-Zustand die Pfanne verlassen, die Pfifferlinge, mit einem Balsamicodressing betupft, flankieren es aufs Beste. Der Couscous indes kommt etwas langweilig daher und verströmt, obwohl frisch zubereitet, wenig aufregenden Kochbeutel-Charme. Er bleibt, obgleich die Portion nicht eben üppig ist, selbst an den Nebentischen daher zu großen Teilen auf dem Teller zurück.
Die Dessertauswahl, obwohl nur zwischen drei Positionen zu treffen, gehört zu den härtesten unseres kulinarischen Daseins: Die klassische Crème Brûlée konkurriert mit einer Zitronengras-Panacotta an Rharbarber und dem Rosenblättersorbet mit Holunderblüten um die Restplätze im Magen des Gastes. Wir entscheiden uns für den Klassiker und lernen, dass dies an diesem Abend keine umwerfende Wahl ist: Die Creme ist zu stark aufgestockt und tendiert fast schon ins Krümelige, der Zuckerguss ist bereits vollständig erkaltet und verstärkt den Verdacht, das Dessert sei bereits vorbereitet aus dem Kühlschrank gekommen. Die leicht angeschrumpelte Erdbeere schließt die Indizienkette. Trotz sehr moderaten Preises (4,50 Euro) gibt sich das Charlotte hier eine Blöße.
Wer mit großem Hunger oder an einem kühleren Tag ins Charlotte geht, dem sei noch die epochal-gute Bretonische Fischsuppe empfohlen, die längst Berühmtheit erlangt hat. Angesichts der Portionsgröße empfiehlt sich dann aber nur noch ein Salat – oder der sofortige Übergang von der Vorspeise zum Dessert.

Erschienen am 24.07.2010

Präsident beim König

Feuerwehr: Mit sechs Monaten Verspätung besichtigt Matthias Platzeck die neue Wache

Auf seiner Sommernöte-Tour machte der Ministerpräsident in der neuen Feuerwache an der Humboldtbrücke Station – es wurde ein eher munterer Termin.

POTSDAM| Er hatte zwar schon einen halben Liter Blut, aber nicht seinen Humor verloren: Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) kam gestern Vormittag mit einem jovialen Schulterklopfen zu Potsdams Feuerwehr-Chef Wolfgang Hülsebeck und sagte, „König Hülsebeck“ möge ihm doch nun seine Gemächer zeigen. Schließlich sei er, Platzeck, bei der Einweihung der neuen Wache im Januar verhindert gewesen und wolle nun „die längst überfällige Aufwartung machen“. In der Staatskanzlei hatte man diese Aufwartung geschickt in einen Thementag zu den Sommernöten des Landes gepackt, und so war der Besuch beim „Feuerwehrkönig“ dezent zwischen den Blutspendetermin (Konservenknappheit in der Ferienzeit) und jenem in der Zossener Waldbrandzentrale (hohe Warnstufe bei der Hitze) geschoben worden.
Interessiert preschte Platzeck dem Pressetross (Saure-Gurken-Zeit) voran, erfuhr, dass die Feuerwehr in Potsdam auch alle Rettungseinsätze fährt, dass es neben der Hauptwache Dependancen in Neufahrland und Babelsberg gibt, dass die Potsdamer Kameraden im Schnitt 15 Minuten bis zum Einsatzort brauchen und dass wegen der Hitze 50 Prozent mehr Rettungseinsätze wegen Kreislaufproblemen anfallen. Der Ministerpräsident erkundigte sich bei jedem Mitarbeiter, dessen er habhaft werden konnte, ob die neue Wache ein Gewinn sei, und erhielt nur Zustimmung. Die Rettungsassistentinnen bestätigten ihm zudem den Segen der Klimaanlage in ihren Rettungswagen und verneinten die ministerpräsidiale Frage, ob sie bei Entbindungen im Auto notfalls die Nabelschnur durchbeißen müssten. Dazu gebe es Scheren.
Als sei er bestellt geworden, hallte dann ein Einsatzalarm durch die riesige Fahrzeughalle: Es brannte ein Müllcontainer in der Henning-von-Tresckow-Straße, wie auf den Monitoren gut zu lesen war. „Hat der Innenminister wohl wieder heimlich geraucht?“, scherzte Platzeck unverdrossen auf Kosten seines Zigarren liebenden Parteigenossen Rainer Speer, alles lächelte pflichtschuldig, währenddessen die erste Löschwagenbesatzung in Stiefel, Jacken und Helme sprang und davonbrauste.
Im Herzen der Wache, der Leitstelle für ganz Nordwest-Brandenburg, führte Platzecks routinierte Frage nach der Zufriedenheit zu einem kurzen Zögern. Ob sie die ehrliche oder die geplante Antwort geben solle, wollte eine Mitarbeiterin lächelnd von Wolfgang Hülsebeck wissen. Der lächelte zurück und räumte ein, dass die Klimaanlage zuweilen etwas laut sei und es zu Beginn Probleme bei der Alarmierung der Kollegen in Babelsberg gegeben habe. Sonst sei aber alles bestens. Drei bis vier Mitarbeiter besetzen derzeit tagsüber die Leitstelle, sobald auch der Kreis Ostprignitz-Ruppin hinzukommt, werden es bis zu acht Kollegen sein. „Das ist ja eine Feuerwache wie im Westen“, zeigte Matthias Platzeck begeistert, der, den Fluren folgend, auch forsch in eine Teeküche schritt und den entsetzten Ruf einer Mitarbeiterin, „hoffentlich macht niemand den Kühlschrank auf“, schon nicht mehr hörte.
Der Kühlschrank durfte daher sein Geheimnis behalten, und der Ministerpräsident, zufrieden ob der neuen Eindrücke, der schönen Wache, der glücklichen Mitarbeiter und der erledigten Aufwartung beim „Feuerwehrkönig“, setzte seine gut gelaunte Sommernötetour ’gen Zossen fort.

Erschienen am 20.07.2010

Recht und Ordnung

Wahlkampf: eine tolle Zeit, in der als Kandidaten missverstandene Trivialsatzquellen den Bürger als wertvollen Mitmenschen (vulgo: Stimmvieh) entdecken und hübsche Bildlein huldvoll lächelnder Aspiranten an die Laternenmasten tackern. Diese Plakate sind dann so informativ wie Fotos im Kochbuch: Man erfährt nur, was bestenfalls herauskäme, aber es gerät nie wirklich so. Daher sollten wir den Linken dankbar sein, dass sie im dräuenden Oberbürgermeisterwahlkampf die Zahl der Kandidatenkonterfeis auf 500 reduziert wissen möchte. Doch was ist das Kalkül dahinter? Andernorts käme ökologische Anbiederei an die Grünen infrage. In Potsdam nicht. Dort sind die Grünen eine Städtebau- und Pflasterpartei und in diesen beiden Punkten von den Linken weiter entfernt als die Drewitzer vom Konrad-Wolff-Park. Böse Zungen mutmaßen nun, dank der Überalterung in der Linken fehlen Menschen, die fit genug wären, mit dem Plakat in der Hand eine Leiter zu besteigen. Diese Idee hat allein ob ihrer Boshaftigkeit einen gewissen Charme. Doch der vehemente Einsatz fürs Jugendzentrum „Freiland“ machte ja auch ein paar behände Kletterer unterhalb der 80-Jahre-Grenze zumindest zu Sympathisanten. Sie müssen also anderes im Schilde führen, diese Linken.
Möglicherweise hilft eine nicht mehr ganz taufrische Meldung aus dem Rathaus weiter: Darin wird vor Studenten gewarnt, die im Sperrmüll kramen. Nicht, weil vom Bafög heute keiner mehr zu Ikea gehen kann, sondern – doch, wirklich: wegen des Klimawandels und der Nachhaltigkeit. In diesem Projekt werden Sperrmüllmöbelstücke nachhaltig und klimaneutral fotografiert. Ganz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verpflichtet, beeilte sich die Stadt, Massenpaniken vorzubeugen: Die wilden Studis nähern sich nur angemeldeten Sperrmüllhaufen, war zu lesen, sie stellten auch alles „ordnungsgemäß“ zurück. Selbst dem Datenschutz ist Genüge getan: Weder dem Besitzer noch dem Grundstück können die „Sperrmüllgegenstände“ am Ende zugeordnet werden, das ist behördlich garantiert. Und um ganz sicher zu gehen, schloss die Nachricht mit dem dringenden Appell: „Sollten Sie Studenten beim Fotografieren eines Sperrmüllhaufens sehen, rufen Sie nicht gleich die Ordnungshüter herbei!“ Hoffentlich verfügen die Potsdamer über ein ausreichend robustes Nervenkostüm, um dieser lax dahingeworfenen Anrufung Folge zu leisten. Wäre ja doch blöd, wenn GSG-9, Verfassungsschutz und Bombenräumkommandos mehrfach anrücken müssten, weil sich Chaoten an angemeldeten (!) Sperrmüllhaufen zu schaffen machen. Jetzt, endlich, verstehen wir auch die Linke. Was würde nur geschehen, wenn plötzlich überall Genossen an den Masten klebten, um ihren Hans-Jürgen zu plakatieren? Wären es angemeldete Masten? Würden sie danach alles wieder ordnungsgemäß zurückstellen? Könnten die Plakate nicht dem Abgebildeten zugeordnet werden? Ist schon eine wilde Zeit, dieser Wahlkampf. Recht und Ordnung sind quasi aufgehoben.

Mensch, Matzell!

Wir dürfen uns den Marcel Guse als relativ arme Sau vorstellen. Wir wollen gar nicht mit ihm über die groben Stöße klagen, die das politische Leben als einziger rechtsextremer Stadtverordneter in einer Stadt mit einer so deutlichen parlamentarischen linken Mehrheit mit sich bringt – all das Niedergebrülltwerden, die Saalverweise, die tief und schmerzlich empfundene Einsamkeit, wenn sich nie ein anderer Arm mit der Stimmkarte für seine sorgsam ausgearbeiteten, mit arischem Blut geschriebenen Vorlagen in die Höhe reckt –; nein, über solch grobe, rüpelhafte Behandlung soll Klage hier nicht geführt werden. Denn was des Guses im Kern doch zarte Seele viel schwerer angeht, ist nun dies: Die schändliche Misshandlung seiner Muttersprache, die doch auch seine Vatersprache und damit die jenes Landes ist, für das sein Herzblut zu geben er sich im Weltnetz so emsig bereit erklärt. So jedenfalls lautet seine stete Klage, geführt nicht nur in eben jenem Weltnetze, sondern auch am beweglichen Telefon, wie kürzlich auf den Fluren des Rathauses zu vernehmen war. Über Anglizismen klagte er da, über das die Seele wenig bewegende Verwaltungssprech und ja, auch und gerade über die rhetorisch wenig anspruchsvollen Einlassungen, insbesondere der Linken. Geradezu gröblich werde er da zuweilen angeredet, selbst mit körperlicher Misshandlung ihm gedroht. In just diesem Moment war klar: Er hat ein empfindsames Gemüt, vielleicht sogar eine Dichterseele, der Marcel, die dicht unter der trutzig-nationalen Haut schlummert und von allem außer dem kunstvoll gedrechselten Worte schnell verletzt wird. Was für Qualen muss dieser Junge während seiner Jugend in Potsdam-Mittelmark gelitten haben, einer Region, in der er nur „Matzell“ gerufen wurde, wie hart müssen ihn die Lehrjahre im Bayrischen angekommen sein, wo die lokale Mundart vom Deutschen weiter entfernt ist als mancher südchinesische Dorfdialekt und wie selig muss ihn jenes ferne niedersächsische Exil gestimmt haben, in dem eine Weile zumindest Hochdeutsch seine Ohren erfreute. „Hoch“ und „deutsch“ in einem Wort, schon das ein Leckerbissen für den Gepeinigten. Unsägliche Qualen muss er auch leiden, wenn er – allein seiner Mission geschuldet – jene rechte Hetzpostille mit den seitenhohen Lettern buchstabiert, deren Konsum ihm 90 Prozent jeder Plenarsitzung so sichtlich verleidet. Tröstlich da, dass er sich im Weltnetz im hohen Dichterworte zu üben weiß, denn dort lesen wir von ihm Poetisches wie die Verneigung vor den Deutschen, die „im großen Völkerringen ihr Leben in die Waagschale legten. Ewig lebt der Toten Tatenruhm!“ Wohl gewählte Worte, Marcel. Und trotzdem bist Du eine arme Wurst, denn Du übersahst: Eine hirnrissige Weltsicht wird auch durch schöne Worte nicht wahrer.

Erschienen am 11.06.2010

Verbotsrepublik

Jan Bosschaart über den Wert der schieren Möglichkeit, ein Bier am Bahnhof zu trinken

Wie oft dürfte es dem Durchschnittspotsdamer passieren, dass er, ein Bier trinkend, über den Bahnhofsvorplatz schlendert? Selten. Und trotzdem hinterlässt der jüngste Vorstoß, dort mit einem Alkoholverbot für Gesetz und Ordnung zu sorgen, ein ungutes Gefühl. Ja, pöbelnde, betrunkene Horden sind unangenehm, und ebenso sind es die Scherben und erst recht die organischen Reste der Zechgelage. Und sicher würden die meisten Menschen nie von diesem Verbot beeinträchtigt, da ja der Bahnhofsvorplatz auch nicht eben das hat, was Städteplaner gern eine „Aufenthaltsqualität“ nennen, so dass man gern dort den Sonnenuntergang beim Feierabendbier genösse. Diese Qualität bekäme er auch nicht, wenn dort niemand mehr tränke. Trotzdem ist das angepeilte Verbot einer jener phantasielosen Vorstöße, die geneigt sind, die Verbotsrepublik Deutschland ein kleines Stück weiter zu zementieren. Sollte also doch einmal jener unwahrscheinliche Fall eintreten, dass den Durchschnittreisenden der unwiderstehliche Drang nach einem Bier überfiele, dann hinterließe die sofort einschreitende Ordnungsmacht einen Nachgeschmack, gegen den eine Bierpfütze vom Vorabend wie Veilchen duftet. Ob ihm dieses Stück persönlicher Freiheit wichtiger ist als ein entpöbelter, sauberer Vorplatz, muss freilich jeder für sich entscheiden.

Erschienen am 01.06.2010

„Clever, oder?“

Satire: Ein Interview mit Staatssekretär Steffen Kampeter zum Griebnitzseeufer, das nie stattgefunden hat

Steffen Kampeter (CDU) ist Staatssekretär im Finanzministerium. Jan Bosschaart hätte gern mit ihm über den Uferweg gesprochen.

MAZ: Herr Kampeter, seit Wochen bitten wir um ein Interview, aber Sie haben partout keine Zeit. Wir haben daher beschlossen, uns nicht nur ein paar Fragen, sondern gleich auch Ihre Antworten auszudenken. Geht das in Ordnung?
Steffen Kampeter: Lieb ist mir das nicht, aber ich kann wohl wenig dagegen tun. Also fangen Sie schon an.

Danke! Sie haben sich im Bundestag schon 2005 für den Griebnitzsee interessiert, da waren sie noch einfacher Abgeordneter aus Minden/Westfalen – woher das Engagement?
Kampeter: Das hat mit meinem alten Kumpel Balthy zu tun. Balthasar Schramm. Der wohnt am Uferweg. Wir kennen uns noch aus meiner Lobbyisten-Zeit: Er war als Sony-Chef ein hohes Tier in der Musikindustrie, ich Vorsitzender des Dialogforums Musikwirtschaft der CDU. Waren tolle Tage, damals, nur wurde der Balthy immer trauriger. „Steffen“, seufzte er im Sonnenuntergang beim Wein auf seiner Seeterrasse, „da unten laufen Leute über mein Grundstück, du musst was tun.“

Ihre kleine Anfrage im Bundestag blieb ohne große Wirkung.
Kampeter: Ja, aber der Balthy hat sich letztlich selbst helfen können. Gott sei Dank verboten die Richter am Oberlandesgericht ja den Pöbel zwischen Terrasse und Bootssteg.

Doch jetzt können Sie wirklich helfen …
Kampeter: Genau! Die Stadt will 3,2 Hektar Uferland vom Bund kaufen, um ihre Ausgangsposition im Streit um den Weg zu verbessern. Der Deal wäre um ein Haar durchgewesen. Mittlerweile bin ich aber Staatssekretär. Mein Minister hat mit Griechenland zu tun, da konnte ich den Verkauf an die Stadt stoppen – wegen Haushaltsbedenken. Clever, oder?

Sie wollen, dass der Bund die Grundstücke am Markt anbietet, damit eine interessierte Sperrergruppe kaufen kann?
Kampeter: Stimmt. Glücklicherweise sind sogar ein paar Argumente auf unserer Seite: Schließlich verdient der Bund dann mehr. Die klamme Stadt kann nicht mitpokern. Der Weg wäre damit erledigt.

Dumm nur, dass die Haushaltsordnung ihres Ministeriums den Kommunen bei Eigeninteresse ein Vorrecht beim Flächenkauf einräumt.
Kampeter: Ach wissen Sie, Papier ist geduldig. Hinter echte Männerfreundschaft müssen Richtlinien mal zurücktreten. Schon der Name „Richtlinie“ deutet ja an, dass man sich danach „richten“ kann und nicht sklavisch jeden Buchstaben befolgen muss. Auf Linien kann man in gegensätzlichen Richtungen gehen, und man kann Richtlinien abändern. Alles kein Problem.

Und das Gutachten dieses Professors aus Speyer, das die Rechtsauffassung der Stadt in der Kauffrage stützt?
Kampeter: … ist rausgeworfenes Geld. Wir können flugs zwei Gegengutachten zaubern. Die Stadt täte besser daran, ihr bisschen Kohle für andere Zwecke einzusetzen.

Tja, dann danke für dieses sehr offene Gespräch!
Kampeter: Gern! Tat gut, so ungeschminkt zu reden.

Erschienen am 07.05.2010

Gleichgestellt

Jan Bosschaart über Girls, Boys und die Zukunft des Zukunftstages

Das war ja zu erwarten: Wenn alles durchgegendert ist, sucht sich der Gleichstellungswahn ein neues Opfer und irgendjemand merkt, dass nun ja die Jungs benachteiligt seien, wenn Mädchen so gefördert werden. In Berlin hat es jetzt unser aller Bundesfamilienministerin geahnt und ausgerufen, zum jährlichen „Girls Day“ zur Förderung des Berufseinstiegs von Mädchen in Männerberufe, soll künftig gleichberechtigt auch ein „Boys Day“ gestellt werden. Schließlich drängen sicher genau so viele Jungen ins Krankenschwestern- und Grundschulfach, wie Mädchen die Piloten- und Hufschmiedkarriere vorenthalten wird. Brandenburg ist da schon seit längerem weiter – dank Ostsozialisation? –, denn hier heißt der „Girls Day“ seit einiger Zeit „Zukunftstag“ und richtet sich ausdrücklich an Mädchen und Jungen. Und das nicht nur auf dem Papier: Die Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg hatte gestern Mitleid mit dem phantasie- und gefühllosen Geschlecht und ließ zum Schauspielworkshop nur Jungen zu. Für den entsprechenden Studiengang der HFF bewerben sich nämlich fast nur Frauen. Die mussten hingegen mit den harten Fächern Sounddesign vorlieb nehmen und rostige Ölfässer vor Maschinengewehren in die Luft stemmen. Es lebe die Gleichstellung!

Erschienen am 23.04.2010

Was bleibt: Verwirrungsstrategie

Jetzt soll’s also Frau Richstein richten. Die hatte ja schon im September den richtigen Riecher, als sie mit ihrem Terrier Felix statt des eigenen Antlitzes auf ihren Wahlplakaten SPD-Minister Rainer Speer eine empfindliche Schlappe zufügte. Hübsch gewählt: Bissiger Hund, glücklicher Name. Jetzt soll Richstein, so das Kalkül der CDU, Oberbürgermeister Jann Jakobs im Wahlkampf jene Angst einflößen, die der eigentlich nur vor seinem Linken-Herausforderer Hans-Jürgen Scharfenberg hat. Die Idee: Wer einen SPD-Mann besiegt, besiegt auch andere. Und weil so ein bisschen oberbürgermeistern eine Powerfrau wie Barbara Richstein unmöglich ausfüllen kann – mit dem bisschen Rathaus ist man ja mittags fertig – bewirbt sie sich zugleich auch noch um den Parteivorsitz im Land, um auch die Nachmittage zu füllen. Die dafür eigentlich vorgesehene Parteifreundin Saskia Ludwig ist schließlich demnächst mit ihrem Erstgeborenen befasst und kann dann unmöglich Partei und Fraktion zugleich führen, neben der ganzen Windelwechselei. Soweit, so bissig. Das bisschen Gassigehen mit Felix lässt sich da sicher noch verquetschen – etwa auf dem Weg vom Stadthaus in den Landtag, mittags, beim Schichtwechsel.
Zu einem solchen Zweitjob rät ohnehin eine genaue Beobachtung der Stadt-CDU. Die säbelt nämlich schon mal aus heiterem Himmel verdiente Mitarbeiter aus exponierten Positionen ab, wie Stadtpartei-Urgestein Wolfgang Cornelius kürzlich leidvoll erfahren musste. Täte die Partei das auch mit ihrer Bürgermeisterin, könnte Richstein als Parteichefin hernach die Meuterer herauskatapultieren. Schlau, die Frau. Hintergrund all dieser Volten scheint ohnehin die nach wie vor nicht überwundene Lagerbildung in der CDU zu sein, die selbst für außenstehende Insider, vulgo: Journalisten, kaum mehr zu überblicken ist. Cornelius etwa wurde geschasst, weil er als Anhänger der Kreischefin Katherina Reiche gilt, die wiederum dem Lager ihres Ehemannes Sven Petke angehört. Der wiederum ist der Antipode des Ex-Parteivorsitzenden Ulrich Junghanns. Auf den folgte Johanna Wanka, die nun nach Niedersachsen wechselt, um dort Wissenschaftsministerin zu werden. Die Opposition hier lag ihr nicht so. Wanka galt zwar als lagerübergreifende Kandidatin, hatte aber ein angespanntes Verhältnis zum Petke-Reiche-Lager. Barbara Richstein wiederum wird eben diesem Lager zugerechnet, folglich müsste die Stadtfraktion mit ihrer eigenen Bürgermeisterkandidatin ein Problem haben. Testfrage: Welchem Lager gehört wer in der Stadtfraktion an? Das verspricht ein lustiger Wahlkampf zu werden. Zumal die FDP ohnehin beleidigt ist, dass man keinen gemeinsamen Kandidaten fand und eventuell die Gefolgschaft verweigert. Aber vielleicht ist das alles auch nur eine clevere, großangelegte Verwirrungsstrategie, um die Gegenseite in Sicherheit zu wiegen. Falls ja: Sie funktioniert. Das Händereiben bei den Linken ist unüberhörbar.

Erschienen am 22.04.2010

Was bleibt: Kleine Diktaturenkunde

Es scheint, als ginge bei dräuendem Erfolg in Uferwegdingen mit Rechtsanwälten gern mal die Historie durch. Unvergessen der Auftritt des Reiner Geulen vor dem Oberverwaltungsgericht im Mai letzten Jahres, kurz bevor das Gericht der Stadt am Griebnitzsee die zweite kapitale Klatsche zumutete und Geulens wegsperrenden Mandanten einen Erfolg bescherte: Da stand der Anwalt im Gerichtssaal, hochrot, drehte sich zum Publikum statt zum Richter, hob den pädagogischen Zeigefinger und ließ erstmal laufen: In Potsdam seien „seit 20 Jahren die Uhren stehen geblieben“, es herrsche ein „post-sozialistischer Eigentumsbegriff“ in der „ideologisch verblendeten“ Stadt, die noch „die DDR in den Knochen“ habe, ja ein einziges „sozialistisches Biotop“ sei. Solche Ergüsse kommen meist davon, dass der Sprecher es beim Potsdam-Besuch nur vom Hauptbahnhof bis zum Schlaatz geschafft hat, statt auch mal in der Berliner und Nauener Vorstadt vorbeizuschauen.
Als zweiten hat es nun offenbar Christoph Partsch erwischt, der bislang als eher kühler Stratege galt. In seiner Wut über die „zu lange Untätigkeit“ der Polizei bei den Ostermontags-Protesten vor den Grundstücken seiner wegsperrenden Mandanten in Groß Glienicke ließ er multimedial die Worte fahren, dies habe „anscheinend Tradition“ und erinnere „an die Zeit zwischen 33 und 45“. Etwas mehr Abstimmung dürfte man da schon verlangen, schließlich betreuen beide Herren zwar unterschiedliche Mandanten, aber mit dem gleichen Ziel – der gern zitierten nachhaltigen Entfernung des Pöbels aus der Sichtachse Kaffeetasse – Bootssteg. Da sollte es doch möglich sein, sich auf eine deutsche Diktatur zu einigen. Zumal beide Regime nach kurzer Einarbeitungszeit doch recht gut unterscheidbar sind: Holocaust, Weltkrieg, Atombombe und so: 33-45. Mauer, Stasi & Pioniergeburtstag: DDR.
So gesehen hat dann eher der Herr Geulen recht, denn mit Aussperrungen, Mauern und Grenzposten haben die Uferwege in jeder Beziehung mehr zu tun als mit Atombomben und Weltkriegen. Mit Sozialismus allerdings weniger, und engagiert protestiert wurde zu DDR-Zeiten ja auch erst kurz vor Schluss (fragen Sie mal den Baudezernenten!).
Sie werden ihre Diktaturenvergleiche ohnehin nicht glauben, die Herren Advokaten. Partsch ist mehrfach als Verfasser kluger Artikel über den Nationalsozialismus an die Öffentlichkeit getreten, Geulen hat entscheidenden Anteil am Sieg der Bürgerinitiative gegen das Bombodrom in der Kyritzer Heide – eines der linken Vorzeigeprojekte. Viel wahrscheinlicher ist, dass die gezielten Provokation die Stimmungen schüren sollen – medial funktioniert das ja schon bestens. Dass es am Ende auch den Schürern nützt, ist hingegen zweifelhaft. Über vorschnelle NS- und DDR-Vergleiche ist schon mancher böse gestolpert.

Erschienen am 08.04.2010

Heulen und Wehklagen

Jan Bosschaart über die vermutlich letzte Zumutung dieses Winters

Da wird sich nun bald erheben ein gewaltiges Wehklagen an den Stammtischen und an den aufgeplatzten Straßen, und das Volk Potsdams wird sagen: Siehe, da hat nun diese Stadt den Winterdienst vernachlässigt und die Glätte am Ende auch noch mit schnödem Splitte bekämpft, und nun sollen auch noch wir, die wir unter diesen Mängeln gelitten, zum Besen greifen, und die Malaise, die von uns nicht verursacht, nicht nur bezahlen, sondern mit der eigenen Muskelkraft beseitigen helfen. Doch all der biblische Zorn ist vergebens: Der Winter war nun einmal, wie er war, und was am Winterdienst nicht funktionierte, will die Stadt in einer neuen Ausschreibung korrigieren. Was bleibt, sind außer einer Menge teurer Erfahrungen über die Physik schwerer Körper auf Eis und gut gefüllten Leserbriefspalten die Überreste von Silvester und von Streubemühungen aus einer Zeit, da das Salz zu Ende war. Diese Reste können die Stadtentsorger zwar aufsaugen, wegwischen und an den Rand fegen, ohne den beherzten Einsatz der Anlieger an Besen und Schaufel werden sie aber nicht zu beseitigen sein. Immerhin dürfte es die letzte Investition an Muskelkraft im Kampf gegen den Winter werden. Und gegen angestaute Wut hilft sportliche Betätigung bekanntlich auch. Ganz im Ernst.

Erschienen am 27.02.2010


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