Nachschlag: Refugium im Landgasthausstil
Die „Maison Charlotte“ empfiehlt sich als romantischer Rückzugsraum mit hohem kulinarischen Anspruch
Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.
POTSDAM | Holzstühle an dunklen Holztischen und Platten von Weinkisten an den Wänden drinnen, Korbsessel und Karotischdecken draußen – von den drei Restaurants, die Ralf Junick in Potsdam betreibt, ist das „Maison Charlotte“ im Holländischen Viertel das rustikalste – im besten Wortsinn. Das „Charlotte“ hat sich nicht nur auf französische Küche spezialisiert, es erinnert auch in der detailfrohen Ausstattung an ein französisches Landgasthaus. Die Plätze sind, besonders im Winter, wenn der Innenhof mit dem schattenspendenden Nussbaum nicht zur Verfügung steht, begrenzt: Daher empfielt sich das Charlotte einerseits als romantischer Rückzugsort, es macht aber gerade an den Wochenenden eine Reservierung ratsam.
Die Karte lockt schon von der Straße mit Elsässer Flammkuchen zu zivilen Preisen von urtümlich belegt (mit Schmand, Speck und Zwiebeln für 8 Euro) bis ambitioniert (mit Rucola, Räucherlachs und Honig-Senf-Dill-Sauce für 12,50 Euro), bietet aber auch der verfeinerten Zunge genug Auswahl zu Preisen von bis zu 22 Euro für einen Hauptgang.
Ein Platz im Inneren kommt an diesem heißen Höchstsommertag nicht in Frage, schnell ist ein schattiger Tisch, beschirmt von Baum und Sonnensegel gefunden. Zur Abkühlung drängt sich ein eleganter Elsässer Cremant rosé auf. Er begleitet die Vorspeisen perfekt: Die gratinierten Austern mit Spinat und Frischkäse sind eine Offenbarung selbst für Gäste, die sie pur für gewöhnlich meiden – im Spinatbett und unter der angerösteten Käsehaube verlieren sie ihren fischig-schleimigen Charakter und entfalten ihr zartes Aroma optimal. Die Jakobsmuscheln auf Ingwer-Spinatsalat sind zwar auf den Punkt perfekt gebraten, der Ingweranteil tut aber der Schärfe zuviel, so dass die zarten Muschelnoten in der brennenden Mundhöhle wenig Resonanzraum finden. Schade.
Zum Hauptgang darf es Kalbsfilet sein, aktuell der Star der Karte und passend zur Saison mit Pfifferlingen und Couscous serviert, begleitet von einem klassischen roten Bordeaux. Am tadellosen Filet gibt es nichts auszusetzen, es ist saftig, frisch und hat im perfekten Medium-Zustand die Pfanne verlassen, die Pfifferlinge, mit einem Balsamicodressing betupft, flankieren es aufs Beste. Der Couscous indes kommt etwas langweilig daher und verströmt, obwohl frisch zubereitet, wenig aufregenden Kochbeutel-Charme. Er bleibt, obgleich die Portion nicht eben üppig ist, selbst an den Nebentischen daher zu großen Teilen auf dem Teller zurück.
Die Dessertauswahl, obwohl nur zwischen drei Positionen zu treffen, gehört zu den härtesten unseres kulinarischen Daseins: Die klassische Crème Brûlée konkurriert mit einer Zitronengras-Panacotta an Rharbarber und dem Rosenblättersorbet mit Holunderblüten um die Restplätze im Magen des Gastes. Wir entscheiden uns für den Klassiker und lernen, dass dies an diesem Abend keine umwerfende Wahl ist: Die Creme ist zu stark aufgestockt und tendiert fast schon ins Krümelige, der Zuckerguss ist bereits vollständig erkaltet und verstärkt den Verdacht, das Dessert sei bereits vorbereitet aus dem Kühlschrank gekommen. Die leicht angeschrumpelte Erdbeere schließt die Indizienkette. Trotz sehr moderaten Preises (4,50 Euro) gibt sich das Charlotte hier eine Blöße.
Wer mit großem Hunger oder an einem kühleren Tag ins Charlotte geht, dem sei noch die epochal-gute Bretonische Fischsuppe empfohlen, die längst Berühmtheit erlangt hat. Angesichts der Portionsgröße empfiehlt sich dann aber nur noch ein Salat – oder der sofortige Übergang von der Vorspeise zum Dessert.
Erschienen am 24.07.2010