„Was für ein mieser Tag!“

Liebes Tagebuch! Tut mir wirklich leid, dass ich Dich aus Deinem Winterschlaf reiße: dienstliche Anordnung. Ich darf jetzt nicht mehr mailen, wenn mich was bedrückt. Weil die Presse komischerweise von meinem Ärger über die Bibliothek Wind bekam. Die einen empfingen eine private Mail, die anderen eine versehentliche Weiterleitung aus dem Grünen-Verteiler. Blöd, das. Dabei wollte ich mich doch dazu gar nicht mehr äußern.
Liebes Tagebuch, war das ein mieser Tag gestern! So hatte ich mir das nicht vorgestellt, als ich mich vor einem Jahr um den Posten des Baubeigeordneten bewarb. Ich wollte eigentlich von allen gemocht, ach was, geliebt werden, egal, was ich tue. Dass ich das in einem Ressort wollte, das nur mit paramilitärischen Mitteln zu überleben ist, machte die Sache nur reizvoller. Und nun so ein Tag: Gleich morgens zerrte mich ein Fachbereichsleiter zum zweiten Mal vor den Kadi, weil er partout nicht einsehen mag, dass ich einen Sündenbock für die Kosten an der Humboldtbrücke brauche. Ständig belegt er mir, dass ihn keine Schuld trifft. Habe ihm ausführlich erklärt, dass die Beliebtheit des Chefs Opfer von den Untergebenen mit Zeitvertrag verlangt, aber der sture Kerl sieht das nicht ein. Und bekommt Recht! Für solches Recht bin ich 1989 aber nicht auf die Straße gegangen! Im Hauptausschuss ging’s weiter. Mein Hinterkopf ist schon ganz flach von den Schlägen, wenn ich was zur Bibliothek sage. Dabei habe ich immer für Meinungsfreiheit demonstriert, seinerzeit.
Liebes Tagebuch, und das Schlimmste, das ist diese Presse. Als sie was vom „Obama der Bauverwaltung“ schrieben, habe ich mich wirklich gefreut. Sehr. Die hatten mich verstanden. Meine Sekretärin hat zwar gesagt, das sei ironisch, aber die ist nur neidisch. Die sagt mir ja auch nicht, wenn ich morgens im Büro noch die Fahrradklammer am Hosenbein habe. Doch seither mischen die sich in alles ein, diese Schreiber und Filmer und Knipser. Ich kann keine Mitarbeiter schassen, ich kann nicht mal mittelfristig den Autoverkehr lahmlegen, ohne dass sich einer gleich am nächsten Tag darüber aufregt.
Das ärgert mich, das verletzt mich, und natürlich habe ich für sowas nicht demonstriert, damals, ’89. Dauernd rühren die mir meine Ankündigungen aus der Zeit vor dem Amtsantritt unter: Transparenz, Gleichbehandlung, Überparteilichkeit und so. Die müssten doch wissen, wie das läuft, schreiben doch auch täglich viel, was tags darauf keinen mehr kümmert.
Am allerschlimmsten aber ist die Linke. Wenn der Jäkel im Bauausschuss ansetzt, bin ich schon auf der Palme, bevor das erste Wort auf mein Trommelfell trifft. Und dann sitzt der da und feixt. Das macht der mit Absicht! Ich wette, der hatte 1989 nicht ein einziges Mal ein Plakat in der Hand – und für sowas haben wir damals… Was soll’s: Wenn das so weitergeht, werfe ich irgendwann einfach die Sandförmchen hin und gehe. Dann darf ich auch endlich wieder mailen. Ähm… nix für ungut, liebes Tagebuch: Dein Matze Klipp

Erschienen am 25.02.2010

Kulka erläutert Schlosspläne

Stadtentwicklung: Mitteschön fordert weiter / Architekt wütend / Ausschuss moderiert

POTSDAM |  Für einen Moment stand Peter Kulka kurz vor der Explosion. Der Architekt des Landtagsschlosses hat sich noch nicht an die typische Potsdamer Debattierfreude von Bauvorhaben gewöhnt, und eine an sich harmlose Frage im Bauausschuss machte Kulka sichtlich wütend. Eigentlich wollte Ausschuss-Mitglied Christian Seidel (SPD) nur wissen, welches Maß Kulka zum Anlass nahm, die Seitenflügel des künftigen Landtages zu verbreitern. Kulka aber, offenbar über einen weiteren Forderungskatalog der Bürgerinitiative „Mitteschön“ erbost, rief plötzlich etwas von „Polemik“ in den Raum und erinnerte daran, dass er auf Wunsch von Mitteschön bereits die Fenster auf seine Kosten umgeplant habe – „nachträglich, eigentlich war es schon zu spät“ –, und verkündete, wenn man wolle, dass er das Handtuch werfe, solle man nur so weitermachen. Erst ein besänftigender Zwischenruf des stets auf Ausgleich bedachten Ausschuss-Vorsitzenden beruhigte den aufgebrachten Stararchitekten wieder, dem der Bauausschuss mehr als eine Stunde Redezeit einräumte, um das Projekt vorzustellen. Kulka holte weit aus, ordnete das Vorhaben in seine bisherige Arbeit ein, erklärte, dass der Landtag innen in weiten Teilen ein Bürogebäude werde, sprach über die Notwendigkeit, Teile der Originalfassade in die zu rekonstruierende Fassade aufzunehmen, um der Gefahr der „Pappigkeit, Künstlichkeit und Unehrlichkeit“ entgegenzuwirken und wurde nicht müde, zu unterstreichen, dass er die Bürgerwünsche zu den Fensterlösungen „freiwillig“, „auf eigene Kosten“ und „sehr spät“ noch aufnahm, „obwohl die Pläne längst fertig waren“. Er kündigte zudem eine Schaustelle an, einen Pavillon in den Landesfarben, mit Rampen ringsherum, der mit einer Ausstellung über das Originalschloss und das Bauvorhaben informiert und zudem eine Plattform bereitstellt, von der die Baustelle zu überblicken ist.
Barbara Kuster von Mitteschön freute sich daraufhin öffentlich über die erfolgten Änderungen, um sofort einen weiteren seitlichen Durchgang zu fordern, da ansonsten der Alte Markt lahmgelegt sei. Außerdem werde die Außenfassade nicht original sein, die Knobelsdorffsche Asymmetrie fehle, und es würden zu wenig Originalteile eingebaut, klagte sie. Sie fürchte daher um Plattners Spende. Ein zweiter Redner hätte gern die Rampe zur Tiefgarage verlegt oder ganz verschwunden gesehen. Der Ausschuss beeilte sich nun, zu erklären, dass diese Diskussionen doch längst geführt seien, bevor Kulka wieder mit dem Handtuchwurf drohen konnte. Saskia Hüneke versicherte gar, sie habe „lustvolle Momente“ beim Betrachten der Entwürfe, und Baudezernent Klipp sagte, die Baugenehmigung stehe unmittelbar bevor. Lediglich, dass Saskia Hüneke anmerkte, es sei „nie zu spät für Anmerkungen“, weil doch die Entwürfe so lange nichtöffentlich waren, ließ Peter Kulkas Halsschlagader noch einmal kurz anschwellen. Dank des warmen Applauses endete der Tagesordnungspunkt aber ohne weitere Kollateralschäden.

Erschienen am 25.02.2010

Überfällig

Jan Bosschaart über die Beteiligung der Jugend an städtischen Projekten

Wer zuviel Grönemeyers „Kinder an die Macht“ gehört hat, könnte auf den Gedanken verfallen, wir hätten es mit einer blühenden, pazifistischen, glücklichen Welt ohne Ungleichbehandlung, Egoismen und Konflikte zu tun, wenn die Jüngsten das Steuer übernähmen. Wer aber mal 20 Minuten im Kindergarten neben dem Buddelkasten gesessen hat, weiß, dass das nicht stimmt – und dass an manchen Tagen das Rathaus, die Stadtverordnetenversammlung, der Oberbürgermeisterwahlkampf und diverse Pressekonferenzen die Fortsetzung des Buddelkastens mit anderen Mitteln sind: mit der gleichen Heimtücke und dem gleichen Egoismus, aber verfeinerten Werkzeugen wie gezielter Intelligenz, viel Lebenserfahrung und großen Netzwerken im Hintergrund. Daraus nun wiederum abzuleiten, die Kinder müssten nicht beteiligt werden, wäre allerdings auch ein Fehler: Wann immer es um ihre Belange geht, sollte Kinder und Jugendliche gehört werden, und weil sich selbst talentierte 14-Jährige wohl nur schwerlich für Verwaltungsvorlagen, Kommunalverfassung und Straßenausbaubeitragssatzung begeistern können, ist die richtige Methodik in diesem Fall mindestens genau so wichtig wie das Vorhaben an sich. In der „kinderfreundlichsten Stadt“ allzumal.

Erschienen am 15.02.2010

Nicht verdient

Jan Bosschaart über die Wirkung von Sumoringern beim Damenballett

Reiner Becker ist nichts vorzuwerfen: Der Architekt der neuen Bibliotheksfassade hat sein Bestes getan. Sofern es sich anhand einer Simulation beurteilen lässt, sieht die Stadt- und Landesbibliothek nachher deutlich besser aus. Doch wie ein Sumoringer auch nach einer Gesichtsoperation im Damenballett auffallen würde, heilt das Facelifting nicht den Widerspruch, in dem der Klotz künftig zu seinen angrenzenden Fassaden und zum Rest seines Quartiers steht. Die Hässlichkeit der gegenüber liegenden Wilhelmgalerie als Referenz ins Feld zu führen, hilft da nur begrenzt. Ebenso gut könnte man Potsdams Bahnhof gegen jedes architektonisch ambitionierte Bauvorhaben in der Stadt in Stellung bringen. Doch auch die Kulturbeigeordnete hat recht: Es ist an der Zeit, dass die unselige Debatte an ein Ende gelangt. Fünf Jahre, in denen das Haus weiter verfiel, haben genügt. Da es bisher nicht gelang, sich auf eine städtebaulich verträgliche Version zu einigen, wird das auch künftig nicht geschehen. Derweil verfallen die Fördermittel. Bedauerlich ist neben dem rein ästhetischen Schmerz vor allem, dass es in der hitzigen Debatte zuweilen aussah, als stünde der Nutzen der Bibliothek oder ihr gesamter Standort im Zentrum zur Diskussion. Das aber hatte sie nun wirklich nicht verdient.

Erschienen am 12.02.2010

Was bleibt: Jungferngeburten

Die Nachricht, der Oberbürgermeister habe den Parteien seiner Kooperation nahegelegt, bei der im Herbst anstehenden Wahl um seinen Posten auf eigene Kandidaten zu verzichten, um seine, Jakobs, Wiederwahl zu sichern, hatte etwas von einer Jungferngeburt: Sie kam überraschend. Und ihr ging nicht das Erwartbare voraus. Denn noch wenige Wochen zuvor hatte Jakobs die Linke – selbstverständlich in deren ureigenem Interesse – vor einer Kandidatur ihres stasibelasteten Fraktionschefs Hans-Jürgen Scharfenberg gewarnt. Diese ritterliche, ja selbstlose Geste passte nun so gar nicht zum Bild des Stadtoberhaupts, das vor den Kooperations-Spitzen mit besorgter Miene Zahlen an die Wand warf, wonach die Linke bis zu 30 000 Wähler mobilisieren kann, und dem besorgten Kommentar, es könnte daher für ihn, Jakobs, eng werden. Ganz böse Zungen sagten gar, er habe da außerordentlich verschreckt gewirkt, der OB. Wobei es natürlich auch nicht ritterlich von den anderen Parteien ist, dieses Bild des schlotternden Stadtchefs an die hämische Presse zu transportieren. Flugs hatte die noch hämischere Opposition (doch, das geht!) nämlich wieder Oberwasser, was ihr noch eine Woche zuvor niemand zugetraut hätte: Angesichts der Debatte um Rot-Rot im Land sah es aus, als könne Jakobs’ Herausforderer schon einpacken, bevor der Wahlkampf richtig begonnen hat. Nicht, dass nun am Ende die Linke noch die Kooperation warnen muss, Jakobs aufzustellen, weil es ihm am Rückhalt im eigenen Lager mangelt. Möglicherweise handelt es sich aber auch um ein ganz abgekartetes Spiel der Kooperation, um die Linke in der Sicherheit des unsicheren Oberbürgermeisters zu wiegen, während dieser längst die Mehrheiten hinter sich schart. Das wäre dann die nächste Jungferngeburt, jedenfalls für alle, die erneut mit einem knappen Ausgang der Wahl, zuletzt entschieden 122 Stimmen, rechnen.
Aber womit kann man schon rechnen in dieser Stadt! Mit dem Winterdienst sicher nicht, der wurde erst diese Woche wieder vom überraschenden und unerwarteten Schneefall kalt erwischt, so dass noch am Mittwochmorgen jungfräulich auf den Nebenstraßen lag, was seit Dienstag vom Himmel fiel. Vielleicht sollten einfach mal die Politessen und die Winterdienstler eine Jobrotation versuchen: Dann wären die Straßen schon gefegt, bevor die ersten Flocken fallen – schließlich bekommt man hier ja auch Strafzettel, bevor der Parkschein abgelaufen ist –, und die Falschparker könnten bis zum nächsten Morgen stehen bleiben, ohne Knöllchen von der Windschutzscheibe kratzen zu müssen. Recht zuverlässig funktioniert auch immer noch die Bevorzugung einiger durch das Bauamt. Da darf schon mal im reinen Wohngebiet eine Galerie betrieben werden, und verdiente Bürger sollen Sonderrechte auf gesperrten Straßen bekommen. Ein bisschen Verlässlichkeit gibt es eben in Potsdam. Immerhin.

Erschienen am 04.02.2010

2010 – was kommt!

Satire: Freiland wird besetzt, die Uferwege befreit und der Bahnhof verschwindet im Pflasterhagel

Unter dem Titel „Was bleibt“ glossiert die MAZ die Themen der Woche. Zum Jahreswechsel wagen wir einen nicht wirklich ernsten Blick voraus: Was kommt?

Das neue Jahr beginnt mit der Besetzung des „Freiland“-Geländes an der Friedrich-Engels-Straße durch seine künftigen Nutzer: zum einen, weil die Stadt mit dem Projekt über allem Workshoppen nicht in die Puschen kommt, zum anderen, weil das Besetzen soziokultureller Usus ist. Quasi eine Form von Traditionspflege, auch wenn die Vokabel „Tradition“ bei autonomen Selbstverwaltern nicht wohlgelitten ist. Was wäre schon ein „Freiland“, wenn es von der Stadt legal zur Verfügung gestellt würde? Ein Unfreiland, eine Manifestation obrigkeitsstaatlicher Gewalt, eine verordnete Gummizelle zum Austoben, damit die Soziokultur den Mainstream unbehelligt lasse – kurzum: eine Frechheit. Also besetzen!
Mit einer Tradition bricht hingegen der Schlaatz: Der Integrationsgarten brennt diesmal Silvester nicht ab, was für dessen Nutzer und die Polizei eine hervorragende, für Lokalpolitik und -presse aber eine schwierige Neuigkeit ist: In der nachrichtenarmen Zeit nach Neujahr bleiben daher einige Zeitungsspalten und Sendeminuten ungefüllt, und auch die rituellen Betroffenheitsbesuche der Politik vor Ort müssen ausfallen.
Doch das Jahr kommt auch so in Gang. Baubeigeordneter Matthias Klipp kann getrost auf den Einkauf einer Jahresration Shampoo verzichten, da ihm der Oberbürgermeister ohnehin regelmäßig den Kopf wäscht – spätestens, wenn der grüne Klipp Potsdam komplett zum verkehrsberuhigten Bereich erklärt (Februar), die Humboldtbrücke nur noch für Radfahrer zulässt (März) und die Tiefgaragen abreißen lässt (April bis Dezember). Flankiert wird er von „Mitteschön“, die den neuen Gestaltungsrat feindlich übernehmen und jeden B-Plan, in dem die Worte „Rekonstruktion“, „Knobelsdorff“, „Barock“ und „sklavisch genau“ vergessen wurden, von vornherein unter größtmöglicher Öffentlichkeitswirksamkeit ablehnen. Der Bauausschuss fühlt sich daraufhin ein wenig überflüssig, was eine leise Depressivität zur Folge hat: Erstmals seit der Wende werden einzelne Vorlagen nach nur 30-minütiger Debatte ohne große Änderungen zum Beschluss empfohlen. In der Alten Mitte legt Klipp zudem ein Tempo vor, dem der Ausschuss ohnehin nicht folgen kann.
Auch der leidige Pflasterstreit erledigt sich von selbst: Es gibt bald keines mehr, weil sich die Freiland-Besetzer der Steine als Wurfgeschosse bedienen, da ihrer Besetzung zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. Sie bewerfen den nahe gelegenen Bahnhof mit seinem toten S-Bahngleis und das daneben entstehende Wohngebiet. Die Empörung ist jedoch gering, da beides ohnehin als städtebauliche Katastrophe gilt und viele Potsdamer heimlich sympathisieren.
Dank des heimlich angesammelten Überschusses im Haushalt, den Bürgermeister Burkhard Exner nach hochnotpeinlicher Befragung auf zirka 73 Millionen Euro schätzt, lassen sich die Griebnitzsee-Grundstücke vom Bund kaufen, die Sperranrainer knicken ein vor der Gewalt eines fehlerfreien B-Plan-Entwurfs und der ganze Uferweg ist nun wieder von Spaziergängern besetzt.
Und sonst? Ach ja, die Oberbürgermeisterwahl. Sie geht diesmal ausnahmsweise knapp aus. Dem Linken-Kandidaten Hans-Jürgen Scharfenberg fehlt am Ende exakt eine Stimme, um Amtsinhaber Jann Jakobs zu schlagen. Es ist die seines Noch-Immer-Partei- und Ex-Fraktionsgenossen Pete Heuer. Alternativ hätte es auch genügt, wenn jemand von den Freiland-Besetzern zur Wahl gegangen wäre. Doch die waren ja mit Schmollen ausgelastet.

Erschienen am 31.12.2009

Was bleibt: Nebenerwerbe

Nun, da die Stadt dem Antikorruptionsverein Transparency beitreten will, müssen die Stadtverordneten ihre Haupt- und Nebeneinkünfte offenbaren. Das ist eine hübsche Sache, denn so erfahren wir, dass der Oberbürgermeister offenbar keinen Zweitjob hat und Groß Glienickes Ortsvorsteher Peter Kaminski nicht nur in Sachen Uferweg, sondern auch zum Broterwerb im Beschwerdemanagement tätig ist. Mindestens ebensoviel Einsicht verspräche es, wenn auch hochrangige Verwaltungsmitarbeiter sich auf diese Weise entäußerten. So würden wir uns nicht wundern, falls der Stadtplanungschef mit CDs und psychologischen Testverfahren seine kärglichen Beamtenbezüge aufmöbelte: Andreas Goetzmann ist ja einer, der auch in freier Rede zuwendungsbescheidreif formulieren kann, und er macht von dieser Fähigkeit hinreichend Gebrauch, gern mal untersetzt mit einer launigen Powerpoint-Präsentation, die mit kleinteiligen Tabellen und Zahlen so gespickt ist, dass selbst Adleraugen nach wenigen Minuten tränen. Wenn er zuvor dem Kaffee über die Maßen zusprach, bastelt Goetzmann auch mal eine neckische Illustration hinein: dann greifen die verschiedenen Faktoren bei der Standortanalyse zur Frage Sportbad oder Freizeitbad in lustige Zahnrädchen gesetzt ineinander. Auf seine Zuhörer hat dies einen außerordentlich ermüdenden Effekt, so dass sich in psychologischen Tests die Goetzmann-Minuten mittlerweile zum internationalen Standard für Aufmerksamkeitsdauer gemausert haben. Lediglich subalterne Mitarbeiter der Bauverwaltung und regelmäßige Besucher des Bauausschusses erreichen auf dieser Skala Spitzenwerte („Wahnsinn! Zwölf Goetzmann-Minuten! Haben Sie trainiert?“).
Dann wären da noch jene Selbsthypnose-CDs, die unter dem Label „Entschlummern mit Andy“ die schönsten Referate des Stadtplaners zu Bäderstandort, Entwicklungs- und Ergänzungskonzepten oder planungsrechtlicher Einordnung auf nur einer Silberscheibe versammeln. Ein Geschenk, das gerade in dieser, zur Besinnlichkeit angelegten Jahreszeit, jeden Gabentisch ziert. Besonders imponiert Goetzmanns Fähigkeit, fast ohne Senken oder Heben der Stimme eine 30 Folien umfassende Präsentation durchzuziehen und nicht mal am Ende den Stimmbändern Freilauf zu gewähren.
Seine baufachliche Befähigung bildet dessen ungeachtet die Kernkompetenz des Stadtplaners, vor der die Zweittalente im Zuge einer umfänglichen Gesamtschau verblassen. Das sieht auch sein Chef Matthias Klipp so, obgleich er kürzlich äußerte, wegen des städtebaulich verunglückten Bahnhofscenters demnächst ernste Fragen an seine führenden Mitarbeiter zu richten. Sollte dort der Konfliktfall eintreten, hat der noch beruflose Oberbürgermeister sicher Zeit, schlichtend einzugreifen. Oder er schickt den Kollegen Kaminski vor. Sie wissen schon: Beschwerdemanagement.

Erschienen am 03.12.2009

Rasen für die Stadtkasse

Jan Bosschaart hat ein paar Vorschläge, um das Bußgeldaufkommen zu steigern

Es gibt Radeln fürs Klima, Rauchen gegen den Terrorismus und Trommeln für den Weltfrieden. Dieser Gutmenschen-Olympiade könnte man längst die Disziplinen Falschparken für die Kommunalfinanzen und Rasen für die Stadtkasse hinzufügen. Immerhin verdient Potsdam rund 1,6 Millionen Euro pro Jahr mit Knöllchen und Blitzbescheiden. Das Perfide an diesen Formen moderner Wegelagerei und an den überteuerten Porträtfotos mit miserablen Abzügen ist, dass den vermeintlichen Abzockern nicht nur Recht und Gesetz, sondern auch das Gemeinwohl als unüberwindliche Argumentationshilfe zur Verfügung stehen. Da bleibt dem ordnungswidrigen Bürger nur, die Wut in ein Magengeschwür zu wandeln. Konsequenterweise sollten aber Spendenquittungen ausgestellt werden, wenn jemand zum Beispiel regelmäßig auf dem Bordstein parkend oder durch die Tempo-30-Zone rasend seiner Bürgerpflicht nachkommt. Auch Titel wie „inoffizieller Sponsor der Landeshauptstadt Potsdam“ würden das Engagement sicher noch steigern können, damit das leidige Haushaltssicherungskonzept endlich obsolet wird. Denn eines, liebe Bußgeldstelle, sollte doch glasklar sein: Wenn wir alle mal für einen Tag in den Ordnungswidrigkeits-Streik träten und korrekt parkten, wäre bei Euch ein Heulen und Zähneklappern.

Erschienen am 24.11.2009

Der Kevin der Jahreszeiten

Jan Bosschaart hat Mitleid mit dem ungeliebten Winter, auch wenn er bald einbricht

Die von allen verweilenden Jugendlichen bereinigten Bushaltestellen und das immense Aufkommen suizidaler Eisdielenbesitzer lassen keinen Zweifel zu: Der Winter steht vor der Tür. Und weil niemand, der die Musik des Wortes „Cabrio“ kennt oder lauen Sommerabenden auch nur einen Hauch abgewinnen kann, diese Tür je freiwillig öffnen würde, bricht der Winter dem Sprachgebrauch zufolge irgendwann ein – ein ungebührliches Verhalten, dass sich Frühling, Sommer und Herbst nie leisten würden, ja auch gar nicht müssen, denn sie sind meist wohlgelitten. Der Winter hingegen ist das Problemkind unter den Jahreszeiten, er wurde vermutlich früh verhaltensauffällig, woraufhin sich ein jeder abwandte, was einen fatalen Kreislauf in Gang setzte: Um überhaupt noch Aufmerksamkeit zu bekommen, trommelte der Winter – hätte er einen Vornamen, er müsste wohl Kevin lauten – mit Eis, Sturm und Hagel an die Fenster. Doch die Menschen, für seine Hilferufe blind, mochten ihn danach noch weniger. So harrt er nun, zwischen Wut und Resignation pendelnd, drei, vier Monate seines Endes, bevor der Frühling sanft sprießt oder wahlweise leise hereinweht. Er hat es ja auch leicht, der alte Angeber. Ihm stehen die Herzen offen.

Erschienen am 21.11.2009

Dünnschiss auf dem Jakobsweg

„No jokes on names“ – keine Witze über Namen, sagt der Engländer. Es ist zugleich eine journalistische Grundregel geworden, die eigentlich nur die anarchistische TAZ brechen darf („Castro nicht mehr fidel“, titelte sie angesichts der Erkrankung von Kubas Staats-Chef). Schade eigentlich, denn das enthebt uns einiger schöner, bunter Möglichkeiten, auf niedrigem intellektuellen Niveau das Thema Uferweg am Griebnitzsee zu kommentieren. Als da wären: das Stolpern der Stadt zum freien Weg – nach ihrem Oberbürgermeister – als Jakobsweg zu bezeichnen. Oder der Potsdamer CDU, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach offenen Wegen und den Eigentumsbegriffen ihrer Kernwählerschaft, nach ihrem Babelsberger Vorsitzenden Hans-Wilhelm Dünn, Schiss zu unterstellen. Oder die Differenz zwischen dem Preis, den der Bund gern für einen Quadratmeter Uferland am Griebnitzsee hätte und der Summe, die die Stadt nun dafür zahlt, nach ihrem Bürgermeister als „ein Exner“ zu bezeichnen. Ein Exner wäre demnach 32,50 Euro wert. Auch können wir dank der unschönen Regel nun nicht behaupten, im Behördendeutsch habe sich für das preisliche Über-den-Tisch-Ziehen bei solchen Verkäufen das Verb „krusemarken“ geprägt – nach der Chefin des Rechtsamtes und Hauptunterhändlerin der Stadt. „Der wurde aber schwer gekrusemarkt“, wäre gerade für Haushaltsverhandlungen eine hübsche Formulierungshilfe. Geht aber leider nicht; schade, schade. Das Leben ist halt kein Kirschgarten. Noch schwerer wiegt, dass die ablehnende Haltung der FDP/Familienpartei in der Uferwegfrage – die Fraktion hätte von den nötigen 2,6 Millionen Euro lieber Radwege gebaut – nun auch nicht als ein ziemliches Utting gebrandmarkt werden darf – obgleich Brian Utting genau diese Begründung an die Medien übermittelte. Vielleicht sollte sich der Baubeigeordnete mal Klipp und klar davon distanzieren, oder, etwas TACKtvoller, die scheidende Bauausschuss-Chefin.. Autsch, das war jetzt wirklich unterste Schublade, zugegeben.
Rettung aus dieser verfahrenen Lage bietet dann ganz unverhofft jenes journalistische Lehrbuch, das erklärt – wir zitieren aus lauter Freude nahezu wörtlich – eine Ausnahme von der Regel bestehe lediglich für Glossen, denn die Glosse dürfe nicht nur alles, der Bruch mit allen Regeln sei geradezu ihr „Wesenskern“. Also jetzt bitte kein Jäkeln mehr! „No jokes on names“ hat seine Berechtigung, doch ist es gut, dass es das „Was bleibt“ gibt. So lassen sich die Regeln auch mal austricksen, Verzeihung: krusemarken.

Erschienen am 19.11.2009


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