Was bleibt: Eine Keks-Phantasie

Jetzt, wo ihr Nachfolger in den Startlöchern steht, bereits erste Veranstaltungen besucht und Projekte begutachtet, können wir es ja sagen: Am Ende ist sie nicht am Battis-Bericht oder an schlechter Kommunikation gescheitert, die Baubeigeordnete Elke von Kuick-Frenz. Sondern an der Geschichte mit den Keksen.
Aus baulicher Sicht sind diese Kekse eine ganz simple Angelegenheit: Trocken-bröseliger grundhafter Aufbau, Vollmilch-Deckschicht und – als fassadäres Highlight – eine Applikation aus weißer Schokolade in Form eines Turmes. Poetisch veranlagte Naturen wären da schon hellhörig geworden: Der Turm, ein Solitär, wehrhaft, aber sehr einsam. Doch Journalisten sind nicht poetisch veranlagt. Wären sie es, säßen sie im Feuiletton und nicht bei der Baubeigeordneten. Der in Rede stehende Keks jedenfalls gehört zu einer Kekssammlung, wie es ihrer tausende gibt. Der durchschnittliche Journalist wird wöchentlich im Schnitt 3,72 Mal mit solchen Keksen konfrontiert, die meist als launiges Beiwerk zu nur mäßig genießbarem Filterkaffee bei Presseeinladungen am späten Vormittag daherkommen. Ist nicht zufällig noch ein stets hungriger Fotograf im Raum, bleiben sie meist unangetastet, die Kekse.
Nicht so in Zimmer 1.023 des Stadthauses, wenn die Beigeordnete Neuigkeiten für die Presse vorhielt. Sie griff bei den Turmkeksen stets beherzt zu – als Gastgeberin ihr gutes Recht. Was die Sache nicht unerheblich komplizierte, ist, dass es derer je Packung nur zwei gibt – der Kekse, nicht der Beigeordneten. Und: Sie betonte stets launig und lauthals, dass diesen Keksen ihr unumstößliches Interesse gälte. Hätte sie wortlos gekrümelt, die Geschichte wäre wohl anders verlaufen. Zunächst ließen die Reporter die Beigeordnete gewähren, denn sie haben ein prinzipielles Misstrauen, wenn sie auf Terminen gefüttert werden sollen. Doch dann berichteten sie in der Redaktion von der Vorliebe der Beigeordneten, und die Dinge nahmen einen dramatischen Lauf. Redaktionsleiter nämlich, die Natur und die Berufssoziologie wollen es so, sind per Definition Alphatiere – beim nächsten Termin in 1.023 folglich harrten der Beigeordneten keinerlei Turm-Kekse mehr, stattdessen aber zwei vollgekrümelte Lokalchefs mit diabolischem Grinsen. Der Brunnen war augenblicklich vergiftet, der Fehdehandschuh geworfen, das Kriegsbeil exhumiert. Doch man wird nicht Beigeordnete im nur mit paramilitärischen Methoden zu überlebenden Bauressort Potsdams, wenn man sich nicht zu wehren weiß: Beim nächsten Termin erschien Kuick-Frenz deutlich früher, um Vorräte sicherzustellen. Die Journaille ihrerseits schlug zurück, in dem sie eine Vorhut aus niederen Chargen – Volontäre, freie Mitarbeiter – zur Keksreservierung entsandte. Die sich auf beiden Seiten unvermeidlich einstellenden Keksverluste wurden durch böse Zeitungskommentare auf der einen und zurückgehaltene Informationen auf der anderen Seite kompensiert. Eine normale, kritisch-würdigende Zusammenarbeit erwies sich fürderhin als unmöglich. Das Klima war vergiftet, das Gebäck auch, und so bröselte der Keks – man ging sich gehörig auf denselben. Am Ende, man muss es sagen, hatte die Beigeordnete keine Chance mehr gegen die geballte veröffentlichte Meinung. Der weiße Turm war befleckt, die Wiederwahl unmöglich. Und der einzige Hunger, der blieb, war der nach Vergeltung.

Erschienen am 05.08.2009

Untilgbares Jucken

Jan Bosschaart über die stupende Bescheidenheit und Selbstlosigkeit der Politik

Es heißt, wer einen Selbstlosen kratzt, sieht einen Heuchler bluten. Das klingt ein wenig zynisch, zugegeben, passt aber erschreckend gut zum Landtags- und Bundestagswahlkampf, der in vollem Gange ist. Politiker zeichnen sich in dieser krisenhaften Phase ihrer Vita durch besondere Dünnhäutigkeit aus, Journalisten durch ein besonderes Jucken in den Fingern. Damit folgen beide Seiten lediglich professionellen Instinkten, und es wäre demnach müßig, das eine für schlecht und das andere für gut zu erklären. Was das Jucken aber so unerträglich macht, ist die unglaublich sendungsbewusste Allgegenwart der Damen und Herren Kandidaten, die – schon im Alltag schwer erträglich – in Wahlkampfzeiten die Ausmaße von Intimitätsterror erreichen können. Da werden jahrelang ignorierte Journalisten plötzlich lächelnd als „Liebe Frau Y.“ in den als Umarmung verbrämten Würgegriff genommen, jeder Besuch im Altersheim zum Must-Have-Pressetermin stilisiert und müde Internetauftritte durch Hinzuklöppeln vermeintlich cooler Jugendseiten als letzter Schrei beworben. Das alles als Heuchelei zu brandmarken, ginge natürlich völlig an der Sache vorbei. Vielmehr handelt es sich ausnahmslos um selbstlosen Einsatz fürs Gemeinwohl ohne jedwedes machtpolitische Kalkül. Komisch nur, dass dieses fiese Prickeln in den Fingerspitzen trotz dieser, mit treuherzigem Augenaufschlag vorgetragenen Behauptung, partout nicht weichen mag.

Erschienen am 25.07.2009

Warner vor einem beschlossenen Krieg

Alan Chochiev floh aus Ossetien, als der Feldzug begann

Den Kontakt zur Familie und zu Gleichgesinnten hält der Historiker und Oppositionelle heute nur noch per Mail.

Sie kamen bei Nacht: Zwei maskierte Männer, schwer bewaffnet, stürmten Alan Chochievs Haus in Nordossetien. Der damals 62-Jährige hatte Glück, er war nicht zu Hause – dafür seine Mutter und zwei Enkel. Nachdem die Männer Chochiev nicht fanden und die Wohnung hinreichend verwüstet hatten, bedrohten sie seinen 13-jährigen Enkel mit der Pistole: „Wo ist Dein Großvater?“
Er kann noch heute nicht ruhig darüber sprechen. Chochievs ganze Gestalt, die sonst eher an einen Bären erinnert – gedrungen, massig, aber stets wachsam, die grauen Haare militärisch kurz geschoren – diese Gestalt, die sonst nahezu reglos auf dem viel zu kleinen Stuhl thront, gerät in Bewegung, wenn er sich an jene Szenen erinnert. Auch wenn er sie nur erzählt bekam. Er fuchtelt dann mit den Händen, der Stuhl unter seinem Körper ächzt bedrohlich, und seine Stimme wird laut. Die Nachbarn im Potsdamer Asylbewerberheim irritiert das zuweilen.
Chochiev war damals vorsichtig genug, selbst seiner Mutter nicht zu verraten, wohin er gegangen war. Der promovierte Historiker galt schon lange als persona non grata in seinem Heimatland Südossetien. Spätestens, seit er anlässlich einer Ordensverleihung in einem Zeitungsinterview sagte, Russlands Präsident Putin und der ossetische Premier Eduard Kokoity lassen es zum Krieg kommen. Die Botschaft war nicht neu: Immer wieder hatte Chochiev, der als Kulturanthropologe und ehemaliger Vorsitzender des südossetischen Parlaments einigen Ruhm und Einblick genoss, vor dem Krieg gewarnt, der „längst beschlossen war, um die Republik aus Georgien zu lösen und heim nach Russland zu holen“. Für solche Äußerungen war er nicht gut gelitten, und das Interview war eines zuviel: Die Journalistin, die es führte, verlor ihren Job, und nur die rechtzeitigen Warnungen wohlmeinender Nachbarn verhinderten, dass Chochiev inhaftiert und in ein russisches Gefängnis deportiert wurde. Er versteckte sich, kehrte aber einige Monate später zurück. Ein Fehler: Zuhause empfing ihn die Polizei mit einem Haftbefehl. Mit Hilfe eines Anwalts zog Chochiev noch einmal den Kopf aus der Schlinge. „Doch nun war mir klar: Wenn ich bleibe, gibt es zwei Möglichkeiten. Sie töten mich, oder sie sperren mich sehr lange ein.“
Als der Krieg im Spätsommer 2008 wirklich kam, ging er. Auf abenteuerlichen Pfaden floh Chochiev über Bratislava und Wien, wo er sich trotz der Flucht den Jugendtraum erfüllte, einmal in die Wiener Oper zu gehen. Er gelangte nach Potsdam. Deutschland war von vornherein sein Wunschziel, weil er wissenschaftliche Kontakte zur Heidelberger Universität hat. Doch die Mühen waren damit nicht zu Ende, sie änderten sich nur. Statt Ruhe zu finden und publizieren zu können, geriet er in den Umzugswirbel des Potsdamer Asylheims aus einer ruhigen, abseitigen Lage ins quirlige Plattenbauquartier. Aus dem Ärger darüber floh er in die Arbeit – ein druckfrisches Buch über Protosprachen und Religion auf seinem Nachttisch legt davon Zeugnis ab. Und er analysiert weiter die Zustände in Ossetien und den Krieg – unter anderem für die Moskauer Nowaja Gaseta, für die auch die ermordeten Journalistinnen Anna Politkowskaja und Natalja Estemirowa arbeiteten.
Den Kontakt zur Heimat hält Alan Chochiev über einen Laptop, den ihm ein Freund vor der Flucht schenkte – „das größte Geschenk meines Lebens“, wie er sagt. Pünktlich um 18 Uhr zieht seine Schwester in Nordossetien jeden Tag einen Schemel vor ihren Laptop, auf dem dann Chochievs 87-jährige Mutter Platz nimmt. Sie reden über das Wetter, die Politik und das Leben im „Ghetto Asylheim“, denn treffen können sie sich nicht: Mütterchen ist nicht mehr reisefähig, und Chochiev darf als Asylbewerber Potsdam nicht verlassen. Das schmerzt ihn am meisten, denn auch die so wichtige Teilnahme an Konferenzen ist dem Wissenschaftler damit versagt. Er kompensiert es, so gut es eben geht, über das Internet: liest russische Zeitungen, bloggt, videofoniert. Neben mehr Demokratie in Russland sind Reisefreiheit und etwas mehr Ruhe im Heim seine größten Wünsche.

Erschienen am 25.07.2009

Was bleibt: Vielen Dank, für die Sperren!

Konjunkturpakete sind eine feine Sache. Doch es muss nicht immer nur der Staat sein, der hilft. Immer häufiger greifen auch Privatleute der darbenden Konjunktur beherzt unters Schultergelenk, manchmal sogar gegen deren Willen. Und es kann so einfach sein; der persönliche Einsatz ist dabei denkbar gering: Ein rostiger Zaun, ein „Betreten Verboten!“-Schild aus dem Baumarkt und ein verdammt dickes Fell genügen zurzeit völlig. Gut, ein Wassergrundstück nebst darüberlaufendem Weg gehört noch dazu, befindet sich bei unseren Konjunkturfreunden aber ohnehin im Bestand. Erster Profiteur ist in der Regel dann die juristische Branche, denn Uferwegstreits, das zeigt die Erfahrung, landen stets vor Gericht – mehrfach und vor fast allen Instanzen. Dazu braucht jede Seite einen Anwalt. Christoph Partsch etwa, der einen Großteil der Griebnitzsee-Anrainer vertritt und nun offenbar auch die Mandate von zwei Sperrern am Glienicker See bekam, sei der Einfachheit halber folgender Slogan empfohlen: „Sie haben ein Grundstück am Wasser? Rufen Sie an! Wir schaffen jeden Uferweg ab, entfernen lästige Spaziergänger von Ihrem Grün und zeigen den Behörden, wie ernst die Justiz es mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums meint“. Profiteur Nummer zwei ist die Immobilienbranche. Es war bis vor kurzem – leider müssen wir hier zum Präteritum greifen – noch eine grandiose Idee, ein auch nur handtuchgroßes Stück Land in Spuckweite zum Griebnitzsee-Uferweg zu erwerben, denn nach einem Gutachten hat sich der Wert jeder Parzelle durch die höchstrichterliche Entfernung des Pöbels aus der Sichtachse Kaffeetasse-Bootssteg mit einer schlichten Verzwanzigfachung aufs Vermögen niedergeschlagen. Für alle, die das Prada-Handy mit integriertem Renditerechner nicht schnell genug zur Hand haben: Der schmale Gegenwert eines besseren Familienvans genügte also, um aus dem Eigner einen Millionär zu machen. Wen wundert’s da, dass die Kriegskassen der Anrainer gut gefüllt sind. Zugegeben, ein bisschen haben gar die Medien profitiert, denn die Erwähnung des Wortes „Griebnitzsee“ in und um Potsdam garantiert in letzter Zeit Leserinteresse, Klickraten und Einschaltquoten – sofern man es denn nicht zu plump versucht und unter der Überschrift „Hundebiss am Griebnitzsee“ eine Meldung verkauft, die von einem Berliner handelt, der „in Sichtweite der Potsdamer Stadtgrenze nahe des Griebnitzsees“ wohnt, wie es ein Mitbewerber dieser Tage tat. Rechnen wir nun noch den Umsatz mit Protestschildern und -plakaten hinzu sowie Sonderschichten in der Stadtverwaltung, bleibt eigentlich nur ein Fazit, das uns zugegebenermaßen aber etwas stockend über die Lippen rinnt: „Danke, liebe Sperrer. Ihr seid wirklich am Gemeinwohl in der Krise interessiert.“

Erschienen am 09.07.2009

Was bleibt: Danke, wir melden uns!

An den normalen bis schlechten Tagen – das Sommerloch sei hier nur als Stichwort eingeworfen – geben Pressetermine zurzeit nicht viel her. Fast scheint es, als drücke die feuchte Schwüle auch auf die Nachrichtenlage. Da buddeln dann Landtagspräsidenten auf Baustellenbesichtigungen lustlos eine noch kurz vor Eintreffen der Pressemeute verscharrte Weinkiste mit zwei Spatenstichen wieder aus, alles lächelt milde über diese irgendwie voll lustige Idee und über das Etikett, auf dem der Finanzminister „Tyrannenblut“ entziffert, und selbst die gründliche Verkostung desselben – des Tyrannenbluts, nicht des Ministers – bei 30Grad und 85 Prozent Luftfeuchte vermag den Vormittag nicht zu retten. Doch dann wiederum gibt es jene seltenen guten, nein: richtig guten Tage, an denen schon die Terminmappe selbst ein Ereignis ist. Da sorgt die Ankündigung, die neue Kulturbeigeordnete werde als eine ihrer ersten Amtshandlungen einer Premiere im T-Werk beiwohnen, dessen Titel nach Auffassung vieler eigentlich ins Antwortschreiben auf ihre Bewerbung gehört hätte, für ressort- und medienübergreifende Erheiterung: „Danke, wir melden uns …“ Jugendliche, so verrät der Begleittext, setzen sich in diesem Stück mit der Selbstvermarktung in der heutigen Gesellschaft auseinander. Absichtliche Selbstironie ist ja eine Tugend; wie zufällige Ironie, in erheiternde Termine gegossen, zu bewerten ist, steht noch dahin. Die Terminmappe interessiert das wenig. Sie lädt indes für Freitag zum Fußballturnier der Jugendsparte des Lionsclub, dem „Leo-Cup“. Der Finanzminister ist angekündigt, unter einer Eckfahne oder dem Mittelkreis dürfen also Weinflaschen vermutet werden, ebenso im Blut jenes Texters, der für das „Event“ das Motto „Rock den Rasen – o-Leo-le!“ ausrief. „Ojeoje“ läge phonetisch und inhaltlich näher, doch auch damit nicht genug des üblen Spiels, den Wahnsinn – das ist jetzt ein Zitat! – krönt die Kochschule „Rock the kitchen“, die am Freitag die Potsdamer zum Kochen bringen will – auch das ein Zitat. Zusammen mit „Ihnen als eine Einheit“ wollen dort Galaköche „ein Erlebnis schaffen“. „Bei (sic!) einer Mischung zwischen Wahnsinn, Perfektion und einer Prise rockigem Flair (sic!)“ dürfen Teilnehmer „ihren Sinnen freien Lauf lassen“. Da müssten sich also auch Kulturbeigeordnete und Finanzminister heimisch fühlen. Nachdem es sich um ein „Kick-Off-Event“ handelt, könnte eigentlich auch der o-Leo-le-Cup gleich in der Küche stattfinden. Warm und feucht und im Zweifel auch (be-)drückend ist es dort ja ohnehin, und eine Weinflasche unter den Fliesen zu verbergen, sollte die rockigen Organisatoren nun wirklich nicht überfordern.

Erschienen am 01.07.2009

Aktionsfreie Alkoholwoche

Jan Bosschaart über Worte, die kaschieren sollen und dabei viel mehr verraten

Es bedarf keiner fundierten psychoanalytischen Ausbildung, um zu wissen, dass Versprecher verräterisch sind. Das Enttarnungspotenzial des gemeinen Zungenausrutschers ist total: Einmal verquasselt, und der Sprecher steht quasi nackt vor dem Publikum. Herausreden verschlimmbessert nur. Bleiben zwei erprobte Gegenmittel: Gepflegte Selbstironie, kombiniert mit dem Eingeständnis des ohnehin offensichtlich Gewordenen, oder weiterreden als sei nichts geschehen. Letzteres empfiehlt sich vor allem Zeitgenossen, denen die Selbstironie als soziales Werkzeug nicht zur Verfügung steht. Doch vor dem Einsatz dieses nur zweitbesten Mittels ist peinlich genau zu prüfen, dass niemand im Raum sitzt, der genau hinhört. Das mag für die Teambesprechung oder das Business-Meeting gelten, ist aber bei Pressekonferenzen ein seltenes Phänomen. Und so fanden folgende goldene Sätze auf der Aktionswoche gegen Alkohol den Weg in Journalisten-Blöcke: „Herzlich Willkommen zur Aktionswoche ,Alkohol ohne Grenzen’“ (der wahre Titel lautete: ,Kenn Dein Limit’) und „Hiermit eröffne ich die aktionsfreie Alkoholwoche.“ Entzug kann so schmerzhaft sein!

Erschienen am 30.06.2009

Nachgetreten

Jan Bosschaart über selbstgerechte Anwälte und ein kleines Hoffnungslicht

Die Stadt hat mal wieder verloren, und der Uferweg für alle ist wieder ein Stück weiter in die Ferne gerückt. Nun lässt sich natürlich erneut der Konjunktiv als tröstender Freund anrufen: Wenn die Stadt gleich 1990 reagiert hätte; wenn sie früher einen Bebauungsplan verabschiedet hätte; wenn der späte Bebauungsplan zumindest rechtssicher gewesen wäre; wenn sie rechtzeitig Ufergrundstücke ge- und ein eigenes nicht verkauft hätte, ja dann flanierten noch heute die Potsdamer und ihre Gäste am Ufer entlang. Sicher sind Fehler gemacht worden, früher und heute, die Gerichte lassen daran keinen Zweifel. Die unsäglich arrogante, oberlehrerhafte und selbstgerechte Art, in der ein Anwalt gestern der Stadt die Leviten zu lesen glaubte, zeugt hingegen nicht nur von schlechtem Charakter und von billigem Nachtreten, sie ist eine pauschale Beleidigung für die ganze Stadt und alle, die ein Interesse am Uferweg haben. Und kein einziger der Kläger konnte behaupten, er habe nicht gewusst, dass dort ein Weg über sein Grundstück führt – sei er nun gewidmet oder nicht. Dem Richter immerhin ist zu danken, denn er hat der Stadt Mut gemacht: Wegen der großen geschichtlichen Bedeutung ist ein Uferweg noch nicht vom Tisch – wenn er denn endlich mal richtig angepackt würde.

Erschienen am 29.05.2009

„Keine netten Menschen“

Ausflug: Eine Art Katastrophentourismus: Grüne schippern am Griebnitzseeufer

POTSDAM | Jonathan ruft unverdrossen „Hallo!“, zu jedem Boot, das vorbeizieht – ganz gleich, ob jemand zurückruft. Diese bedingungslose Freundlichkeit haben nur Zweijährige. Sie wirkte anrührend und seltsam deplatziert auf jenem Floß, mit dem der Kreisverband der Grünen am Mittwochnachmittag jeden, der wollte, über den Griebnitzsee schipperte – um den Schaden am nur noch teilweise erkennbaren Uferweg sichtbar zu machen, damit die Potsdamer sich nicht an die Sperrung gewöhnen und „um Flagge zu zeigen“, wie Kreisvorsitzende Eva Benirschke erklärt. Dieses Flaggezeigen wird ein wenig dadurch erschwert, dass eine Grünen-Flagge, ökologisch korrekt mit Seil am Floß befestigt, gleich beim ersten Anlegeversuch in den Fluten des Sees versinkt. Irgendwer aus dem Floßinneren merkt an, dass das nicht geschehen wäre, wenn man statt eines Plastikstiels einen ökologisch wünschenswerten Holzstiel benutzt hätte: Dann wäre die Flagge geschwommen.

Es ist der zweite symbolische Kollateralschaden des politisch motivierten Ausflugs. Der erste tritt ein, als Seeanrainer und Stadtverordneter Wolfhard Kirsch (Bürgerbündnis) von seinem gesperrten Grundstück aus etwas zum Floß ruft. Man versteht sich nicht – akustisch wie inhaltlich – und so setzt sich Kirsch ans Steuer eines Motorbootes, umkreist das Floß und erklärt von Deck zu Deck, dass er einst kompromissbereit war und das auch dokumentieren könne. Es fallen einige weniger freundliche Sätze, dann gibt Kirsch Gas. Eine Verfolgung ist weder gewünscht noch angesichts von sechs PS aussichtsreich. Doch auf dem Floß bleibt der Nachgeschmack ob dieser Symbolik und trübt die Stimmung.

Sie wird nicht besser, als die Mitreisenden das ganze Ausmaß der Baumaßnahmen sehen: Die möglicherweise illegal auf den schmalen Pfaden angerollten 30-Tonner haben ganze Arbeit geleistet. Manche Grundstücke sehen aus, als habe es nie einen Weg gegeben, andere erinnern an Kraterlandschaften. Eine Frau fragt genau dahin, wo es den Grünen weh tut: Warum sie nicht Enteignungen fordern, wie es die Linke tut. Eva Benirschke schweigt eine Weile, dann sagt sie: „Wir können uns doch nicht den Linken anschließen.“ Außerdem widerstrebe es ihr, den Anrainern, „ auch noch Steuergelder in den Rachen zu werfen.“ Jonathan grüßt derweil mit seinem unverdrossenen „Hallo!“ jemanden auf einem Ufergrundstück. „Lass das!“, sagt seine Mutter und drückt das Ärmchen herunter, „das sind keine netten Menschen“. So geht es zwischen Dampferanlegestelle und Park Babelsberg hin und her – eine Form von ohnmächtigem Katastrophentourismus auf einem Holzfloß. Grüne und Sympathisanten bleiben dabei weitgehend unter sich, an Bord sind Sätze wie „Jetzt genieß doch mal die Fahrt, Malte, und ärger’ Dich nicht“ zu hören. Irgendwann schwappt eine Welle über den Bug und macht alle, die ganz vorn sitzen, patschnass. „Grüne gehen baden“, titelt ein Mitreisender. Ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Doch irgendwo auf dem schlammigen Grund des Griebnitzsees liegt eine Parteiflagge.

Erschienen am 22.05.2009

Hinreizend

Jan Bosschaart glossiert den fast schon poetisch geführten Kampf ums Haus des Reisens

Dass das Haus des Reisens in ein Haus des Abreißens gewandelt wird, ist nun gewiss. Dass es um den Abriss einen Aufriss gibt, war zu erwarten. Dass die mehrgeschossige Argumentation so durch die Decke geht, nimmt dann aber doch Wunder. Zu fast schon poetischen Ausführungen hat sich die „Andere“ in einer Erklärung hinreißen lassen: Um dem zu folgen und das Haus des Reisens als „Erholung fürs Auge“ und als „interessanten Ruhepunkt im Umfeld eintöniger Barockfassaden“ zu begreifen, müsste einem aber schon ein Abrissstein auf den Kopf fallen. Nimmt man diese Denkweise jedoch ernst, bietet sich optische Befriedung an vielerlei Stellen an. Das von postmoderner Grafitti-Hochkultur und Rost geprägte FHP-Gebäude wäre nach behutsamer Umbettung geeignet, das Auge von all dem eintönigen Barock in Sanssouci zu entlasten – und von den grauenhaften Sichtachsen. Das Belvedere verlöre viel von seiner anstrengenden Filigranität, nutzte man es als Randbebauung des umgelagerten, in seiner Klarheit innerlich reinigenden Mercure-Hotels weiter. Und Touristengruppen sollten nicht durchs kreuzlangweilige Holländische Viertel, sondern in den Schlaatz: Nur hier lässt sich der „Geist des Optimismus und der Zukunftsgewandtheit“, der die „Andere“ am Haus des Reisens reizt, ohne barocken Zierrat erleben.

Erschienen am 22.05.2009

Mustergültig in Musterhausen

Online: Linken-Fraktionschef Scharfenberg wird Opfer der Tücken des Internet-Wahlkampfes

Die Seite heißt „Scharfenberg für Potsdam“, doch für ein paar Tage drehte sich dort alles um Muster- hausen – offenbar eine Stadt mit ähnlichen Problemen.

Der Wahlkampf hat seine eigenen Gesetze. Journalisten können auf zunehmende Dünnhäutigkeit bei Politikern gegenüber Kritik und Pressefotografen auf großen Andrang vor der Linse bei Scheckübergaben und Kita-Grundsteinen bauen. Etwas später als die Allgemeinheit haben auch Landtagskandidaten den Charme des Internets entdeckt und stellen auf eigenen Webseiten, mit Facebook-Einträgen, Online-Videos, Blogs und SMS-Beschuss die Bits und Bytes in den Dienst des Wahlkampfs.
Mancher schießt dabei übers Ziel hinaus und biedert sich in einem Maße an, dass sich die junge Zielgruppe angewidert wegdreht; andere belassen es bei lustlosen Anmeldungen auf vermeintlich coolen Seiten, stellen ein Passfoto drauf und drei Passagen aus dem Wahlprogramm und behaupten auf Presseterminen, sie seien jetzt „online voll dabei“ – wohl hoffend, dass die Damen und Herren von den Medien von den Begriffen FaceBook, YouTube und Twitter so verwirrt sind, dass sie nicht nachschauen.
Doch der Online-Wahlkampf hat seine Tücken. Das musste Linken-Stadtfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg erfahren, der sich erneut um einen Landtags-Sitz bewirbt. Er ließ hastig eigene Seiten freischalten, als der Potsdamer SPD-Landtagskandidat Mike Schubert (SPD) jüngst mit seiner „M-Community“ online ging. Doch Scharfenbergs Seiten gehörten offenbar zu einem Mustersatz, den die Linke allen ihren Kandidaten zur Verfügung stellt. Daran ist nichts auszusetzen, schließlich sorgt es dafür, dass alle Seiten der Partei ähnlich aussehen und sich das Wahlvolk schnell zurechtfindet. Dumm nur, dass Scharfenbergs Mitarbeiter vergessen hatten, außer dem Namen ihres Kandidaten weitere Parameter zu ändern. Ein Wochenende lang ließ sich daher lesen, dass Scharfenberg vom „Linke-Verband Musterhausen“ für „ein weltoffenes Musterhausen“ eintritt. Schließlich nehme „Musterhausen als Stadt der Wissenschaft“ die Bürgerrechte ernst und trete daher für Zuwanderung ein. Auch, dass in Musterhausen 3000 Menschen arbeitslos sind und 5000 Menschen als arm gelten, lernte der interessierte Surfer – und erfuhr so nebenbei einiges über politisches Phrasendreschen, denn offenbar sind das Sätze, die fast überall gelten.
Wer den Kandidaten darauf ansprechen möchte, hat spätestens am 1.Dezember – ein paar Wochen nach der Wahl – dazu Gelegenheit: Dann weilt Scharfenberg nämlich laut Internet ab 23 Uhr im Hotel Mustermann zum 2.Musterhausener Parteitag.
Nach drei Tagen waren die Standard-Seiten verschwunden. Die Adresse verweist nun auf die – ganz klassische – Seite der Linksfraktion im Landtag. Und im Hintergrund wird in aller Ruhe an einer mustergültigen Version gefeilt, die dann sicher auch direkten Potsdam-Bezug hat.

Erschienen am 12.05.2009


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