Neonazi enttarnt sich

Eklat: Weil er sich nicht unter Kontrolle hat, wissen die Zossener nun, dass ein Holocaust-Leugner in ihrer Mitte lebt

ZOSSEN |  Seit drei Jahren lebte Rainer Link in Zossen (Teltow-Fläming) ein unauffälliges Leben. Er sanierte ein Haus in der Haupteinkaufsstraße und eröffnete dort sein „Medienkombin@t“, eine Mischung aus Internetcafé, Callshop, Kulturraum und „Gay-Bar“ (Schwulenkneipe).
Seine Maske fiel, als vergangene Woche rund 30 Einwohner sich daran machten, einen Beschluss der Stadtverordneten umzusetzen: Sie wollten sogenannte „Stolpersteine“, kleine Erinnerungstafeln an jüdische Einwohner, die von den Nazis deportiert wurden, in den Asphalt vor seinem Laden einbringen. Die Fläche ist „öffentlicher Straßenraum“. Doch Rainer Link wollte sich damit nicht abfinden. Hochroten Kopfes stürmte er aus dem Laden, stieß Umstehende aus dem Weg, schrie und entriss einem städtischen Angestellten die Kamera, wobei er ihn verletzte. Wie ein wildes Tier gebärdete sich der Mann, rief die Polizei, die ihm freilich nicht helfen mochte, und drohte, die Steine noch am selben Abend herauszureißen sowie die Verlegung per Gerichtsbeschluss verbieten lassen zu wollen.
Bei dieser Drohung ist es geblieben: Die Steine liegen noch im Pflaster, auch das Amtsgericht Zossen verzeichnete bislang keinen Einspruch, nur mit einem täglich neu über die Gedenktäfelchen platzierten Bierkasten, an dem ein Aufsteller lehnt, provoziert der Unternehmer die Stadt, die sich bislang nicht in der Lage sieht, ihr Recht durchzusetzen.
Doch der öffentliche Ausbruch warf Fragen auf, die schnell eine Antwort fanden: Nach MAZ-Recherchen ist Rainer Link ein mehrfach angeklagter Holocaust-Leugner aus dem Umfeld des berüchtigten Anwalts Horst Mahler. Link, der aus Berlin nach Zossen zog, weil seine zweifelhafte Prominenz es ihm nahezu unmöglich machte, noch eine Wohnung zu bekommen, war zeitweise Schatzmeister des inzwischen verbotenen „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“, dem neben Mahler auch weitere prominente Holocaust-Leugner wie Ernst Zündel, Robert Faurisson und Anneliese Remer angehörten. Fotos im Internet zeigen ihn mit anderen Neonazis beim „Aufstand der Wahrheit“ auf der Wartburg im Sommer 2003, wo Plakate wie „Den Holocaust gab es nicht“ in die Kamera gehalten werden. Auf die MAZ-Veröffentlichung hin schrieb Rainer Link einen Brief an Zossens Bürgermeisterin und beklagte sich über das geschäftsschädigende Gebaren der Stadt und darüber, „hinterrücks besteinigt“ worden zu sein. Er forderte die Entfernung der „Schuldkultsteine“. Eine öffentliche Reaktion der Stadt steht bislang aus.
Link ist neben Gerd Walther bereits der zweite prominente Neonazi in Zossen. Ins nähere Umland sind einige NPD-Leute aus der Hauptstadt gezogen, darunter auch Berlins NPD-Chef Jörg Hähnel. In und um Zossen mehren sich nun Stimmen, die einen Imageschaden für die Wachstumsregion befürchten.

Erschienen am 28.11.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Ein Neonazi wird weinerlich

Eklat: Zossener Stolpersteingegner ist gerichtsbekannter Holocaust-Leugner / Offener Brief an die Stadt

Was mag den Mann nur bewogen haben, gegen die Stolpersteine zu wüten? Das fragten sich viele Zossener am Donnerstag. Die Antwort ist so simpel wie erschreckend: Er ist ein bekannter Holocaust-Leugner.

ZOSSEN|  Natürlich ist es kein Versehen, dass der leere Bierkasten, der vor dem Zossener „Medienkombin@t“ auf dem Boden steht, die zwei Stolpersteine verdeckt. Es ist pure Absicht, eine Provokation. Rainer Link, der Inhaber dieses Internetcafés, hat sich für die kleine Lösung entschieden: Die Stolpersteine, die vor seinem Geschäft daran erinnern sollen, dass dort, in der Berliner Straße 11, einst Juden wohnten, wollte er zunächst „rausreißen“ und außerdem gerichtlich dagegen vorgehen. Das Rausreißen hat er sich dann wohl nicht getraut, und zumindest bis gestern lag auch am Amtsgericht noch keine Beschwerde des Gewerbetreibenden vor, der anlässlich der Verlegung der Steine am Donnerstag die Kontrolle verlor, Bürger beschimpfte und einem städtischen Mitarbeiter die Kamera entriss, wobei er ihn verletzte (MAZ berichtete). Dafür aber wurde inzwischen zur Gewissheit, was noch am Donnerstag nur vermutet werden konnte: Rainer Link ist ein bekennender Rechtsradikaler, der bereits mehrfach von Gerichten zu Geldstrafen verurteilt wurde, weil er aktiv die so genannte „Holocaust-Lüge“ vertritt, also öffentlich und vehement behauptet, es habe den Mord an sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten nie gegeben.
Link bewegt sich dabei im Dunstkreis des sehr prominent als Holocaust-Leugner hervortretenden Anwalts Horst Mahler und war zeitweise Schatzmeister des mittlerweile verbotenen „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten“, einem Zusammenschluss, dem neben Mahler so bekannte Holocaust-Leugner wie Ernst Zündel, Robert Faurisson und Anneliese Remer angehörten. Dass nun einem Fanatiker wie Rainer Link, der seit Jahren durch die Lande zieht, um zu behaupten, den Holocaust habe es nie gegeben, ausgerechnet zwei Gedenksteine für ermordete Juden vor die Ladentür gelegt werden, muss als Ironie des Schicksals gelten.
In Zossen wusste jedenfalls bis zum letzten Donnerstag niemand etwas von den Überzeugungen des Neubürgers, der vor drei Jahren aus Berlin in die Stadt zog, unter anderem, weil ihm in der Hauptstadt niemand mehr eine Wohnung vermieten wollte, wie Rechtsextremismus-Experte Maurice Reisinger berichtet, der seit Jahren die Gruppe der Holocaust-Leugner beobachtet und zu diesem Thema forscht. In Zossen erwarb Link das Geschäft in der Berliner Straße 11 in Unkenntnis dessen, dass dies früher ein jüdisches Wohnhaus war, und richtete im Untergeschoss sein Internetcafé ein. „Wenn ich gewusst hätte, dass in dem Haus jemals Juden gewohnt haben, hätte ich das Objekt nie gekauft“, klagt Link in einem offenen Brief an Zossens Bürgermeisterin Michaela Schreiber. Darin beschwert er sich nachdrücklich darüber, „hinterrücks besteinigt“ worden zu sein und über den „barschen Tonfall“ am Tag der Verlegung. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, war es doch Rainer Link selbst, der einen städtischen Angestellten verprügeln wollte und mehrere Umstehende schubste und anschrie. Dann schimpft er über den „Meinungsterrorismus“ beim Thema Juden, den „volksverhetzenden Artikel“ in der MAZ und klagt, er müsse nun um sein Geschäft und sogar sein Leben fürchten, ja er habe sogar Polizeischutz beantragt. Bislang sind allerdings nur unfreundlich dreinblickende junge Männer in Bomberjacken zu sehen, die hinter dem Schaufenster demonstrativ auf die Straße starren – unter anderem zum abgedeckten Stolperstein.
Aus seinen Überzeugungen macht Rainer Link in dem Brief keinen Hehl mehr, er erzählt von seinen Gerichtsverfahren wegen Volksverhetzung, klagt über „Gedenkknechtschaft“ und „Zwangsandenkenoktroy“, nennt die Stolpersteine „Schuldkultsteine“ und verlegt sich darüber hinaus auf eine Mischung aus Drohen („Ich werde Sie für alles haftbar machen“, „Ich investiere keinen Euro mehr“) und Weinerlichkeit („Zossen ist für mich zu einem Alptraum geworden“, „Ich schlafe in meinen Gewerberäumen, um präsent zu sein, sollte die verhetzte Meute meinen Laden überfallen“).
Die Kraft, zu provozieren ist Rainer Link aber erhalten geblieben. Schon seit Montag bedeckt der Bierkasten die Stolpersteine, daran hat der Unternehmer einen Aufsteller gelehnt. Zossens Ordnungsamtsleiter Hartwig Ahlgrimm versprach, noch am selben Tag Mitarbeiter vorbeizusenden, doch konnten sich diese entweder nicht durchsetzen, oder die Sturheit des Rainer Link war stärker: Am Abend bedeckte die Bierkiste die Steine nach wie vor. Auch am gestrigen Dienstag waren die Steine während der Öffnungszeiten des „Medienkombin@ts“ nicht zu besichtigen. Die Idee, den Kasten zur Seite zu schieben, dürfte den meisten Passanten angesichts der grimmig schauenden Herren hinter der Scheibe schnell vergangen sein. Bürgermeisterin Michaela Schreiber versprach gegenüber der MAZ aber, man werde sich schnell darum kümmern.
Das sollte durchaus im Interesse der Stadt sein. Neben Gerd Walther, einem anderen Mitstreiter Horst Mahlers, wohnt nun ein weiterer, bundesweit bekannter Holocaust-Leugner in der Stadt, und die Schlagzeilen verbreiten sich schnell. Bedenkt man, dass mit dem Berliner NPD-Vorsitzenden Jörg Hähnel in Kummersdorf-Alexanderdorf und dem NPD-Granden Matthias Ridderskamp in Blankenfelde bereits vier Neonazi-Größen den Weg aus Berlin in den Altkreis Zossen gefunden haben, sind Sorgen um den Ruf der gesamten Region angebracht.

Erschienen am 26.11.2008

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Fehlender Aufschrei

Jan Bosschaart über einen neuen Zossener, der der Stadt nicht zur Ehre gereicht.

Wäre das Thema nicht so ernst, man müsste in schallendes Gelächter ausbrechen: Da kämpft ein Verblendeter jahrelang gegen das, was er die „Auschwitz-Lüge“ nennt und muss sich dafür vor Gerichten verantworten. Dann verlässt er Berlin, wo er verbrannte Erde hinterließ, und lässt sich – als Holocaust-Leugner unerkannt – in Zossen nieder. Es muss ihm wie eine unglaubliche Provokation vorgekommen sein, zu erfahren, dass die Stadt vor seinem Haus, das auch noch ehemals Juden gehörte, der von den Nazis deportierten Bewohner gedenken will. Fast nimmt es nicht mehr Wunder, dass der Mann anlässlich der Steinverlegung ausrastet. Was er nicht bedachte, ist, dass sein Ausbruch Fragen aufwarf. Ganz Zossen weiß nun, dass ein bundesweit bekannter Neonazi in der Stadt lebt und arbeitet. Seinem Geschäft dürfte das nachhaltig schaden, doch leider nicht nur seinem. Was daher fehlt, ist eine eindeutige Reaktion der Stadt und ihrer Bewohner: Die Provokation der verdeckten Steine sollte die Verwaltung nicht länger hinnehmen, auch einen Aufschrei der Bürger hat bislang niemand vernommen. Falls Zossen diese Haltung beibehält, könnte das zum Stolperstein für die Wachstumsregion werden. Und das wäre dann gar nicht mehr lustig.

Erschienen am 26.11.2008

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Rangelei wegen eines Gedenksteins

Eklat: Zossener Ladeninhaber verlor die Kontrolle, weil vor seinem Geschäft ermordeter Juden gedacht wird

Was als Zeremonie zur Erinnerung an jüdisches Leben in Zossen geplant war, wurde von einem brüllenden, prügelnden Internet-Café-Betreiber überschattet.

ZOSSEN| Es begann ganz harmlos: 15 Leute hatten sich gegen Mittag vor dem Rathaus versammelt, um unter der Leitung von Kurt Liebau Orte jüdischen Lebens in Zossen aufzusuchen. Es regnete, es stürmte, es war kalt, aber es war eben auch „ein wichtiger Tag für Zossen“, wie Liebau betonte. Ehrenamtlich verfolgt der studierte Indienwissenschaftler seit Jahren die Spuren jüdischer Bewohner der Stadt und ihrer Ortsteile. Für den Nachmittag war die Verlegung der ersten sechs Stolpersteine geplant. Unter diesem Namen setzt der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 15 Jahren an den ehemaligen Wohnstätten von Juden, die von den Nationalsozialisten vertrieben, ermordet oder in den Tod getrieben wurden, Steine ins Pflaster. Sie sind zehn mal zehn Zentimeter groß und tragen auf einer Messingplatte Namen und Lebensdaten der Opfer. Rund 17000 Steine in mehr als 350 Städten und Gemeinden hat Demnig bisher verlegt.
Die ersten vier dieser Steine zum „darüber Stolpern“ kamen gestern vor dem Buchladen auf dem Marktplatz, Hausnummer 16, in die Erde. Dort lebte seit 1924 die vierköpfige Familie Falk in der oberen Etage. Sie wurde in Auschwitz ausgelöscht. Zwei weitere Steine sollten danach vor dem Haus Berliner Straße 11 eingelassen werden, wo Martha und Lesser Weinberg ein Textilgeschäft unterhielten. Sie wurden nach Theresienstadt deportiert. Doch schon auf dem Marktplatz machte das Gerücht die Runde, der dortige Ladenbesitzer wolle die Steine verhindern. Einer kurzen Beratung von Organisatoren, Stadtverwaltung und Polizei zufolge musste man sich keine Sorgen machen: Der Weg befindet sich im öffentlichen Straßenraum, und die Steinlegung ist durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung eindeutig legitimiert.
Die inzwischen auf rund 20 Personen gewachsene Gruppe wanderte also guten Mutes in die Berliner Straße, aber dort eskalierte es: Aus dem Internetcafé „Medienkombin@t“ stürmte ein Mann, der sich als „Eigentümer Herr Link“ vorstellte und das Setzen des Steines verbot. Auf die freundliche Mitteilung hin, dass er das nicht könne, weil es sich um städtischen Raum handle, rief er die Polizei – die war ohnehin schon im Anmarsch. Als dann die Spaten angesetzt wurden, stürmte der Ladeninhaber brüllend heraus, stieß wahllos umstehende Zuschauer um und verwickelte einen Mitarbeiter der Stadt in eine Rangelei. Der blutete am Ende. Die Polizei versuchte sich in Deeskalation und riet dem Ladenbesitzer, gegen den Beschluss der Stadt vorm Amtsgericht zu klagen. Die Chancen auf Erfolg dürften verschwindend gering sein. Indes wurden die Steine ins Pflaster gelassen. Seine Drohung, sie „wieder rauszureißen“, sollte der Geschäftsmann besser nicht wahr machen: Ihm drohen ohnehin schon Anzeigen wegen versuchter Körperverletzung. Gegenüber der MAZ und der „gesamten Scheißpresse“ wollte er sich zu den Gründen für seinen Unmut nicht äußern. Lediglich, dass die Steine „geschäftsschädigend“ seien, brüllte er mehrfach mit hochrotem Kopf.

Erschienen am 21.11.2008

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Gestolpert

Jan Bosschaart über einen Unternehmer, der sich selbst demontiert

Was da gestern Nachmittag in Zossens Berliner Straße zu beobachten war, war nicht weniger als die öffentliche Selbstdemontage eines Gewerbetreibenden und Bürgers. Denn es gibt kein vernünftiges Argument gegen die Stolpersteine – es sei denn, man ist Antisemit, Holocaust-Leugner oder sonstwie rechtsextremen Überzeugungen anhängig. Ob das auf den Unternehmer zutrifft, steht dahin. Den Verdacht hat er jedenfalls erfolgreich geweckt. Geschäftsschädigend sind nicht die Steine, sondern das Gebaren des Mannes, der sich nicht zu schade war, eine von der absoluten Mehrheit der Zossener Stadtverordneten und der Bevölkerung getragene Aktion nach Kräften zu sabotieren, und der, da er keine Argumente zu nennen wusste, in hilfloser Wut zum Schubsen, Zerren, Brüllen und zum Entreißen von Kameras griff. Auf offener Straße, wohlgemerkt, unter den Augen von Passanten und Kunden. Gebracht hat ihm das außer einer Anzeige und einer eklatanten Rufschädigung nichts: Die Steine ruhen wie geplant im Pflaster. Der „Medienkombin@t“-Betreiber aber ist darüber gestolpert. Das ist nicht ohne Ironie: Eigentlich dienen die Stolpersteine dazu, Antisemitismus vorzubeugen. Dass sie ihn zuweilen aus dem Dunklen ans Licht zerren, ist ein eher unerwarteter Effekt.

Erschienen am 21.11.2008

Kallinchens radelndes Uhrwerk

Menschen: Leser loben zuverlässige MAZ-Zustellerin

KALLINCHEN| „Eigentlich“, sagt Hannelore Siecke, „bin ich ja Langschläferin“. Das ist schwer vorstellbar, denn sechsmal pro Woche klingt ihr Wecker um 3.45Uhr – eine Uhrzeit, die viele Menschen bestenfalls mal an Silvester mit eigenen Augen auf dem Display sehen. Doch sie hat sich halt dran gewöhnt, die 62-Jährige aus Kallinchen.
Um 4.30Uhr kommen die Zeitungen an. Dann holt Hannelore Siecke ihr Fahrrad aus dem Schuppen. Wenn es nach Regen aussieht, packt sie die druckfrischen Blätter in Plastiktüten. „Ich mag das nicht, wenn die Zeitung nass auf dem Frühstückstisch liegt“, sagt sie. Dann geht es zuerst die Hauptstraße runter, in die Töpchiner Straße, die Burgstraße, die Straße zur Försterei, schließlich die andere Hälfte der Hauptstraße entlang, in die Seestraße und die Nebenwege. Etwa 70 Mal steigt Hannelore Siecke ab und wirft die MAZ ein, manchmal auch mit MazMail geschickte Post. Das macht sie mit der Präzision eines Uhrwerks. Nicht wenige Kallinchener stellen morgens ihre Uhr nach Hannelore Siecke. „Wenn ich mal krank werde, kommen alle zu spät zur Arbeit“, scherzt die Zustellerin. Das muss niemand fürchten: Nur einmal in zwölf Jahren fiel sie aus, und natürlich stand eine Vertretung bereit. Urlaub braucht Hannelore Siecke auch nicht, jedenfalls nicht fern der Heimat. „Kallinchen ist so schön, wir haben Seen, Wald und Hügel, warum sollte ich da weg?“ fragt sie, und ihr Blick verrät, dass das nicht ironisch zu verstehen ist.
Wenn es ausnahmsweise doch mal nicht ganz auf die Minute läuft, sind die Umstände schuld: Bei Eisglätte kommt der Fahrer oft später, und einmal entleerte der Dorn einer Akazie das Vorderrad ihres Drahtesels. Da ging Hannelore Siecke eben zu Fuß, ein Bekannter nahm sich derweil des platten Reifens an. Soviel Engagement wissen die Leser in Kallinchen zu würdigen: Nicht nur, dass sie ihre Zustellerin bei der MAZ lobten, bei nasskaltem Wetter bietet auch mal jemand einen Kaffee und im Sommer ein Glas Mineralwasser an.
Wo bei diesem Arbeitseifer eigentlich der Spaß bleibt? „Den habe ich“, sagt Hannelore Siecke – weil sie gern unterwegs ist, gern Menschen trifft und gern in der Natur ist. Nur einen Luxus gönnt sie sich ab und an: Wenn „In aller Freundschaft“ über die Mattscheibe flimmert, bleibt sie bis 22 Uhr statt bis 20.15Uhr auf. Dann ist sie morgens zwar müde, aber sie steht keine Sekunde später auf. Langschläfer hin oder her.

Erschienen am 19.11.2008

Mehr Integration, weniger Medienkonsum

Jugendkriminalität: Experten, Helfer und Betroffene suchten nach Antworten

Wie lässt es sich verhindern, dass in Frankreich die Vorstädte brennen und in der Münchner U-Bahn Jugendliche einen Mann fast zu Tode prügeln? Die Stiftung Genshagen lud deutsche und französische Experten zur Debatte ins Schloss.

GENSHAGEN| Die Idee zur Debatte ist schon drei Jahre alt: Als in Frankreich Ende 2005 die Banlieues brannten, reifte in der Stiftung Genshagen der Gedanke heran, ein Austausch über Jugendgewalt könnte für Franzosen wie Deutsche gewinnbringend sein. Angezündet wurden die Vorstädte damals von wütenden Jugendlichen – meist mit Migrationshintergrund -, die ihren Gefühlen von Chancenlosigkeit und Ausgrenzung mit Streichholz und Baseballschläger Ausdruck verliehen. Der Plan der Stiftung, die sich der deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa verschrieben hat, erwies sich nahezu als prophetisch. Nicht zuletzt wegen der Münchner U-Bahn-Schläger und weil Jugendkriminalität in Hessen zum Wahlkampfthema wurde, erreichte die Debatte auch Deutschland. Die Ausrichtung der Tagung in Genshagen indes scheiterte zunächst an Förderhürden, wie Noémie Kaufman, Projektleiterin der Stiftung, bedauerte. Doch das Warten lohnte: Am Wochenende trafen sich 75 Wissenschaftler, Sozialarbeiter, Polizisten, Staatsanwälte, Lehrer und Integrationsbeauftragte, um sich über den Umgang mit Jugendkriminalität auszutauschen. Das Publikumsinteresse war groß, auch hochkarätige Referenten sagten gern zu. Darunter Jean-Yves Camus, Frankreichs bekanntester Experte für Rechtsextremismus und Christian Pfeiffer, ehemaliger niedersächsischer Innenminister und heute Professor und Direktor eines kriminologischen Forschungsinstituts.
Große Namen sichern breite Aufmerksamkeit, bergen aber auch Gefahren, wie sich am Freitagabend zeigte. Christian Pfeiffer, der sich etwas verspätete, platzte in eine bereits laufende, aber recht unemotional plätschernde Debatte: Man war sich in vielem einig. Der streitbare Pfeiffer hingegen riss sofort die Aufmerksamkeit an sich. Er sagte zwar nichts, was er nicht auch sonst bereitwillig in Kameras und Journalistenblöcke diktiert, aber er sagte es mit einer Schärfe und Gewissheit, als gäbe es keine offenen Fragen mehr: dass Migrantenkinder, speziell türkische, deutlich häufiger zu Gewalt neigen; dass sie meist weniger gebildet, aber nicht dümmer sind, sondern nachweislich nur nicht gefördert und integriert wurden; dass Misshandlung und übermäßiger Medienkosum bei Kindern kriminelle Karrieren deutlich befördern; dass Computerspiele von großem Übel und die Hauptschule wie die Pest zu meiden sei; dass in Niedersachsen alles besser und in Berlin alles ganz besonders schlimm sei. Doch er wusste auch Rat: Nicht auf die Politik hoffen, den Medienkonsum reduzieren, bürgerschaftliches Engagement wagen, Integration fördern, dann klappt’s auch mit den Gewalttätern. Ein Integrationsbeauftragter im Publikum wagte den Einwand, dass ihm diese Sicht zu einseitig und „verkrampft optimistisch“ erscheine und wurde von Pfeiffer harsch abgekanzelt. Der ebenfalls anwesende Direktor der Berliner Rütli-Schule – mittlerweile eine Vorzeigeeinrichtung – sah zwischendurch aus, als wolle er platzen, bemeisterte sich aber und betonte am Ende nur sarkastisch, es sei doch schade, dass der Herr Pfeiffer so dringend zum Flugzeug musste und nicht zur Diskussion bleiben konnte. Schwerer wog, dass der französische Soziologe Marwan Mohammed und Safter Cinar vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg kaum zu Wort kamen. Sie saßen zwar auch auf dem Podium, ihre leiseren und differenzierteren Beiträge wurden aber durch die schiere Präsenz Pfeiffers fast erdrückt.
Es standen noch weitere Debatten auf dem Programm: über wirksame Mittel gegen Gewalt an der Schule; über die Frage, ob Prävention oder Strafe die geeignetere Antwort auf Jugendkriminalität sind und wie man rechtsextremen Jugendlichen wirkungsvoll begegnet. Alles Fragen, zu denen auch Professor Pfeiffer sicher eine wortreiche Antwort gehabt hätte. Aber der war ja schon weg.

Erschienen am 12.11.2008

Frische Romantik für Hafnarfjord

Jede Taste, selbst die kleinste Luftklappe für das größte aller Instrumente werden in der Sieversdorfer Werkstatt per Hand gefertigt: Orgelbauer Christian Scheffler ist weltweit gefragt.

Im Grunde ist Christian Scheffler päpstlicher als der Papst. Denn Wilhelm Sauer, der geniale Orgelbauer, dessen Lebenswerk Scheffler und seine 16 Mitarbeiter noch heute ernährt, würde wohl längst mit modernen computergesteuerten Fräsen die Teile seiner Orgeln fertigen lassen. Doch das ist etwas, vor dem Scheffler zurückschreckt. Er schüttelt sich schon demonstrativ, wenn er es nur erwähnt. Und er tut gut daran: Christian Schefflers Orgelbaubetrieb im beschaulichen Sieversdorf (Märkisch-Oderland) ist weltweit gefragt, wenn es um die Restaurierung berühmter romantischer Orgeln geht – vorrangig solcher aus Sauerscher Produktion, aber nicht nur. Einer von vielen Gründen dafür dürfte sein, dass in Schefflers Werkstatt noch alles von Hand gefertigt wird: jede Taste, jedes Register, jede kleinste Luftklappe für das größte aller Instrumente.

Die Qualität aus der Mark hat sich mittlerweile herumgesprochen in den Zirkeln der Kirchenmusik: Mit den Orgeln im Bremer Dom, im Dom zu Tallinn (Estland), in der Leipziger Thomaskirche, der Pfarrkirche im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) sowie im norwegischen Trondheim hat Christian Scheffler nahezu alle großen Sauerorgeln Europas restauriert. Lediglich die allergrößte im Berliner Dom fehlt in der Sammlung des umtriebigen Sieversdorfer Orgelbauers. Die Herausforderungen gehen Scheffler deshalb aber nicht aus. Die jüngste ist der komplette Neubau einer 1400 Pfeifen umfassenden Sauerorgel. Eine Stilkopie, nach Sauers Plänen, Sauers Prinzipien und Sauers Materialvorgaben; eine Orgel für Hafnarfjord. Hafnar-fjord in Island, 20 Kilometer vor den Toren Reykjaviks.
Die Anfrage erreichte Sieversdorf auf verschlungenen Pfaden. Der Leipziger Orgel-Professor Stefan Engels erhielt einen Anruf von einem ehemaligen Schüler, der in den USA bei ihm studiert hatte. Der Schüler war mittlerweile wieder in seine isländische Heimat zurückgegangen und hatte als frisch eingestellter Kantor nun den Auftrag für eine romantische Orgel im historischen Stil zu vergeben. Stefan Engels verwies ihn nach Sieversdorf, denn viele „seiner“ Leipziger Orgeln künden mit jedem Ton vom Geschick Christian Schefflers, der im Sauerschen Betrieb das Handwerk lernte.
Scheffler, der schon einiges von der Welt gesehen hat, musste nach dem Anruf des jungen Isländers erstmal den Atlas aus dem Regal fischen. Als er ihn wieder zuklappte, wusste er, dass Hafnarfjord an der Westküste der Insel direkt am Atlantik liegt, 25000 Einwohner hat und offenbar nicht zu den ärmsten Gemeinden gehört. Solch einen Neubau zu finanzieren, sagt er, davon könnten die meisten Brandenburger Gemeinden nur träumen. Zumal sich die isländische Kirchgemeinde zeitgleich bei einer Leipziger Firma auch noch eine große Barockorgel bauen lässt.
Dass es herzliche, überaus musikbegeisterte und mit Vorfreude auf das Instrument geradezu übervolle Menschen sind, lernte Christian Scheffler im April dieses Jahres vor Ort in Island. Für ein solides Angebot, dass die Größe der Kirche, deren klangliche Eigenheiten ebenso einbezieht wie die Wünsche des Organisten ist ein Vor-Ort-Termin unerlässlich, sagt er. Schnell war man sich handelseinig, und schon auf dem Rückflug erteilte Christian Scheffler erste Bauanweisungen an seine Mitarbeiter. Der Zeitplan nämlich ist eng: Spätestens zum zweiten Advent soll die Orgel das erste Mal erklingen.
So wurde den Sommer über emsig gewerkelt in Sieversdorf: Statt baden zu gehen und Luftmatratzen aufzublasen galt es, Holzpfeifen zu schreinern, Klaviaturen zusammenzusetzen, Metallpfeifen zu intonieren und Luftklappen zu leimen. Dann verluden die Orgelbauer alle Teile in große Kisten, die wiederum in einen Container gehievt wurden und auf dem Atlantik ihrem Bestimmungsort entgegenschwammen. Ende September legte das Schiff dort an. Christian Scheffler und drei Mitarbeiter nahmen die Fracht in Empfang und begannen, alles zu einem Ganzen zusammenzusetzen – zum ersten Mal. Für den kompletten Aufbau in der Orgelwerkstatt fehlten der Platz und die Zeit. „Für Überraschung ist also noch genug Raum“, sagt Scheffler trocken. Erfahrung und Vertrauen in die Qualität seiner Arbeit machen ihn zuversichtlich genug für solche Scherze, bei denen seine Mitarbeiter gern etwas zusammenzucken.

Was unterscheidet eine romantische Orgel von den meist barocken, die jedem sofort in den Sinn kommen? Der Märker, sagt Scheffler, kennt ja vorrangig jene mit romantischem Anteil: Zwei Drittel aller Instrumente in Brandenburg sind nämlich nach 1870 entstanden oder umgebaut worden und haben die damals übliche romantische Prägung in die Pfeifen gelegt bekommen.
In fast jeder Epoche bildet die Orgel – von der Spielweise ein Tasteninstrument, von der Klangerzeugung ein Blasinstrument – das zu ihrer Zeit typische Instrumentarium nach: Im Barock waren es Flöten, Gamben und Principale, und so heißen dann auch die Pfeifen der Barockorgel; in der Renaissance entlockte der Organist seinem Instrument Schalmeien-, Dudelsack- und Trompetenklänge. In der Romantik waren vor allem Klänge gefragt, die dem ähneln, was Menschen singen können.
So hat jede Orgel auch die Musikentwicklung ihrer Epoche geprägt: Die französische Romantik, aber auch Max Reger und Franz Liszt wären ohne romantische Orgeln nicht denkbar, sagt Scheffler. Zwar klinge auch Bach darauf wundervoll, doch warne er vor dem Umkehrschluss: Der Versuch, Liszt auf einer Barockorgel zu spielen, sei meist zum Scheitern verurteilt.
Und: Romantische Orgeln haben ihre Tücken. Selbst auf guten gibt es unter den tausenden von möglichen Klängen fünf oder sechs, die der Spieler vermeiden sollte. „Ich kenne allerdings hoch gelobte Organisten, die finden auf so einer Orgel mitten im Konzert zwölf neue, unmögliche Töne“, erzählt Christian Scheffler und wirft die Stirn in Falten, als fahre ihm gerade ein solcher Ton ins Ohr. „Das ist dann nicht eben erhebend“, stöhnt er, als litte er Schmerzen.
Trotz aller Routine und obwohl Scheffler vom Umfang schon weitaus größere Aufträge bewältigte, hat ihn diesmal ein besonderes Fieber gepackt: „Ein reiner Neubau, also alles aus einem Guss zu erschaffen, das hat schon ein spezielles Flair.“ Historische Orgeln sind gereift, in Würde gealtert – „patiniert“ nennt Scheffler das –, sie haben sich abgeschliffen. Den Obertönen fehlt das unangenehm Metallische, das gealterte Holz lässt die tiefen Register wärmer klingen und auch das Raumklima und die Spielweise des Organisten haben sich ins Instrument gegraben. Die Herausforderung für den Orgelbauer als Restaurator besteht dann darin, dafür zu sorgen, dass ausgetauschte Register, Laden und Pfeifen nicht klingen wie ein Saxofon im Barockorchester: schreiend deplatziert.
Ein komplett neues Instrument erfordert solche Anpassungen nicht: Scheffler kann sich ganz auf den bestmöglichen Klang konzentrieren. Zu erleben, wie das Orgel-Neugeborene im Laufe seines Lebens einen Charakter entwickelt, kann eine unübertreffliche Freude sein, sagt er.
Vielleicht sind es jene Freuden, die Scheffler davon abhalten, moderne Orgeln zu bauen. Die können, das räumt er ein, vieles, was auf Sauer-Orgeln noch undenkbar ist, doch er baut lieber mit der Technologie und im selben Stil wie vor 100 Jahren und dem Anspruch, den damaligen Zeitgeschmack zu treffen. Mag sein, dass der alte Sauer mit dem Kopf schüttelte, wenn er das sähe: Der Meister blieb für Neues offen, rüstete noch in reifen Jahren von mechanischen Kegelladen zu pneumatischer Steuerung um und fertigte als echtes Kind der Industrialisierung Orgeln in Serie. Christian Scheffler würde ihm entgegnen, die technische Konstruktion seiner – Sauers – Orgeln, deren Steuerung, diese Klangidee zwischen Orgelklang und Hochromantik, das alles sei so modern und in sich so genial – „der Rolls-Royce unter den Orgeln dieser Zeit“ – dass er keinen Grund erkennen könne, auch nur den kleinsten Filz zu ändern. Da ist er, wie gesagt, päpstlicher als der Papst.

Erschienen am 25.10.2008

Schimpffreudig

Jan Bosschaart über einen besonderen Volkssport im Herbst

Alle Jahre wieder kommt – der Herbst. Die Bäume entblättern sich, und mehr als nur eine Hand voll flotte Feger sind vonnöten, um den ehemals grünen, die nun gelbe, rote oder braune sind, zu zeigen, was eine Harke ist. Darauf könnte eine Ordnungsbehörde wohl vorbereitet sein. Dass die Bäume abschütteln, was sie noch vor kurzem kleidete, erfolgt mit so schöner Regelmäßigkeit, dass selbst der skeptischste Ordnungsamtsleiter durchaus nicht fehl darin geht, dem Phänomen den Charakter eines Naturgesetzes zuzubilligen. Glaubt man nun aber Volkes Stimme – und beim gemeinsamen Rechen vor der Haustür trägt Volkes Stimme weit in der klaren Herbstluft – so belegt schon jede Zusammenrottung von mehr als drei Blättern auf dem Asphalt mal wieder die völlige Unfähigkeit der Kommune, für Ordnung zu sorgen. Ja, da macht er sich gern Luft, der Bürger; der Begriff Herbststurm kommt nicht von ungefähr. Der Vorwurf indes geht fehl: Allerorten wird in den Bauhöfen zusammengetrommelt, wer nicht bei drei auf den kahlen Bäumen ist, und zum Dienst an der Harke verpflichtet. Dass selbst der emsigste Kommunalbedienstete nicht mit dem Laubsack unter jeder Linde stehen und herabsegelnde Blätter vor dem Auftreffen auf dem Asphalt abfangen kann, sollte da selbst dem schimpffreudigsten Bürger einleuchten.

Erschienen am 25.10.2008

Sie will die Eine werden

Wettbewerb: Nach dem Sieg in Rangsdorf will ein Nachwuchsmodel den Bundestitel

Paula Gegg hat den Modelwettbewerb im Einkaufscenter gewonnen – heute Abend könnte sie den Sprung ins Modelgeschäft schaffen.

RANGSDORF| Sie mag es gern natürlich, hat noch nie ihre Haare gefärbt und geht im Alltag sogar ungeschminkt aus dem Haus: Paula Gegg wirft einige wohlgehütete Vorurteile über Models und Mädchen, die es werden wollen, über den Haufen. Erstaunte Nachfragen dazu lächelt sie einfach weg. Das ist eine durchaus erfolgreiche Methode, wenn man erst 20 Jahre alt ist, 1,73 Meter groß und durch ein sehr ebenmäßiges Gesicht auffällt: Ob unangenehme Fragen, lastende Stille oder kleine Malheurs – Weglächeln funktioniert.
Ihre Qualitäten konnte Paula zum ersten Mal im Rangsdorfer Südringcenter vor einer größeren Öffentlichkeit unter Beweis stellen: Sie gewann mit deutlichem Abstand den Regionalausscheid des Nachwuchs-Modelwettbewerbs „Die Eine“, den der Handelskonzern Metro in seinen Häusern veranstaltet. Das brachte ihr nicht nur diverse Einkaufsgutscheine, sondern gilt zugleich als Ticket zum Bundesfinale an diesem Wochenende in Bremen, auf dem Paula gegen 23 Konkurrentinnen in den Disziplinen Abendkleid, Bademode und Kurzinterview antritt. Wer hier gewinnt, bekommt einen Modelvertrag.
Das würde ihr durchaus gefallen: Mit Schönheit hat sich die gebürtige Berlinerin schon seit frühester Kindheit befasst, nahm seit ihrem vierten Lebensjahr Ballettunterricht und begann nach der Schule eine Ausbildung zur Kosmetikerin. Als Foto- und Laufstegmodel um die Welt zu reisen, käme ihr sehr entgegen, sagt sie. Selbst wenn es nichts wird mit dem Titel, will sie als Kosmetikerin in den USA ihr Glück versuchen.
Dass sie mit 20 Jahren fast schon ein wenig spät dran ist für die Modelbranche, ist Paula bewusst. Es ist auch ein wenig der Überbehütung geschuldet: Als einziges Kind ihrer Eltern war die hübsche, sportliche Paula schon früh der Star der Familie – ein stolzer Papa, der als Bootshändler die schöne Tochter auch auf Messen in seinen Booten zeigte und eine Mutter, die Tausende Fotos von ihrer Tochter machte und sie auch zur Teilnahme am Wettbewerb ermunterte, gaben ihr das nötige Selbstvertrauen: Paula muss ihre Unsicherheiten nicht unter zentimeterdicken Schichten Schminke vergraben, sie greift im Notfall auf ihr Lächeln zurück.
Sieht man davon ab, dass die 20-Jährige dank dieser festen Familienbindung zuweilen noch ein wenig unselbstständig und nicht eben initiativ wirkt – „Ich bin halt ein kleiner Spätschalter“, sagt sie selbst – erweckt sie einen angenehm natürlichen und jugendlichen Eindruck. Sie sei keine „Partymaus“, betont Paula und ihre grünen Augen halten einen Moment inne, um zu betonen, dass das jetzt ein Satz war, der ihr sehr wichtig ist. Das Zusammensein mit ihren Freundinnen, das Durchhecheln aktueller Modetrends oder ein gemütlicher Videoabend seien ihr wichtiger. Auch mit der Partnersuche habe sie keine Eile, fügt sie hinzu, um ihren unaufgeregten Lebenswandel zu unterstreichen – vielleicht liege das ja an der katholischen Schule und der eher konservativen Erziehung, die sie genossen habe, sagt sie kokettierend. Bodenständigkeit, Natürlichkeit, Unaufgeregtsein – das ist das Bild, das die 20-Jährige von sich vermittelt. Wenn die Jury in Bremen heute Abend genau solch einen Typ sucht, hat Paula den Vertrag so gut wie in der Tasche. Wenn nicht, hat sie ein dichtes soziales Netz, das sie auffängt.

Erschienen am 18.10.2008


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