Diskriminiert im Parkhaus

Da wird nun im Alltag alles auf Gedeih und Verderb „durchgegendert”, auf dass die Gleichstellung von Frau und Mann auch in der Sprache vollzogen sei, da wird — deshalb „Verderb” — jedwede Sprachlogik und -schönheit missachtet. Von „Studierenden” und „Arbeitenden” wird gefaselt, obwohl doch Studenten und Arbeiter gemeint sind, denn „studierend” ist nur, wer gerade in Hörsaal oder Bibliothek sitzt, Student hingegen jeder an einer Uni eingeschriebene und „arbeitend” nur, wer gerade jetzt arbeitet, sobald er aber Feierabend hat, wird aus dem Arbeitenden ein Arbeiter. Da müssen wir das Binnen-I erleiden, das spätestens beim Aussprechen plötzlich die Männer diskriminiert („MitarbeiterInnen”) und der Verweis darauf, dass es im Deutschen nicht ohne Grund ein geschlechtsneutrales Maskulinum gibt, das Mann getrost verwenden kann, verhallt ungehört. Da passiert all das, und dann findet sich plötzlich im Parkhaus der Bahnhofspassagen das Schild „Frauenstellplatz” — fünf Zentimeter über der Mülltonne angebracht. Wären die Gleichstellungsbeauftragten dieses Planeten nicht mit der Verhunzung der Sprache ausgelastet, hier böte sich ihnen mal ein echtes Betätigungsfeld.

Allein auf verlorenem Lustposten

Wer nichts hat, der ist in der Regel neidisch auf die, die was haben. Das ist menschlich, aber auch tragisch: Kaum ist der soziale Abstieg da, schießt sich der Abgestiegene mit dieser wenig sympathischen Regung noch weiter ins Aus. Nun ist das keine neue Erkenntnis, doch sie wurde von der FDP — die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern, das ist eine Partei, die früher in vielen Landtagen und sogar im Bundestag vertreten war — in dieser Woche mustergültig durchexerziert hat.

Fast wäre uns deren Mail durchgerutscht, da niemand mehr etwas mit dem Kürzel FDP anfangen konnte, aber ein Redaktions-Urgestein erinnerte sich dann dunkel, also schauten wir hinein — und lernten. Als erstes lernten wir, dass der Oberbürgermeister demnächst eine Lustreise macht. Doch, wirklich, das steht da so. Und zwar nach Sansibar. Dass er dahinfliegt, wussten wir längst, dass es eine Lustreise ist, nicht. Wir kannten als Lustreise-Destinationen bislang nur Thailand und einige Gegenden in Lateinamerika, in denen Menschen in übel beleumdeten Gegenden ihr Geschlecht gegen Bares feilbieten. Aber gut, wir sind ja Journalisten geworden, weil man in dem Job täglich dazulernt.

Dann lernten wir, dass diese Reise unglaublich teuer sein muss. Die FDP verweist nämlich darauf, dass die Lustreise angesichts der Bettensteuer, des fehlenden Geldes für Kitas und Verkehr, „unvertretbar” ist. Nun tritt der Oberbürgermeister ja nicht dahin, sondern er fliegt, und wenn es denn wirklich eine Lustreise ist, so dürfte sie dem Verkehr ja durchaus förderlich sein (Fremdenverkehr, Luftverkehr), aber sei dem, wie ihm wolle, wenn ein Verzicht auf die Reise wirklich die Bettensteuer überflüssig macht und dafür sorgt, dass die Kitas, die ja allein mithilfe von Lust am Verkehr gefüllt werden, besser finanziert werden können, sind wir auch entschieden gegen die Reise. Lust hin oder her. Wie sie mit 11 400 Euro Kitas, Verkehr und Betten finanzieren will, sagt die FDP indes leider nicht. Auch finden wir es ungewöhnlich, dass man Lustreise mit der Ehefrau antritt, aber da sind sie halt liberal, die Liberalen.

Besonders peinlich sei, dass die Reise mit dem Ziel einer Klimapartnerschaft begründet würde, fährt die FDP fort. Wer das Klima schützen wolle, dürfe nicht um die halbe Welt fliegen. Wir haben dieses Argument mal kurz zu Ende gedacht und sind drauf gekommen, dass es dann auch keine Klimakonferenzen mehr gäbe, denn es ist eher unwahrscheinlich, dass über 200 Staats-Chefs zu den jeweiligen UN-Gipfeln geradelt kommen. Auch meinen wir uns zu erinnern, dass die FDP einst, als sie noch mitregierte, 50 Klimapartnerschaften mit südlichen Staaten forderte. Heute indes fordert sie von der Stadt, den „ökologischen Fußabdruck” zu berechnen, den der Oberbürgermeister auf seiner Reise hinterlässt. Wie man einen Fußabdruck bei etwas hinterlassen soll, das „unvertretbar” ist — und zu dem man fliegt, nicht läuft —, das haben wir zwar auch nicht verstanden, aber das hat sicher wieder was mit Verkehr zu tun.

Auffallend bleibt in jedem Fall, dass von 56 Stadtverordneten nur der eine FDP-Abgeordnete etwas gegen die Reise zu haben scheint. Alle anderen, selbst die Opposition, selbst jene in der Opposition, die alles, was vom Oberbürgermeister kommt, schon deshalb ablehnen, weil es vom Oberbürgermeister kommt, selbst wenn sie es kurz zuvor noch selbst vorgeschlagen haben — alle 55 anderen also, sie haben Lust auf die Partnerschaft in Sachen Klima und Verkehr.

Einfach mal Mut zum Weglassen fassen

Manchmal sind es ja die kleinen Meldungen, die die großen Trends enthalten. So war dieser Zeitung in dieser Woche zu entnehmen, dass es in Nuthetal einen Informationsabend für Eltern gibt. Dort erfahren sie, was sie „einfach mal weglassen sollten, um weniger schwierig zu sein”. Wir finden: Das ist eine interessante Frage, die sich nicht nur Eltern stellen sollten. Man kann so vieles weglassen und wird dann gleich viel angenehmer für seine Zeitgenossen. Und für sich selbst.

Den besten Beweis lieferte noch am selben Tag der Polizeibericht: Demzufolge wollte ein 30-Jähriger in Potsdam einen sehr handfesten Streit schlichten und bekam beim Versuch ordentlich eine — sehen Sie uns die grobe Formulierung nach, es ist dies ein Fakt — aufs Maul. Hätte er diese völlig überflüssige Bemühung doch einfach mal weggelassen, die Streitenden hätten ihn als deutlich weniger schwierig empfunden. Und der Schlichter müsste jetzt nicht morgens seine Zähne nachzählen.

Gerüchten zufolge wollte die Stadtverwaltung in dieser Woche gegen einen Zaun rund um einen Park vorgehen, der dort eine Baustelle schützt. Das entsprechende, geharnischte Schreiben an den prominenten Bauherren wurde aber noch rechtzeitig kassiert, als sich die Presse zu interessieren begann. Schließlich saniert der Mann auf eigene Kosten ein Stück Weltkulturerbe, was die Schlösserstiftung mit eigenen Mitteln nicht gekonnt hätte. Gerade gegenüber prominenten Einwohnern möchte die Stadt sehr gern weniger schwierig sein, denn andernfalls werden die sehr schnell weniger großzügig. Da ist das wohlgezielte Weglassen von bösen Briefen ein probates Mittel.

Einfach mal weglassen könnten auch diverse Interessengruppen diverse Studien, die objektiv erhobene Daten so präsentieren, dass sie ins Kalkül des Auftraggebers passen. Die Immobilienfinanzierungstochter der Postbank etwa hat die Preise und die zu erwartende Wertsteigerung von Eigentumswohnungen in ganz Deutschland vermessen lassen. Aus diesen Daten hat sie dann geschickt zweierlei abgeleitet: In Regionen, wo Wohnungen billig sind — und daher auch bis 2025 nicht an Wert gewinnen oder sogar verlieren werden, empfiehlt sie dringend den Kauf, denn hier könnten selbst Geringverdiener die Finanzierung (bei wem wohl?) leichterhand stemmen. In Regionen, wo Wohnungen indes sehr teuer sind — Potsdam hat es hier im gesamten Osten mal wieder auf einen beklemmend schönen zweiten Platz gebracht —, empfiehlt sie dringend den Kauf, denn hier ist die Wertsteigerung so hoch, dass sich auch eine etwas aufwendigere Finanzierung (beim wem nur?) rechnet. Und in Gegenden, wo die Wohnungen mittelteuer sind und einen „ausgewogenen Chancen-Risiken-Mix” bieten, da empfiehlt sie überraschend — den Kauf! Denn hier stehen Finanzierungsaufwand (beim wem denn nur?) und Wertzuwachs in einem sehr gesunden Verhältnis. Blöd für die Postbank ist nunr, dass Journalisten Pressemitteilungen nicht einfach aus der E-Mail in den Artikel kopieren, sondern so umschreiben, dass der Leser das einordnen kann. Wenn man die Journalisten einfach wegließe, wäre Pressearbeit vermutlich auch weniger schwierig. Sorry, Jungs!

Glauben wir noch einmal dem Polizeibericht, dann können manche auch einfach mal etwas weglassen, wenn es schwierig wird. Das ist eine Spielart des selben Prinzips für Fortgeschrittene. Genauer gesagt: Für Fortgelaufene. Als nämlich am Mittwoch ein Rollstuhlfahrer bei roter Ampel die Straße in der Innenstadt überquerte und mit einer notbremsenden Tram zusammenstieß, ließ er das Gefährt einfach zurück und flüchtete zu Fuß. Ob es sich jetzt um Fahrer- oder Läuferflucht handelt, diese Information lässt die Polizei leider weg. Vermutlich, weil es zu schwierig zu ermitteln ist.

Wunder moderner Kommunikation

Da ruft mich kürzlich jemand an, mir eine Telefonnummer durchzugeben. Er erwischt mich im Auto, weshalb der Anruf über Bordlautsprecher und -mikro abgewickelt wird, denn das Handy hat sich brav drahtlos mit dem Autoradio verbunden. Ich habe weder eine Hand frei noch einen Kuli in Griffnähe und bitte daher darum, die Telefonnummer per SMS zu senden. Das gehe nicht, sagt der Anrufer, denn er rufe aus dem Festnetz an. Dann möge er die Nummer doch nach dem Gespräch per Handy senden, schlage ich vor. Der Anrufer muss auch hier passen: Da, wo er gerade sei, habe er kein Netz. Deshalb rufe er ja im Übrigen vom Festnetz aus an. Kurze Ratlosigkeit auf beiden Seiten, die sich in meiner Frage löst, ob er mir eine E-Mail mit der Nummer senden könne — oder gebe es dort auch kein Internet? Doch, Internet gebe es. Hörbare Erleichterung. Wir haben eine Lösung. Die Mail kommt dann auch. Allerdings erst am nächsten Tag und: leer. Schon will ich resigniert zurückrufen — per Festnetz, versteht sich, mit gezücktem Kuli — da entdecke ich, dass die Mail einen Anhang im Gepäck führt — ein Bild. Ich öffne es und sehe: die gewünschte Nummer, eingescannt von einem handgeschriebenen Zettel. Lang lebe die Technik!

Praktizierende Jungfrauen

Delegiertes Saufen: Dass Chefs gern unangenehme Aufgaben delegieren ist ebenso menschlich wie bei Angestellten unwillkommen. Einen Bruch dieser Regel leistete sich gestern der Geschäftsführer einer Baufirma bei einem Richtfest: Statt den Richtspruch dem Polier zu überlassen, wie es guter Brauch und Sitte, drängte es den Chef selbst aufs Gerüst. Das dabei zum Wohle des Bauherrn, der Bauleute, des Architekten, der künftigen Bewohner, Gottes und noch weiterer unmittelbar Beteiligter zu leerende Glas, welches am Ende rituell zerschmettert wird, denn Scherben bringen auch auf dem Bau Glück (jedenfalls bevor der Glaser da war), überließ er hingegen einem Angestellten, der auf Befehl fünfmal kräftig schlucken musste. Der Maurer dürfte schon härtere Aufträge gehabt haben, es sei denn, im Glas war nicht der angekündigte „edle Rebensaft”, sondern irgendwas aus dem Tetrapack vom gegenüberliegenden Aldi à la „Rüdesheimer Nierentritt”. Der Mann stand für Auskünfte darob leider nicht zur Verfügung.

Erzwungene Publizität: In einer Glosse vereiert werden ja nur die wenigsten gern, und manches böse Wort ward schon gegen Glossenautoren gerichtet. Es gibt aber auch von dieser Regel eine Ausnahme: die Wahlkampfzeit. Da ist manchem selbst eine Erwähnung in Hohn und Spott noch lieber als gar keine. Dennoch muss es als — wenn auch charmante — Beleidigung der journalistischen Würde, die bekanntlich viel auf ihre Unabhängigkeit hält, gelten, wenn Menschen Fehlleistungen produzieren und sich danach dezent an den Journalisten heranwanzen, um lächelnd zu erwähnen, dass das doch jetzt ein ganz tolles Futter für eine Glosse hergäbe. Deshalb nochmal in aller Deutlichkeit: Nein, es genügt nicht, sein Portemonnaie bei einer Abendveranstaltung am Thresen zu vergessen und sich dann mit Namen ausrufen zu lassen, um hier aufzutauchen. Auch Verwechslungen von Namen, wie erheiternd sie für alle Umstehenden auch sein mögen, qualifizieren nicht. Tut uns ganz doll leid. Echt. Dickes Indianerehrenwort.

Praktizierende Jungfrauen: Der Puff im Plattenbau, über den wir berichteten, zerrt sehr an den Nerven der Nachbarn. Die Lust der Anderen ist der Frust der Einsamen. Sie erhofften sich von der Veröffentlichung Druck auf den Betreiber, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Stattdessen scheint ein unbeabsichtigter Werbeeffekt noch mehr — natürlich nur vor Neugier! — Lüsterne in die Platte zu treiben. Die Damen dort versicherten gerüchtehalber mit künstlichem Augenaufschlag, sie seien samt und sonders Jungfrauen. Vom Sternzeichen. Da stehen dann bald viele laute Geburtstagspartys an.

Das unterschätzte Wartezimmer

Wartezimmer gehören zweifelsohne zu den am meisten unterschätzten Orten dieses Universums. Der gewöhnliche Patient hält den Aufenthalt dort für vergeudete Zeit. Das ist ein grober Irrtum. Erstens ermöglicht so ein Wartezimmer dem hypochondrisch begabten Patienten, sämtliche möglichen Diagnosen für seinen — sagen wir: juckenden Zeh — im Kopfe schon einmal durchzuspielen und sich schließlich für die Schlimmstversion zu rüsten: Dass der Arzt ihn ernst anschaut und ihm eröffnet, wie lange er noch zu leben habe. Andere begnügen sich mit dem Studium der Zeitschriften, was in der Regel auch neue Einblicke gewährt, denn da liegen Titel, die man zuhause nicht hält: Klatschfreunde müssen plötzlich zum „Spiegel” oder zur „Zeit” greifen, und politisch Interessierte erfahren gegen ihren Willen, was frau diesen Sommer so an den Füßen trägt und welches Adelspaar wie viele Nachfolger aus welcher außerehelichen Beziehung erwarten darf. Die richtig hohe Kunst verlangt indes etwas Beobachtungsgabe, doch wer hinreichend oft zum Arzt muss, bildet die ganz schnell en passant aus. Dann werden sogar Paardynamiken im Nu transparent. Etwa gestern, als Sie erst einen Fachartikel las, um dann Ihm zu sagen: „Siehste, hier steht, Alkohol ist nicht nur schlecht für die Gesundheit, er macht auch gleichgültig.” Worauf er trocken replizierte: „Mir doch egal.”

Aufgestautes & Angestautes

Für gewöhnlich beginnt diese Kolumne für den hochbegeisterten und hochmotivierten, weil zwangsverpflichteten Autor mit der Frage, ob es denn in der sich dem Ende neigenden Woche ein Thema gegeben habe, das dieselbe bestimmte. Notfalls zählen dazu auch Themen, die man ein wenig vergewaltigen muss, um sie als Klammer zu benutzen. Das ist in gewöhnlichen Wochen oft recht schwer und in den zwei großen Löchern des journalistischen Jahreslaufs — dem Sommerloch, wo alle Politik ruht und dem Neujahrsloch, wo alle vollgefuttert und ermattet unterm längst nadelnden Weihnachtsbaum liegen — nahezu unmöglich. Nun haben wir ja gerade eines dieser Löcher, doch selten bis nie war es allem Vorgenannten zum Trotz einfacher als in dieser Woche, ein alles umgreifendes Thema zu finden. Es hat nur vier Buchstaben und lautet: Stau.

Erster Dank gilt daher der Stadt, die es gut mit der Presse meinte und Zeitungsspalten und Sendeminuten mit dem unglaublich genialen Einfall füllte, zehn Baustellen gleichzeitig zu beginnen. Das ist in den Ferien zwar so ungewöhnlich nicht, doch in Potsdam scheiden sich die Könner von den Dilettanten, die etwa in Berlin zu Werke gehen, und zwar dadurch, dass sie die Baustellen so verteilen, dass auch jede mögliche Ausweichroute zugebaut wird. Die zwangsläufig einsetzende kollektive Empörung traf die Stadt vollkommen unvorbereitet. Ganz im Ernst: Konnte ja keiner ahnen. Schließlich wähnte das Verkehrsamt alle Potsdamer im Urlaub, und Touristen beamen sich bekanntlich in die Stadt oder kommen mit dem Rad oder auf der Schiene.

So war es dann auch völlig plausibel, dass es aus dem Rathaus hieß, just an dem Montag, an dem die Baustellen begannen, habe es plötzlich deutlich mehr Verkehr gegeben als in den Ferienwochen davor. So ist er halt, der fiese Potsdamer, besonders der aus dem Norden: Das ganze Jahr fährt er Rad und Bahn, aber sobald die Sommerbaustellen beginnen, zeigt er dem Baubeigeordneten, was eine Harke ist, holt das eingestaubte Auto aus der Garage und reiht sich ein, zu schwitzen und zu fluchen.

Tragischerweise kam dann hinzu, dass die Stadt schriftlich eine Umfahrung über, wir zitieren wörtlich: „Golm/Grube/Bornim” empfahl, was die dortigen Ortsvorsteher nur in überschaubarem Maße begeisterte. Als sich diese dann bei der Stadt beschwerten, hieß es, die böse Presse habe sich das ganz allein ausgedacht. Wir lernen: Wenn die Stadt mal Mist baut, was verzeihlich ist, will sie dafür ungern geradestehen. Da kommen die Medien mit ihrem schändlichen Ruf gerade recht.

Ergießt sich auch noch ein Sommergewitter über die Wartenden, zeitigt das hübsche Nebeneffekte wie ein heillos verstopftes Leipziger Dreieck, auf dem der neue Superblitzer (löst bei hoher Geschwindigkeit oder Rotlicht aus) mit dem Gewitter um die Wette blitzt. Die Stadt, schon dünnhäutig geworden, lässt mit etwas Verzögerung dann aber zumindest mitteilen, dass die Bußgeldbescheide für Rotlicht nicht verschickt werden, sondern nur jene für Geschwindigkeitsüberschreitungen. Wir fragen uns indes besorgt: Wie überschreitet man im Stau die Geschwindigkeit?

Richtig aufgestaut hat sich in dieser Stadt auch der Frust über die alles spaltende Frage nach Abrissen von DDR-Architektur und dem Wiederaufbau von Barockem, aber in der DDR Gesprengtem. Nachzulesen diese Woche hundertfach am Beispiel des Entscheids über die Garnisonkirche. Der Aufschrei danach war riesig. Wie groß er wohl ausgefallen sein würde, wenn alle zu Wort gekommen wären, die stattdessen irgendwo zwischen „Golm/Grube/Bornim” und der Innenstadt im Stau steckten, darüber könnten wir indes nur spekulieren. Aber das heben wir uns für ein anderes Themenloch auf. Man soll ja sein Pulver nie ganz verschießen.

Aufgestautes & Angestautes

Für gewöhnlich beginnt diese Kolumne für den hochbegeisterten und hochmotivierten, weil zwangsverpflichteten Autor mit der Frage, ob es denn in der sich dem Ende neigenden Woche ein Thema gegeben habe, das dieselbe bestimmte. Notfalls zählen dazu auch Themen, die man ein wenig vergewaltigen muss, um sie als Klammer zu benutzen. Das ist in gewöhnlichen Wochen oft recht schwer und in den zwei großen Löchern des journalistischen Jahreslaufs — dem Sommerloch, wo alle Politik ruht und dem Neujahrsloch, wo alle vollgefuttert und ermattet unterm längst nadelnden Weihnachtsbaum liegen — nahezu unmöglich. Nun haben wir ja gerade eines dieser Löcher, doch selten bis nie war es allem Vorgenannten zum Trotz einfacher als in dieser Woche, ein alles umgreifendes Thema zu finden. Es hat nur vier Buchstaben und lautet: Stau.

Erster Dank gilt daher der Stadt, die es gut mit der Presse meinte und Zeitungsspalten und Sendeminuten mit dem unglaublich genialen Einfall füllte, zehn Baustellen gleichzeitig zu beginnen. Das ist in den Ferien zwar so ungewöhnlich nicht, doch in Potsdam scheiden sich die Könner von den Dilettanten, die etwa in Berlin zu Werke gehen, und zwar dadurch, dass sie die Baustellen so verteilen, dass auch jede mögliche Ausweichroute zugebaut wird. Die zwangsläufig einsetzende kollektive Empörung traf die Stadt vollkommen unvorbereitet. Ganz im Ernst: Konnte ja keiner ahnen. Schließlich wähnte das Verkehrsamt alle Potsdamer im Urlaub, und Touristen beamen sich bekanntlich in die Stadt oder kommen mit dem Rad oder auf der Schiene.

So war es dann auch völlig plausibel, dass es aus dem Rathaus hieß, just an dem Montag, an dem die Baustellen begannen, habe es plötzlich deutlich mehr Verkehr gegeben als in den Ferienwochen davor. So ist er halt, der fiese Potsdamer, besonders der aus dem Norden: Das ganze Jahr fährt er Rad und Bahn, aber sobald die Sommerbaustellen beginnen, zeigt er dem Baubeigeordneten, was eine Harke ist, holt das eingestaubte Auto aus der Garage und reiht sich ein, zu schwitzen und zu fluchen.

Tragischerweise kam dann hinzu, dass die Stadt schriftlich eine Umfahrung über, wir zitieren wörtlich: „Golm/Grube/Bornim” empfahl, was die dortigen Ortsvorsteher nur in überschaubarem Maße begeisterte. Als sich diese dann bei der Stadt beschwerten, hieß es, die böse Presse habe sich das ganz allein ausgedacht. Wir lernen: Wenn die Stadt mal Mist baut, was verzeihlich ist, will sie dafür ungern geradestehen. Da kommen die Medien mit ihrem schändlichen Ruf gerade recht.

Ergießt sich auch noch ein Sommergewitter über die Wartenden, zeitigt das hübsche Nebeneffekte wie ein heillos verstopftes Leipziger Dreieck, auf dem der neue Superblitzer (löst bei hoher Geschwindigkeit oder Rotlicht aus) mit dem Gewitter um die Wette blitzt. Die Stadt, schon dünnhäutig geworden, lässt mit etwas Verzögerung dann aber zumindest mitteilen, dass die Bußgeldbescheide für Rotlicht nicht verschickt werden, sondern nur jene für Geschwindigkeitsüberschreitungen. Wir fragen uns indes besorgt: Wie überschreitet man im Stau die Geschwindigkeit?

Richtig aufgestaut hat sich in dieser Stadt auch der Frust über die alles spaltende Frage nach Abrissen von DDR-Architektur und dem Wiederaufbau von Barockem, aber in der DDR Gesprengtem. Nachzulesen diese Woche hundertfach am Beispiel des Entscheids über die Garnisonkirche. Der Aufschrei danach war riesig. Wie groß er wohl ausgefallen sein würde, wenn alle zu Wort gekommen wären, die stattdessen irgendwo zwischen „Golm/Grube/Bornim” und der Innenstadt im Stau steckten, darüber könnten wir indes nur spekulieren. Aber das heben wir uns für ein anderes Themenloch auf. Man soll ja sein Pulver nie ganz verschießen.

Tricks, Finten und eine ehrliche Linke

Die Entscheidung der Stadtverordneten zum Garnisonkirchen-Bürgerbegehren wirft viele Fragen auf — hier einige Antworten

Bürgerbegehren, Bürgerentscheid, Stadtverordnetenbeschluss — ich sehe nicht mehr durch. Was hat das zu bedeuten?

Die Initiative gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche hat ein Bürgerbegehren angestrengt, in dem sie Unterschriften gesammelt hat. Sobald eine gesetzlich geregelte Zahl von Potsdamern unterschrieben hatte — zehn Prozent oder knapp 14 000 Einwohner —, musste sich die Stadtverordnetenversammlung mit dem Thema befassen. Das hat sie am Mittwoch getan. Ihr blieben genau zwei Optionen: Sie konnte das Bürgerbegehren annehmen — was sie getan hat, und damit ist der Bürgerwille politisch umgesetzt —, oder sie konnte es ablehnen. Dann wäre es zu einem Bürgerentscheid gekommen: Alle wahlberechtigten Potsdamer wären an die Urnen gerufen worden, um ihre Meinung zum Wiederaufbau der Garnisonkirche kund zu tun.

Die Rathauskooperation aus SPD, CDU, Grünen, Potsdamer Demokraten und Freien Wählern unter Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) ist doch für den Wiederaufbau. Warum hat sie dann mit ihrer Stimmenthaltung dem Bürgerbegehren der Wiederaufbaugegner den Weg frei gemacht?

Wäre es zum Bürgerentscheid gekommen und hätten alle Potsdamer abgestimmt, wären die Befürworter des Wiederaufbaus — also auch die Rathauskooperation — ein hohes Risiko eingegangen. Im Falle einer Mehrheit gegen die Kirche hätte die Stiftung, die das Projekt vorantreibt, ein großes Problem: Ihr Anliegen würde von den Bürgern der Stadt nicht mitgetragen. Das würde nicht nur einen Ansehensverlust bedeuten, sondern auch Spender vergraulen.

Das ist doch unlogisch. Durch die Annahme des Bürgerbegehrens wurden doch schon Tatsachen gegen den Bau geschaffen. Ein Bürgerentscheid indes hätte ja auch pro Wiederaufbau ausgehen können.

Das hätte er, aber er wäre, siehe oben, zu riskant. Durch die Annahme wurde dem Bürgerbegehren der Wind aus den Segeln genommen. Zum einen kann Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) beruhigt dem Auftrag folgen und im Kuratorium der Stiftung den Antrag auf Auflösung der Stiftung stellen. Da die Stadt dort nur eine Stimme hat, besteht keine Gefahr für die Fortexistenz der Stiftung. Jakobs ist zwar erklärter Befürworter des Wiederaufbaus, kann sich dann aber auf die Entscheidung im Stadtparlament berufen. Er müsste also quasi gegen die eigene Überzeugung, aber mit dem Mehrheitswillen im Rücken einen Antrag stellen, von dem er sicher sein kann, dass er in dem elfköpfigen Gremium abgelehnt wird. Für die Auflösung der Stiftung bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Mit der einen Stimme von der Stadt wäre nichts erreicht.

Demnach war es pure Taktik, dass die Rathauskooperation das Bürgerbegehren durchgewinkt hat?

Das darf man getrost unterstellen. Streng genommen hat sie es aber mit ihrer Stimmenthaltung sehr clever angestellt. Eine Zustimmung zum Bürgerbegehren wäre zwar taktisch klug gewesen, aber politisch peinlich, denn offiziell steht die Rathauskooperation ja zum Wiederaufbau. Die taktische Finte wäre dann sehr offensichtlich gewesen. So aber enthielten sich SPD, CDU, Grüne und Potsdamer Demokraten mit dem Hinweis darauf, dass es rechtliche Bedenken gibt, ob der Oberbürgermeister den Beschluss überhaupt umsetzen kann.

Wie ist nun aber das Stimmverhalten der Linken und der Fraktion Die Andere zu bewerten?

Ironischerweise waren es ausgerechnet die acht Stimmen der Linken, die den Bürgerentscheid verhindert haben. Die Linken wollten offenbar nicht taktieren und positionierten sich — wie zuvor schon oft — gegen den Wiederaufbau. Damit haben sie am Ende den Bürgerentscheid verhindert. Die Andere indes stimmte taktisch ab und votierte gegen ihr eigenes Bürgerbegehren, um einen Bürgerentscheid zu erzwingen. Sie hofften darauf, dass eine Mehrzahl der Potsdamer an den Wahlurnen im September gegen die Kirche gestimmt hätte und die Stiftung dann in arge Not geraten wäre.

Was wäre denn passiert, wenn die Linken auch taktisch wie Die Andere gegen das Bürgerbegehren gestimmt hätten?

Dann wäre es tatsächlich zum Bürgerentscheid gekommen. Die gesamte Sondersitzung der Stadtverordneten war deshalb aufgrund der Gemengelage ziemlich bizarr: Um die Kirche zu verhindern, musste man gegen das Ziel des Bürgerbegehrens stimmen, wie es Die Andere tat, in der Hoffnung auf den Bürgerentscheid. Um den Wiederaufbau zu befördern, musste man indes für das Ziel des Bürgerbegehrens votieren — oder sich enthalten —, weil damit der Entscheid obsolet wurde und Jann Jakobs die Stiftung ohnehin nicht auflösen kann. Zumal Verwaltungsrechtler noch prüfen, ob dieser Beschluss überhaupt umsetzbar ist und Jakobs den ihm ungelegenen, aber wirkungslosen Antrag überhaupt stellen muss.

Das heißt, es war eine Menge Taktik und Trickserei im Spiel?

Ja, aber auf allen Seiten. Auch die Initiatoren des Bürgerbegehrens stimmten ja taktisch gegen ihr eigenes Papier, um den Bürgerentscheid zu ermöglichen. Die Kooperation enthielt sich, obwohl sie das Papier eigentlich hätte ablehnen müssen, was sie inhaltlich auch nach wie vor tut. Nur die Linke stimmte so, wie sie immer argumentiert hatte, nämlich gegen den Wiederaufbau. Ironischerweise könnte sie ihn damit aber erst ermöglicht haben.

Hatten die Linken das nicht verstanden?

Das ist höchst unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass ihnen Offenheit wichtiger war als Taktik und sie überzeugt sind, dass die Kirche aus anderen Gründen — etwa fehlenden Spendern — ohnehin nicht kommt.

Das klingt, als hatte das Bürgerbegehren von vorherein keine Chance.

Streng genommen ist das auch so. Die Unterschriftensammlung hat ein wichtiges Signal ausgesandt, nämlich das, dass es sehr viele Potsdamer gibt, die gegen den Wiederaufbau sind — diesen psychologischen Effekt und dieses öffentliche Signal darf man nicht unterschätzen. Politisch und rechtlich war es aber von Beginn an fragwürdig. Die Stadt hat der Stiftung das Grundstück für die Kirche nicht freiwillig überlassen, sondern weil sie vertraglich dazu verpflichtet war — das hätte auch kein Bürgerentscheid zurückdrehen können. Und ebenso wenig kann eine Entscheidung des Stadtparlaments Einfluss auf eine politisch unabhängige Stiftung nehmen. Das Bürgerbegehren der Wiederaufbaugegner stand also von Beginn an auf sehr wackligen Füßen. Streng genommen hätten die Unterschriftensammler jedem Unterzeichner fairerweise erklären müssen, dass es mehr um ein öffentliches Signal gehe als um ein rechtlich wirksames Mittel zur Verhinderung des Wiederaufbaus.

Mit dem Hintern zur Wand

Dass wir uns für eine gute Zeitung den Hintern aufreißen, steht außer Frage. Bisher galt das aber als Synonym für „alles geben”. Gestern nun galt es wörtlich, und es war ein klein wenig peinlich: Mit einem unangenehmen „Krzzzzt” kündete die Jeans des Autors von ihrem vorzeitigen Ableben — genau an jener Hosenstelle, wo Journalisten im ständigen Wechsel zwischen Vor-Ort-Recherche und Schreiben am PC dieselbe am stärksten belasten: über dem Gesäß. Ein unfreiwilliger Gang in die Stadt zwecks Ersatzbeschaffung war die Folge, um nicht Opfer innerredaktionellen Gespötts zu werden. Nun ließe sich das als statistische Wahrscheinlichkeit abtun — wer die meiste Zeit des Tages auf der Arbeit verbringt, dem reißt auch dort die Hose — doch handelte es sich bereits um den zweiten Vorfall dieser Art. Der erste war schlimmer. Damals erscholl das „Krzzzt” auf einem piekfeinen Termin mit lauter Anzugträgern. Einzig der Umstand, dass es Winter war, rettete vor größerer Peinlichkeit, denn nach dem Aufstehen galt es nur, bis zur Garderobe zu gelangen, wo der kaschierende Mantel hing. Dass die Strecke mit dem Hintern zur Wand überwunden werden musste, ließ sich seelisch aber schwer verwinden. Mit dem Rücken zur Wand, das ist nun wirklich nicht unsere Haltung.


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