Freibier statt Wegzugsprämien

Aschermittwoch: Linkspartei und SPD dienen der CDU als Zielscheiben / Hilke und Pflüger geben sich angriffslustig

Rund 900 Gäste kamen zum politischen Kehraus der CDU nach Doberlug-Kirchhain. Es war der erste mit Ulrich Junghanns als Hauptredner.

DOBERLUG-KIRCHHAIN Der Mann von der CDU-Ortsgruppe Elsterland nimmt gleich drei Freibier, denn er will auf Nummer sicher gehen, was einen unterhaltsamen Abend angeht: „Beim Schönbohm“, sagt er entschuldigend, „war’s immer amüsant. Der Uli ist zwar ein guter Mann, aber kein Gute-Laune-Drops.“ Dass viele Parteimitglieder diese Auffassung über ihren Vorsitzenden Ulrich Junghanns teilen, muss bezweifelt werden: Von Beginn an ist die Stadthalle in Doberlug-Kirchhain (Elbe–Elster) gut gefüllt. Mit 500 Gästen hat die CDU gerechnet, fast 900 sind gekommen. Vielleicht ist es Neugier darauf, wie sich Junghanns bei seinem Aschermittwochs-Debüt schlägt, vielleicht ist die Lust auf zünftige Generalabrechnung bei Bier, Brezeln und Blasmusik auch nach einer Zwangspause im Vorjahr gewachsen: Infolge der E-Mail-Affäre fiel der Politische Aschermittwoch der märkischen CDU 2007 aus.
Zunächst stürmt Generalsekretär Rolf Hilke für ein zehnminütiges Grußwort auf die Bühne – und sichert sich sogleich Aufmerksamkeit: „Die SPD plant eine Einöde im Süden Brandenburgs, sie will ihn verwildern lassen“, ruft er. „Doch bei der CDU gibt’s keine Wegzugsprämie, sondern Freibier fürs Kommen.“ Hoppla, da reiben sich einige im Saal die Augen. Das geht ja munter los. Und Hilke legt nach: „Die Linke im Land schnürt munter Wünsch-Dir-was-Pakete, und die SPD rennt blind hinterher. Doch egal, wie schnell sie läuft, die Linke ist immer schon da.“ Da hat Hilke einen Rat für den Koalitionspartner: „Wer sich parfümiert neben einen Misthaufen stellt, lässt den nicht besser riechen. Er fängt nur selbst an zu stinken!“ So geht es weiter. Applaus im Saal, Erstaunen, Begeisterung. „Das waren die längsten zehn Minuten des heutigen Abends“, sagt der Moderator, denn Hilke hat sich 20 Minuten lang in Form geredet. Was der Moderator nicht wissen kann: Unterhaltsamer wird es nicht mehr.
Ulrich Junghanns gibt sich aber redlich Mühe. Der Satz „Es gibt viele Themen, die man ansprechen müsste“, gehört dennoch nicht zu den eindrucksvollsten Eröffnungen. Dann ist er erstmal bei der Lage in Hessen, bevor er zur märkischen SPD kommt: Ihr hält Junghanns vor, derzeit Eintrittskarten für die nächste Regierungskoalition zu verteilen: „Mindestens der Mindestlohn ist offenbar gefordert“, ruft er und warnt vor Rot-Rot in der Mark. Zur Situation in seiner Partei sagt Junghanns, „in der Brandenburger CDU unter Prinz Ulrich kann man sich wohlfühlen“. Falls das Ironie war angesichts des Machtkampfes mit Ex-Generalsekretär Sven Petke, lässt er es sich nicht anmerken. Am Schluss versucht Junghanns dann noch einen Witz über dicke Märker. Niemand lacht. „Das mit den Scherzen, das sollte er lassen“, diagnostiziert der Mann aus dem Elsterland trocken über seinen leeren Biergläsern. Ganz anders Berlins CDU-Fraktions chef Friedbert Pflüger. Der kommt zwar deutlich zu spät aus Köln – die Band spielte, um die Zeit zu dehnen, schon den „Holzmichl“ – steht aber ab dem ersten Wort auf dem Gaspedal. „Seien Sie stolz auf Ulrich Junghanns. Er ist der erfolgreichste Wirtschaftsminister der neuen Länder. Brandenburg hat mehr Wachstum als Berlin“, ruft er. Jubel. „Berlin und Brandenburg gehören zusammen!“ Tosender Applaus. Als er ein „tugendhaftes, bescheidenes Preußen“ beschwört, das Werte wie „Anstand, Ehre und Pünktlichkeit“ zu schätzen wisse, gibt es stehende Ovationen. Dass Pflüger die Gäste warten ließ, ist vergessen. „Das Land sollte von niemandem regiert werden, der diese Tugenden als Sekundärtugenden disqualifiziert, als Tugenden, mit denen man auch ein KZ führen könnte“, ruft Pflüger, mittlerweile seines Jackets entledigt, in Anspielung auf ein uraltes Oskar-Lafontaine-Zitat. Zum Schluss kommt er noch zu seinem Lieblingsthema: dem Weiterbetrieb des Flughafens Tempfelhof. „Ich danke Uli Junghanns, Sven Petke und Jörg Schönböhm, dass sie sagen, wir brauchen Tempelhof weiterhin“, ruft er. „ Tempelhof gefährdet Schönefeld nicht. Das steht weder im Grundgesetz noch in den zehn Geboten.“

Erschienen am 08.02.2008

Beste Noten für Gransee

Zeugnisse: Schüler geben im Internet Zensuren / Beliebtester Lehrer lehrt in Strausberg

STRAUSBERG/GRANSEE Es ist ein Halbjahres-Zeugnis, auf das Achims Eltern stolz sein können: Acht Einsen und zwei Zweien weisen den Strausberger (Märkisch-Oderland) als Musterschüler aus – Gesamtnote: 1,3. Beliebt ist er, cool und witzig, stets kompetent, fair, gut vorbereitet, beliebt und menschlich. Dass sein Zeugnis so gut geworden ist, hat Achim allerdings erst von Journalisten erfahren, die ihn anriefen und eine Reaktion erwarteten. Das mag daran liegen, dass Achim, der mit vollem Namen Hans-Joachim Baumert heißt und zudem einen Doktortitel trägt, gewohnt ist, Noten zu vergeben statt zu empfangen. Er ist Lehrer für Kunst, Geschichte und Lebenskunde-Ethik-Religion (LER) an zwei Strausberger Schulen: dem Theodor-Fontane-Gymnasium und der Anne-Frank-Oberschule. Und er ist Brandenburgs beliebtester Lehrer – zumindest wenn es nach dem Schülervotum geht, das 42 Jungen und Mädchen auf dem Internetportal „SpickMich.de“ hinterlassen haben. Dort dürfen seit einiger Zeit Schüler Noten für ihre Lehrer vergeben.
Regelmäßig zur Zeugnisausgabe ruft „SpickMich.de“ die rund 500 000 Schüler, die auf dem Portal angemeldet sind, zur Benotung auf. So lassen sich nicht nur die beliebtesten Lehrer, sondern auch die beliebtesten Schulen ermitteln. In Brandenburg führt das Strittmatter-Gymnasium in Gransee (Oberhavel) die Rangliste mit einer Gesamtnote von 2,2 an. Die besten Zensuren gab es für das moderne Schulgebäude (1,7), die Stimmung unter den Mitschülern und die Schulleitung (je 1,9), kritischer wurden hingegen die Mitbestimmungsmöglichkeiten (3,0) eingeschätzt. Schulleiter Uwe Zietmann bekannte, sich „erstmal gefreut“ zu haben, räumte aber Schwierigkeiten bei der Einordnung des Ergebnisses ein. „Es ist eine interessante Rückmeldung, die wir aber mit aller Vorsicht genießen“, sagte er.
„Lehrer verteilen täglich Noten. Es ist immer wieder erstaunlich, wie empfindlich manche sind, wenn sie selbst bewertet werden“, sagt Bernd Dicks von „SpickMich.de“. Einige Schulen hätten bereits mit Verweisen, Geldstrafen und der Polizei gedroht, falls Schüler an der Online-Bewertung teilnehmen. Durchsetzen können sie das nicht: Die Stimmabgabe im Internet ist anonym. Brandenburgs Lehrer haben ohnehin wenig Grund zur Klage: Mit einem Gesamtnotendurchschnitt von 2,6 liegen sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt.

INTERVIEW „Ein Wahnsinnsdurchschnitt“
Achim Baumert ist Brandenburgs beliebtester Lehrer. Mit ihm sprach Jan Bosschaart .

MAZ: Hat das Zeugnis einen Ehrenplatz bekommen?
Achim Baumert: Ich habe es noch gar nicht bekommen, es ist noch unterwegs.

Wie war Ihre erste Reaktion?
Baumert: Wenig überraschend: Ich habe mich sehr gefreut! Ist doch ein Wahnsinnsdurchschnitt, den ich erreicht habe. (lacht)

Welche Noten freuen Sie besonders?
Baumert: Die Einser in Fachkompetenz und Menschlichkeit. Und dass ich für witzig gehalten werde, denn das entspricht meinem Naturell.

Die Lehrerbewertung sehen viele kritisch – Sie auch?
Baumert: Nach diesem Ergebnis – wohl kaum. Es ist nur fair, wenn die Schüler sich auch artikulieren dürfen.

Erschienen am 05.02.2008

Ein Schritt zu weit

Jan Bosschaart über das Für und Wider zur Privatisierung märkischer Seen

Man kann sie ja verstehen, die Sorgen der Fischer: Als Verpächter der Fischereirechte war der Bund in Gestalt der von ihr beauftragten BVVG ein verlässlicher Partner. Die Pachten galten als angemessen, Vertragsverlängerungen waren meist nur eine Formalie. Das Verhalten künftiger privater See-Eigner hingegen ist im Voraus schwer kalkulierbar: Wollen sie ihre Seen selbst bewirtschaften? Oder verpachten sie diese weiter – und wenn, zu welchen Konditionen? Das Land muss sich diese Sorgen nicht zu eigen machen, sondern kann elegant mit dem Finger nach Berlin zeigen und darüber hinaus „Willkommen in der Marktwirtschaft!“ rufen.
Auch wenn man es sich in der Staatskanzlei damit möglicherweise zu einfach macht: Vom Steuerzahler zu fordern, er müsse die Seen erwerben, damit die Fischer verlässliche Pachtbedingungen vorfinden, geht einen Schritt zu weit. In den meisten anderen Branchen müssen schließlich auch marktübliche Pacht bezahlt oder Eigentum erworben werden – sei es nun im Wald und auf dem Feld oder in der Industrie. Und solange Zäune um Seen verboten sind, dürfte es Touristen auch egal sein, wem das Idyll, das sie genießen, eigentlich gehört.

Erschienen am 24.01.2008

Weitsicht und Vernunft

Jan Bosschaart über den Stellenabbau im Brandenburger Strafvollzug

Sie haben ja recht, die Vollzugsbediensteten: Es ist nicht eben einleuchtend, wenn allenthalben über Kriminalität und schärferen Vollzug debattiert wird, zugleich aber viele Mitarbeiter aus den Haftanstalten entlassen werden. Wo Fordern und Handeln so auseinanderklaffen, kann der Ruf nach harten Strafen von seinem eigenen Echo übertönt werden, wie Hessens Ministerpräsident Koch dieser Tage gerade lernt. In der Justiz sparen, aber mehr von ihr verlangen, passt nicht zusammen. Doch die naheliegende Politikerschelte trifft zumindest in der Mark auch nicht den Kern der Sache: Die Ministerien müssen eben sparen, und angesichts leidlich guter Verhältnisse in den Haftanstalten – relativ viel Personal, relativ wenige Insassen – setzt die CDU-Ministerin eben dort den Rotstift an. Dass sie den Jugendvollzug verschont, ja sogar ein wenig mit Personal päppelt, spricht für Sensibilität und Weitsicht: Als das Jugendstrafvollzugsgesetz im Dezember den Landtag passierte, war der hessische Wahlkampf noch kein Spitzenthema. Dass Beate Blechinger statt mehr Schließern ausschließlich Psychologen und Pädagogen zur Aufstockung des Personals heranzieht, zeigt zudem, dass hier auch Sachlichkeit und Vernunft walten können – trotz Wahlkampfs ihrer Partei in Hessen.

Erschienen am 22.01.2008

„Wie früher!“

Jahrestag: Zehntausende gedachten in Berlin Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs

BERLIN Hilde Ketter ist vorbereitet. Dick angezogen und zusätzlich von einer Decke gewärmt, sitzt die 72-Jährige kurz nach 9 Uhr am Sonntagmorgen auf dem Balkon ihrer Wohnung in der Frankfurter Allee, auf dem Schemel neben sich ein kleines Fernglas und eine Thermoskanne mit frischem Kaffee. Unter ihr, ein Stück die Allee hinab, sammeln sich etwa 50 linke Gruppen zum alljährlichen Gedenkmarsch anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Mit Trommeln, Trillerpfeifen und Parolen vertreiben sie die Kälte, allgegenwärtige Polizisten kontrollieren jeden Neuankömmling auf Waffen und Wurfgegenstände, und die Demonstrationsleitung erinnert per Megaphon an die Regeln: Keine Stahlkappenschuhe, schön zusammenbleiben und Transparente stets in Laufrichtung halten, nicht zur Seite. „Von mir aus kann’s losgehen“, sagt Frau Ketter, die bereits bei der zweiten Tasse Kaffee angekommen ist und langsam ungeduldig wird. Die Kälte kriecht selbst unter die Decke.
Doch unten schert man sich nicht um die Wünsche der älteren Dame, die „aus Nostalgie“ jedes Jahr den Gedenkmarsch zu Ehren der 1919 von rechten Freikorps ermordeten Arbeiterführern beobachtet. Mit „den Sozen“ habe sie zwar „nichts am Hut“, sagt sie, doch „den Aufmarsch“ schaue sie gern an. „Auch wenn früher viel mehr los war“, fügt sie enttäuscht hinzu. Zu DDR-Zeiten organisierte Politbüro das Gedenken an „Karl und Rosa“, Hunderttausende zogen damals zur „Gedenkstätte der Sozialisten“ auf dem Friedhof Friedrichsfelde. An diesem Sonntag sind es immerhin 3400 Demonstranten, die sich in den Zug einreihen, der „mit kommunistischer Pünktlichkeit“, wie der Sprecher betont, um exakt 10 Uhr startet.
Zwei Punkte sind es, die den Umzug in diesem Jahr herausheben: Zum einen haben rechte Gruppen Krawall angedroht, weshalb die Demonstrationsleitung ein wenig nervös wirkt, zum anderen ist es 20 Jahre her, dass eine kleine Gruppe Dissidenten 1988 auf der Demonstration mit einem Rosa-Luxemburg-Plakat für Meinungsfreiheit warb: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ stand darauf, es war nur kurz zu sehen, bevor Sicherheitskräfte das unterbanden, sorgte aber für Wirbel in westdeutschen Medien. Beide Punkte spielen an diesem Sonntag jedoch keine große Rolle: Von Rechten ist weit und breit nichts zu sehen, wohl auch wegen der massiven Polizeipräsenz, und weil eine NPD–Gegendemonstration verboten wurde. Und an die Dissidenten erinnert niemand öffentlich. Die Linkspartei nimmt ohnehin nicht am Umzug der tendenziell sehr linken Gruppen teil, sondern beschränkt sich auf stilles Gedenken und eine Kranzniederlegung, an der unter anderem Parteivorsitzender Lothar Bisky, Fraktions chef Gregor Gysi und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau teilnahmen. Auch viele Nichtparteigänger kommen an diesem Tag zum Ehrenmal, die meisten mit einer roten Nelke in der Hand. Die Veranstaltungsleitung spricht von etwa 70 000 Besuchern.
Als der Demonstrationszug endlich unter ihrem Balkon vorbeikommt, hellt sich auch Hilde Ketters vor Kälte gerötetes Gesicht auf: Sie hat eine DDR- und eine FDJ-Fahne in der Menge ausgemacht. Als der Zug auch noch die „Internationale“ anstimmt, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht: „Wie früher!“ sagt sie.

Erschienen am 14.01.2008

Netter Versuch!

Jan Bosschaart über den Alarmismus der Wirte beim Nichtraucherschutz

Das Trommeln in eigener Sache gehört zum Handwerkszeug im Verbandsgeschäft. Dazu sind Verbände da: um die Kräfte zu bündeln und der geeinten Stimme mehr Gewicht zu verleihen. Dieses Gewicht aber muss Uwe Strunk, Hauptgeschäftsführer des Brandenburgischen Hotel- und Gaststättenverbandes, schwer auf der Seele gelastet haben, als er ein Interview über den Ärger der Gastwirte wegen des Rauchverbots gab. Es ließ aus dem Trommeln einen veritablen Paukenschlag werden. Dass es Cafés gebe, in denen seit dem 1. Januar deshalb nicht einmal ein Stück Kuchen verkauft wurde, behauptete er. Mag sein, dass ihn der Knall selbst erschreckt hat, denn ein konkretes Beispiel blieb der Cheflobbyist der märkischen Wirte auch auf Nachfrage schuldig. Sein angedeuteter Fall in der Prignitz beruht bei genauerem Hinsehen jedenfalls eher auf einer Mischung aus Angst vor dem Ausbleiben der Raucher und der saisonal typischen Flaute im Gastgewerbe. Das heißt nicht, dass das Rauchverbot nicht die Gefahr birgt, kleine Lokale in den Ruin zu treiben. Es beweist nur, dass es für solche Aussagen noch zu früh ist. Bis das geklärt ist, gilt: Netter Versuch, Herr Strunk!

Erschienen am 12.01.2008

Lauwarmer Entzug

Nichtraucherschutz: Seit Neujahr gilt das Rauchverbot in Gaststätten, aber nicht jeder hält sich daran

Seit drei Tagen ist die Zigarette im Lokal verboten. Die Gastwirte reagieren mit kaltem Entzug, langsamer Entwöhnung – und strikter Verweigerung.

POTSDAM Richard Putters Welt ist in der Silvesternacht ein kleines Stück heller geworden. Der 33-Jährige, der sich selbst als Gourmet, als Wein- und Kaffeekenner bezeichnet, geht seither mit weniger Vorbehalten in Restaurants und Cafés. „Ich habe nie verstanden, wie man in nikotingetränkter, rauchverpesteter Luft Genuss erleben soll“, sagt der Potsdamer und wedelt imaginäre Rauchschwaden weg. Die Geste ist überflüssig: Im Spezialitätenkaffee in den Potsdamer Bahnhofspassagen, wo Putter seinen Latte Macchiato schlürft, sind die Aschenbecher seit dem 1. Januar abgeschafft worden. Und Putter ist nicht der einzige, den das freut. „Einige Gäste sind froh, jetzt überall sitzen zu können, nicht nur in der Nichtraucherecke“, sagt Filialleiterin Yvonne Sprenger. Einige, aber nicht alle: Fünf Gäste machten auf der Schwelle kehrt, als sie vom kategorischen Rauchverbot im Café erfuhren, zwei weitere haben diskutiert, letztlich aber doch einen Kaffee bestellt.
So rigoros wie dort verfuhr man nicht überall: Die meisten Lokale ließen ihre Gäste in der Silvesternacht auch nach 0 Uhr weiterrauchen. „Aschenbecher einsammeln wäre uns zu albern gewesen“, sagt Bob Demtröder vom Potsdamer Alex-Restaurant. Doch auch bei ihm gilt seit Dienstagmittag: Wer seine Zigarette braucht, muss vor die Tür. Dort stehen Wärmedecken und Heizpilze bereit. Weil einige Kunden ihrem Unmut lautstark Luft machten, wird das Alex künftig bis zum frühen Abend auch das Rauchen zumindest an der Theke wieder erlauben – zu viele drohten, nicht wiederzukommen. Das aber kann nur eine Übergangslösung sein: Spätestens zum 30. Juni ist auch damit Schluss, denn dann werden die im Nichtraucherschutzgesetz bislang nur angedrohten Bußgelder auch erhoben: 100 Euro für rauchende Gäste und 1000 Euro für Wirte, die das nicht unterbinden. Bis dahin kocht jeder sein eigenes Süppchen: Vom rigorosen Entsorgen aller Aschenbecher über die Auslagerung rauchender Gäste in den Raucherraum bis zur maximalen Ausnutzung der Übergangsphase – oder durch radikale Verweigerung. Dabei ist eine Zweiteilung zu beobachten: Während die gehobenen Restaurants und Hotels seit dem Neujahrstag den Tabakqualm aus ihren Räumen verbannt haben, weigern sich die Eckkneipen und Bars noch.
So wie Ulrich „Uli“ Kasiske. Kasiske ist Kneipier in Berlin-Friedrichshain und ein erbitterter Gegner des neuen Gesetzes. Gemeinsam mit zwei Stammgästen hat er die „Initiative für Genuss Berlin“ gegründet, die in der Hauptstadt fleißig Unterschriften gegen das Gesetz sammelt. 20 000 benötigt sie in einer ersten Stufe, rund 6000 hat Kasiske schon zusammen. „Bei mir rauchen 95 Prozent der Gäste“, sagt er, „ich will ja nur, dass jeder Wirt selbst entscheiden darf.“ Mit seiner Initiative und mit der Ankündigung, in ein noch einzurichtendes Raucherzimmer seiner Kneipe einen Tunnel einzubauen, damit Nichtraucher nikotinfrei zu den Toiletten gelangen, hat er es in diesen Tagen bereits zu einiger Presseberühmtheit gebracht.
Am Tag zwei der rauchfreien Gaststätten formierte sich auch der Widerstand. Nicht jeder ging dabei so weit wie jener Gast eines Restaurants auf der Nordseeinsel Wangerooge, der aus Wut über das Rauchverbot auf den Wirt mit einer Bierflasche einprügelte: Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga etwa beschränkte sich darauf, seine Kritik an den Gesetzen zu erneuern. Bereits kurz vor Weihnachten strengte der Verband eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht an, um vor allem die Eckkneipen zu schützen. Bayerische Wirte, die dem strengsten Gesetz ausgesetzt sind, erklärten gestern, sie planten zudem eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe, und die Internetseite „Zigarrenplattform.de“ rief „alle Tabakgenießer und politisch wachen Nichtraucher“ auf, „die Ausbreitung einer Verbotskultur in Deutschland zu bekämpfen!“. Aus einer anderen Richtung kam Kritik von der brandenburgischen Bundestagsabgeordneten Petra Bierwirth (SPD), die Chefin des Umweltausschusses ist: Sie forderte einen Verzicht auf Heizpilze, die Wirte vor ihren Lokalen aufstellen, um rauchende Gäste nicht in der Kälte stehen zu lassen. Die Geräte führten zu einem enormen CO2-Ausstoß.
Auch in Frankreich und Portugal gelten seit dem 1. Januar Rauchverbote in Lokalen. Das fiel vor allem Antonio Nunes auf die Füße: Der Chef der für das portugiesische Nichtraucherschutzgesetz zuständigen Behörde wurde in der Silvesternacht von einer Tageszeitung rauchend in einem Lissabonner Kasino ertappt. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass das Gesetz auch Kasinos einschließe, gab er zu Protokoll und will nochmal nachlesen.

Erschienen am 03.01.2008

Manchmal ist Montagnacht mehr los

Polizeireport_ Die Landeshauptstadt blieb weitgehend ruhig / Eine Silvesternacht im Streifenwagen

Tausende auf den Straßen, reichlich Alkohol im Spiel und jeder Zweite hat ordentlich Feuerkraft im Gepäck – Silvester kann ein Albtraum für Polizisten sein. Kann es, muss es aber nicht.

Um 23.50 Uhr senkt sich eine seltsame Ruhe über die Polizei-Wache Potsdam-Mitte. Während ringsum alles aus den Häusern und Restaurants strömt, während vor der gegenüberliegenden Spielbank die Zocker ihre Raketen in Position bringen und der Lärmpegel, der durchs Wachenfenster dringt, stetig anschwillt, herrscht drinnen Stille. Drei Funkwagen sind gerade mit Geheul davongebraust, Richtung Luisenplatz, wo jemand eine Zusammenrottung meldete, die sich als Irrtum herausstellen wird. Im Hinterzimmer koordiniert jemand per Funk die Wagen, vorn, am Thresen, tippt ein Beamter konzentriert Berichte in den Computer. Die Minuten rinnen dahin. Punkt 0 Uhr erhebt sich ein Heidenlärm vorm Fenster – vor der Spielbank detoniert der Parkplatz. Der Tippende hebt kurz den Kopf zur Uhr. „Oh,“ sagt er, „is schon soweit.“ Es ist eine Mischung aus Frage und Feststellung, gefolgt von einem zu sich selbst gemurmelten „Nadann: Frohesneues!“.
Dienstgruppenleiter Jens Kneip und seine Stellvertreterin Peggy Wölk haben in dieser Nacht Dienst – von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. Kurz nach 0 Uhr sitzen sie wieder im Funkwagen. Zwischen der Nichtzusammenrottung am Luisenplatz und der Routinerunde durch die Stadt lag ein kurzer Halt in der Wache, kurze Neujahrsgrüße an die Kollegen, dann zurück in den Wagen.
Im Slalom geht es zunächst die Zeppelinstraße entlang. Dicke Nebelschwaden von detonierten Böllern und aufgestiegenen Raketen erschweren die Sicht auf die Fahrbahn – was angesichts vieler auf der Straße stehender Potsdamer und allgegenwärtiger Flaschen, die als Raketenabschussrampen dienten, durchaus ein Sicherheitsrisiko ist. „Wir wollen ja nicht, das einer als Kühlerfigur endet“, sagt Jens Kneip trocken, während Peggy Wölk die Funkgeräte überwacht. Der erste Wunsch der beiden ans neue Jahr lautet: Es möge wenig passieren in dieser Silvesternacht. Bislang ging das in Erfüllung, aber vorerst garantiert nichts, dass es dabei bleibt. Kritisch sind die Zeiten direkt nach Mitternacht und noch einmal kurz vor Dienstschluss gegen morgen, wenn der Kehraus der Übriggebliebenen aus den Lokalen und Diskotheken stattfindet. Doch jeder Dienst ist anders: „Wir hatten schon Montagnächte, da war mehr los als an manchem Silvester“, sagt Peggy Wölk. Es scheint, als sollte diese Nacht ein solche werden. Nur das nie ruhende Funkgerät kündet von kleineren Einsätzen: Brennende Balkone, auf denen eine Rakete landete, ein mitternächtlicher Wohnungsbrand in Babelsberg nahe dem Lutherplatz, gesprengte Briefkästen, deren wütende Besitzer einen Nachweis für die Versicherung benötigen und ein Linienbus, der von einer Flasche getroffen wurde und wegen der durchschlagenen Frontscheibe aus dem Verkehr gezogen werden muss. An der Orangerie liegt eine Laterne auf der Fahrbahn, doch wer auch immer sie umstieß, ist längst verschwunden. In Fahrland haben Gastgeber einen betrunkenen Gast vor die Tür gesetzt, der damit gar nicht einverstanden war, die Haustür eintrat und den Gastgeber schlug. Das alles erfahren die Dienstgruppenleiter nur per Funk: Meist ist ein anderer Wagen schneller. So pendeln Kneip und Wölk in dieser Nacht 250 Kilometer zwischen Bornstedt und Zeppelinstraße, lauschen dem Funk, kommentieren die Kollegen und amüsieren sich verhalten, wenn die Leitstelle zwischendurch kurzzeitig den Überblick verliert und Funkwagennummern verwechselt. Gegen drei Uhr machen sie wieder in der Wache Station. Durchs Fenster ist der noch immer tippende Kollege zu erkennen. Außer einer Feier mit seiner Familie hat er nichts verpasst.

Erschienen am 02.01.2008

Rolle rückwärts

Jan Bosschaart über den erfolgreichen Start des Babybegrüßungs-Dienstes

Der Name des Babybegrüßungs-Dienstes ist irgendwie lustig. „Dienst“ kommt (auch) vom griechischen „diakonia“, was soviel wie „eine praktische Handreichung geben“ bedeutet. Demnach wäre das Angebot der Stadt eine Handreichung zum Begrüßen von Neugeborenen… Doch die Sache ist ernst, wie nicht erst die mit verstärkter Medienaufmerksamkeit bedachten Fälle von Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und -tötung beweisen: Das enge Netz der Kontrolle über die Entwicklungsbedingungen von Babys, wie es DDR-Bürger gewohnt waren, musste in einem weniger überwachenden, die Privatsphäre stärker respektierenden politischen System zwangsläufig weiter werden. Dass nun auch hier eine Rolle rückwärts vollzogen wird, dass eine der beiden hauptberuflichen Babybegrüßerinnen in der DDR-Mütterberatung tätig war, mag manchem Ostalgiker wie geschickt umgegossener alter Wein in neuen Schläuchen erscheinen, zumal der Dienst mit viel Rummel gestartet wurde. Den Nutznießern des Ganzen, die noch nicht für sich allein sorgen können, kann das herzlich egal sein. Mit 1480 Babys hatte Potsdam schon Mitte Dezember einen Nachwende-Rekord. Und wenn auch nur eine Vernachlässigung verhindert wird, hat das lustige Begrüßen seinen Zweck erfüllt.

Erschienen am 29.12.2007

Heirat macht glücklich

Jan Bosschaart über die Vorteile der Ehe – vor allem, wenn andere sie schließen

Heiraten lohnt sich, behauptet die Wissenschaft. Ökonomisch gesehen leuchtet das ein – aber sonst? Jede Hochzeitszeitung weiß doch von den Schrecknissen der Ehe zu berichten, vom Mann, der als Raubtier startet und als Bettvorleger landet, von der Frau, die wahlweise als Schmusekätzchen oder scharfe Mieze in die Ehe geht und als waffenscheinpflichtiger Kampfdrache der Einsatzklasse wieder herauskommt – wenn überhaupt. Glaubt man den Sozialwissenschaftlern, ist das Mumpitz: Wer heiratet, wird reicher als ein Single, er trinkt weniger Alkohol (weil der Partner es verbietet), bleibt gesünder (wegen des Alkoholverbots), ist glücklicher (weil der Partner befahl, auf dem Fragebogen „ glücklich“ anzukreuzen), hat mehr Sex (ja, aber was für welchen?) und er lebt länger (ist aber viel eher bereit, zu sterben). Zudem würden verheiratete Männer mehr arbeiten und Frauen mehr lachen (darüber, dass er sich krumm macht, aber kein Bier dafür bekommt?). Ob diese „Vorteile“ außer der wissenschaftlichen Signifikanz auch Alltagssignifikanz erlangen, sei dahingestellt. Unstrittig hingegen ist, dass die Heiratsfreude der Potsdamer und ihrer „Hochzeitsgäste“ der Stadt nur Vorteile bringt: ökonomische, moralische und touristische – und die, die machen wirklich glücklich. Jeden. Auch Unverheiratete.

Erschienen am 28.12.2007


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