DAS WAR DIE WOCHE: Parteifreunde

Das Ansehen der Mayas als gebildetes Kulturvolk darf nun, da es der 22. Dezember geworden ist und Sie diese Zeilen lesen, als weitgehend ruiniert gelten. Sicher, es gab Anzeichen dafür, dass der versprochene Weltuntergang ausbleibt: Chronische Scherzkekse verwiesen seit Wochen darauf, dass der Handel „Maja-Kalender 2013“ führt – auch wenn nur eine gestreifte Comic-Biene auf dem Titel prangt. Dennoch mischt sich nun vielerorts auch Enttäuschung unter die Erleichterung: All jene, die vorgestern falsch geparkt hatten, weil sie dachten, das Ticket ohnehin nicht mehr bezahlen zu müssen, bekamen nun im Wortsinn die Quittung für ihren Aberglauben. All jene, die ihren Verwandten, Freunden oder Ehepartnern am Donnerstagabend mal ins Gesicht husteten, was sie seit Jahren schon loswerden wollten, werden sich nun mit spät eingekauften Weihnachtsgeschenken besonders ins Zeug legen müssen, um den gesellschaftlich geforderten Weihnachtsfrieden zumindest leidlich wiederherzustellen. Und alle, die im Vertrauen auf die Mayas gar nicht erst Weihnachtsgeschenke gekauft hatten, werden heute und morgen zusätzlich die Läden und Passagen fluten. Fröhliches Last-Minute-Kaufen! Als klassisches Trostgeschenk empfehlen wir entweder die Filme „Apocalypse now“ und „Der Morgen stirbt nie“ oder für die Musikfreunde „Highway to Hell“ und Gloria Gaynors unsterbliche (!) Klassiker „I will survive“ und „Never Can Say Goodbye“.

Es gibt dieses seltsame Zwischenstadium bei Kindern, in denen sie noch nicht völlig bereit sind, den Glauben an den Weihnachtsmann fallen zu lassen, der erwachende Intellekt aber erste Zweifel anmeldet: Wie schafft der Mann das logistisch, an nur einem Abend hunderte Millionen von Kindern zu beliefern? Eine erste Ahnung konnte bekommen, wer am Donnerstag versuchte, den Pfaden von Linken-Fraktions-Chef Hans-Jürgen Scharfenberg zu folgen: Der war zunächst in der Suppenküche der Volkssolidarität, um die von ihm initiierte Spende einer neuen Küche seitens eines Möbelhauses anzukündigen, wechselte dann flugs in den Jugendclub Offline, für den er eine Spende über 7500 Euro für Kochinseln bei seinem Parteifreund und Finanzminister Helmuth Markov locker gemacht hatte und schaffte es irgendwie noch, die Übergabe von Schokoladenweihnachtsmännern im Kindertreff am Stern dazwischenzuklemmen – und das alles ohne Rentierschlitten und religiöse Bindung. Respekt!

Die altbewährte Steigerung von Feind lautet bekanntlich Feind – Todfeind – Parteifreund. Dass das mehr als ein Kalauer ist, exerziert die FDP gerade durch. Die nahm im Sommer einen Brauhausberg-Aktivisten auf, und hat das – mutmaßlich – zwischenzeitlich schon ein paar Mal bereut: Das erste Mal, als er unabgestimmt eine Pressemitteilung im Namen der Partei herausgab, das zweite Mal, als er diese Woche den Rücktritt des noch recht frischen Fraktionsvorsitzenden von seinem Mandat forderte und denselben „inkonsequent“, „moralisch verwerflich“ sowie mit zu wenig „Demokratieverständnis“ und „moralisch-ethischen Grundsätzen“ ausgestattet schimpfte. Und das zu einem Zeitpunkt, wo die FDP gerade erst einige Querelen um die Wahl ihrer Bundestagskandidatin durchlitten hatte, Vorstandsrücktritt inklusive. Wenn Freunde laut Sprichwort die Verwandtschaft sind, die man sich selbst aussucht, so scheint das für Parteifreunde nur begrenzt zu gelten.

(Erschienen am 22.12.2011)

Kochen auf Rädern

Finanzminister übergibt Spende für Kochstationen im Jugendclub „Offline“

Eine Suppe. Eine richtig heiße Bohnen- oder Linsensuppe ist alles, was Helmuth Markov möchte. Es dürfte die teuerste Suppe seines Lebens werden, denn Markov musste 7500 Euro überreichen um sie zu bekommen – sein einziger Trost: Er zahlte das Geld nicht aus eigener Tasche, sondern aus Lottomitteln, die in seinem Hause, dem Finanzministerium verwaltet werden.
Wie es der Zufall so wollte, fiel der Besuch des Finanzministers samt Scheckübergabe genau auf den Tag, an dem im Jugendclub „Offline“ des SC Potsdam an der Miami-von-Mirbach-Straße die Weihnachtsfeier auf dem Programm stand – weshalb das Geschenk einen ungewollt adventlichen Rahmen erhielt. „Es wäre aber auch schwer gewesen, an einem Tag ohne Weihnachtsfeier zu kommen“, kommentierte Club-Leiter Peter Schäperkötter trocken. Seit einigen Tagen feiern die verschiedenen Sektionen und Sportgruppen des SC im Multifunktionsgebäude eine nach dem anderen ihr Weihnachtsfest.
Das Geld, das der Finanzminister (Linke) überbrachte, soll helfen, drei mobile Kochstationen zu kaufen. Diese Stationen, je mit Herdplatte, Backofen, Töpfen und Küchenutensilien ausgestattet, sind bereits bestellt und werden dieser Tage im „Offline“ erwartet. Auf Rollen gelagert, können sie bei Bedarf die großzügige Küche des Clubs erweitern oder im Sommer auf der Terrasse benutzt werden. Die Idee dazu hatte die Ehefrau des Sportmoderators Dirk Thiele bei einem Besuch im Club. Die moderne Küche bewundernd, sagte sie, nun bräuchte man nur noch mehrere Platten, um regelrechte Kochduelle veranstalten und die Jugendlichen das Zubereiten gesunder Ernährung lehren zu können.
Bei Schäperkötter fiel die Idee sofort auf fruchtbaren Boden, nur die Finanzierung gestaltete sich noch als schwierig. Doch Helmuth Markov kam kurz darauf anlässlich einer Rundreise im Club vorbei und fragte, ob angesichts der tollen Ausstattung überhaupt noch Wünsche offen seien – da erinnerte sich Schäperkötter der Kochstationen und Markov der Lottomittel, und so nahm die Spende ihren Lauf.
Eine Kooperation zwischen dem „Offline“ und Köchen der IHK-Prüfstelle Teltow gibt es bereits. Sie hat das Ziel, den Jugendlichen eine ausgewogene Ernährung und gesunde Lebensweise näher zu bringen und sie den Spaß am Kochen zu lehren. Nur war bislang das Problem, dass es eng wurde, wenn sich mehr als fünf Teilnehmer um den einen Herd und Backofen drängten. Damit soll es künftig vorbei sein. Wenn es dennoch eng an den Herden wird, lernen die anderen Jugendlichen, eine festliche Tafel zu decken. Das Projekt ist für die offene Jugendclubarbeit am Nachmittag gedacht, es werde keine Schulspeisung oder den Mittagstisch für die Clubbesucher ersetzten können, sagte Peter Schäperkötter.
Rund 30 Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren kommen an einem gewöhnlichen Tag in den Club. Die Nutzer der offenen Clubarbeit kommen vor allem aus Drewitz und dem Kirchsteigfeld, die Vereinsmitglieder des SC nehmen auch weitere Anreisen in Kauf, um zum Beispiel das Fitnessstudio im Gebäude nutzen zu könenn. Mit etwas Glück bekommen sie künftig nach dem Krafttraining auch noch ein saftiges Steak geboten. Und Helmuth Markov eine Suppe.

Erschienen am 22.12.2012

Hilfsbereitschaft, adventliche

Wer wochentags lange arbeiten muss und am Wochenende wenig Lust verspürt, sich vom Strom der Adventsshopper zufällig an einem Geschenk vorbeitreiben zu lassen – autonome Bewegungen sind in Konsumtempeln an Samstagen nahezu unmöglich – der greift zur Internetbestellung. Ein Paketdienst liefert das Gewünschte an die Wohnungstür, ganz sorgenfrei. Soviel zur Theorie. In der Praxis nimmt dann gern ein Nachbar die Pakete entgegen, eine Geste voller Hilfsbereitschaft, die gut in die Vorweihnachtszeit passt. Dumm nur, wenn dieser Nachbar an einem Freitag Anfang (!) Dezember gleich acht Pakete für den ganzen Flur bei sich parken lässt, dann aber grußlos bis ins neue Jahr in den Winterurlaub verschwindet. Die gute Laune, die sich seither täglich vor seiner Tür zusammenrottet, trägt nur noch wenig adventliche Züge.

(Erschienen am 17.12.2012)

DAS WAR DIE WOCHE: Ordnungsrufe

Fast hätten wir die Redaktion ins städtische Klinikum verlegen können: Das „Ernst von Bergmann“ war in dieser Woche in aller Munde – zugegebenermaßen eine geschmacklose Formulierung ist, ging es doch um Darmkeime. Das Stimmungsbild im Krankenhaus, hätte man es über die Woche aufgezeichnet, muss ungefähr wie die EKG-Kurve eines Patienten mit Herzstolpern ausgesehen haben: Die Fusion der Kinderklinik mit Brandenburg kann kommen, das Herzzentrum ist hingegen vom (OP-)Tisch. Es wurden weitere, wenn auch harmlose Darmkeime auf der Säuglingsstation entdeckt, deren Herkunft weiterhin (Achtung, fades Wortspiel:) im Dunklen bleibt, der Obdachlosenbus erwies sich hingegen als voller Erfolg. Dafür war die Notaufnahme am Donnerstag dank Wintereinbruchs komplett überlaufen. Oder besser überhumpelt und überkrückt.

Böse Zungen behaupten, es wären die beiden besten Nachrichten der Stadtverordnetenversammlung gewesen: Zwei Abgeordnete kündigten ihren Rückzug an: Der eine, Hannes Püschel (Die Andere) direkt, weil seine Fraktion im Jahresrhythmus ihre Abgeordneten rotiert. Der andere, Andreas Menzel (Grüne) indirekt, in dem er auf die schnelle Bearbeitung einer Anfrage drängte, da er befürchte, die Antwort sonst in seiner Zeit als Parlamentarier nicht mehr mitzubekommen. Menzel ist zugleich nervtötend anstrengend und bewundernswert hartnäckig, er kämpft bis zum Letzten um Uferwege und Akteneinsichten und setzt sich auch gern eine Clownsnase im Plenum auf, wenn ihm eine Antwort nicht passt. Püschel indes gehörte zu den unterhaltsamsten Stadtverordneten, weil er eigentlich nur provozierte, meist in einem nicht zitierfähigen Ausmaß, zugleich damit aber jede Sitzung spürbar dehnte. Kaum eine Wortmeldung des Ultralinken, die ohne das Wort „faschistoid“ auskam, auch wenn es nur um Wohnungsneubau ging. In seinem letzten Redebeitrag kündigte er vorsorglich an, er werde gleich einen Ordnungsruf erhalten, wolle er doch kurz von „Scheiße“ in Zusammenhang mit der Mietpolitik reden. Er bekam ihn. Schließlich war es Nikolausvorabend, da wollte der Präsident mit diesem Abschiedsgeschenken nicht knickrig sein.

Doch mal im Ernst: Beide gehen wohl eher, weil sie sich in Parlament und Ausschüssen so echauffiert haben, dass ihnen nun die Frühverrentung droht. Davon sind laut einer Studie immer mehr Potsdamer betroffen – aus psychischen Gründen. Was die beiden danach tun, ließen sie offen. Andreas Menzel dürfte eine Einkommenshalbierung drohen, gehörte er doch zu den Bestverdienern, weil er in seinem Kampf gegen die Verwaltung stets den Verdienstausfall als Selbstständiger geltend machen konnte und gerade diese Woche auch noch die Umsatzsteuer nachforderte. Hannes Püschel empfehlen wir einen Trend, der in Potsdam gerade ankommt: Guerilla-Stricken. Das ist hinreichend subversiv und beruhigt zugleich die Nerven. Vielleicht strickt er am Ende gar Wohnraum für 3,20 Euro kalt je Quadratmeter.

In der Spritzenhalle am Bahnhof gibt’s den dritten Anlauf, ein Restaurant zur eröffnen. Nachdem die monströs dekolletierten Mädels der Hooters-Kette nur wenige Wochen in knappen Shorts durch die Räume tänzelten und das „Aschinger“ wegen Nazivorwürfen gar nicht erst öffnete, versucht sich nun ein Dritter. Der Name ist für die Halle einerseits treffend und andererseits für die Gäste hoffentlich nicht Programm: Wartesaal.

(Erschienen am 08.12.2012)

Atemtherapie

Über Erleichterung im Mercure und Panik bei der Weißen Flotte

Kaum können die Mitarbeiter des Hotels Mercure aufatmen – ihr Haus bleibt bestehen, ihre Jobs vorerst auch. Kaum pustet selbst die Stadt leise, denn sie hat – sollte sie wider Erwarten zu Geld kommen – einen einfacheren Zugriff auf das Hotel, da Eigentümer und Pächter nun ein und dieselbe Heuschrecke sind. Kaum also herrscht an einer Ecke des Lustgartens Erleichterung, da muss nebenan die Weiße Flotte zu hyperventilieren beginnen. Was Politik und Verwaltung mit diesem Potsdamer Unternehmen, das sich um den Tourismus in der Stadt wie kaum ein zweites verdient macht, seit sieben Jahren treiben, ist mit „den verbalen Stinkefinger zeigen“ noch sehr zurückhaltend umschrieben. Jeder, aber auch wirklich jeder, versucht auf Kosten der Flotte sein Mütchen zu kühlen: die Grünen pochen auf ihre städtebaulichen Ziele (Lustgarten freihalten!), die FDP auf ihren Marktliberalismus (Ausschreiben statt direkt verkaufen!), die CDU auf Platzecks Erbe (nanu?), die SPD auf ihre Geduld („keine Schnellschüsse“) und die Linken auf ihre frisch verabschiedete Anti-Privatisierungs-Politik. Der monatliche Durchsatz von Blutdruck-Senkern bei den Weiße-Flotte-Geschäftsführern muss inzwischen Umsätze generieren, die die Abschaffung der Praxisgebühr allein refinanzieren könnten. Ändern können sie freilich nichts. Es sei denn, sie ließen sich auch von einem Investmentfonds aufkaufen. Gegen solche scheint die schildbürgerähnliche Stadtpolitik ja wenigstens machtlos.

Erschienen am 05.12.2012

Die merken auch alles!

Über den gestiegenen Anteil psychischer Krankheit bei Verrentungen

Überraschend ist der hohe Anteil psychischer Krankheiten an Frühverrentungen nicht: Selbst wer das seltene Glück eines ruhigen, gut bezahlten Jobs ohne Überstunden hat, weiß um die Realitäten auf dem Arbeitsmarkt: Es werden, wo immer möglich, Arbeitsstellen eingespart. Da die Arbeit davon nicht geringer wird, verteilt sie sich nun auf weniger Köpfe. Auf die Gebliebenen wächst der Druck, denn sich beklagen hieße, sich für die nächste Kündigung zu empfehlen. Zynisch daran ist, dass es dem Arbeitgeber egal sein kann, ob er Mitarbeiter zuschanden plagt, denn es gibt ja genug junge Menschen, die nach Jahren unbezahlter Praktika in den Job drängen und zu günstigeren Konditionen dieselbe Arbeit zu tun bereit sind. Die gern angeführte moderne Technik, die den Arbeitnehmer immer erreichbar macht, ist hingegen ein Scheinargument: Handys kann man, entgegen weit verbreiteter Überzeugung, abends oder am Wochenende tatsächlich ausschalten. Trotz all des berechtigten Alarms darf aber eines nicht vergessen werden: Psychische Krankheiten kommen nicht (nur) häufiger vor, sie werden auch häufiger diagnostiziert. Wo früher Bandscheibe, Alkohol oder chronische Magengeschwüre auf dem Rentenbescheid standen, erkennt heute auch der Hausarzt die Depression dahinter.

Erschienen am 05.12.2012

DAS WAR DIE WOCHE: Im Dialog

Es war die Woche der schönen Dialoge. Dialoge, die komischerweise keiner so recht durch Lachen gewürdigt hat. Deshalb soll ihnen – und Ihnen – an dieser Stelle eine zweite Chance eingeräumt werden.

Die bestechendste Logik: Montagmittag, Blaue Box am Alten Markt. Der Stadtschlossverein stellt das Fortunaportal als Christbaumschmuck vor. Es ist – für diesen Zweck – mit 16 mal 9 mal 9 Zentimetern monströs groß und mit seinen verzerrten Proportionen und all dem Goldstaub – vorsichtig formuliert – eine Geschmackssache. Das sehen offenbar auch zwei Passantinnen so, die neugierig dem MAZ-Fotografen beim Ablichten über die Schulter schauen: „Ilse, würdst du dir ditt an den Baum hängen?“ –
„Für keen Jeld der Welt. So toll ick ditt Portal im Orchinal ooch finde, aber ick häng ma doch keen Tor an’ Boom.“ – „Na mit eent alleene kommste ooch nich weit. Kannst ja nich deine DDR-Kugeln danebenhängen.“ – „Wennick den janzen Boom damit dekoriere, bin ick aber arm bei 20 Euro pro Stück.“ – „Kannst ja noch von KPM die Garnisonkirchenkugel kaufen, dann stimmtet wieder.“

Die bestverpackte Beleidigung: Dienstagabend, Bauausschuss. Es geht darum, in der Zeppelinstraße keine neuen Einkaufscenter zuzulassen, um den bestehenden Handel zu schützen. Darauf entspinnt sich zwischen Baudezernent Matthias Klipp und Sebastian Pfrogner – nicht eben dicke Freunde – folgender Wortwechsel: Pfrogner: „Der bestehende Tierfutterhandel dort bleibt aber?“ – Klipp, genervt: „Was schon steht, hat logischerweise Bestandsgarantie. Keine Angst, Sie können dort weiter ihr Hundefutter kaufen.“ – Pfrogner: „Ich habe gar keinen Hund.“ – Klipp: „Es gibt dort auch Vogelfutter.“

Die Ideologie der Frischluftzufuhr: Nochmal Bauausschuss. Ein Herr der Linken sitzt in dicker Daunenweste im überfüllten, überhitzten Raum, nach wenigen Stunden wird ihm – wenig überraschend – unbehaglich, er steht auf und öffnet ein Fenster. Daraufhin ein CDU-Mann zu seinem Sitznachbarn, ungehalten: „Warum zieht der nicht einfach die Weste aus, statt dass jetzt 40 Leute frieren?“ – „Weil der Kommunist ist. Der denkt, dass alle schwitzen und will nun auch alle mit frischer Luft zwangsbeglücken.“ – „Genau deshalb musste die DDR untergehen.“

Mittwoch: Die hartnäckigsten Dialogpartner dieser Stadt stehen dieser Tage vor dem Rathaus und versuchen, arglose Bürger zur Unterzeichnung des Volksbegehrens für ein Nachtflugverbot zu bewegen. Wobei bewegen durchaus wörtlich gemeint ist, denn Unterschriftsverweigerer werden auch schon mal mit sanftem Druck in Richtung Bürgerbüro geschoben – selbst wenn sie vorab glaubhaft versichern, gegen das Nachtflugverbot sein, weil sie es sinnvoll finden, wenn der Jobmotor BER möglichst lange rotieren kann – wie es ein junger Mann am Mittwoch tat. Das brachte einen Aktivisten so auf, dass er den Verweigerer anschrie, er sei ein unsoziales … naja, Sie wissen schon. Darauf ein Passant kopfschüttelnd: „Ihr seid schon komisch, ihr Futzis. Gegen Lärm demonstrieren und dann in der Öffentlichkeit so rumbrüllen.“

Erschienen am 01.12.2012

No, Champs-Élysées!

Platzeck klagt über bunten Pariser Advent

Jetzt werden ihm seine Potsdamer vermutlich mit dem Spruch von dem Glashaus und den Steinen kommen, ihrem Matthias Platzeck. Der war nämlich dieser Tage – dienstlich, versteht sich! – in Paris und wurde von einer Nachrichtenagentur am Rande gefragt, wie ihm die weihnachtlich geschmückte Avenue des Champs-Élysées gefalle, die Prachtmeile der Hauptstadt. „Mir ist das ein Tick zu bunt“ ist als Antwort überliefert, und das wirft nicht nur Fragen nach der ministerpräsidialen Grammatik auf – Sprachpuristen hätten „einen Tick zu bunt“ bevorzugt – es spricht auch für eine unzureichende Vorbereitung des Landesvaters, wie er sie etwa durch regelmäßigen Besuch der Internetseite seiner Lieblings-Heimatzeitung hätte leisten können. Dort hätte er nämlich erfahren, dass 60 Prozent der Potsdamer die Beleuchtung auf ihrem Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße – die berühmte Blaue Tanne, die angeblich bundesweit einzigartig ist – „grauenvoll“ finden. Immerhin 600 Menschen haben ihrem Abscheu per Mausklick Ausdruck verliehen. Doch statt nun kleinlaut und gebückt die Seine entlangzuschleichen, kritisiert Platzeck öffentlich den Geschmack der Franzosen. Die „Stadt des Lichts“ hat sich diesmal für pinke und weiße Girlanden in den Baumkronen entschieden. In Potsdam könnte sich Platzeck so etwas nicht vorstellen, „da hätten wir sicher eine riesige Debatte“, sagte er einem Korrespondenten. Ach Matthias, würdest Du doch nur häufiger auf eine von Ostdeutschlands meistgeklickten Webseiten schauen . . .

Erschienen am 01.12.2012

Rhetorische Keule

Über den Aktionismus der CDU nach gerade zwei Einbrüchen

Wenn zwei Einbrüche schon eine Serie sind, wird es höchste Zeit, den Begriff neu zu definieren. Jemand, der zweimal im Leben mit dem Auto jemandem den Spiegel abfuhr, ist dann ein Serientäter; wer zu Weihnachten zwei Geschenke bastelt, ein Serienfabrikant und wer zwei Kinder hat, ist in die Serienproduktion übergegangen. Bei allem Respekt vor dem Einsatz der CDU um Recht und Ordnung in den Reichenvierteln dieser Stadt, darf doch sanft mit dem Kopf geschüttelt werden, wenn sie nach zwei Einbrüchen die Politik fordert, „Aufzuwachen“, „Konzepte zu prüfen“ und „zu handeln“. Diese Stadt hat nun wahrlich andere Probleme als zwei Einbrüche in noblem Wohnumfeld. Da wird mit der rhetorischen Keule eine Mikrobe erschlagen. Nun ließe sich das ja als leicht übers Ziel hinausgeschossene PR eines Ortsverbandes abtun, der in seinem Revier nach Wählern wildert – wäre da nicht die Kreisvorsitzende, die nach dem zweiten Einbruch gleich „das Land in der Verantwortung sieht“. Was kommt als nächstes? Der Ruf nach einem Bundeswehreinsatz im Inneren, Schützenpanzer in der Berliner Straße, die GSG 9 in der Jägerallee und Kampfhubschrauber über dem Jungfernsee? Auf gut Berlinerisch lässt sich da nur sagen: „Hammset nich ’ne Numma kleena?“

Erschienen am 01.12.2012

DAS WAR DIE WOCHE: Angeschnitten

Sie stand im Zeichen des Advents, der noch gar nicht begonnen hatte, diese Woche; im Zeichen eines Weihnachtsmarktes, der nach der überwiegenden Meinung (auch der nichtreligiösen) Potsdamer noch nicht hätte öffnen sollen. Das verhinderte aber nicht, dass es bei der Eröffnung auf dem Luisenplatz allerlei Munteres zu entdecken gab, denn erstmals übernahm Baudezernent Matthias Klipp den traditionellen Stollenanschnitt.

Man merkte Klipp an, dass seine mittlerweile drei Jahre in einer Stadt unter Haushaltssicherungskonzept und seine regelmäßigen Auseinandersetzungen mit dem Kämmerer um ein bisschen mehr vom Kuchen nicht ohne Folgen geblieben sind: Während der Stollenbäcker daumendicke Stücke vom Adventsgebäck säbelte, schnitt Klipp hauchdünne Scheibchen und provozierte damit unter den Anstehenden den Kommentar: „Willy, wir jehn in die andere Schlange. Der vonne Stadt ist knickrich“. Dabei wollte Klipp nur, dass möglichst viele in den Genuss des Gebäcks kommen. Doch dass nur Undank seiner Mühen Lohn sei, ist ja eine gern geführte Klage des Dezernenten.

Um so freigiebiger zeigte sich der Baubeigeordnete dafür mit etwas anderem: Obwohl sicht- und hörbar erkältet, schnitt Klipp mit bloßen Händen und verteilte auch aus denselben, wo der Bäcker stets eine Serviette zwischen sich und den Stollen brachte. Der Modebegriff „Virales Marketing“ bekam so eine völlig neue Bedeutung. Ob damit auch Klipps in letzter Zeit umstrittene stadt- und verkehrsplanerische Überzeugungen auf die Bürger übergingen, wird sich noch erweisen müssen.

Zuvor hatte sich der Dezernent noch öffentlich gefreut, endlich mal wieder etwas entscheiden zu dürfen, nämlich, wer Stollen bekommt und wer nicht. Nach Monaten, in denen die Politik so manchen Klippschen Plan (Staudenhof-Erhalt, keine Alte Post) zunichte gemacht hatte, hoffte der Mann offenkundig auf etwas Mitleid. Die bedauernden „Oochs“ blieben aber aus – oder sie gingen im „Halleluja“ des Bläserquartetts schlicht unter.

als Klipp vor dem Anschnitt an der Fußgängerampel am Luisenplatz warten musste, zeichnete sich eine letzte Chance zur Lösung der umstrittenen frühen Marktöffnung ab: die Klippsche Pförtnerampel, für die ihn insbesondere Pendler und Umlandgemeinden ziemlich lieb haben. Klipp hätte den Konflikt schlicht lösen können, indem er die Ampel bis nach Totensonntag einfach auf „rot“ gestellt und den Stau am Markteingang erst am Montag aufgelöst hätte. Tat er aber nicht.

Derweil ist Potsdam nicht die einzige Stadt, der eine öffentliche Debatte um ihren Weihnachtsmarkt letztlich soviel Aufmerksamkeit bescherte, dass es am Ende voller war als in den Vorjahren. In Dresden ist der zentrale Weihnachtsbaum so hässlich, dass die lokalen Medien schon von der „Schandfichte“ sprechen, die die Stadt weltweit blamieren würde. Daraufhin kommen nun Tausende, um den „müden, schlappen, hässlichen Baum“ mit eigenen Augen zu erblicken. Vielleicht eine Idee fürs nächste Jahr. Auch wenn es nur abgekupfert wäre, hätte es doch den Charme, dass es der Kirche schnurz ist.


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