Untilgbares Jucken
Jan Bosschaart über die stupende Bescheidenheit und Selbstlosigkeit der Politik
Es heißt, wer einen Selbstlosen kratzt, sieht einen Heuchler bluten. Das klingt ein wenig zynisch, zugegeben, passt aber erschreckend gut zum Landtags- und Bundestagswahlkampf, der in vollem Gange ist. Politiker zeichnen sich in dieser krisenhaften Phase ihrer Vita durch besondere Dünnhäutigkeit aus, Journalisten durch ein besonderes Jucken in den Fingern. Damit folgen beide Seiten lediglich professionellen Instinkten, und es wäre demnach müßig, das eine für schlecht und das andere für gut zu erklären. Was das Jucken aber so unerträglich macht, ist die unglaublich sendungsbewusste Allgegenwart der Damen und Herren Kandidaten, die – schon im Alltag schwer erträglich – in Wahlkampfzeiten die Ausmaße von Intimitätsterror erreichen können. Da werden jahrelang ignorierte Journalisten plötzlich lächelnd als „Liebe Frau Y.“ in den als Umarmung verbrämten Würgegriff genommen, jeder Besuch im Altersheim zum Must-Have-Pressetermin stilisiert und müde Internetauftritte durch Hinzuklöppeln vermeintlich cooler Jugendseiten als letzter Schrei beworben. Das alles als Heuchelei zu brandmarken, ginge natürlich völlig an der Sache vorbei. Vielmehr handelt es sich ausnahmslos um selbstlosen Einsatz fürs Gemeinwohl ohne jedwedes machtpolitische Kalkül. Komisch nur, dass dieses fiese Prickeln in den Fingerspitzen trotz dieser, mit treuherzigem Augenaufschlag vorgetragenen Behauptung, partout nicht weichen mag.
Erschienen am 25.07.2009