Die Show geht weiter

Das sind jetzt so Tage, in denen dem Journalisten die Menschen, mit denen er professionellen Umgang pflegt, seltsam leer, wie automatisiert, ja roboterhaft erscheinen. Er kommt sich manchmal vor, als sei er in einen dieser Filme geraten, in denen ein einziger Überlebender zwischen entseelten Marionetten herumstakst, seine Beunruhigung nimmt zu, steigert sich in Angst. Zum Glück ist das nur eine Phantasie, doch das Wissen darum mildert den Eindruck nur bedingt. Am Freitag beispielsweise, als gezeigt wurde, wie der Landtag in Potsdams Mitte aussehen wird, da vermutete der Journalist, die SPD werde es gut finden, die CDU gut mit Abstrichen, und die Bürgerinitiativen fürs Schloss seien trotz historischer Kubatur und Fassade nicht zufrieden. Und wirklich: „Wunderschön!“ sagte die SPD, „schön, aber noch Änderungen nötig“, sagte die CDU, „schrecklich“, „großkotzig“ und „wie ein Toaster“ sagten die Initiativen. Die Linke sagte noch etwas zum Thema ÖPP, und beim Verlassen des Alten Rathauses beschlich den Journalisten das dumpfe Gefühl, dass er das auch schon hätte niederschreiben können, bevor er die Frage stellte. Die unangenehme Idee, dass er mit seinen Fragen zur Verfestigung dieses Prinzips beiträgt, verdrängte er.
Sicher, es ist Wahlkampf, die Geschlossenheit wächst, Minderheitenmeinungen treten zurück, der Wähler könnte ja verschreckt sein, wenn eine Partei sich Menschen leistete, die die Vernunft über einzelne Punkte des Wahlprogramms stellen. Und sicher, was will man erwarten, wenn schon sämtliche Kandidaten das gleiche, freundlich-kompetente, Vertrauen stiftende „Kreuz-mich-an“-Lächeln von Plakaten senden, die sich im Kern nun nur noch durch die Farbwahl unterscheiden? Eben.
Nehmen wir die Meldung, Potsdam würden in den nächsten zwei Jahren je 13 Millionen Euro im Haushalt fehlen. Da war ein Aufschrei zu erwarten, und noch bevor der Journalist zum Hörer greifen konnte, trudelten die Aufschreie im Mailfach ein. „Alle Projekte auf den Prüfstand“, lautete erwartungsgemäß die zentrale Forderung. Kurz darauf tagte der Finanzausschuss, und wenn schnell eines klar war, dann das: Es sollen alle Projekt auf den Prüfstand – so lange sie von den anderen Fraktionen kommen. Die Ideen der eigenen Partei hingegen sind unkürzbar, unerlässlich, unausweichlich. Das sind so Augenblicke, in denen der Berichterstatter sich gern von seinem Beobachterposten erhöbe und einzelne Abgeordnete auf den Bauch herumdrehte, um zu schauen, ob sich in deren Rücken ein viereckiges Loch befinde, in das der Fraktionsvorsitzende vor der Sitzung einen Schlüssel gesteckt und ordentlich gedreht hat, auf dass dieses Programm auch vornahmegemäß die nächsten drei Stunden ablaufe. Oder im Nacken nach eine Klappe schaute, in die die Kassette mit dem immergleichen Ton geschoben wird. Es ist gut, dass er das nicht tut, der Journalist, denn es droht die Gefahr, dass er fündig würde. Dann allerdings bräche sein Welt- und Berufsbild zusammen. Deshalb schreibt er lieber eine Glosse und geht hernach in den Bauauschuss. The show must go on!

Erschienen am 26.08.2009

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