Freudenfahrt mit klemmenden Luken
Stadtentwicklung: Neue Straßenbahntrasse freigegeben / Die Linke macht ihren Frieden mit der Trambrücke
Nach anderthalb Jahren Bauzeit fährt die Tram über ihre neue Brücke – leiser, schneller und ohne die Straße zu kreuzen. Für den Landtagsneubau ist nun Platz geschaffen.
POTSDAM | Ein bisschen wirkten sie ja wie auf Klassenfahrt in dem Straßenbahn-Sonderzug. Zur offiziellen Freigabe der neuen Trasse kutschierten der Verkehrsminister, der Oberbürgermeister, der neue Baubeigeordnete und die Pro-Potsdam-Spitzen gestern nebst einem Presse-Pulk durch die Stadt. Dem SPD-Übergewicht im Waggon angemessen war es dann auch ein knallroter Tatra-Zug, der zugleich als Partybahn zu buchen ist, wovon nicht nur knallbunte Plastikblumen an den Fenstern zeugten. Dafür ließen sich die Fenster nicht öffnen, die Dachluken klemmten und an der Einmündung zur Friedrich-Ebert-Straße ging’s wegen Restbauarbeiten nicht weiter.
Die Hitze drückte, der Stimmung tat das keinen Abbruch. „Das ist das erste Mal, dass Sie bei der Arbeit schwitzen“, neckte Pro-Potsdam-Chef Horst Müller-Zinsius Erich Jesse vom Sanierungsträger, Verkehrsminister Reinhold Dellmann (SPD) legte Potsdams neuem Baubeigeordneten Matthias Klipp (Grüne) indes auf munter-joviale Weise die Paragraphen 34 und 35 des Baugesetzbuches ans Herz, die bitte künftig „personenunabhängig“ angewandt werden mögen, und die Bauausschuss-Vorsitzende Anita Tack (Linke) frotzelte über den ihrer Partei missliebigen Abriss des „Hauses des Reisens“, als die Bahn es passierte.
Doch irgendwann endete auch diese launige Fahrt an der neuen Haltestelle „Alter Markt“, und es galt zu arbeiten, eine Schere in die Hand zu nehmen, ein Band zu zerteilen und sich gegenseitig zu loben: Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) freute sich, dass die Arbeiten im Zeitplan lagen, dass nun die Voraussetzungen für den neuen Landtag da seien und man den 32 Millionen Euro teuren Verkehrsumbau in der Mitte gestemmt bekam: „Das war gut investiertes Geld.“ Dellmann freute sich, dass die „kluge Verkehrsführung“ eine Vollsperrung überflüssig machte, dass die zwölf Millionen Landeszuschuss in „stimmigem Kosten-Nutzen-Verhältnis“ ausgegeben wurden und klagte nur, der „Radfahrer im Verkehrsminister“ habe manchmal unter fehlenden Schildern gelitten. Sanierungsträger-Chef Jesse hingegen erfreute sich daran, dass 120 Leute in drei Schichten bis zuletzt zum Gelingen beitrugen und man 850Tonnen Stahl und 1,5 Kilometer Schienen für Brücke und Trasse verbaut habe. Sogar die Linke hat offenbar mit der „Luxusbrücke“ mittlerweile ihren Frieden gemacht: „Nun ist sie fertig – nutzen wir sie“, forderte Anita Tack, die auch im Infrastrukturausschuss des Landtages sitzt und verkehrspolitische Sprecherin der Linken ist. Sie betonte zwar noch einmal ihre Zweifel an der Wirtschaftlichkeit, räumte aber ein, dass sich die Brücke gut in die Umgebung einfüge und die Einschränkungen für Besucher der Freundschaftsinsel erträglich seien.
Bis spät in die Sonntagnacht hatten die Bauarbeiter noch gewirkt, bevor kurz nach vier Uhr am Montagmorgen die erste reguläre Tram über die neuen Flüstergleise rollte. Ab 20 Uhr waren am Sonntag die ersten Testwagen gefahren, hatten den Kontakt zur Fahrleitung und die Spurlage getestet und die korrekte Weichensteuerung überprüft. Trotz des hohen Zeitdrucks sei die Qualität der Bauarbeiten sehr gut, lobten die Verkehrsbetriebe.
Dem Verkehrsminister erschloss sich die Qualität ganz unmittelbar: Er konnte seine Ansprache trotz direkt neben ihm rollender Bahn halten, ohne von Quietschen, Kreischen oder Holpern unterbrochen zu werden. Bis zur Begehung der Brücke kam der Tross aber nicht mehr. Im Schatten des Fortunaportals warteten gekühlte Getränke, und dann mochte bei der Hitze niemand mehr weiter. Wie bei einer Klassenfahrt.
Erschienen am 02.09.2009