Im Brennpunkt der Geschichte
Mauerfall: Potsdam erinnerte vielerorts an den 9. November / Villa Schöningen eröffnet
Zum 20. Jubiläum des Mauerfalls kamen Gorbatschow, Kissinger, Genscher und die Bundeskanzlerin in die Villa Schöningen. Am Griebnitzsee liefen Bürger den einstigen Grenzstreifen ab.
Niemand wurde geschont an diesem Abend. Nicht einmal Hausherr und Springer-Vorstand Mathias Döpfner. „Sagen Sie mal, wo arbeiten Sie eigentlich?“ schallte es aus dem Pulk der Kameraleute und Fotografen, die darüber verärgert waren, dass Döpfner, der rund zwei Meter misst, mit seiner imposanten Erscheinung Angela Merkel beim Signieren eines Mauerstücks vor der Villa Schöningen glatt verdeckte. Sie als Medienprofi, sollte das heißen, müssten es doch besser wissen – zumal wegen galoppierender Platznot angesichts von 500 hochkarätigen Gästen ohnehin kaum ein Journalist Zugang zu den Hallen erhielt, in denen ab heute ein Museum über die Glienicker Brücke, den Agentenaustausch, die Mauer und die wechselvolle Geschichte der Villa allen Interessierten offen steht.
Es war wohl die größte Ansammlung politischer Prominenz in Potsdam seit der Potsdamer Konferenz: Zur Eröffnung kamen nicht nur die Bundeskanzlerin und Außenminister Guido Westerwelle, auch Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Ex-US-Außenminister Henry Kissinger und der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow sowie Polens Außenminister Radoslaw Sikorski signierten das Mauerstück und verschwanden dann in der hoffnungslos überfüllten Villa, flankiert von der Spitze der deutschen Medien-, Kultur- und Wirtschaftsprominenz. Die Kanzlerin war gar mit vereinzelten „Angie“-Rufen begrüßt worden, die Friedensnobelpreisträger Kissinger und Gorbatschow ernteten Applaus von zahlreichen Schaulustigen in der Schwanenallee.
Während sich der 86-jährige Kissinger in seiner Rede vor allem der bedeutenden Zeit, in der er amtierte – und damit seiner eigenen Bedeutung – vergewisserte, Angela Merkel das private Engagement Döpfners für das Museum lobte und über die Rolle der Glienicker Brücke reflektierte, erntete der polnische Außenminister den größten Beifall: Er habe beim Feiern auf der Mauer 1989 gemischte Gefühle gehabt, bekannte Sikorski: Einerseits habe er sich über das Ende des Kommunismus gefreut und andererseits ein wenig vor dem vereinten Deutschland gefürchtet. Doch das sei unnötig gewesen, heute leite die Bundesrepublik als „einflussreichstes Land Europas“ durch gutes Beispiel. „Es gelang gemeinsam“, sagte Sikorski auf deutsch, auch auf die Leistungen der polnischen Solidarnosc-Gewerkschaft anspielend.
Die Museums-Eröffnung war nicht das einzige Ereignis, das am Vorabend des 20. Jahrestags an den Fall der Mauer erinnerte. Am Mauerstück in der Stubenrauchstraße trafen sich auf Einladung der Fördergemeinschaft Lindenstraße mehr als 100 Potsdamer, um die „wichtigste Meile der Nachkriegsgeschichte“, wie Bob Bahra in seiner Begrüßung sagte, abzuwandern. Das „grellweiße Monstrum, das unser Leben auf Jahre verschattete und verdunkelte“ (Bahra) war der Ausgangspunkt für die rund einstündige Wanderung am Griebnitzseeufer entlang, die nur von gesperrten Ufergrundstücken unterbrochen wurde. Mit vorneweg marschierte Linken-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg. Im Treffpunkt Freizeit berichteten Zeitzeugen, wie sie die Wendezeit erlebten – vom jungen Mann, der noch am 1. November in die NVA eingezogen wurde und bis zum 31. Dezember gar keinen Ausgang bekam, bis zur Westberliner Studentin, die flugs ihren Traum verwirklichte, einmal unter dem Brandenburger Tor zu stehen. Die Kinder und ihre Eltern hörten gebannt zu.
Erschienen am 09.11.2009