Recht und Ordnung

Wahlkampf: eine tolle Zeit, in der als Kandidaten missverstandene Trivialsatzquellen den Bürger als wertvollen Mitmenschen (vulgo: Stimmvieh) entdecken und hübsche Bildlein huldvoll lächelnder Aspiranten an die Laternenmasten tackern. Diese Plakate sind dann so informativ wie Fotos im Kochbuch: Man erfährt nur, was bestenfalls herauskäme, aber es gerät nie wirklich so. Daher sollten wir den Linken dankbar sein, dass sie im dräuenden Oberbürgermeisterwahlkampf die Zahl der Kandidatenkonterfeis auf 500 reduziert wissen möchte. Doch was ist das Kalkül dahinter? Andernorts käme ökologische Anbiederei an die Grünen infrage. In Potsdam nicht. Dort sind die Grünen eine Städtebau- und Pflasterpartei und in diesen beiden Punkten von den Linken weiter entfernt als die Drewitzer vom Konrad-Wolff-Park. Böse Zungen mutmaßen nun, dank der Überalterung in der Linken fehlen Menschen, die fit genug wären, mit dem Plakat in der Hand eine Leiter zu besteigen. Diese Idee hat allein ob ihrer Boshaftigkeit einen gewissen Charme. Doch der vehemente Einsatz fürs Jugendzentrum „Freiland“ machte ja auch ein paar behände Kletterer unterhalb der 80-Jahre-Grenze zumindest zu Sympathisanten. Sie müssen also anderes im Schilde führen, diese Linken.
Möglicherweise hilft eine nicht mehr ganz taufrische Meldung aus dem Rathaus weiter: Darin wird vor Studenten gewarnt, die im Sperrmüll kramen. Nicht, weil vom Bafög heute keiner mehr zu Ikea gehen kann, sondern – doch, wirklich: wegen des Klimawandels und der Nachhaltigkeit. In diesem Projekt werden Sperrmüllmöbelstücke nachhaltig und klimaneutral fotografiert. Ganz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verpflichtet, beeilte sich die Stadt, Massenpaniken vorzubeugen: Die wilden Studis nähern sich nur angemeldeten Sperrmüllhaufen, war zu lesen, sie stellten auch alles „ordnungsgemäß“ zurück. Selbst dem Datenschutz ist Genüge getan: Weder dem Besitzer noch dem Grundstück können die „Sperrmüllgegenstände“ am Ende zugeordnet werden, das ist behördlich garantiert. Und um ganz sicher zu gehen, schloss die Nachricht mit dem dringenden Appell: „Sollten Sie Studenten beim Fotografieren eines Sperrmüllhaufens sehen, rufen Sie nicht gleich die Ordnungshüter herbei!“ Hoffentlich verfügen die Potsdamer über ein ausreichend robustes Nervenkostüm, um dieser lax dahingeworfenen Anrufung Folge zu leisten. Wäre ja doch blöd, wenn GSG-9, Verfassungsschutz und Bombenräumkommandos mehrfach anrücken müssten, weil sich Chaoten an angemeldeten (!) Sperrmüllhaufen zu schaffen machen. Jetzt, endlich, verstehen wir auch die Linke. Was würde nur geschehen, wenn plötzlich überall Genossen an den Masten klebten, um ihren Hans-Jürgen zu plakatieren? Wären es angemeldete Masten? Würden sie danach alles wieder ordnungsgemäß zurückstellen? Könnten die Plakate nicht dem Abgebildeten zugeordnet werden? Ist schon eine wilde Zeit, dieser Wahlkampf. Recht und Ordnung sind quasi aufgehoben.

Hinterlasse eine Antwort

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu erstellen.


%d Bloggern gefällt das: