Vulkanausbruch in der Mundhöhle
Nachschlag: Das Curry Culture hat leckere Würste zu zivilen Preisen – und Soßen für Jungs, die hart sein wollen
Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.
Der Weg in die Hölle ist mit vier Stufen versehen, die da lauten: Feuriger Pfad, Krakatau, Montezumas Rache und das Jüngste Gericht. Man kann diese Namen albern finden, aber wer die Currysoßen probiert, die sie bezeichnen, billigt ihnen augenblicklich einen gewissen Respekt zu. Auch sieht der Vorhof der Hölle vergleichsweise einladend aus: Das „Curry Culture“ ist der jüngste Spross in der reichhaltigen Imbiss-Landschaft der Bahnhofspassagen und lockt mit einem satten Paprika-Orange vorbeihetzende Passanten an den Tresen. Dort haben sie die Wahl zwischen klassischer Currywurst, Kalbscurrywurst, Krakauer, Chiliwurst, Bratwurst, Schaschlikspieß und Knusperschnitzel – am besten im Menü mit Pommes Frites und einem kleinen Getränk. Zwischen vier (Bratwurst) und sechs Euro (Schnitzel) werden dafür fällig.
Die Stars sind aber die Soßen, nicht nur die Dips für die „besten Pommes weit und breit“, wie ein Plakat kündet – Schnittlauchcreme, Quark, Knoblauch, Honig-Senf, Mayo – sondern eben jene Feuerpasten. Für den vorgebildeten Chilifreund stehen die Scoville-Werte der Soßen an jedem Platz. Die Scoville-Skala gibt die Schärfe von Paprika an, in dem sie den Gehalt an Capsaicin, das für die Schärfeempfindung zuständig ist, angibt. Eine Gemüsepaprika hat null, reines Capsaicin hat 15 Millionen Punkte auf der Skala. Ein Tropfen davon auf der Zunge genügt, um in Ohnmacht zu fallen. Wir probieren alle vier Soßen – mit einer Kalbscurrywurst, die wir zunächst kosten, so lange noch ein Rest Geschmackssinn im Mundraum regiert. Sie ist heiß, weich, außen schön kross, zartes Fleisch – wie eine Curry sein soll.
Los geht’s mit dem Feurigen Pfad (150 000), eine klassische Soße für Currywurstfans, die es gern etwas pikant mögen. Hat eine gewisse Schärfe, tut aber niemandem wirklich weh. So ermutigt, ist der Krakatau (300 000) dran. Das war ein Vulkan, der 1883 sich in unbewohntes Gebiet ergoss. Die Mundhöhle des Testers ist hingegen höchst lebendig. Noch. Sie bleibt es auch danach. Krakatau beißt zwar schon gehörig in die Schleimhäute, und eine gesamte Currywurst mit dieser Soße wäre schon irgendwo zwischen Genuss und Grenzwertigkeit anzusiedeln, aber um Frauen oder die Fußballkumpels zu beeindrucken, tun Männer ja so was. Immerhin: Der Tester zieht jetzt die Jacke aus. Ihm ist „irgendwie warm“ geworden. Es folgt Montezumas Rache (600 000). Kein schöner Name für ein Lebensmittel, weil sofort Assoziationen an Reisekrankheit und Urlaubswochen auf der Toilette auftauchen. Aber sei’s drum. Montezuma ist hinterlistig, denn die tastende Zunge erschmeckt zunächst nur Fruchtigkeit. Auch der Gaumen. Verdutztes Innehalten. Dann zündet der Nachbrenner. Es ist Zeit, den obersten Hemdknopf zu öffnen und von Nasen- auf Mundatmung zu wechseln – in dem sinnlosen Versuch, die gebeutelten Geschmacksknospen zu kühlen. Der Cola-Verbrauch steigt und verschafft die Illusion von Kühlung, obgleich wir vorab doch gelesen haben, dass nur Fett oder Alkohol das Capsaicin leidlich bändigen. Für einen Schnaps im Dienst ist es aber zu früh, und die sicherheitshalber mitgebrachte Schlagsahneflasche zu öffnen kommt nicht in Frage, so lange der wirklich nette Herr hinter der Theke so dämlich und erwartungsvoll grinst.
Also zum Finale. Das Jüngste Gericht bringt eine Million Punkte auf der Scoville-Skala und den Respekt der zwei Bauarbeiter, die am selben Tisch sitzen. „Alle Achtung!“ sagen sie, das kommt nicht oft vor. Es bleibt nicht viel Zeit, sich daran zu erfreuen. Der Mundraum verwandelt sich in ein flammendes Inferno, der Tester liefe am liebsten los und wird nur noch vom Berufsethos an den Platz gefesselt. Das Zahnfleisch scheint sich zurückziehen zu wollen, es spannt, es brennt und die Gesichtsfarbe nimmt das intensive Feuerwehrrot der Soße an. Die Serviette wird zum Abtupfen der Stirn benötigt, und eine ältere Damen gegenüber tippt beunruhigt ihren Mann an und schaut, als führe sie an einem Autounfall vorbei. Die Atemfrequenz liegt deutlich über 100, nur bringt das stoßweise Kühlen des Mundraums nichts. Das Capsaicin reizt zwar die selben Nerven, die auch Hitze melden. Jetzt hilft nur noch Geduld. In all das Leiden hinein sagt der Mann hinter der Theke, um Frauen zu beeindrucken, schaffen manche Männer davon sogar eine ganze Currywurst. Wir halten das für missverstandene Liebe.
Erschienen am 26.03.2011