Pilchereske Ausmaße
Zwölf Minuten. So lange dauert es, bis der Zuschauer weiß, wohin die Reise geht. In dem Moment, wo sich Jenny, scheinbar im Übermut, auf dem Rasen an die Brust des väterlichen Freundes Lothar wirft und ihr Dekolleté noch einen Moment nachwogt, ist klar, was kommen wird.
Doch der Reihe nach: Lothar (Udo Wachtveitl), Fotograf für Whirlpoolprospekte, und Flugkapitän Milan (Miroslav Nemec), sind Freunde seit immer, aber nur die Copiloten ihres Lebens. Milan hat den Tod seiner Frau nicht verwunden und widersteht jedem Verkupplungsversuch durch offensiven Einsatz des Familienfotoalbums.
Lothar hingegen sieht sich eher als Künstler und befindet sich zudem im ehelich verordneten Zeugungsstress: Gattin Amelie hat sich für die späte Mutterschaft entschieden und einen strammen Fahrplan errichtet, der an den fruchtbaren Tagen dem immer gleichen Ritual aus Marvin Gayes „Sexual Healing“ und untergeschobenem Kissen folgt. Die Konflikte brechen durch, als Milans Tochter Jenny vom Studium zurückkehrt und eine Romanze mit Lothar beginnt. Das führt in Beziehungs- und Gefühlswirren pilcheresken Ausmaßes, die nur treue Zuschauer des großen ZDF-Sonntagsfilms nicht mehr schrecken kann.
Die Charaktere wirken, als seien sie aus dem Kulissenfundus einer Inga-Lindström-Verfilmung direkt auf die Startbahn der Copiloten geschoben: etwa der makellose Brian, Brite mit obligatem Akzent, der den hochwertigen Pullover stets adrett über die Schultern gelegt trägt oder die hyperkritische Journalistin, die nur darauf wartet, den späten Fotokünstler Lothar in Grund und Boden zu schreiben. Da ist es folgerichtig, dass auch Friederike Kempter die Rolle der Jenny mit einer jedes Klischee erfüllenden Jugendlichkeit gibt, Ältere-Herren-Erotik inklusive.
Was bleibt, sind Fledermaus-Füttern im Sonnenuntergang und beziehungsrelevante Gespräche an der Isar. Dass der Film dennoch keine 90-minütige Bruchlandung bietet, liegt allein am „Tatort“-Duo Nemec und Wachtveitl, die dank ihrer Präsenz dafür sorgen, dass er zumindest eine gewisse Höhe gewinnt.
Gegen die seichte Story kommen sie aber nicht an, und spätestens das ebenso vorhersehbare wie überzuckerte Happy-End dieses telegenen Flachseglers macht ihre Mühen zunichte. Warum sie sich in diese Tiefen schwingen mussten und was den Kultursender Arte bewog, dabei zu kooperieren, bleiben offene Fragen an diesem Fernsehabend.
(Veröffentlicht am 10. Juli 2007)