Der Winter fiel auf einen Freitag

Der Skifreunde Leid, der Bauern Freud: Bilanz einer ausgefallenen Jahreszeit

POTSDAM Ein bisschen wirkte es, als wollte das Wetter die internationale Politik kommentieren: Passend zum UN-Klimabericht, zum EU-Klimagipfel und zur Oscar-Verleihung – dort wurde Al Gores Umweltdokumentation „Eine unbequeme Wahrheit“ ausgezeichnet – erlebte Deutschland einen Winter, der keiner war: Mehr als vier Grad über dem Durchschnitt lag die Temperatur, hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Offenbach ermittelt: 4,3 Grad verzeichnet die Statistik für Dezember bis Februar, dabei hat der deutsche Standard-Winter eigentlich im Schnitt nur 0,2 Grad. Daran ändert auch die aktuelle vorübergehende Abkühlung nichts mehr.
Es ist vor allem dem Januar geschuldet, der alle bisherigen Rekorde schlug und zum wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1901 geriet. Der Dezember war dagegen „nur“ der wärmste seit 32 Jahren, der Februar schaffte es in die heißen Top 10. Legt man die meteorologische Regel zugrunde, dass an einem klassischen Wintertag die Temperaturen nicht über minus drei Grad steigen, so fiel der Winter in diesem Jahr auf einen Freitag – den 26. Januar.
Besonders hart traf es die Wintersportler. Sie mussten auf höhere Lagen ausweichen oder mit Kunstschnee aus der Kanone vorlieb nehmen. Den örtlichen Tourismusverbänden hat das allerdings nur wenig geschadet: Bayern etwa vermeldet kontinuierlich steigende Besucherzahlen. Neue Angebote im Städte- und Kulturtourismus machen Rückgänge bei den Skifahrern mehr als wett. Die großen Skigebiete gleichen ohnehin seit Jahren die Wetterrisiken mit Schneekanonen aus. „Für die nächsten 15 Jahre wird’s reichen“, ließ sich Richard Adam, Geschäftsführer der Bayern Tourismus GmbH, mit Blick auf den Klimawandel zitieren.
Ganz ähnlich im Sauerland: Nach rekordverdächtigen 120 Wintersporttagen im letzten Jahr kam die Region in diesem Winter nur auf magere 50 Tage. „Ohne Kunstschnee wären es wohl nur zwei gewesen“, so Sprecherin Susanne Schulten. Nach einem Blick auf die Statistik sei das aber kein erschreckendes Phänomen: „Natürlich schmerzt es die Liftbetreiber, Gastwirte, Hoteliers und Einzelhändler, aber das Wintersportgewerbe war schon immer sehr wetterempfindlich“, so Schulten, die sich „in der Aufgeregtheit der Klimadebatte etwas mehr Rücksicht“ wünscht, damit „die Skiregionen nicht schlechtgeredet werden“.
Am Trend wird das nichts ändern: Mit steigenden Wintertemperaturen ziehen sich auch die schneesicheren Hänge zurück. „Irgendwann steht der technische Aufwand von Kunstschnee und Pistenpräparation in keinem sinnvollen Verhältnis mehr zu den Einnahmen“, sagt ein Experte des Umweltbundesamtes.
Acht Milliarden
Heizkosten gespart
Wenig begeistert vom Winter sind auch die Wärmeversorger. Um 15 bis 23 Prozent sei die Gasabnahme zurückgegangen, berichtet Eon-Edis-Sprecher Jörg-Uwe Kuberski. Die Erdgas Mark Brandenburg vermerkte deutlich ebenfalls fünfzehn Prozent Rückgang. Bedroht fühlen sich die Konzerne davon nicht: „Letztes Jahr gab es einen besonders strengen Winter mit hohen Abnahmen, in diesem Jahr war es halt das Gegenteil. Das gleicht sich aus“, sagt ein Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Wärme und Heizwirtschaft in Frankfurt/Main. Die Verbraucher hat’s gefreut. Nach Jahren steigender Energiepreise sind niedrige Rechnungen besonders gern gesehen. Die Hypo Vereinsbank rechnete aus, dass den Deutschen Haushalten etwa acht Milliarden mehr im Portmonee bleiben als im letzten Winter, das sind rund 200 Euro pro Haushalt. Der Heizbedarf fiel um 15 Prozent geringer aus.
Ähnlich froh wie Verbraucher sind die Landwirte. Der milde Winter verschafft ihnen etwas Luft beim Einrichten der Felder. Das Wintergetreide habe sogar drei bis vier Wochen Vorsprung, sagt der Deutsche Wetterdienst. „Nur eine längere Frostperiode könnte jetzt noch Schäden anrichten“, so Michael Lohse, Sprecher des Deutschen Bauernverbandes. An ein deutlich vorgezogenes Aussäen sei aber allein wegen der feuchten Böden nicht zu denken, die Traktoren kommen noch nicht auf die Felder. „Außerdem wollen wir das Saatgut nicht in den Boden einschmieren“, so Lohse. Zum Problem könnten Schädlinge werden, die aufgrund milder Temperaturen vielfach überlebt haben. Einige Gerstenfelder in Niedersachsen sind bereits zur Hälfte geschädigt, weil sich dort das „Gerstengelbverzwergungsvirus“, ein bisher kaum bekannter Erreger, ausbreitet. Seine Wirtstiere, die Blattläuse, haben wegen der Wärme explosionsartig zugenommen.
Sie sind nicht die einzigen Lebewesen, die vom milden Winter profitieren: Der Deutsche Jagdschutz-Verband warnt vor erhöhtem Wildwechsel, auf den sich vor allem die Autofahrer einstellen sollen: Durch das sprießende Grün sind die Wildtiere schon einen Monat vor der Zeit auf Futtersuche und überqueren dabei die Straßen. Vor allem in der Dämmerung sollten Autofahrer aufpassen.
Mücken und Zecken
machten durch
Das gilt auch für den Waldspaziergang, denn Zecken und Mücken haben vielfach „durchgemacht“, wie aus dem Friedrich-Löffler-Institut in Jena verlautet. Schon jetzt sollte auf die „Holzböcke“ genannten Spinnentiere geachtet werden, die schwere Krankheiten wie Hirnhautentzündung und Borreliose übertragen. Im Verlauf des Sommers ist gar mit einer regelrechten Insekten-Plage zu rechnen. Noch ist das aber nicht sicher: Ein plötzlicher, harter Frost kann vielen vorzeitig aktiven Krabblern den plötzlichen Garaus machen. Mücken sind allerdings frosthart bis etwa minus 20 Grad. Für die Blautsauger, die ihre Larven im Wasser ablegen, ist ein trockenes Frühjahr wesentlich bedrohlicher als ein eiskalter Winter.
Egal, wie mild der Winter war: Auf Frühlingsgefühle muss niemand verzichten. „Die hormonellen Änderungen, die der Volksmund Frühlingsgefühle nennt, kommen vor allem wegen des längeren Tageslichts zustande“, sagt Peter Walschburger, Professor für biologische Psychologie an der Freien Universität Berlin. Ein strenger und langer Winter steigere zwar das Kontrasterleben bei Frühlingsausbruch, doch selbst wenn der Winter durch den Klimawandel ausstürbe: die Frühlingsgefühle bleiben. „Es wäre evolutionär keine gute Strategie, sich an Länge und Strenge des Winters anzupassen, die Schwankungen des Lichts sind zuverlässiger“, so der Forscher. Und schließlich, nicht zuletzt, war es auch eine großartige Zeit für Medienschaffende. Hier gilt: „Wetterthemen gehen immer“, und so füllte der Winter, der keiner war, unendlich viele Sendeminuten und Druckzeilen. Eine Jahreszeit, die durch ihre Abwesenheit die aktuelle Weltpolitik kommentiert, ließ sich niemand entgehen.

Erschienen am 20.03.2007

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