Wider die Diktatur des Lächelns
Kino: Brad Breiens Erstling „Die Kraft der negativen Gedanken“ ist eine Feelbad-Komödie mit Hintersinn
Negatives gehört nicht in die Runde. Negatives gehört in den Kotzbeutel – einen kleinen, gehäkelten Sack, dem jeder Teilnehmer seine Frustrationen anvertraut. So kommt sie so leidlich voran, die Gruppentherapie unter Leitung der Kommunal-Psychologin Tori (Kjersti Holmen). Tori hat das Dogma der positiven Psychologie so tief inhaliert, dass sie selbst dann ein freundliches Lächeln aufsetzt, wenn sie andere beleidigt. Sie arbeitet lösungsorientiert mit ihren Patienten, das heißt: negative, destruktive Gefühle werden vermieden.
Ihr Klientenquartett fügt sich brav: Die stets lächelnde Marte, die seit einem Unfall beim Klettern im Rollstuhl sitzt und ihr egomanischer, aber von Schuldgefühlen zerfressener Mann Gard – er hatte das Seil nicht richtig gesichert. Dazu Asbjörn, der einen Schlaganfall hatte und nun nicht mehr richtig sprechen kann sowie Lillemor, Mitte sechzig, furchtbar allein, depressiv, von Ängsten zerfressen.
Mit der oberflächlichen Harmonie ist es aus, als das dauerlächelnde Quartett nebst Sozialdompteuse Tori bei Geirr (Fridjov Saheim) und Ingvild (Kirsti Eline Torhaug) vor der Tür steht. Geirr sitzt nach einem Autounfall im Rollstuhl und kultiviert seither die Kunst des negativen Denkens: Er raucht Joints, verkriecht sich in sein Zimmer, schaut Kriegsfilme, und weist seine Ehefrau Ingvild so weit wie möglich von sich, denn die Lähmung hat ihm auch die Potenz genommen: „Ich stehe nicht auf Frauen, die mit einem Krüppel schlafen würden.“ Die verzweifelte, aufopferungsvolle Ehegattin will vor der Scheidung einen letzten Versuch wagen: Daher die kommunale Positivitätsgruppe.
Doch es kommt anders als geplant. Statt Geirr mit der positiven Geisteshaltung aufzurichten, infiziert der Patient die Gruppe mit seinen negativen Gedanken, und in nur wenigen Stunden brechen unterdrückte Wut, Scham und Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit und Anklagen auf. Erstes Opfer ist Tori, die nicht nur ein blaues Auge davonträgt, sondern bei ihrem trotzigen Auszug aus dem Haus auch die Pläne für eine neues Buch über ihre „Think-positive!“-Philosophie begraben muss. Ihr ehemaliges Feelgood-Kommando ist da längst ein selbst- und fremdzerstörerischer Haufen geworden. Derart entfesselt, dreht die Runde nun erst richtig auf, keiner wird geschont, es folgen ein „Wem-geht-es-am-schlechtesten-Wettbewerb“ und diverse fehlschlagende Suizidversuche, die in ihrer Hilflosigkeit ständig zwischen lächerlich und anrührend changieren.
Der Norweger Brad Breien rechnet in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm grandios mit der so genannten political correctness ab und zeigt, dass man sehr wohl über Behinderte lachen kann, wenn denn Erkenntnis und Verständnis aus diesem Lachen erwachsen und sich der Nichtbehinderte im Behinderten wiedererkennt.
Das nur siebenköpfige Ensemble spielt hinreißend, arbeitet den Humor mit böser Lust heraus, ohne in Stereotypen zu verfallen und ist doch nah genug am Kern der Figuren, um die melancholische Seite dieses typisch nordischen Films herauszuarbeiten. Nach dem Besuch der schon jetzt preisgekrönten Komödie ist über positive Psychologie alles gesagt: Wie das Weglächeln Verarbeitung und Trauerarbeit verunmöglicht, wie es destruktive Gefühle einkapselt, deren Erleben zwar schmerzlich, aber reinigend ist, und wie lebendig sich solche Kräfte den Weg nach draußen bahnen. Wer dennoch wütend aus dem Kino geht und meint, so könne man an dieses Thema nicht herangehen, darf sich vermutlich gern des Kotzbeutels bedienen.
Erschienen am 18.09.2008