Kallinchens radelndes Uhrwerk
Menschen: Leser loben zuverlässige MAZ-Zustellerin
KALLINCHEN| „Eigentlich“, sagt Hannelore Siecke, „bin ich ja Langschläferin“. Das ist schwer vorstellbar, denn sechsmal pro Woche klingt ihr Wecker um 3.45Uhr – eine Uhrzeit, die viele Menschen bestenfalls mal an Silvester mit eigenen Augen auf dem Display sehen. Doch sie hat sich halt dran gewöhnt, die 62-Jährige aus Kallinchen.
Um 4.30Uhr kommen die Zeitungen an. Dann holt Hannelore Siecke ihr Fahrrad aus dem Schuppen. Wenn es nach Regen aussieht, packt sie die druckfrischen Blätter in Plastiktüten. „Ich mag das nicht, wenn die Zeitung nass auf dem Frühstückstisch liegt“, sagt sie. Dann geht es zuerst die Hauptstraße runter, in die Töpchiner Straße, die Burgstraße, die Straße zur Försterei, schließlich die andere Hälfte der Hauptstraße entlang, in die Seestraße und die Nebenwege. Etwa 70 Mal steigt Hannelore Siecke ab und wirft die MAZ ein, manchmal auch mit MazMail geschickte Post. Das macht sie mit der Präzision eines Uhrwerks. Nicht wenige Kallinchener stellen morgens ihre Uhr nach Hannelore Siecke. „Wenn ich mal krank werde, kommen alle zu spät zur Arbeit“, scherzt die Zustellerin. Das muss niemand fürchten: Nur einmal in zwölf Jahren fiel sie aus, und natürlich stand eine Vertretung bereit. Urlaub braucht Hannelore Siecke auch nicht, jedenfalls nicht fern der Heimat. „Kallinchen ist so schön, wir haben Seen, Wald und Hügel, warum sollte ich da weg?“ fragt sie, und ihr Blick verrät, dass das nicht ironisch zu verstehen ist.
Wenn es ausnahmsweise doch mal nicht ganz auf die Minute läuft, sind die Umstände schuld: Bei Eisglätte kommt der Fahrer oft später, und einmal entleerte der Dorn einer Akazie das Vorderrad ihres Drahtesels. Da ging Hannelore Siecke eben zu Fuß, ein Bekannter nahm sich derweil des platten Reifens an. Soviel Engagement wissen die Leser in Kallinchen zu würdigen: Nicht nur, dass sie ihre Zustellerin bei der MAZ lobten, bei nasskaltem Wetter bietet auch mal jemand einen Kaffee und im Sommer ein Glas Mineralwasser an.
Wo bei diesem Arbeitseifer eigentlich der Spaß bleibt? „Den habe ich“, sagt Hannelore Siecke – weil sie gern unterwegs ist, gern Menschen trifft und gern in der Natur ist. Nur einen Luxus gönnt sie sich ab und an: Wenn „In aller Freundschaft“ über die Mattscheibe flimmert, bleibt sie bis 22 Uhr statt bis 20.15Uhr auf. Dann ist sie morgens zwar müde, aber sie steht keine Sekunde später auf. Langschläfer hin oder her.
Erschienen am 19.11.2008